Mein Dienst auf der „Elisabeth“

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Autor: H. Rosenthal-Bonin
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Titel: Mein Dienst auf der „Elisabeth“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24–25, S. 399–403, 415–422
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Mein Dienst auf der „Elisabeth“.

Von H. Rosenthal-Bonin.0 Mit Zeichnungen von C. Grethe.


Segelschiff, Segelschiff, du bist doch das einzig richtige, echte, wahrhafte Fahrzeug der See! – Da fährt er dahin, solch ein rußig schwarzer Dampfer, ein Eisenkoloß, eine Eisenbahn im Meere mit der Seele von Feuer, gespeist mit Kohlen, gerade, scharf seinen Weg, und die Matrosen auf dieser Seefahrmaschine sind Arbeiter, aber keine Seeleute. Wie schwebt das Segelschiff auf den Wellen, einem Vogel gleich mit den weißen Leinwandflügeln, des Meeres gewaltiger Athem treibt es, die Welle hebt es, es ist eins mit den großen Wassern, und der Schiffsmann, der dies Fahrzeug bedient, kämpft mit Wind und Wetter, überlistet sie, benutzt mit scharfem Verstand ihre Kräfte und tanzt so seinem Ziele zu – welche Lust, mit dem Winde zu fliegen, wenn alle Leinwand straff wird, vollgespannt ist, welch ein Behagen auch, den Gegenwind zu fangen, damit er das Schiff im kühnen Zickzack vorwärts treiben muß, seinem Kurs nach! Da gewinnt der Matrose der Luft und dem Meere die bewegende Kraft ab mit Seemannskenntnissen und Seemannsarbeit – das ist ein köstliches Wetten und Wagen und Rennen und Jagen auf schaukelnden Wogen; er ist kein willenloser Diener eines rauchigen, mit Feuerkraft unablässig geradeaus das Meer durchschneidenden Dampfers.

Diese Gedanken machte ich mir, als ich im Hafen von Genua saß und auf das bewegte grünblaue Meer hinaussah, wo ein schmucker Dreimaster im grellen Februarsonnenschein eben wendete, um in den Hafen hereinzukommen.

Meine Betrachtungen waren etwas wehmüthig angehaucht, denn ich hatte mein Schiff verloren, das in Malta in Dock gehen mußte – und sehnte mich, wieder Schiffsplanken unter den Füßen zu haben.

Das wollte sich jedoch nicht so leicht machen, weil ich danach strebte, Dienst auf einem guten Segler zu erhalten, und solche sind in unserer Zeit der Schnellbeförderung selten – Dampferstellen gab es in Hülle und Fülle, aber nachdem ich jetzt ein Jahr den Kohlenrauch geschluckt, hatte ich davon genug, und mein Herz hing an einem schönen, sauberen, luftigen Segler.

Vierzehn Tage trat ich schon das Pflaster der unruhigen Stadt, alle Schenswürdigkeiten hatte ich unfreiwillig pflichtgemäß abgemacht, und nun saß ich Tag für Tag am Hafen und sah Schwefel ausladen und Rothholz aufspeichern und Körbe voll Orangen verstauen und warf ab und zu ernsthafte Blicke auf das Meer hinaus, ob kein glückverheißendes Segelschiff zu mir hereinfahren würde. Genua ist für Leute, die Langeweile haben, ein theurer Boden, und mein Geld ging auf die Neige – noch acht Tage würde ich mich durchschlagen können – dann mußte ich mich verheuern. Zu diesem Punkt in meinen Erwägungen gelangt, warf ich einen wahren Haßblick auf einen braunroth und schwarz angemalten englischen Dampfer – da erschien das Segelschiff, welches ich vorhin draußen wenden gesehen, zwischen den Molen – die Segel schlappten und wurden festgemacht und ein kleiner Bugsierdampfer führte das schmucke Fahrzeug nach dem Platze der Segelschiffe.

Ich schlenderte dorthin. – Was war das für ein schlankes, festes, gutes Schiff, sauber und klar wie eine Jungfer – die Mannschaft arbeitete fleißig, sie brachte das Großboot zu Wasser und machte die Lufken frei.

Das Schiff stand. Ein nordisch aussehender, schlanker, junger Kapitän fuhr mit dem Lotsen und einem Matrosen in einem kleinen Boote nach dem Quai, dem Hafenamte zu.

Ich zählte die Köpfe der Mannschaft. Zwölf waren es – das ist genug für den Segler, er käme auch mit zehn aus – ich seufzte und ging mißmuthig davon nach dem Zollamte, um dort, gleich gestern und vorgestern, gedankenlos zuzuschauen, wie Sardinenfäßchen auf ihren Inhalt untersucht und mit dem Steuerzeichen versehen wurden.

Plötzlich weckten mich heimische Laute aus meiner Versunkenheit. „Dat gheit nich,“ ertönte es scharf und entschieden hinter mir. Was dem Aelpler sein Herdengeläut, das waren diese Worte mir, die mich so anheimelnd an Hamburger Rauchfleisch und Bremer Grützwurst erinnerten.

