MKL1888:Wohnhaus
[715] Wohnhaus (hierzu Tafeln „Wohnhaus I und II“). Die ursprünglich in Höhlen oder Hütten aufgeschlagene Wohnung des Menschen hat mit der Verschiedenheit des Klimas, der Nation und der Familie eine hinsichtlich der Ausdehnung und Anordnung ihrer Räume, Bauweise und künstlerischen Ausstattung sehr verschiedene Entwickelung erfahren. Unter den bauenden Kulturvölkern des Altertums nehmen die Inder, Ägypter, Griechen und Römer und damit deren Wohngebäude die hervorragendste Stelle ein. Bei dem indischen W. wurde die Hausflur über die Straße erhöht, nach welcher sich Bogengänge mit dahinterliegenden Kaufläden öffneten, während sich darüber reich und phantastisch bemalte Veranden, Erker und Galerien erhoben, deren Dachtraufen, von Karyatiden getragen, weit ausluden. Dicht aneinander gebaut und bis zu neun Stockwerken erhöht, besaßen sie alle gleiche Thür- und Fensterhöhe, während die nicht in der Mitte der Vorderseite angebrachte Hausthür seitlich zwei erhöhte Sitze hatte. Die Wohnhäuser der Ägypter waren, da sie von diesen nur als vorübergehende Aufenthaltsorte angesehen wurden, nur aus Holz und Ziegeln erbaut, standen dicht aneinander und erhielten nur in größern Städten, wie Theben und Memphis, über zwei Stockwerke. Im untern waren die Magazine und Dienerzimmer, oben die Wohnung des Herrn und seiner Familie. Vor den erstern zogen sich die Säulengänge hin, welche die Gänge des obern Stockwerkes trugen. Kleine Häuser hatten nur unten eine Reihe von Zimmern, darüber einen vom Hof oder der Straße aus [716] mittels Rampe oder Treppe zugänglichen großen Saal. Vor diesem W. befand sich ein Vorhof mit einem zum Empfang der Fremden bestimmten Pavillon. Vor dessen Eingangsthür, in deren Sturz nächst dem Namen des Besitzers ein gastfreundlicher Wahlspruch eingehauen war, befand sich ein Portikus, mindestens ein Vordach mit zwei Säulen, worüber Fahnen wehten und eine Reihe mit Gittern umgebener Bäume. Statt des Daches hatten die Häuser eine mit Zinnen versehene Terrasse, welche bei den Reichern mit einem auf kurzen Säulen ruhenden leichten Dach, bei den Ärmern nur mit einem das Regenwasser nach der Mitte des Gebäudes oder dem Hof ableitenden Bretterdach versehen war. Hier und da war ein Teil des Hauses turmartig erhöht, während Galerien, Brüstungen und Säulen bunt und phantastisch bemalt waren. Auch die ägyptischen Landhäuser waren ähnlich eingerichtet, nur von größerm Gehege umgeben, welches die Wirtschaftsgebäude und Gärten einschloß. Die letztern waren häufig mit Wasseranlagen, Gebüschen und Aussichtsterrassen geschmückt, während Zelte, Lauben und Baldachine in Höfen und Gärten zum Genuß des Schattens einluden. Aus Assyrien und Persien sind zur Zeit nur Herrscherpaläste bekannt, welche von einer großartigen Raumanordnung, vorgeschrittenen Bauweise und einer reichen, mehr oder minder geschmackvollen Formenausstattung Zeugnis ablegen. Mehr ist aus den Berichten von Schriftstellern und den Untersuchungen neuerer Forscher über das griechische W. bekannt. Die Haupteingangsthür desselben führte zu der schmalen Hausflur, an welcher zu beiden Seiten untergeordnete Räume, wie Ställe, Thürhüterraum etc., lagen. Durch eine zweite Thür gelangte man in den oft mit einem Peristyl umgebenen Hof, worin sich die Wohnung der Männer befand. Eine Zwischenthür führte von da zu der innern zweiten Abteilung, der Frauenwohnung, in deren