Marconis Telegraphie ohne Drahtleitung
[580] Marconis Telegraphie ohne Drahtleitung. (Mit Abbildung.)
Die seit der Entdeckung der elektrischen Wellen durch den verstorbenen
deutschen Physiker Hertz schon öfter angestellten Versuche ohne eine Drahtleitung
zu telegraphieren, haben neuerdings durch eine weitere Entdeckung
des Italieners Marconi großes Aufsehen erregt. Die in London und an
der englischen Küste vorgenommenen Versuche sind von den bedeutendsten
Physikern, u. a. von W. H. Preece, der in der Royal Institution und von
Professor Slaby, der in der Technischen Hochschule zu Berlin darüber
berichtete, mit Interesse verfolgt worden. Marconis Erfindung beruht
hauptsächlich auf einem sehr empfindlichen sogenannten Empfänger, der
Hertzsche elektrische Wellen, die sich in gerader Linie gleich den Lichtstrahlen
fortpflanzen, auf große Entfernungen hin nachweist und hörbar macht.
Dieser Empfänger besteht aus einem Glasröhrchen von 4 cm
Länge, das ziemlich luftleer gemacht ist und zwei bis auf ½ mm einander
genäherte Drähte enthält. Die Wirkung dieses Empfängers
hat Marconi dadurch bedeutend erhöht, daß er den freien Raum der
Röhre mit einer Mischung von Feilspänen ausfüllte, die neben 96%
Nickel gegen 4% Silber und Spuren von Quecksilber enthalten. Schon
früher hatte Lodge einen ähnlichen Apparat zur Aufnahme Hertz’scher
Wellen konstruiert, der jedoch an dem Uebelstand litt, daß die Späne
nach jedem einzelnen Signal aneinander hafteten und die weiteren
Zeichen abschwächten. Marconi hat, um dies zu vermeiden, die Röhre
mit einem elektrischen Klopfer ausgestattet, der ihren Inhalt selbstthätig
nach jedem Signal wieder durchrüttelt. Der zu diesem Empfänger gehörige
Geber, der an der Primärstation zum Absenden der Signale gebraucht
wird, ist ein von Professor Righi verbesserter Hertz’scher Funkenapparat,
der zwischen zwei faustgroßen Messingkugeln Funken von 2 mm Länge giebt.
Es ist mit ihrer Hilfe schon jetzt möglich, aus Entfernungen bis zu 10 oder mehr km
zu telegraphieren; und es liegt kein Grund vor zu zweifeln, daß sich diese Entfernung
bei feineren Apparaten beliebig weiter stecken läßt.
Dabei ist kein zwischenliegendes optisches Hindernis imstande, die Wirkung aufzuheben. Preece telegraphierte mit dem marconischen Apparat über den 13 km breiten Kanal von Bristol, aber die Signale drangen ebensogut und aus ähnlichen Entfernungen durch Mauern und Hügel hindurch und Marconi selbst gab im Gebäude des Hauptpostamtes zu London Depeschen auf, die acht starke Wände durchdringen mußten, um an ihr Ziel zu kommen. Neuerdings hat Professor Slaby in der Technischen
Hochschule zu Berlin einen von ihm selber erbauten Marconischen Apparat vorgeführt und z. B. von seinem Wohnhause in Charlottenburg nach einem Auditorium der Technischen Hochschule Telegramme mit vollkommener Deutlichkeit gesendet. Der Erfinder glaubte an die Möglichkeit, die Apparate so zu verstärken, daß in London aufgegebene Depeschen nach New York sogar hörbar sein würden. Es wäre nun
freilich schön, wenn man ohne Kabel über die Weltmeere telegrafieren könnte, aber so schnell vermögen wir doch an die versprochene Umwälzung nicht zu glauben. Die Telegraphie ohne Draht besitzt bis jetzt auch noch ihre Nachteile und Fehler vor allem den, daß die erregten Wellen sich nicht nur nach einer sondern nach allen Richtungen zugleich ausbreiten und mit geeigneten Apparaten überall aufgefangen werden können, gewiß eine sehr indiskrete Art des Depeschierens. Bw.