Ich wende mich um und sehe den Kapitän des Seglers in lebhafter Verhandlung mit dem dickköpfigen rothgesichtigen Matrosen. „Dat gheit nich,“ rief der Kapitän von neuem. „Schon wieder Urlaub – immer Urlaub – dat gheit nich, Stöwer!“

„Na, denn gheit et nich,“ entgegnete darauf ingrimmig der Matrose. „Et mag woll sin, dat ick nich mehr will, Kaptein.“

„So sind wir geschiedene Leute,“ sprach jetzt der Kapitän. „Es thut mir leid, Stöwer, aber Ihr könnt und wollt Euch nicht in die Ordnung fügen; so versucht es wo anders – ich wünsche Euch Glück.“

„Min Book möt ick hawwen,“ grollte der Matrose.

„Das sollt Ihr haben! Kommt auf die Hafenkanzlei – dort zahl’ ich Euch auch gleich aus und schreibe Euer Zeugniß ein.“

Die zwei Männer setzten sich in Bewegung und kamen dicht an mir vorbei.

Der Kapitän blickte mich an, unsere Angen trafen sich, und ich wußte, daß ich mit diesem Seemann schon einmal irgendwo zusammengetroffen war.

Der Kapitän mußte die gleiche Entdeckung gemacht haben, denn er stand still und grüßte mich.

„Ich sollte Sie kennen, Mann,“ redete er mich an.

„Wir haben uns schon gesehen, Kapitän,“ gab ich zurück. „John Ellis – Mississippi“ – stieg mir eine Erinnerung auf, und ich sprach diese Worte aus.

„Dort war’s, Mann, und Sie haben mir wacker beigestanden,“ ließ sich der Kapitän vernehmen. Sein Auge überflog meine Seemannskleidung. „Kann ich was für Sie thun?“ fragte er freundlich.

„Ich bin ohne Schiff, Kapitän –“

„Gut,“ unterbrach er mich. „Ich habe mit diesem Manne mich noch auseinanderzusetzen – das dauert ein Viertelstündchen, warten Sie hier auf mich, wir können dann über die Sache weiter reden.“

Darauf winkte der Kapitän dem Matrosen, und beide gingen über die schmutzigen Steinplatten zu dem düsteren, verräucherten, kleinen Steinhause, der Kanzlei. Ich schaute zu dem Segler hinüber, dessen saubere Masten unter dem Takelwerk der Griechen und Lateiner leuchtend hervorstachen.

Da war der Kapitän schon fertig und kam auf mich zu.

„Der Mann hat schon lange nicht mehr gut gethan,“ begann er, mit einer eigenthümlich kurzen Handbewegung über seinen blonden Kinnbart herunterstreichend. „Ich bin ihn auf gute Manier losgeworden – mag’s ihm anderswo besser gefallen! Bin Kapitän Aarhus, Brigg ‚Elisabeth‘ – Bremen, Bahia, Montevideo – und weshalb sitzt Ihr hier fest, Mann?“

„War ein Jahr auf dem ‚Washington‘, Red Star Line – Antwerpen, San Francisko – Schiss auf La Valette in Dock – hab’ die Dampfer satt und möchte einmal wieder mit Segel fahren.“

Ein scharfer, aber sonnenheller Blick aus den blauen Augen des Kapitäns traf mein Gesicht.

„Papiere?“ fragte er.

[400] „In Ordnung. Hier!“

„Dann kann etwas daraus werden. Arbeit giebt’s bei uns genug, Heuer – die gewöhnliche. Ich fahre auf eigene Rechnung und bin kein Millionär – ich geb’s einfach.“

„Das Schiff gefällt mir!“

„Gut. So wollen wir die Sache ins Reine bringen!“

Eine Stunde später war ich wohlbestellter zweiter Steuermann auf der Brigg „Elisabeth“ und für eine Fahrt nach den „Brasilianischen Wassern“ geheuert. –

Der Koch.

Meine erste Begegnung mit dem Kapitän hatte unter etwas sonderbaren Umständen stattgefunden.

Es mag jetzt ungefähr zwei Jahre her sein, da fuhr ich den Mississippi hinauf von New-Orleans nach St. Louis auf einem jener ungeheuerlichen zwei Stockwerk hohen Dampfboote, das Möbel, zusammenlegbare Häuser und Maschinentheile zu den waldumgebenen Ortschaften des Riesenstromes führte und auf der Rückreise unzählige Ballen Baumwolle dafür mitnahm.

Das Schiff, der „John Ellis“, war stark besetzt – Reisende von allen Nationen und allen Berufsarten – der Hauptsache nach jedoch Amerikaner.

Mir fiel unter dem bunten Menschengemisch ein junger Mann auf mit stillem und doch dabei scharf geschnittenem Gesicht, der ganz oldenburgisch aussah und sogar noch hier in dieser fremdartigen Umgebung Kleider anhatte, welche die naive, aber solide Dorfschneiderkunst meines Vaterlandes ungemein auffallend zur Schau trugen.

