Mathematische Principien der Naturlehre/Buch1-VIII

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Buch I. Abschnitt VII. Mathematische Principien der Naturlehre (1872) von Isaac Newton, übersetzt von Jakob Philipp Wolfers
Buch I. Abschnitt VIII.
Buch I. Abschnitt IX.


ABSCHNITT VIII.
Von der Bestimmung der Bahnen, in denen sich Körper bewegen, welche durch beliebige Centripetalkräfte angetrieben werden.

Fig. 86.

80. Lehrsatz. Ein Körper bewegt sich, vermöge irgend einer Centripetalkraft auf beliebige Weise, während ein anderer Körper geradlinig auf- oder absteigt, und ihre Geschwindigkeiten sind in irgend einem Falle bei gleichen Höhen einander gleich. Alsdann sind diese Geschwindigkeiten in allen Höhen einander gleich.

Es falle ein Körper aus A durch D und E zum Mittelpunkte C herab, ein anderer Körper bewege sich von V aus auf der Curve VJKk. Vom Mittelpunkte C aus beschreibe man mit beliebigen Radien die concentrischen Kreise DJ und EK, welche die gerade Linie AC in J und K schneiden. Man ziehe den Radius JC, welcher den Bogen EK in N schneidet und fälle auf JK das Perpendikel NT; der Abstand der Peripherieen DE oder JN sei so klein als möglich und beide Körper haben in D und J gleiche Geschwindigkeiten. Da

1. CD = CJ,

so sind die Centripetalkräfte in D und J einander gleich, und man drücke beide durch die kleinen Linien DE und JN aus. Zerlegt man nun die eine JN nach Gesetze, Zusatz 2. in die beiden Seitenkräfte NT und JT, so ändert die eine NT, da sie senkrecht auf die Richtung JTK des Körpers wirkt, nichts in der Geschwindigkeit seiner Bewegung. Sie wird nur den Körper von der geradlinigen Bewegung abziehen und bewirken, dass er, anstatt längs der Tangente der Bahn sich zu bewegen, beständig längs der letztern JTKk fortschreite. Zu der Hervorbringung dieser Wirkung wird jene ganze Kraft verwandt, die andere Kraft JT aber, welche längs der Richtung den Körpers wirkt, wird diesen allein beschleunigen und in einer gegebenen sehr kleinen Zeit, eine ihr selbst proportionale Beschleunigung erzeugen. Ferner sind die in gleichen Zeiten hervorgebrachten Beschleunigungen der Körper D und J (wenn man die ersten Verhältnisse der entstehenden Linien DE, JN, JK, JT und NT annimmt) den Linien DE und JT proportional; bei ungleichen Zeiten sind sie diesen Linien und den Zeiten zusammengesetzt proportional.

Die Zeiten verhalten sich, wegen der Gleichheit der Geschwindigkeiten, wie die beschriebenen Wege DE und JK; folglich verhalten sich die Beschleunigungen, bei der Bewegung der Körper durch DE und JK, zusammengesetzt wie

DE : JT und DE : JK,

d. h. wie

2.   DE² : JT · KJ.

Es ist aber

3.   JT · JK = JN² = DE²

daher werden, während die Körper die Wege DE und JK zurücklegen, gleiche Beschleunigungen erzeugt. Desshalb sind auch die Geschwindigkeiten beider Körper in E und K einander gleich, und auf dieselbe Weise werden sie in allen auf einander folgenden gleichen Abständen einander gleich befunden werden.   W. z. b. w.

Zusatz 1. Ein Körper oder Pendel befindet sich in Schwingung, oder ersterer wird durch ein polirtes und vollkommen glattes Hinderniss gezwungen, sich in einer krummen Linie zu bewegen, während ein anderer Körper geradlinig auf- oder absteigt. Ferner sind die Geschwindigkeiten beider in derselben beliebigen Höhe einander gleich. Dieselben werden alsdann auch in allen andern gleichen Höhen einander gleich sein. Durch den Pendelfaden oder das Hinderniss des ganz glatten Gefässes wird nämlich dasselbe bewirkt, was vorher durch die Transversalkraft NT geschah; der Körper wird dadurch weder verzögert noch beschleunigt, sondern nur gezwungen, vom geradlinigen Wege abzuweichen.

