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Mainz (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
XLIII. Malta – La Valetta Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XLIV. Mainz
XLV. Tempe in Griechenland
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MAINZ
MAYENCE

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XLIV. Mainz.




Welch einen betäubenden Wechsel unserer schwindelnd rollenden Zeit ruft der Name Mainz in’s Gedächtniß zurück! – Noch vor 40 Jahren der Sitz des ersten Kurfürsten und Erzbischofs des deutschen Reichs; dann ein Theil der untheilbaren französischen Republik; dann eine der guten Städte des gewaltigen Kaiserstaats, und endlich die Provinzialstadt eines Großherzogthums und Bundesfestung. Seltsame Dissonanzen! Aber doch nur ein paar Einzeltöne im disharmonischen Concert, dem, Zuhörer zu seyn, die Generation verdammt ist. –

[105] Mainz hat eine wunderschöne Lage. Im Garten von Deutschland, da wo der Main in den Rhein fällt, streckt es sich am linken Ufer des letztern, am Abhange eines Hügels, ½ Stunde weit den majestätischen Strom hinab. Eine 2100 Fuß lange, auf etwa 50 Schiffen ruhende Brücke führt über denselben nach dem Städtchen Cassel, – gleichsam eine Vorstadt von Mainz, welche auch, als Festung, mit ihm vereinigt ist. Mainz und Cassel haben zusammen etwa 2600 Häuser und 30,000 Einwohner, die Garnisonen nicht gerechnet. Es ist, nach Coblenz, der festeste Platz in Deutschland und ein Hauptbollwerk gegen Frankreich. –

Wenn man Mainz von seiner prächtigsten Seite sehen will, so muß man es der Stelle, an welcher unser Bild aufgenommen wurde, gegenüber, von der Mitte des Flusses aus, betrachten; aber von der neuen Anlage ist der Anblick ebenfalls äußerst reizend. Man sieht die beiden Ströme sich vereinigen, und es trägt der Vermählte das Joch der schwimmenden Schiffbrücke stolz und leicht, wie der freie Mensch das des Gesetzes trägt. Die Gebäude an dem Ufer spiegeln sich in dem klaren Wasser; hoch ragen die Thürme und Kirchen über die Stadt empor, über alle aber der majestätische Dom, welcher dem Ganzen ein Ansehen von Ehrfurcht gebietender Würde gibt. Die 6 Citadellen (die eigentliche Citadelle und der Hauptstein diesseits; Cassel, Mars, Montebello jenseits des Stroms und Petersaue auf einer Insel) und die in einem Rayon von 3½ Stunde die Festung umschließenden Außenwerke treten wenig hervor und wirken folglich nicht sehr störend auf den herzerhebenden Eindruck. –

Im Innern der Stadt muß dieser ohnehin schwinden. Mainz ist uralt; folglich winklich und unregelmäßig gebaut, mit engen, düstern Gassen und weit überhängenden Häusern. Die schönsten Gebäude sind verbaut, darum imponiren dem Auge nur wenige. Die Verwüstungen des Kriegs waren innerhalb der Stadt nicht allgemein genug, um ihren Charakter zu ändern; aber gerade hinlänglich groß, um ihn zu verstümmeln. Neues genug neben dem Alten, um widerliche Gegensätze zu bilden; auf der Brandstätte eines Pallastes aus dem Mittelalter oft nur eine buntfarbige, moderne Hütte, ohne Dauer, wie fast alle Gebilde unserer kindischen Zeit. Aber das Volk, das hier lebt, ist nicht wie seine düstern Gassen; es ist fröhlich gestimmt, hat Freude am Leben und weiß es zu genießen. Gefälligkeit und Offenheit sind hier allgemeine Tugenden. Ein glücklicher Leichtsinn – das beste Erbtheil, das ihm die Franzosenherrschaft gelassen, – hilft dem Mainzer über die Unebenheiten auf dem Pfade des Lebens hinweg, und eine reiche Natur, der sein Fleiß die köstlichsten Erzeugnisse abzugewinnen versteht, läßt den Aermsten selten an dem Nöthigen Mangel leiden.

Freisinnigkeit ist ein Grundzug von dieses Völkchens Charakter; immerhin ein guter Zug, wenn er auch noch nicht recht in’s Blut gegangen ist und mehr auf der Zunge sitzt. Man kann in der deutschen Bundesfestung Unterhaltungen hören, vor denen man an andern Orten erschrecken würde. Aber es gleitet[WS 1] hier der Unmuth [106] gar harmlos über die beweglichen Lippen, und wenn der Grundsatz LAISSEZ PARLER (der, beiläufig gesagt, überall besser ist, als der entgegengesetzte) ein gefahrloser seyn kann, so ist er’s gewiß hier. Die neueste Zeitgeschichte belegt es.

In Mainz, der Wiege jener Kunst, die der armen Menschheit eine bessere Zukunft verbürgt, war von jeher viel Sinn für Literatur und Kunst, der sich sogar tief in’s Land, besonders am Rhein hin verbreitet hat. Dieser Geist ist noch nicht erloschen, obschon die Mittel, ihn zu pflegen, unter manchen ungünstigen Verhältnissen der Gegenwart wohl geringer geworden sind; denn, daß die Verarmung fortschreitet, leugnet niemand. Gemäldesammlungen, Bibliotheken, Naturalienkabinette, Sammlungen von Alterthümern, gibt es hier öffentliche, mehre noch und darunter bedeutende unter den Bürgern. Das neue Schauspielhaus, auf Aktien errichtet, ist eins der schönsten in Deutschland. Auch Vereine bestehen zur gemeinschaftlichen Pflege von Kunst und Wissenschaft. Die Industrie blüht, denn der Fleiß hat hier seine Wohnung. Die Fabriken von Wagen, Regenschirmen, Meubeln, lakirten Blechen, Seife etc. sind bedeutend. Der Weinhandel ist ein großer Geschäftszweig; er beschäftigt ein Kapital von mehren Millionen. Auch die Schifffahrt blüht, und der Freihafen, mit den für dort günstigen Zollverhältnissen der Gegenwart, sichern dem Platz einen sehr lebhaften Speditionshandel, der viele Gewerbe unterstützt. – In Beziehung auf den Verkehr hat Mainz gewiß gegen sonst gewonnen, und wenn man dort so häufig Menschen aufstößt, die den Verlust besserer Tage betrauern: – in dem Stande des Kaufmanns gibt’s gewiß deren, die mit Recht klagen, nur wenige[1].



  1. Die größte Zierde von Mainz, seinen herrlichen Dom, betrachten wir später in einem besonderen Bilde.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: leitet (vgl. Polnische Nationalbibliothek)