Der junge Mann spähte eifrig den Fluß hinauf und widmete der Führung des Bootes große Aufmerksamkeit.

Die große Anzahl uns entgegenschwimmender Baumstammgewirre war für das Schiff oft eine wirkliche Gefahr, aber daran dachte kein Mensch, die Kapitäne schwatzten, tranken und gaben im letzten Augenblick Ausweichbefehle – jedesmal entgingen wir mit knapper Noth einem Zusammenstoße. Da bemerkten wir einen Dampfer, ähnlich dem unseren, hinter uns, rauschend und fauchend kam er uns näher, und jetzt begann eines jener unsinnigen Wettfahren, wie sie auf den amerikanischen Strömen üblich sind. Die Passagiere bildeten sofort Gruppen – man fing an, hoch zu wetten – Parteien und Gegenparteien standen sich gegenüber, man rief den Heizern Belohnungen hinunter – die Kapitäne hielten sich scheinbar neutral – eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich aller auf dem Schiffe.

Die Touristen und anständigen Reisenden, welche merkten, was geschah, protestierten und beklagten sich bei den Schiffsbeamten des „Ellis“. Man gab ihnen keine Antwort.

An den schweigenden Waldufern vorbei auf den rauschenden Wassern tobte unser Schiff daher, daß es nur so dröhnte und rasselte und das Feuer aus den Schornsteinen in Funkenströmen über das Schiff schoß. Der andere Dampfer fuhr neben uns, oft mit seinem Rauch uns ganz umhüllend.

Die Aufregung stieg, die Wetten wurden wilder, das Murren der Protestierenden drohender. Plötzlich ein entsetzliches Pfeifen und Zischen – der Dampf strömte vom „Ellis“ aus und unser Schiff ging schaukelnd ruhiger, indeß der andere Dampfer an uns vorbeibrauste.

Ein wüthendes Geschrei ertönte aus dem Munde der Wettenden – alles stürzte zu dem Feuerraum – dort unten schrie und zankte man ebenfalls, und drei Heizer schleppten und stießen den jungen Mann in der ländlichen Kleidung aus dem Maschinenraum hinauf aufs Deck. Er sei plötzlich hinunter geeilt, habe den Maschinisten über den Haufen gerannt, das zugezogene Ventil aufgerissen und zwei Dampfhähne geöffnet, riefen die Heizer in das Stimmengetöse.

Eine augenblickliche Pause der Verblüffung entstand und in dieser rief der junge Mann mit durchdringender Stimme und in gutem Englisch:

„Ja! Das that ich, denn hätte ich eine Minute gezögert, der Manometer stand auf 98, so wäre das Schiff in die Luft geflogen.“

Ein wildes Brüllen und Fluchen der um ihre Wette Betrogenen antwortete auf diese Erklärung, und ein Dutzend roh aussehender Riesenkerle stürzte sich auf den Kühnen, packte ihn und zerrte ihn an das Geländer, um ihn über Bord zu werfen. Da schrie ich mit fast übermenschlicher Kraft: „Wer dem Mann danken will, daß er unser Leben gerettet hat, der stehe ihm bei!“ und sofort bildete sich eine Partei von Touristen und andern Herren, die auf meine Seite traten. Wir warfen uns auf die Angreifer und versuchten, den jungen Mann aus ihren Händen zu befreien. Es war eine wüste Scene, man riß und schlug sich – endlich kam der erste Kapitän mit einer Anzahl Schiffsbeamten und trennte die Ringenden. Eine lautlose Stille trat ein – man hörte nur neben dem Zischen der Maschine das keuchende Athmen der Nächstbetheiligten.

„Stand der Manometer wirklich auf 98?“ fragte der Kapitän den Maschinisten.

„Ja!“ antworteten statt dessen die Heizer.

„Dann hat der Mann recht gethan und er hat unser Leben gerettet,“ entschied der Kapitän. „Wir sind ihm großen Dank schuldig, und ich lade den Herrn zu einem Glase Toddy in meine Kajüte ein.“ Damit nahm er den wachsbleichen jungen Mann beim Arm und ging mit ihm nach dem hinteren Schiffsraum.

So zog sich der würdige Schiffsleiter schlau aus der Klemme und brachte den Fremden in Sicherheit, denn die tückischen Blicke einer Anzahl Kentuckier Maishändler boten keine gute Bürgschaft für die Wohlfahrt des entschlossenen muthigen Passagiers. Aus diesem Grunde sah ich auch den Mann auf dem Schiffe nicht wieder. Ich verließ das Boot in St. Louis. Er fuhr wohl weiter. Und heute ward er auf so wunderbare Weise mein Kapitän auf der „Elisabeth“. Es ist eben kein Beruf so reich an seltsamen, märchenhaften Fügungen des Schicksals als der des Seemannes. –

Mein Zusammentreffen mit Kapitän Aarhus in Genua fand am Sonnabend statt, am Montag sollte ich meinen Dienst antreten.