Zusatz 2. Bezeichnet P den grössten Abstand vom Mittelpunkte, zu welchem ein entweder schwingender oder in einer Curve sich bewegender Körper gelangen kann, wenn er von irgend einem Punkte der letztern mit der ihm daselbst innewohnenden Geschwindigkeit aufwärts geworfen wird; bezeichnet ferner A den Abstand des Körpers vom Mittelpunkte in irgend einem andern Orte der Bahn, und ist die Centripetalkraft immer irgend einer Potenz von A, etwa An-1proportional: so ist die Geschwindigkeit in jeder Höhe A

proportional und daher gegeben. Nach §. 79. steht nämlich die Geschwindigkeit eines auf- und absteigenden Körpers in diesem Verhältniss

§. 81. Aufgabe. Gegeben ist die Centripetalkraft irgend einer Art, und es wird vorausgesetzt, dass die Quadratur der Curven auszuführen sei; man sucht die Curven, auf denen die Körper sich bewegen und dann die Zeit der Bewegung auf den gefundenen Curven.

Fig. 87.

Eine beliebige Kraft sei nach dem Mittelpunkte C gerichtet; man sucht die Curve VJTKk. Gegeben ist der Kreis VXYR, welcher aus dem Mittelpunkte C mit irgend beliebigen Radius CV beschrieben worden ist. Aus demselben Punkte beschreibe man die andern beliebigen Kreise JD und KE, welche die Curve in J und K, die gerade Linie CV in D und E schneiden. Man ziehe nun die Linie CNJX, welche die Kreise KE und VY in N und X, und die Linie CKY, welche den Kreis VY in Y schneidet. Die Punkte J und K mögen einander sehr nahe liegen, und der Körper sich von V durch J, T und K nach k hin bewegen. Es sei ferner A die Höhe, aus welcher der andere Körper herabfallen muss, um in D eine Geschwindigkeit zu erlangen, welche derjenigen des ersten in J gleich ist. Unter denselben Voraussetzungen, wie in §. 79., ist die in sehr kurzer Zeit beschriebene kleine Linie der Geschwindigkeit, also

proportional.

Das Dreieck JCK ist der Zeit proportional gegeben, folglich ist KN proportional , d. h. wenn irgend eine constante Grösse = Q gegeben ist und die Höhe JC = A gesetzt wird,

1.   KN proportional = Z.

Setzen wir die Grösse Q so an, dass in irgend einem Falle die Proportion

2.    : Z = JK : KN

stattfinde, so wird dieselbe immer stattfinden. Mithin haben wir auch

ABFD : Z² = JK² : KN²,

oder

ABFD — Z² : Z² = JK² — KN² : KN²,

d. h.

3.   ABFD — Z² : Z² = JN² : KN²,

oder, wenn wir aus allen Gliedern die Wurzel ziehen,

 : Z = JN : KN

und so

4.   A · KN =

Ferner haben wir

YX · XC : A · KN = YC² : KC²

also

5.   YX · XC .

Nimmt man nun auf dem Perpendikel DF immer

6.   

und zieht man durch die einzelnen so erhaltenen Punkte b, c die Curven ab und cd, errichtet man ferner in V auf AC das Perpendikel Vad, welches die krummlinigen Figuren VDba und VDcd abschneidet; zieht man endlich die Ordinaten Ez und Ex: so hat man:

7.   
Da nun die entstehenden Theile DbzE von VDba
und eben so





JCK
DcxE
XCY


VJC
VDcd
VCX

einander stets gleich sind; so wird auch

die entstandene Fläche   8.   

und die beiden auf der linken Seite stehenden Flächen der Zeit proportional. Ist daher die Zeit gegeben, seitdem der Körper vom Punkte V ausgegangen ist, so kennt man auch die ihr proportionale Fläche VDba und dadurch die Höhe CD oder CJ des Körpers, wie auch die Fläche VDcd und den ihr gleichen Sector VCX zugleich mit seinem Winkel VCJ. Ist hingegen der Winkel VCJ zugleich mit der Höhe CJ gegeben, so kennt man den Ort J, in welchem sich der Körper nach Verlauf jener Zeit befinden wird.

Zusatz 1. Man findet hieraus die grössten und kleinsten Höhen der Körper, d. h. die Apsiden der Bahnen auf leichte Weise. Diese fallen nämlich in diejenigen Paukte, in denen die durch das Centrum gezogene gerade Linie JC auf der Curve VJK senkrecht steht. Dies geschieht, wenn

JK = KN

also (nach Gl. 2.)

