Mathematische Principien der Naturlehre/Buch3-Anmerkung
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§. 61. Allgemeine Anmerkung. Die Hypothese der Wirbel unterliegt vielen Schwierigkeiten. Damit nämlich jeder Planet um die Sonne Flächen beschreiben könne, welche der Zeit proportional sind, müssten die Umlaufszeiten der Theile ihres Wirbels im doppelten Verhältniss ihres Abstandes von der Sonne stehen. Damit die Umlaufszeiten der Planeten im 3/2ten Verhältniss ihrer Abstände von der Sonne ständen, müssten die Umlaufszeiten der Theile ihrer Wirbel im 3/2ten Verhältniss ihrer Abstände stehen. Damit ferner die kleinen Wirbel, welche sich um den Saturn, den Jupiter und andere Planeten drehen, für sich bestehen und sich frei im Wirbel der Sonne bewegen könnten, müssten die Umlaufszeiten der Theile des Sonnenwirbels gleich sein. Die Umdrehungen der Sonne und der Planeten um ihre Axen, welche mit den Bewegungen der Wirbel übereinstimmen müssten, weichen aber weit von diesen Proportionen ab. Die Kometen haben sehr regelmässige Bewegungen, sie befolgen bei ihren Umläufen dieselben Gesetze wie die Planeten und ihr Lauf kann nicht durch Wirbel erklärt werden. Sie gehen nämlich mit sehr excentrischen Bewegungen in alle Theile des Himmels, was nur geschehen kann, wenn man die Wirbel aufhebt.
Die geworfenen Körper erleiden hiernieden keinen andern Widerstand, als den der Luft und im Boyle’schen Vacuum hört aller Widerstand auf, so dass eine dünne Feder und festes Gold dort mit gleicher Geschwindigkeit fallen. Dasselbe findet in den Himmelsräumen oberhalb unserer Atmosphäre statt. In ihnen müssen sich alle Körper ganz frei bewegen, und also die Planeten und Kometen ihre Umläufe in Bahnen, welche der Art und Lage nach gegeben sind, zurücklegen, indem sie die oben erklärten Gesetze befolgen. Sie werden nach den Gesetzen der Schwere in ihren Bahnen verharren, aber die ursprüngliche und regelmässige Lage der letztern konnte sie nicht durch diese Gesetze erlangen.
Die sechs Hauptplaneten bewegen sich um die Sonne in Kreisen, welche um die letztere concentrisch sind, sie befinden sich sehr nahe in derselben Ebene und ihre Bewegungen haben dieselbe Richtung. Die zehn Monde, welche sich um die Erde, den Jupiter und den Saturn in Kreisen drehen, die um diese Planeten concentrisch sind, bewegen sich in derselben Richtung und sehr nahe in den Ebenen dieser Planetenbahnen. Alle diese so regelmässigen Bewegungen entspringen nicht aus mechanischen Ursachen; da die Kometen sich in sehr excentrischen Bahnen und nach allen Gegenden des Himmels frei bewegen. Vermöge dieser Art von Bewegung gehen die letzteren sehr schnell und leicht durch die Planetenbahnen und sind in ihrem Aphel, wo ihre Bewegung sehr langsam ist und sie längere Zeit verweilen, so weit von einander entfernt, dass ihre gegenseitige Anziehung fast unmerklich ist. Diese bewundernswürdige Einrichtung der Sonne, der Planeten und Kometen hat nur aus dem Rathschlusse und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens hervorgehen können. Wenn jeder Fixstern das Centrum eines, dem unserigen ähnlichen Systemes ist, so muss das Ganze, da es das Gepräge eines und desselben Zweckes trägt, bestimmt Einem und demselben Herrscher unterworfen sein. Das Licht der Fixsterne ist von derselben Natur, wie das der Sonne, und alle Systeme senden einander ihr Licht zu. Ferner sieht man, dass derjenige, welcher diese Welt eingerichtet hat, die Fixsterne in ungeheure Entfernungen von einander gestellt hat, damit diese Kugeln nicht, vermöge ihrer Schwerkraft, auf einander fallen.[1]