Sonntag früh schon erschien ich in meinem schönsten Staat an Bord der „Elisabeth“, um mir meine neue Heimath anzusehen und mit der Bemannumg Bekanntschaft zu schließen.

Ich fand die „Elisabeth“ als ein überaus fest und stark gebautes nordisches Fahrzeug, von jener Schlankheit, die das Entzücken jedes Seemanns hervorruft. Mit diesem prächtigen Wesen von Schiff muß man wie ein Pfeil die Wogen durchfliegen, dem kann kein Sturm und Wetter etwas anhaben. Es bietet keine großen Flächen; alles ist von eisenfestem Eichenholz. Es kann ausweichen und durchschneiden, und die Maste mit den Segeln stehen so wohlproportioniert da, als hätte Gott Neptun selbst das Kunstwerk ausgeklügelt.

So sprach mein Herz bei der Besichtigung des Schiffes. Der Kapitän rief die Mannschaft zusammen, berichtete, daß Wilm Stöwer freiwillig die „Elisabeth“ verlassen habe und ein alter Bekannter von ihm, dem Kapitän, – und hier erzählte er in wenigen kurzen Sätzen unser Erlebniß auf dem „John Ellis“ – in meiner Person an dessen Stelle getreten sei. „Nun wird wohl mehr Friede und gute Kameradschaft auf der ‚Elisabeth‘ wohnen,“ schloß er seine Ansprache.

So war ich vorgestellt und versammelte die Mannschaft zu der üblichen Flasche Schnaps um mich. Die Leute gefielen mir

[401]

In die Wanten.
Nach einer Zeichnung von C. Grethe.

[402] sammt und sonders gut. Da war zunächst der erste Steuermann, ein alter, wetterfester, bärtiger Seebär, dem man es ansah, daß er seit einem Menschenalter wohl auf allen Meeren gefahren war – dann zwei Holländer, grobe, einfache Gesellen mit tüchtigen Arbeitsfäusten, ein Schiffsjunge mit ängstlich spähenden kleinen Augen und einem riesigen Brotkaumaul; die übrigen alles Inselfriesen, wie der Kapitän auch, wortkarge, arbeitsame Leute mit scharfen, vorsichtig beobachtenden, hellen Augen. Auch den Schiffskoch lernte ich kennen, einen ehemaligen Schneidermeister aus Budjadingen – mit ziemlich kahlem Kopf und sehr spitz zulaufendem Kinn, dessen volle Lippen mir sofort großes Vertrauen zu seiner Kochkunst einflößten. Er hörte auf den schönen Namen Spia Tjaden. Zu meiner Ueberraschung erfuhr ich, daß wir auch eine Dame an Bord hätten, welche die ganze Reise mitmache – nämlich die Frau des Kapitäns, die Tochter eines sehr reichen Reeders in Bremen, der aber nichts hergebe, weil er gegen diese Heirath mit einem armen Kapitän gewesen. Die Geschichte sei sehr eigenthümlich zugegangen.

Das theilte mir in verschiedenen Stücken der erste Steuermann – er hieß Christian Poppinga – mit, der eine besondere Zuneigung zu mir an den Tag legte. So war ja auch Romantik hier auf dem Schiff. Ich war sehr neugierig, die Dame zu sehen; sie befand sich am Lande, Einkäufe zu machen.

Montag und Dienstag sollte es ans Löschen der Farbwaren gehen, dann war zwei Tage große Schiffswäsche, ein Tag völlig freier Urlaub und Sonnabend hieß es, Blechwaren einladen für brasilianische Häfen.

Das war der Arbeitsplan für die nächste Zeit.

Am Montag kam ich schon um Sonnenaufgang an Bord und fleißig steuerte ich bald breite, mit Fässern vollbeladene Ausladebarken von der „Elisabeth“ an den Zollamtsquai, wo ich noch vorgestern so mißmuthig gestanden hatte, und freute mich der tüchtigen Arbeit, die es gab.

Die Fässer waren schwer und nicht leicht aus den Barken ans Land zu karren. Gegen Mittag schon glänzte ich im schönsten Roth, Blau, Grün und Orange wie ein Orinoko-Papagei, denn die Fässer hatten bei der Fahrt einige Male gerollt und stäubten.

Zur festgesetzten Zeit wurden wir fertig, aber die Frau Kapitän hatte ich noch immer nicht zu Gesicht bekommen, sie wohnte während unseres Aufenthaltes hier im Gasthof. Sonnabend kamen die Blechwaren; sie waren nicht schwer, nahmen jedoch einen riesigen Raum fort, und wir mußten wahre Architektenkünste anwenden, um die Kisten mit Gießkannen, Bechern, Salatschwenkern, Kochtöpfen und Schaumlöffeln im Schiffsrumpf unterzubringen. Bis Mittwoch früh war alles verstaut und festgemacht – dann kamen noch ein paar Kisten voll Citronen und Orangen für eigenen Gebrauch, und Donnerstag früh mit den Wassertonnen die Frau Kapitän, eine hochgewachsene schöne Dame mit klugen, offenblickenden, blauen Augen und einem festen kleinen rothen Mund in dem blassen Gesicht.