Hof, jener Thür gegenüber, sich ein nach der Hofseite offenes, nur durch Vorhänge geschlossenes Gemach befand, woran sich zu beiden Seiten je ein Schlafzimmer und hinten ein Arbeitszimmer anschlossen (s. den Grundriß eines griechischen Wohnhauses im Artikel „Griechenland“, S. 682). Dem griechischen verwandt war das etruskische W., welches ursprünglich sehr eng und mit steilem, weit vorspringendem Strohdach versehen war, dessen Sparren gekreuzt und über die First hinaus verlängert waren. Die spätere Erweiterung des Hauses führte zur Anlage eines von Gebäuden umschlossenen, von der Straße durch eine Hausflur zugänglichen Hofs, des Atriums, von dessen ringsum laufendem breiten Dachvorsprung das Regenwasser nach einem inmitten des Hofs angebrachten Bassin lief. Dieses Atrium bildete später den Mittelpunkt auch des römischen Wohnhauses, welches wir teils aus den Schriftstellern, insbesondere Vitruvs Beschreibung, teils aus Ruinen kennen (vgl. Art. „Römisches Reich“, S. 939, und Tafel „Baukunst VI“, Fig. 4–6). In den Städten nach der Straße hin mit einer Reihe von Werkstätten und Läden versehen, führte die oft in der Mitte zwischen denselben befindliche Hausthür über einen Vorplatz durch eine zweite Thür über einen zweiten Vorplatz nach jenem Hof, dessen drei hintere Seiten ebenfalls von Gebäuden umschlossen waren. Dem Haupteingang gegenüber lag das Empfangs- und Geschäftszimmer des Hausherrn, an welches sich das Empfangs- und Wohnzimmer der Hausfrau anschloß, dessen Eingang jedoch in dem gewöhnlich mit einem Peristyl versehenen zweiten Hof lag. Dieser stand mit dem Atrium durch einen engen, an dem Herrnzimmer vorbeiführenden Gang in Verbindung, war von den Speise-, Gesellschafts- und Schlafzimmern sowie von den nötigen Wirtschaftsräumen, als Küche und Speisekammer, umgeben und besaß meist einen besondern Ausgang nach einer Seitenstraße. In kleinern Städten hatten die Wohnhäuser meist nur ein von dem Atrium her beleuchtetes Obergeschoß, welches die Dienerschaft bewohnte. In größern Städten, wo man zur möglichsten Verwertung teurer Bauplätze genötigt war, führte man mehrere mit Fenstern nach der Straße und dem Peristyl versehene Stockwerke für Mieter auf, welche ein eignes Treppenhaus und einen besondern Brunnen erhielten. Den römischen in der Anordnung der Räume sehr ähnlich sind die chinesischen Wohnhäuser, welche jedoch meist einstöckig sind. Wo zwei Stockwerke vorkommen, tritt das obere gegen das untere zurück. Die Dächer sind meist aus Bambusholz hergestellte, mit Glanzziegeln gedeckte Walmdächer, deren Gratsparren stark eingebogen und mit ebensolchen Dachtraufen verbunden sind. Die untern Enden der Gratsparren sowie die Fenster sind mit phantastischem Schnitzwerk, als: Drachen, Blumen, Glöckchen und Schnörkeln, verziert, die Höfe mit Ziegeln oder Marmor gepflastert, die Wände glatt geputzt und gemalt oder mit Porzellanplatten bekleidet. Während die Vorderseite oft reichverzierte Kaufläden enthält, schließen sich an die Rückseite Hallen und Lauben sowie der mit Teichen, künstlich verkrüppelten Bäumen und Felsenpartien ausgestattete Garten an. Nach dem Sturz der Römerherrschaft war das W. anfangs nur geringfügigen Änderungen unterworfen, vielmehr zeigen die frühromanischen Häuser im wesentlichen noch die Anordnung des römischen Wohnhauses. Nur die Frauengemächer nebst Zubehör reihen sich allmählich an das Atrium, während das Peristyl