Dieses unendliche Wesen beherrscht alles, nicht als Weltseele, sondern als Herr aller Dinge. Wegen dieser Herrschaft pflegt unser Herr Gott παντοκρατορ, d. h. der Herr über Alles genannt zu werden. Denn das Wort Gott (Deus) bezieht sich auf Diener und die Gottheit ist die Herrschaft Gottes nicht über einen eigentlichen Körper, wie diejenigen annahmen, welche Gott einzig zur Weltseele machen, sondern über Diener. Der höchste Gott ist ein unendliches, ewiges und durchaus vollkommenes Wesen; ein Wesen aber, wie vollkommen es auch sei, wenn es keine Herrschaft ausübte, würde nicht Gott sein. Wir sagen nämlich wohl: mein Gott, unser Gott, der Gott Israels, der Gott der Götter, der Herr der Herrn; aber wir sagen nie: mein Ewiger, euer Ewiger, der Ewige Israels, der Ewige der Götter und eben so wenig mein Unendlicher, noch mein Vollkommener; weil diese Bezeichnungen sich nicht auf unterworfene Wesen beziehen. Das Wott Gott (Deus) bezeichnet bisweilen Herr[NEW 1], aber jeder Herr ist nicht Gott. Die Herrschaft eines geistigen Wesens ist es was Gott ausmacht; sie ist wahr im wahren Gott, die höchste im höchsten und die erdichtete im erdichteten Gotte. Es folgt hieraus, dass der wahre Gott ein lebendiger, einsichtiger und mächtiger Gott, dass er über dem Weltall erhaben und durchaus vollkommen ist. Er ist ewig und unendlich, allmächtig und allwissend, d. h. er währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, von Unendlichkeit zu Unendlichkeit, er regiert alles, er kennt alles, was ist oder was sein kann. Er ist weder die Ewigkeit noch die Unendlichkeit, aber er ist ewig und unendlich; er ist weder die Dauer noch der Raum, aber er währt fort und ist gegenwärtig; er währt stets fort und ist überall gegenwärtig, er existirt stets und überall, er macht den Raum und die Dauer aus. Da jedes Theilchen des Raumes beständig existirt, und jeder untheilbare Moment der Dauer überall fortwährt; so kann man nicht behaupten, dass derjenige, welcher der Herr und Verfertiger aller Dinge ist, nie und nirgend existire. Jede Seele, welche zu verschiedenen Zeiten, durch verschiedene Sinne und durch die Bewegung mehrerer Organe denkt, ist stets eine und dieselbe untheilbare Person. Es giebt auf einander folgende Theile in der Dauer und neben einander stehende Theile im Raume; es giebt aber nichts Aehnliches in dem, was die Person des Menschen ausmacht, oder in seinem denkenden Princip und noch viel weniger wird dergleichen in der der denkenden Substanz Gottes stattfinden. Jeder Mensch, so weit er ein fühlendes Wesen ist, ist während seines ganzen Lebens und in allen verschiedenen Organen seiner Sinne ein und derselbe Mensch. Eben so ist Gott überall und beständig ein und derselbe Gott. Er ist überall gegenwärtig, und zwar nicht nur virtuell, sondern auch substantiell; denn man kann nicht wirken, wenn man nicht ist. Alles wird in ihm bewegt und ist in ihm enthalten [NEW 2], aber ohne wechselseitige Einwirkung; denn Gott erleidet nichts durch die Bewegung der Körper und seine Allgegenwart lässt sie keinen Widerstand empfinden. Es ist klar, dass der höchste Gott nothwendig existire, und vermöge derselben Nothwendigkeit existirt er überall und zu jeder Zeit. Hieraus folgt auch, dass er durchaus sich selbst ähnlich ist, ganz Ohr, Auge, Gehirn, Arm, Gefühl, Einsicht und Wirksamkeit auf eine keineswegs menschliche und noch weniger körperliche, sondern durchaus unbekannte Weise. Eben so wie der Blinde keine Idee von den Farben hat, haben wir auch durchaus keine Idee von der Weise, wie der weiseste Gott fühlt und alle Dinge erkennt. Er hat weder einen Körper, noch eine körperliche Gestalt; er kann also weder gesehen, noch gehört, noch berührt werden, und man darf ihn unter keiner fühlbaren Gestalt anbeten. Wir haben wohl eine Vorstellung von seinen Eigenschaften, aber keine von seinen Bestandtheilen. Wir sehen nur die Gestalt und Farbe der Körper, wir hören ihre Töne, wir fühlen ihre äussere Oberfläche, wir riechen und schmecken sie; was aber die inneren Substanzen betrifft, so erkennen wir sie weder durch irgend einen Sinn, noch durch Nachdenken, und noch weniger haben wir eine Vorstellung von der Substanz Gottes. Wir kennen ihn nur durch seine Eigenschaften und Attribute, durch die höchst weise und vorzügliche Einrichtung aller Dinge und durch ihre Endursachen; wir bewundern ihn wegen seiner Vollkommenheiten, wir verehren und beten ihn an wegen seiner Herrschaft. Wir als Unterthanen beten ihn an, denn Gott ohne Vorsehung, ohne Herrschaft und ohne Endursachen ist nichts anderes, als die Bestimmung (Fatum) und die Natur.
