Mai-Feier
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Mai-Feier.
Sie sagen stets, daß wir zu viel verlangen,
Daß wir das Letzte, Aeußerste erstreben,
Daß wir von jeher viel zu weit gegangen ―
Wann aber hätten sie von selbst gegeben?
Bevor die Furcht, das Grauen sie gezwungen,
Und welcher Schritt, den viel zu kurz wir fanden,
Ward ihnen nicht im Kampfe abgerungen?
Und wenn sie widerwillig sich entschlossen,
Um eine einz’ge ihrer vielen Sprossen,
Hieß es nicht stets: „Bis hierher und nicht weiter?“
Hat man nicht stets durch tausend Söldnerfedern
Den winz’gen Schritt begeistert feiern lassen,
Das herbe Thema von der Noth der Massen?
Wann sollten wir als Gnade nicht empfangen
Mit nassen Augen und gekrümmtem Rücken,
Was wir unbeugsam als ein Recht verlangen,
Wann fanden jemals des Besitzes Haltung
Anders als kleinlich wir, beschränkt und kläglich?
Wann nannte je des Volkes Machtentfaltung
Anders als schädlich er und unerträglich?
Mit andern als mit „indignirten“ Blicken?
Wann hätten sie den argen Wunsch verborgen,
Den „frechen Trotz“ in Herzblut zu ersticken?
Wann war das stumme Schmachten zu verkennen,
Und zum Gesittungsretter zu ernennen,
Der unsre Fahne in den Koth getreten?
Wann sickerte sie nicht aus allen Poren,
Die Lust, dem Volke seine unbequemen,
Arg zu verstümmeln oder ganz zu nehmen?
Und wo’s geschah, sei es im deutschen Lande,
Sei’s in der Fremde ― ließ im Ueberwallen
Der Herzensfreude da die ganze Bande
Doch wenn es gilt, für unser Wohl zu wirken,
Erhebt sich nicht in Parlament und Kammern,
Ein Echo weckend in den Wahlbezirken,
Ein thränenreiches, heuchlerisches Jammern,
Mit plumpem Schwerte und mit rother Lohe
Auf dieser Erde alle Wunderblüthen
Moderner Bildung zu vernichten drohe?
Mit solchen Gegnern muß man deutlich reden
Ist krampfhaft doch ihr streben, einen jeden,
Und sei’s der zahmste, Fortschritt zu beschneiden.
Drum wird vom Volke, das sei nach Belieben
Schon viel zu lang gehudelt und geschunden,
„Nicht zehn, nicht neun, nur noch ― acht Arbeitsstunden!“
R. L.