nur von Prunkzimmern umschlossen wird. Gibt sich schon hierin ein durch das Christentum bedingtes innigeres Familienleben kund, so wurde auch die Teilnahme am öffentlichen Leben mehr Familiensache und führte zu einer Vergrößerung der Fenster nach der Straße, einer Verbreiterung des Vorplatzes und selbst einer Anordnung von Wohnzimmern in dem untern Geschoß der Straßenfronte. Hierzu trug auch die Disposition des byzantinischen Wohnhauses nicht unwesentlich bei, welche, anfangs auf reichere innere und sparsame äußere Ausstattung bedacht, später auch nach außen größern Reichtum entfaltete. So öffnete sich das Erdgeschoß des frühmittelalterlichen Wohnhauses nach der Straße in breiter Halle, worin die Klienten zusammenkamen, und neben welcher sich Wirtschaftsräume, Werkstätten und Kaufläden befanden. Im Mittelpunkt des obern Geschosses lag ebenfalls eine Halle, worin sich die Familie versammelte, und welche von Schlafzimmern und andern Familienräumen umgeben war. Erst mit der Entwickelung des Städtewesens bildete sich in Deutschland das mittelalterliche W. (s. Tafel I, Fig. 1, 2, 4, 5), heraus. Eine seitlich mit Sitzen versehene Thür führte hierbei in eine geräumige Halle, zu deren Seiten sich gewöhnlich Kaufläden, bisweilen mit darüber befindlichen niedrigen Zwischengeschossen, oder andre Geschäftslokale, selten Wohnzimmer, etwa für den Hausmeister, befanden. Von ihnen führte sowohl eine Thür in den Hof, um welchen sich Werkstätten, Waschräume, Stallungen und andre Wirtschaftsräume reihten, als auch eine meist gewundene Treppe in das Obergeschoß, welches nach vorn eine meist schmale, aber tiefe Prunkhalle [717] mit Erker und Nebenzimmern, nach hinten eine Galerie, bisweilen eine lange, meist tiefe Banketthalle, Küche und Zubehör enthielt. Miethäuser und die in den Hintergassen liegenden Wohnhäuser erhielten kleine Hausfluren und in jedem Stockwerk die gemeinschaftliche Halle, worin die Familie wohnte, arbeitete, speiste und Besuche empfing, inmitten der erforderlichen Schlaf- und Wirtschaftsräume. Der Stil des mittelalterlichen Wohnhauses entwickelte sich aus den verschiedenen, besonders an Kirchenbauten erkennbaren Stilrichtungen des Mittelalters und ging von den romanischen durch die Formen des Übergangsstils allmählich zu den gotischen Formen über, welche sich nach den einzelnen Ländern und nach dem Baumaterial verschieden gestalteten. Beispiele gotischer Wohnhäuser geben die Figuren 1, 2, 4 u. 5 der Tafel I, wovon die beiden erstern deutsch-gotische Wohnhäuser, bez. einen Backstein- u. Hausteinbau, Fig. 4 einen französisch-gotischen Holzbau und Fig. 5 einen italienisch-gotischen Palast in Steinbau darstellen. Die Haupteingangsthüren der steinernen Wohnhäuser dieser Periode sind meist spitzbogig überwölbt (Fig. 1, 2 u. 5), während die Fenster teils spitzbogig (Fig. 1 u. 5), teils gerade (Fig. 2), überdeckt und im letztern Fall bei größern Fensteröffnungen mit steinernen Fensterkreuzen versehen sind. Die Thür- und Fensteröffnungen der hölzernen Wohnhäuser der gotischen Zeit zeigen die dem Baumaterial am meisten entsprechende gerade Überdeckung (Fig. 4). Zur Erzielung schlanker Verhältnisse wird die Vertikalteilung bevorzugt und bei Steinbauten durch hervortretende Lisenen (Fig. 1), bei Holzbauten durch Hervorheben der Pfosten und Ständer (Ständerhaus, Fig. 4) erzielt. Hierbei ist das Dach der gotischen Wohnhäuser in nordischen