Der Kapitän stellte sie mir vor. „Sie heißt Elisabeth wie mein Schiff,“ sprach er scherzend, „und sie ist oft eifersüchtig, wenn ich sage: ‚Erst kommt Elisabeth, das Schiff, und dann Elisabeth, die Frau‘ – Sie werden mir darin Recht geben.“

„Ja, Madame,“ antwortete ich – „das Schiff geht vor, denn das ist uns Mutter und Vater, es ist der Boden, auf dem wir stehen, Haus und Heimath, und giebt uns Arbeit und Nahrung.“

„Da hörst Du einen richtigen Seemann reden!“ sprach der Kapitän lachend zu Frau Elisabeth.

„Ja, Ihr seid alle so!“ antwortete die junge Frau schmollend, und mit einem Seitenblick auf ihren Mann fuhr sie in neckendem Tone fort: „Erst thut Ihr wie unsinnig, bis Ihr uns habt, dann benennt Ihr ein Schiff nach uns, und nun heißt’s – ‚erst das Schiff und dann die Frau!‘ Sie werden ledig sein?“ fragte sie mich.

„Ich stehe ganz allein.“

„Das ist für einen Seemann eigentlich das Beste,“ warf sie hin und sah dabei verliebt ihren Gatten an, der ziemlich pomadig das Scharmützel über sich ergehen ließ.

„Sie haben einst meinem Mann einen großen Dienst geleistet,“ wandte sie sich jetzt unmittelbar an mich. „Er erzählte es mir gestern, ich danke Ihnen noch nachträglich dafür. Ich freue mich, daß wir einen so tapferen Mann auf dem Schiff haben“ – und damit war die Vorstellung beendet und die Arbeit begann. –

Die Anker wurden gelichtet – der Bugsierdampfer mit dem Lotsen kam, Segel wurden gesetzt und langsam schwebten wir aus dem Hafen. Als wir auf die Höhe von Cap Porto Fino kamen, setzte der Wind ein, Schlepper und Lotse verließen uns. Die „Elisabeth“ blähte die Segel, und knarrend und rauschend fuhren wir mit einem guten Nordost den in blaßblauem Duft daliegenden Bergen Korsikas entgegen. Sobald wir aus dem Schutz der Küste waren, wurde die Luft rauh und winterlich. Wir nahmen den Kurs nach West und hin mit vollem Winde schoß die „Elisabeth“ über das blaue, glasklare, sonnenglitzernde Meer, daß das Wasser vorn am Bug hoch aufspritzte und wir am Abend die Leuchtfeuer von Korsika an der Leeseite hatten. Als der Nebel am nächsten Morgen sich hob, hielten wir mit günstigem Winde auf die Balearen zu, um durch die Meerenge von Gibraltar den Atlantischen Ocean zu gewinnen.

Die „Elisabeth“ täuschte die Erwartungen nicht, welche ich auf sie gesetzt hatte, sie war ein Segler ersten Ranges, schlingerte nie und schnitt die Fluth wie ein Messer. Sie gehorchte dem Steuer auf eine Hundertstel Drehung, und die schwere Arbeit, welche jedes Segelschiff verursacht, war hier ein Vergnügen.

Als die spanische Küste in bläulichem Dämmer vor uns auftauchte, gab es ein Märzgewitter, und ein paar Tage tanzten wir ziemlich unangenehm in Schnee, Regen und Nebel umher, ohne die Einfahrt in die Meerenge erzwingen zu können. Dann aber kam wieder ein schöner, lichter Tag mit steifem Ost-Süd-Ost, und nun sausten wir dem Riesenfels Gibraltar entgegen, den die Engländer mit Kanonen gespickt haben. Abends war ein wunderbarer Sonnenuntergang. Im tiefsten Violett lag die Küste von Afrika da, in goldenem Purpur die Felsen Spaniens – das Meer war rosenroth – und umhaucht, umweht von diesem sanften warmen Schimmer fuhren wir wie verklärt in den Paß ein. – Der Wind flaute ab und wogend schaukelten wir sanft und still mit der Strömung.

Am nächsten Morgen begrüßten uns die gewaltigen, blauen, gleichmäßig anrollenden Wogen des Oceans. Der Golfstrom mit seinen Frühlingswinden nahm die „Elisabeth“ auf und wir näherten uns Madeira. Dort wollten wir anlegen, um frisches Wasser und junge Gemüse aufzunehmen.

Nach drei Tagen kreuzte unsere schmucke „Elisabeth“ auf der Höhe von Funchal; zwei riesige blaue Bergspitzen ragten aus dem Meer zum Himmel, azurblau war dieser, azurblau das Meer, und zwischen diesem und den aufragenden Höhen lag eine Kette schneeweiß schimmernder, winzig kleiner Häuschen wie eine Perlenschnur am Fuß der Gebirge hingelegt.

Die Häuser wurden deutlicher, größer, die Berge mächtiger, zeigten stellenweise üppige Vegetation und waren übersät mit hellleuchtenden Villen. Ein paar Stunden später schaukelte die „Elisabeth“, geführt von einem rothmützigen Lotsen, in den Hafen von Funchal hinein.