Die blinde metaphysische Nothwendigkeit, welche stets und überall dieselbe ist, kann keine Veränderung der Dinge hervorbringen; die ganze, in Bezug auf Zeit und Ort herrschende Verschiedenheit aller Dinge kann nur von dem Willen und der Weisheit eines nothwendig existirenden Wesens herrühren. Man sagt allegorisch: Gott sieht, hört, redet, lacht, liebt, hasst, wünscht, giebt, nimmt an, freut sich, zürnt, kämpft, arbeitet, bauet, construirt; weil alles dasjenige, was man von Gott sagt, von irgend einer Vergleichung mit menschlichen Dingen entnommen ist. Diese Vergleichungen, wenn sie auch sehr unvollkommen sind, geben indessen doch eine schwache Vorstellung von ihm.
Dies hatte ich von Gott zu sagen, dessen Werke zu untersuchen, die Aufgabe der Naturlehre ist.
Ich habe bisher die Erscheinungen der Himmelskörper und die Bewegungen des Meeres durch die Kraft der Schwere erklärt, aber ich habe nirgends die Ursache der letzteren angegeben. Diese Kraft rührt von irgend einer Ursache her, welche bis zum Mittelpunkte der Sonne und der Planeten dringt, ohne irgend etwas von ihrer Wirksamkeit zu verlieren. Sie wirkt nicht nach Verhältniss der Oberfläche derjenigen Theilchen, worauf sie einwirkt (wie die mechanischen Ursachen), sondern nach Verhältniss der Menge fester Materie, und ihre Wirkung erstreckt sich nach allen Seiten hin, bis in ungeheure Entfernungen, indem sie stets im doppelten Verhältniss der letzteren abnimmt. Die Schwere gegen die Sonne ist aus der Schwere gegen jedes ihrer Theilchen zusammengesetzt, und sie nimmt mit der Entfernung von der Sonne genau im doppelten Verhältniss der Abstände ab, und dies geschieht bis zur Bahn des Saturns, wie die Ruhe der Aphelien der Planeten beweist; sie erstreckt sich ferner bis zu den äusseren Aphelien der Kometen, wenn diese Aphelien in Ruhe sind.[2]
Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese und Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden. In dieser leitet man die Sätze aus den Erscheinungen ab und verallgemeinert sie durch Induction. Auf diese Weise haben wir die Undurchdringlichkeit, die Beweglichkeit, den Stoss der Körper, die Gesetze der Bewegung und der Schwere kennen gelernt. Es genügt, dass die Schwere existire, dass sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke, und dass sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären im Stande sei.
