Med. Topographie Gmuend:051
Franz Joseph Werfer Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd | |
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[98] bey den unkultivirten Völkern, und selbst bey unsern Landvolk ist; wenn wir wissen, daß bey einer natürlichen Geburt eigentlich gar keine Manualhülfe nöthig, ja möglich ist, und daß nach gemeinen Berechnungen unter hundert Geburten etwa eine naturwidrige vorkommt, die andern neun und neunzig aber blos durch die Kräfte der Natur vollbracht werden können; wenn es entschieden ist, daß halbe unvollkommne[1] Kunsthülfe überall schlimmer ist, als gar keine, und daß es auch hier unendlich besser ist, in die Hände Gottes (der Natur) als die der Menschen zu fallen; wenn wir an die unzähligen Uebel denken, die blos die Folgen dieser zu geschäftigen Kunst sind, als da sind: Zerreisungen des Perinäum, gewaltsames Trennen der Nachgeburt, fehlerhafte Unterbindungen der Nabelschnur, das leider so häufige Supprimiren der Mutterblutflüsse durch äußere Styptica, (wodurch gewiß schon viel mehr Unglück als durch alle Hämorrhagien erzeugt worden, ich will nur außer den akuten Folgen, Lokalentzundungen, Puerperalfiebern an so manche unerkannte chronische erinnern; so gehören nach meiner Ueberzeugung, die ersten Keime zu Desorganisationen, Verhärtungen und andern Lokalübeln der Gebärmutter hieher) ferner der in seinen Wirkungen ganz ähnliche, jetzt so häufige Nachgebrauch zusammenziehender Injectionen nach der Entbindung; wenn wir endlich bedenken, wie höchst wichtig und, der zartesten Schonung werth der Sinn der Schamhaftigkeit und Keuschheit ist, so müssen wir dem Verfasser vollkommen recht geben, daß durch unsere zu große Kunstgeschäftigkeit bey dem Geburtsgeschäft, und besonders durch das Uebertragen desselben [99] im Allgemeinen in die Hände der Männer, gewiß weit mehr Uebel als Gutes bewirkt werden. Das Weib ist die von Natur bestimmte Hülfe des Weibes in diesem so ganz weiblichen Act. – Ihr gab die Natur Geduld, Sanftmuth, die Gabe warten zu können – die den Männern so sehr oft fehlt, und ein Haupterforderniß bey natürlichen Geburten ist – körperliche Weichheit, Zartheit, selbst Kleinheit, das Mitgefühl aus ähnlichen Lagen – so wichtig für Mithülfe. – Der Mann hat, seiner Natur nach viel zuviel physische und moralische Härte, Ungeduld und Neigung, Kraft und Kunst ins Werk zu setzen. – Und glaubt man denn, daß es gleichgültig, oder wohl gar ersprießlich seyn könne, ein Geschäft, was die Natur nach heiligen, ewigen Gesetzen vollbringt, durch eiserne Zangen zu beschleunigen? verdient denn nicht das eben so ewige und heilige Gesetz der Zeit Achtung? und ist eine zu große Beschleunigung des Acts, gesetzt daß sie noch so viele Schmerzen erspart, nicht auf der andern Seite durch schnelle Entleerung, Ueberspringung der gradativen Entwicklungen viel nachtheiliger und immer ein Eingriff in jene Gesetze? Man will dadurch nichts weniger, als den Werth der Hülfe in der Noth, und das Verdienst derer, die auch diesen Theil der Kunst zu diesen Grad der Vollkommenheit brachten, verkennen; – aber die Entbindungskunst scheint sich dem Luxus zu nähern, jenem Fehler, von dem man auch die zu weit getriebene Heilkunst schon oft zurückrufen mußte, zur Verhütung möglicher Uebel, die Natur unnöthigen Kunstanstrengungen auszusetzen, und einfache, unbedeutende Krankheiten durch zu großen Kunstaufwand erst angreifend zu machen.
Anmerkungen (Wikisource)
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