Med. Topographie Gmuend:036

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Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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ohne gespanntes Zermoniell, ziemlich aufgeweckten Kopfes mit einigen Grad von Aufklärung und natürlicher Beurtheilungskraft; er spricht und urtheilt gerne über alle Gegenstände, ist aber auch leicht reizbar und zum Wortwechsel geneigt, auch wenn es zum Handgemenge kommt, nicht der letzte in der Grobheit. Im Arbeiten ist er fleißig und unverdrossen, wenn er daran ist, und was unsre Manufakturisten betrifft, so sind die meisten derselben erfinderisch und künstlich in Verfertigung ihrer Producte, daher solche allwärts vielen Beyfall finden, und sonst bey noch mehr bedeutender Lebhaftigkeit unsers Handels immer stark und gern gesucht waren. Während der industriöse Bürger zu Hause seine Kunst und sein Gewerbe treibt, schont unser Handelsmann auf seinen oft beschwerlichen Reisen keine Mühe und Anstrengung, um auswärts unsre Kunstproducte theils im Großen, theils im Kleinen abzusetzen, dafür Geld und andere Natur- und Kunstproducte in seine Heimath zu bringen, und dadurch seinen Mitbürgern wieder Arbeit und Verdienst, wenn auch jetzt kaum zur höchsten Noth, zu verschaffen. Dabey geschieht es denn auch häufig, daß sie, was freylich eine natürliche Folge des Reisens und Handelns ist, mit jenen auch manche neue Moden, neue Sitten und Gebräuche nach Hause bringen, die gar bald von vielen andern, zumal jungen Leuten, schön gefunden und eben so leicht angenommen und nachgeäfft werden, auf welche Weise nach und nach die alten Sitten und Gebräuche mehr und mehr verdrängt, und mit diesen auch selbst die Denk- und Handlungsweise der Einwohner mehr oder weniger verändert, aber selten verbessert wird, und somit auch

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bey uns am Ende eintrifft, was einst Herzog Ulrich von Württemberg bey einer Gelegenheit sagte, als viele Deutsche die Tracht der Spanier nachäfften: Fremde Kleider bringen fremde Sitten, fremde Sitten fremde Völker und fremde Gäste ins Land, und die neuen Gäste vertreiben die alten Einwohner.

Die religiöse Denkungsart der Einwohner ist, soviel man vom Volke erwarten kann, im allgemeinen vom Bigotismus und Aberglauben ziemlich rein und geläutert; sie haben keine Scheu vor hellen und gereinigten Grundsätzen und Lehren der Religion, und bey manchen mögen solche in unsern Tagen schon Gesinnesänderungen in mehr als einer Hinsicht bewirkt haben; denn leichter ist es, zumal jungen Gemüthern, dem Aberglauben bey nur mittelmäßiger Verstandeskultur zu entsagen, als sich dabey vor verderblichen Unglauben genugsam zu verwahren. Sie wissen sich in nöthige Veränderungen des Kultus zu bequemen, ohne den Wahn zu haben, als änderte sie mit jenem auch die Religion; sie lieben noch, was in unsern Tagen seltner zu werden scheint, den Kirchenbesuch nach löblicher Weise ihrer Väter, und finden sich bey den öffentlichen, zu allen Zeiten, von allen Freunden der Religion zur eignen Herzensbildung sowohl, als zur Erbauung andrer so sehr empfohlenen Gottesverehrungen gerne ein, weit entfernt, diese göttliche Institution mit den Weltklüglingen und Zeitgelehrten für einen Religionswahn zu halten; denn sie mögen wohl glauben und erkennen, daß alle menschliche Weißheit und der aufgeklärteste Verstand, von so hohen Werth und vielen Nutzen sie übrigens im Leben seyn mögen, daß sie, wie die Geschichte aller Zeiten