Der Aufenthalt der „Elisabeth“ hier war auf einen Tag berechnet; wir nahmen frisches Wasser und Früchte aller Art ein, tranken abwechselnd Limonade und schweren gelbröthlichen Wein und fuhren am nächsten Morgen in den freien Ocean hinaus.

Unser Kurs richtete sich jetzt zwischen den Kanarischen Inseln durch nach St. Vincent, einer der Kap Verde-Inseln; vorläufig konnten wir noch die Strömung benutzen, ein Umstand, der die Arbeit dem Schiffsvolk sehr erleichtert.

Bei einer Fahrt von Europa nach Brasilien für Segelschiffe muß überhaupt eine große Anzahl Vortheile dem Meer und der Luft abgewonnen werden.

Der Ocean ist für den Segler nicht nur ein mächtig großes Wasser, das er nach einer bestimmten Richtung durchkreuzt, sondern ein Fahrgebiet, welches eine Fülle von Straßen und Wegen hat: Hauptstraßen, Nebenstraßen und sogar heimliche Pfade, Schleichwege sozusagen, die man unter bestimmten Bedingungen bei gewissen Witterungsverhältnissen schnell durchfahren kann. Oft müssen solche Strömungsstraßen durchkreuzt, am Rande, in der Mitte, durch Lavieren oder direkt durchsegelt werden. – Man darf im Frühjahr und Sommer nicht dieselben Straßen benutzen wie im Winter. Es gehört demnach ein außerordentlich gutes Seekartenstudium und viel Erfahrung dazu, um von uns aus glücklich über den Aequator und dann weiter zu kommen.

[403] Bis jetzt hatten wir schönes Wetter und viel Glück gehabt.

Die ersten Tage des März nahmen einen sommerlich schönen Verlauf, und mein Dienst auf der „Elisabeth“ war, die bösen Nachtwachen abgerechnet, durchaus nicht schwer.

Mein Verhältniß zu den übrigen Schiffskameraden gestaltete sich gut, und der Kapitän verlangte zwar von mir, wie selbstverständlich, vollen und ganzen Dienst, behandelte mich sonst aber wie einen Freund, und ebenso zeigte sich die Frau Kapitän mir sehr gewogen.

Sie unterhielt sich gern mit mir – staunte, daß ein Mann, der sogar eine Zeitlang die Universität besucht hatte, die harte Seemannslaufbahn eingeschlagen hatte, und ging mit mir um, als ob ich ein ihr völlig Gleichstehender wäre, den sie in dem Empfangssalon ihres Vaters kennengelernt hatte.

Ich besaß keine Ahnung davon, daß diese Bevorzugung bei jemand auf dem Schiff den tiefsten Schmerz verursachte und die wildeste Eifersucht hervorrief. Diese Person war ein junger Matrose mit dem weichen wehmüthigen Gesicht, das mir von Anfang an aufgefallen war.

Ich fand ihn eines Tages voll heftigen Heimwehs am Gangspill sitzen – er starrte in die Ferne hinaus und sein Gesicht hatte einen so schmerzergriffenen Ausdruck, daß er mir innig leid that und ich ihn zu trösten, aufzumuntern suchte. Ich hatte erfahren, was Seemannsheimweh heißt. Der Nordländer in nordischen Meeren bekommt es nie, sobald er aber unter heiße Sonne geräth, in das Gebiet des ewigen Frühlings, der Palmen und der andern südlichen Gewächse, wo der Himmel ewig blau, das Meer blendend blau ist – tagelang sich kein Lüftchen regt – dann packt es ihm das Herz zum Sterben und er möchte laut weinen vor Schmerz.

In dieser Stimmung saß der junge Mann da. „Holla, Mertens,“ rief ich ihm zu, „im nächsten Hafen ist der ganze Kummer verflogen; wenn’s gut geht, werden wir auf den Kanarischen einkehren und dort kannst Du Kanarienvögel fangen und Kanariensekt trinken.“

Statt einer Antwort traf mich ein wüthender Blick – ich sprach noch weiter – der Mann blieb stumm, schließlich verließ er seinen Platz und ließ mich stehen. Ich zerbrach mir den Kopf, was das zu bedeuten habe, ich sann nach, wodurch ich ihn beleidigt haben könnte. Wie gewöhnlich bei allen dunklen Punkten, die auf der „Elisabeth“ sich zeigten, half mir der erste Steuermann, das Räthsel zu lösen.

Er hat sich in die Frau Kapitän verguckt, der Laffe, schon in Bremen, als sie noch Mädchen war, und jetzt geht er auf dasselbe Schiff, wo sie mit ihrem Mann ist – daraus kann man schon sehen, daß er ein Esel ist.

„Ut dem ward nix, ’n richtiger Seemann nie und nimmer, dat wär better for em, bi sin Vatter oppen Dreistohl to sitten,“ schloß Christian Poppinga seinen Bericht und warf einen verächtlichen Blick auf den jungen Mann, der jetzt, die Stirn an die Wanten gelehnt, dastand und in das Meer hinausschaute.