ABFD = Z²

ist.

Zusatz 2. Auch den Winkel KJN, unter welchem die Curve in irgend einem andern Punkte jene Linie JC schneidet, findet man leicht aus der gegebenen Höhe JC des Körpers, indem man nämlich die Proportion

9.   sin KJN : Radius = KN : JK = Z :

aufstellt.

Zusatz 3. Man beschreibe zum Mittelpunkt C und dem Hauptscheitelpunkt V irgend einen Kegelschnitt VRS und ziehe am beliebigen

Fig. 88.

Punkte R eine Tangente RT, welche die unbestimmt verlängerte Axe CV in T schneidet. Hierauf ziehe man CR, mache

CP = CT

und

VCP proportional dem Sector VCR,

und es werde vorausgesetzt, dass die nach dem Mittelpunkte C gerichtete Centripetalkraft dem Cubus der Entfernung des Körpers von diesem Punkte umgekehrt proportional sei. Geht nun der Körper vom Punkt V mit der richtigen Geschwindigkeit aus und längs einer auf CP perpendikulären Linie; so schreitet derselbe in einer Curve VPQ fort, in welcher der Punkt P beständig liegt. Ist daher der Kegelschnitt VRS eine Hyperbel, so steigt der Körper zum Mittelpunkte herab; ist er eine Ellipse, so entfernt er sich von ihm bis ins Unendliche. Umgekehrt, geht der Körper mit irgend einer Geschwindigkeit vom Ort V aus, und beginnt er hierauf, entweder schlug zum Mittelpunkt herabzusteigen, oder sich von demselben zu entfernen; so ist die Figur VRS eine Hyperbel oder Ellipse, und man kann die Bahn finden, indem man den Winkel VCP in einem gegebenen Verhältniss entweder vergrössert oder verkleinert.

Aber auch wenn die Centripetalkraft in eine Centrifugalkraft übergeht, wird der Körper schräg in einer Curve VPQ aufsteigen, welche man findet, indem der Winkel VCP dem elliptischen Sector CVRC proportional und CP = CT angenommen wird. Alles dieses folgt aus dem vorhergehenden Satze mittelst der Quadratur einer jeden Curve, deren Aufsuchung ich der Kürze wegen als hinreichend leicht übergehe.

§. 82. Aufgabe. Das Gesetz der Centripetalkraft ist bekannt; man sucht die Bewegung eines Körpers, welcher von einem gegebenen Orte, mit gegebener Geschwindigkeit und längs einer gegebenen geraden Linie ausgeht.

Unter denselben Voraussetzungen, wie in den drei letzten Sätzen, gehe der Körper vom Orte J längs JK mit derjenigen Geschwindigkeit fort, welche ein anderer Körper, in Folge irgend einer Centripetalkraft aus P herabfallend, in D erlangen konnte und es verhalte sich diese Kraft zu derjenigen, welche anfangs auf den Körper J einwirkt, wie

DR : DF.

Hierauf bewege sich der Körper weiter nach k, und man beschreibe vom Mittelpunkte C aus mit dem Halbmesser Ck den Bogen ke, welcher die Linie PD in e schneidet, und errichte endlich die Ordinaten em, eg, ev, ew. Aus dem gegebenen Rechteck PDRQ und der gegebenen Centripetalkraft, durch welche der erste Körper angetrieben wird, kennt man die Curven BFGg und ALMm aus §. 79. nebst Zusatz 1. Hierauf ergiebt sich aus dem bekannten Winkel CJK das Verhältniss der entstehenden Linien JK und KN und hieraus durch die Construction des §. 81. die Grösse Q, zugleich mit den Curven abzv und dcxw. Nachdem also irgend eine Zeit Dbve verflossen ist, kennt man so wohl die Höhe Ce = Ck des Körpers, als auch die Fläche Dcwe = Sector XCy, den Winkel JCk und den Ort k, in welchem der Körper sich alsdann befindet.

In diesen Sätzen nehmen wir an, dass die Centripetalkraft bei der Veränderung des Abstandes vom Centrum nach irgend einem denkbaren Gesetze sich ändere, in gleichen Abständen von ihm aber immer dieselbe sei.

Bis jetzt haben wir die Bewegung der Körper in unbeweglichen Bahnen betrachtet; es ist noch übrig, dass wir über ihre Bewegung in Bahnen, welche sich um das Centrum der Kräfte drehen, etwas hinzufügen.


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