Es würde hier der Ort sein, etwas über die geistige Substanz hinzuzufügen, welche alle festen Körper durchdringt und in ihnen enthalten ist. Durch die Kraft und Thätigkeit dieser geistigen Substanz ziehen sich die Theilchen der Körper wechselseitig in den kleinsten Entfernungen an und haften an einander, wenn sie sich berühren. Durch sie wirken die elektrischen Körper in den grössten Entfernungen, sowohl um die nächsten Körperchen anzuziehen, als auch sie abzustossen. Mittelst dieses geistigen Wesens strömt das Licht aus, wird zurückgeworfen, gebeugt, gebrochen und erwärmt die Körper. Alle Gefühle werden erregt und die Glieder der Thiere nach Belieben bewegt, durch die Vibrationen desselben, welche sich von den äusseren Organen der Sinne, mittelst der festen Fäden der Nerven bis zum Gehirn und hierauf von diesem zu den Muskeln fortpflanzen. Diese Dinge lassen sich aber nicht mit wenigen Worten erklären, und man hat noch keine hinreichende Anzahl von Versuchen, um genau die Gesetze bestimmen und beweisen zu können, nach welchen diese allgemeine geistige Substanz wirkt. —
Bemerkungen des Verfassers
[Bearbeiten]- ↑ Pocok leitet das Wort Gott (Deus) vom arabischen Worte Du (Genitiv Di) ab, welches Herr bedeutet, und in diesem Sinne werden die Fürsten Götter genannt, (Psalm 84., V. 6 und Joh. Cap. 10., V. 45.) Moses wird der Gott seines Bruders Aron und des Königs Pharao genannt (Exodus, Cap. 4., V. 16. und Cap. 7., V. 1.) und in demselben Sinne wurden sonst die Seelen der Fürsten von den Heiden Götter genannt, aber mit Unrecht, denn nach ihrem Tode haben sie keine Herrschaft mehr. Bemerkung des Verfassers.
- ↑ Die Alten hatten diesen Gedanken, wie aus der Weise hervorzugehen scheint, nach welcher sich Pythagoras nach Cicero de natura deorum Lib. I. und Thales und Anaxagoras ausdrücken. Eben so Virgil in Georgicon, Buch IV., V. 220. und Aeneis, Buch VI., V. 721.; Philo im Anfange des Buches I. der Allegorie und Aratus in seinen Erscheinungen (Phaenomena). Eben so verhält es sich in der heiligen Schrift: Paulus, Apostelgeschichte, Cap. XVII., V. 27. und 28.; Johannes in seinem Evangelium, Cap. XIV., V. 2.; Moses im Deuteronomium, Cap. IV., V. 39. und Cap. X., V. 14.; David in Psalm 139., V. 7., 8. und 9., Salomon im 1. Buch der Könige, Cap. VIII., V. 27.; Hiob, Cap. XXII. V. 12., 13. und 14.; Jeremias, Cap. XXIII., V. 23. und 24. Die Heiden dachten sich, dass die Sonne, der Mond, die Sterne, die Seelen der Menschen und alle anderen Theile der Welt Stücke des höchsten Wesens ausmachten; und dass man ihnen Verehrung schuldig sei. Bemerkung des Verfassers.
Bemerkungen und Erläuterungen [des Übersetzers]
[Bearbeiten]- ↑ [657] No. 332. S. 508. Die ungeheuren Abstände, in denen sich die Fixsterne von einander befinden, würden allein ihr Zusammenfallen vermöge der allgemeinen Gravitation nicht verhindern können. Man muss vielmehr annehmen, dass dieses eben so verhindert wird, wie das Zusammenfallen der Planeten mit ihrem Centralkörper, der Trabanten mit ihrem Planeten, durch eine den Fixsternen eigenthümliche fortschreitende Bewegung, welche mit jener allgemeinen Anziehung im Gleichgewichte steht. Eine derartige eigene Bewegung wird aber um so wahrscheinlicher, als die Zahl der Fixsterne fortwährend wächst, bei denen man eine eigene Bewegung wahrnimmt und ein Theil der letztern durch die Annahme der Bewegung unseres ganzen Sonnensystemes nach einem bestimmten Punkte des Himmels erklärt wird. Gar leicht und einfach schliesst man aus diesen Betrachtungen, dass im gesammten erkennbaren Weltraume keine absolute Ruhe, sondern beständige Bewegung stattfinde.
- ↑ [657] No. 333. S. 511. In den auf Newton folgenden Zeiten ist die Grenze der Wirksamkeit der Schwere thatsächlich über den Saturn hinaus erweitert werden. Nicht nur der später entdeckte Planet Uranus und der Halley’sche Komet bewegen sich, den in diesem Werke entwickelten Gesetzen der Schwere entsprechend; sondern es wurde ja auch vor etwa 30 Jahren, in Folge der vervollkommneten Theorie, Leverrier und Adams möglich, aus den Störungen, welche Uranus in seinem Laufe erlitt, auf die Ursache derselben, den weiter entfernten Planeten Neptun und seinen. Ort zu schliessen.
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