„Sagt doch mal, Christian Poppinga: mit der Heirath des Kapitäns soll es ja eine besondere Bewandtniß gehabt haben, wie Ihr mir einmal angedeutet habt,“ so wollte ich den Alten, der bei guter Erzähllaune war, ausholen.

Da gab mir der Steuermann einen Wink mit den Augen und in demselben Augenblick ertönte vom Kapitän das Kommando: „Hol in Royal-Bramsail! Gei op de Grotsail!“ und jetzt war’s mit der schönen Fahrt vorbei. Es war zehn Uhr vormittags. Der Himmel hatte im Osten eine matt bernsteingelbe Farbe angenommen und sah drohend dunstig aus, ein paar stahlblaue Wolken flogen dem Dunstschleier voraus und schon standen sie über uns.

Wie konnte das in den paar Minuten vor sich gehen?

Das Meer wogte stumpf und bleifarben und schlug hart metallisch an die Schiffswand. Wie rasend war die Mannschaft in die Wanten geflogen und hatte die zum Beiliegen im Sturm nöthigen Segel festgemacht. Was beweglich an Deck war, ward in einer Minute fortgeräumt oder festgebunden – trotzdem überraschte uns der Sturmstoß – heulend wie ein Höllenunthier kam er heran – Himmel grauschwarz, Meer pechschwarz mit zitterndem weißen Schaum. Wir sanken in ein tiefes, dunkles Wasserthal und ein riesiger Wasserberg bedeckte uns – einige Sekunden fußhoch Wasser über uns – dann athmeten wir durchnäßt von rasendem Sturm durchpeitschte Luft. Ströme von Regen ergossen sich vom Himmel – Wasserthäler, Wasserberge, weiter nichts ringsum. Keine zwanzig Schritt weit war zu sehen und wir tanzten einen wahnsinnigen Wirbeltanz in diesen gähnenden Tiefen, auf den zerberstenden Höhen, und wie mit Stöcken schlugen die abgerissenen Wogenkämme uns auf Kopf, Brust und Arme, das zurückströmende Wogenwasser fluthete um unsere Beine – und dabei noch alle Befehle ausführen und die Richtung beibehalten, daß wir nicht gegen die Kanarischen Inseln trieben, in deren Gebiet wir uns befanden, denn dann war es mit Schiff und Mannschaften vorbei! Es war ein hartes Stück Arbeit.

Jedoch die „Elisabeth“ war ein gutes Schiff, sie schüttelte sich wie ein nasser Pudel und ihr gutes Holz trotzte allen Sturmangriffen und Wellenbädern. Sie fuhr in die Höhe und schoß in die Tiefe und ließ sich schleudern und jagen – aber sie hielt sich regelrecht an ihr Steuer und ging West, immer West und das war unser Glück, denn wir kamen dadurch von den Inseln ab.

Das Unwetter tobte bis gegen Abend fort, und dann ward es kalt und unfreundlich. Als die Sonne in einem fahlgelben am Meereshorizont breit aufklaffenden Firmamentstreifen versank, folgte eine von Regenböen erfüllte Nacht. Dunkle zerrissene Wolken flogen am Himmel, das schwarze Meer war unruhig und sah unheimlich aus.

An Nachtruhe war nicht zu denken. Alles blieb auf Deck, man hatte genug zu thun, die Lichter in Ordnung zu halten, zu lothen, Ausguck zu halten, in die Wanten zu springen, die schwer nasse Leinwand bald so, bald anders zu gestalten, und eine bängliche Stimmung lagerte auf uns, denn wir waren außer Kurs gerathen. – Kein Stern zeigte sich und eine Bestimmung, wo wir uns befinden möchten, war unmöglich. – –

Endlich kündigte der Tag sich an. Im Osten öffnete sich das Firmament, und zwischen schweren Wolkenbänken brach goldgelbes Licht hervor, welches das Meer seltsam graublau glasiggelb färbte, und wenige Minuten später erhob sich der Sonnenball über dem unruhigen Meer, eine breite glitzernde Goldbahn zwischen seinem leuchtenden Antlitz und der auf- und niederwogenden „Elisabeth“ ziehend – es war mit einem Male heller Tag, aber wie sah unsere „Elisabeth“ aus! Zwar standen die Masten unversehrt – jedoch unser Segelwerk und die Takelage hatten schwer gelitten. Zwei Stangen waren gebrochen. Das Holz hing herab und hatte in die Segel fußgroße Löcher gerissen. Das untere Großsegel lag zerfetzt um den Fuß des Royalmastes geschlungen, unser Oberbramsegel zuoberst der ganzen Takelage war vollständig fortgeschlagen, überall schlotterten und wehten zerrissene Strickenden.