Ländern steil ansteigend und entweder nach vorn abgewalmt und dann durch ein kräftiges, zeitweise mit Zinnen gekröntes Hauptgesims verdeckt (Fig. 2), oder an der Straßenseite meist durch einen Giebel abgeschlossen (Fig. 1 u. 4), welcher in mehr oder minder lebendiger Gliederung nicht selten das Dach weit überragt (Fig. 1). In südlichen Ländern bleibt das Dach flach und wird durch ein wagerechtes Gesims abgeschlossen, welches bei reicherer Ausstattung oft durch einen Spitzbogenfries unterstützt und durch einen fortlaufenden verzierten Aufsatz bekrönt wird (Fig. 5). Erker, Ecktürmchen sowie Figuren auf Kragsteinen und unter zierlichen Verdachungen (Fig. 2) dienten dem W. zum Schmuck, während man den vordern Teil desselben nicht selten auf überwölbte oder flach gedeckte, nach außen offene Bogenhallen, die sogen. Lauben, stützte, wodurch in einzelnen Städten, z. B. in Braunschweig und Bern, ein ununterbrochener, längs der Straßen hinziehender Bogengang entstand. Die zuvor bezeichnete Anordnung des Wohnhauses erhielt sich in Deutschland fast durch das ganze Mittelalter mit nur geringer Abänderung in den Städten, während sich auf den Dörfern die Wohnhäuser der Bauern nach den einzelnen Provinzen und Stämmen sehr verschieden gestalteten. Als hervorragende Typen sind hier das westfälische oder sächsische, das slawische, das schwäbische und schweizerische sowie das mitteldeutsche Bauernhaus, das bayrische Alpenhaus und der thüringische Bauernhof hervorzuheben, unter welchen das erstere sämtliche Wohn- und Wirtschaftsräume unter einem Dach, das letztere dieselben getrennt und um einen Hof gereiht enthielt; s. Bauernhaus. In Italien behielt man im Anfang des Mittelalters die räumliche Anordnung teils des byzantinischen, teils des römischen Wohnhauses bei, bis im Lauf des 15. Jahrh., besonders in Oberitalien, viele deutsche Elemente eindrangen. Hierzu gehören die in Bologna, Verona, Genua etc. erbauten Bogengänge, während der von Säulenhallen umgebene, zugleich als Saal und Familienplatz dienende Hof in Unteritalien herrschend blieb. Als Mittelglied zwischen dem bürgerlichen W. und den Burgen sind die Paläste der Großen anzusehen. Während ähnliche Schwankungen in der Raumordnung auch das spanische W. berührten, nahm dasselbe in England einen bestimmten Entwickelungsgang. Bis zum 12. Jahrh. hatten die ländlichen Wohnhäuser rechteckige Grundrisse und zwei Stockwerke, wovon das untere gewölbt, das obere durch eine Freitreppe zugänglich und mit dem einzigen heizbaren Raum versehen war. Die städtischen Wohnhäuser hatten in der Mitte eine durch alle Geschosse reichende, meist gewölbte, oft auch mit Holzdecke versehene Halle und viereckige Fenster, in deren Nischen Sitze angebracht waren. Im Anfang des 13. Jahrh. wurden die Wohnhäuser oft sehr unregelmäßig gruppiert, erhielten entweder zu beiden Seiten ummauerte Höfe mit Wall und Graben sowie Freitreppen, welche zu dem mit 2–3 heizbaren Räumen versehenen Obergeschoß führten, oder unten den Eingang in das nur teilweise gewölbte Untergeschoß, während die Haupträume oben und durch eine Turmtreppe zugänglich waren. Dieser Festungscharakter wurde im 14. Jahrh. wenigstens bei allen vor der Stadt liegenden Wohnhäusern durch den Zusatz eines Turms noch gesteigert, während noch die in den Städten liegenden Gebäude oft mehrere Einen gemeinschaftlichen Hof mit schmalem Eingang und vorgebautem Obergeschoß hatten. Im 15. Jahrh. verschwand der Festungscharakter, die große Halle erhielt ein Einfahrtsthor; oft waren die Untergeschosse hallenartig nach der Straße geöffnet; kleinere Besitzer begnügten sich mit einem turmartigen Bau; Decken wurden zum Teil ganz aus Holz hergestellt, die Wände vielfach mit Holz bekleidet oder bemalt. Im 16. Jahrh. wurde die Holzarchitektur des Innern vielfach mit Stuckverzierung vereinigt, auch solche zu den Treppengeländern und Kamindekorationen verwendet. Die Holzhäuser, welche schon im 14. Jahrh. vereinzelt auftraten, vorspringende Obergeschosse und durchgehende Fensterreihen hatten, erhielten jetzt nur noch an den Ecken Vorsprünge, während sie in der Mitte glatt blieben und eine nicht mit Feuerstelle versehene offene Halle bildeten. Erst gegen das Ende des 16. Jahrh. wurden dieselben mit Galerien versehen, bewahrten aber noch lange ihren mittelalterlichen Charakter. An den deutschen Wohnhäusern des 16. und 17. Jahrh. gewahren wir vorzugsweise diejenigen äußerlichen Veränderungen, welche mit der Rückkehr von den gotischen Formen zu den antiken verbunden waren (s. Tafel I, Fig. 3, 6, 8 u. 9) und durch die Stilformen der Früh-, Hoch- und Spätrenaissance ihren Ausdruck fanden. Während Fig. 3 einen Holzbau aus der Übergangszeit darstellt, bei welchem die obern Geschosse, um bei beschränktem Bauplatz deren Innenraum zu vergrößern, auf Balkenköpfen und Kraghölzern vorgebaut sind, stellen die Figuren 6–9 bereits entwickelte Wohnhausbauten der Frührenaissance in Italien und der Spätrenaissance in Deutschland dar. Der in Fig. 7 wiedergegebene venezianische Palast zeigt in der Verbindung von Vertikal- und Horizontalgliederung und in der gleichzeitigen Anwendung romanischer und römischer Bauformen die Verschmelzung mittelalterlicher und antiker Motive. Auch die beiden in Fig. 6, 8 u. 9 dargestellten deutschen, bez. in Stein und Holzfachwerk ausgeführten Wohnhäuser lassen [718] in der gleichzeitig durchgeführten lotrechten und wagerechten Gliederung noch den gemeinsamen Einfluß der norddeutsch-mittelalterlichen und italienisch-antikisierenden Bauweise erkennen, während die Einzelformen vorwiegend der Spätrenaissance angehören. Der obere Abschluß dieser Wohnhäuser ist entweder, wie in Fig. 6, durch einen gegliederten, oben geschweiften Giebel oder, wie in Fig. 9, durch eine mit Standbildern geschmückte Brüstung bewirkt, welche das vorn abgewalmte Dach verdeckt.
Die Neuzeit brachte indes nicht nur am Äußern des deutschen Wohnhauses Veränderungen hervor, indem sich nach dem Dreißigjährigen Krieg der französische und italienische Einfluß wie auf andern Gebieten so auch auf die Anordnung der Grundrisse geltend machte. Die nach der Straße geöffneten Bogengänge verschwanden, während an deren Stelle die Kaufläden traten und die Gewerbthätigkeit sich mehr in das Innere zurückzog. Zugleich trat die Familie gegen ihre einzelnen Glieder zurück, von welchen jedes allmählich sein eignes heizbares Arbeitszimmer verlangte, während die Halle vorwiegend zum Empfang diente und so allmählich zum Salon wurde. Das W. der Gegenwart (s. Tafel II, Fig. 1–9) nimmt nun, seiner besondern Bestimmung entsprechend, verschiedene Gestalten und Einrichtungen an, worunter als Hauptgattungen hervorzuheben sind: 1) das frei stehende W. mit allseitigem Luft- und Lichtzutritt; 2) das eingebaute W. mit beschränktem Luft- und Lichtzutritt; 3) das halb eingebaute W. mit einseitig beschränktem Luft- und Lichtzutritt, wovon jedes wieder seine besondere Form erhält, je nachdem es für Stadt oder Land (Villa), für eine oder mehrere Familien, für die Herstellung eines Geschäftslokals bestimmt ist oder nicht. Ist das frei stehende W. (Tafel II, Fig. 1 u. 2) für eine Familie bestimmt, so besteht dasselbe bei kleinerer Familie meist aus einem Geschoß mit ausgebautem Dach, bei größerer Familie aus zwei Geschossen, wovon das Erdgeschoß die Wohnräume, das Obergeschoß die Schlafräume, das Kellergeschoß die Wirtschaftsräume enthält. Das freistehende W. für mehrere Familien erfordert die Herstellung sämtlicher Wohn- und Wirtschaftsräume für je eine Familie in jedem Geschoß, welche gegen die allen Geschossen gemeinschaftliche Treppe abzuschließen sind. Die Grundrisse können der allseitigen Zugänglichkeit des Lichts wegen sehr tief, z. B. quadratisch und selbst von größerer Tiefe als Breite sein. Zur Ausnutzung aller der Straße zugekehrten Räume ist, wenn nicht ein Geschäftslokal dies anders verlangt, der Eingang an die Seite zu legen. Ist das eingebaute W. für eine Familie bestimmt, so erhält dasselbe auf beschränktem Grundriß von verhältnismäßig geringer Tiefe zwei und mehr Geschosse, worin bei drei Geschossen in dem Erdgeschoß die gewöhnlichen Wohn- und Wirtschaftsräume, in dem mittlern Geschoß die Gesellschaftsräume, in dem Obergeschoß die Schlafräume untergebracht werden können. Das eingebaute Haus für mehrere Familien erfordert eine ähnliche Anordnung wie das entsprechende freigebaute Haus, jedoch mit den durch das Fehlen des Seitenlichts bedingten Beschränkungen. Das halb eingebaute W. bildet mit dem angebauten W. meist ein frei stehendes Doppelhaus, welches, je nachdem es für eine oder mehrere Familien bestimmt ist, unter Berücksichtigung der abweichenden Verhältnisse, mit ähnlichen Raumdispositionen versehen werden kann als die zuvor genannten. Beispiele von Erkern und erkerartigen Vorbauten geben die Figuren (Tafel II) 10 u. 11, welche bez. den Eingang einer Villa in Hurley und einen Teil einer Vorstadtvilla in London darstellen. Die Gegenwart neigt auch bei Wohnhäusern zu turmartigen Entwickelungen, wie dies die gotisierenden Villen in Fig. 12 u. 13 zeigen. Der Stil des Wohnhauses der neuern Zeit zeigt vorwiegend die Formen der Früh- und Hochrenaissance mit denjenigen Eigentümlichkeiten, welche diese Stile in den einzelnen Ländern angenommen haben. So wurde bei dem deutschen W. wieder zu dem Stil der deutschen Renaissance zurückgegriffen. Neben diesen einfachern, gesetzmäßigern Formen des Wohnhauses treten jedoch bereits Wohngebäude auf, welche zu den reichern, willkürlichern Formen des Barock- und Rokokostils zurückgreifen.
Vgl. im allgemeinen die bei Artikel Baukunst angegebene geschichtliche Litteratur; außerdem W. Lange, Das antike griechisch-römische W. (Leipz. 1878); K. Lange, Haus und Halle. Studien zur Geschichte des antiken Wohnhauses (das. 1885); Viollet le Duc, Histoire de l’habitation humaine (Par. 1875); Derselbe, Habitations modernes (das. 1874–75, 2 Bde.); Nash, Mansions of England in the olden time (neue Ausg., Lond. 1869–71, 4 Bde.); Dohme, Das englische W. (Braunschw. 1888); Rowald, Die neuern Formen des deutschen Wohnhauses (Hannov. 1889) und die Litteratur bei Artikel Bauernhaus und Holzbaukunst.
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