Der Kapitän machte ein ernstes Gesicht und die Mannschaft stand stumm und finster da. Was sollte aus uns werden, wenn das Wetter von neuem begann? Plötzlich rief der Koch mit seiner krähenden Stimme: „Hab’ Kaffee gekocht.“

Das tönte so unvermittelt in unsere Bestürzung und unsere Trauer, daß alles laut auflachte – der Bann war gelöst. Wir eilten zur Kombüse und bald standen wir sämmtlich dort herum, angelehnt an irgend etwas, was einen Ruhepunkt bot, und schlürften aus unseren Blechbechern den heißen und heute extrasüßen belebenden Trank. Neuer Muth, frische Arbeitskraft durchströmte unsere Glieder, und fünf Minuten später – denn Eile that Noth – waren wir in eifrigster Arbeit, die zerbrochenen Stangen von den Masten abzuschneiden, die zerrissene Leinwand unter Deck zu schaffen, alles Zerstörte schnellstens zu entfernen und unser Schiff einzurichten, mit dem, was noch heil und ganz war, zu fahren.

Das Glück begünstigte uns. Der Himmel hellte sich auf, und wenn auch die Luft bei immer noch niederem Barometerstand sehr unruhig und stoßweise stürmisch bewegt blieb – bis zum Einbruch der Nacht waren wir doch bei rastloser, fast fieberhafter Arbeit wieder klar und die „Elisabeth“ ging mit genug Leinwand vor dem Winde, die Kursabweichung wieder einzubringen.

Am nächsten Mittag wurde gemessen, worin ich dem Kapitän als ausgelernter Navigationsschüler zur Hand ging, und wir ersahen, daß wir im schönsten Kurse direkt auf die Kap-Verdischen Inseln losgingen, von den Kanarischen Inseln waren wir verschlagen. Das Wetter wurde immer besser, und bald waren wir so weit, als wir schon vor ein paar Tagen hätten sein sollen – wir erreichten den Passat.

[415] Wer noch nie den Tropen sich genähert hat, der kann sich gar nicht vorstellen, was der Passatwind für Schiff und Mannschaft bedeutet. Er ist das Paradies aller Seefahrer auf Erden. Eine Frühlingsluftströmung, die das Schiff wochenlang unter stets mildem, heiter lächelndem Himmel dahingleiten läßt, seinem Ziele zu! Fast nie eine Störung, nur reines, volles Genießen! Mit rosigem Glanz versinkt die Sonne, mit rosigem Schimmer steht sie auf – das Meer ist leuchtend blau, der Himmel von ungetrübter Klarheit. Die See lächelt in leichtem Spiel der Wellen und ist so voll Licht, daß man bis zum Grunde hinunter zu sehen glaubt.

Der Schiffer hat auf seine Weise Ferien, denn schwere Arbeit giebt es jetzt nicht, und ergötzt sich an dem üppigen Thierleben, das der Ocean ihm darbietet. Oft umspielen Herden von Tümmlern das dahingleitende Schiff, Rudel von schimmernden Boniten und dickköpfigen Pottfischen ziehen vorüber, Scharen von lustig springenden und ganz toll sich überschlagenden Delphinen begleiten stundenlang das Fahrzeug; es ist ein märchenhaftes Thierleben, wohin man blickt, und der Seemann greift, um nicht gar zu sehr dem Faulenzen sich zu ergeben, zur Harpune, zielt und schleudert, um sich eine Beute herauf zu holen. Die Thiere sind schlau und vorsichtig und nur selten wird ein Tümmler gefangen; gelingt es aber, eines dieser fetten Burschen habhaft zu werden, so giebt’s ein großes Schmausen an Bord, wenn auch der Gefangene nur für den wenig verwöhnten Seemannsgaumen ein Leckerbissen ist.

Anders verhält es sich hierin mit den fliegenden Fischen. Die sind selbst für den Feinschmecker eine ausgezeichnete Delikatesse.

Das Erscheinen dieser seltsamen Meeresbewohner ist für den Schiffer ein Zeichen, daß er in die Wendekreise eingetreten ist. Unglaublich stark ist diese Zone von den sonderbaren Wesen belebt, denn immerfort und immerfort sieht man bald hier bald dort den silberschimmernden Fisch in Schwärmen zu Hunderten und Tausenden plötzlich aus der blauen Fluth sich erheben und nach einer Strecke von etwa 50 Metern wieder ins Wasser fallen.

Wir fingen diesen willkommenen Luftspringer nachts in Netzen, die vermittelst Stangen am Schiff angebracht waren und wagrecht unmittelbar über dem Wasser schwebten. Eine kleine Laterne wurde an der Stange befestigt, und dutzendweise flogen die vom Schiff aufgeschreckten Fische gegen das Licht, um sich alsbald im Netz zu fangen. In einer Nacht erbeuteten wir so 70 fliegende Fische. Spia Tjaden, unser Beherrscher der Küche, besaß eine besondere Kunst der Zubereitung dieser forellenähnlich schmeckenden Flossenträger; er briet sie sehr schnell in kochendem Fett, und die Frau Kapitän spendete aus ihrem Vorrath Zitronen, mit deren Saft begossen die knusprige Speise aufgetragen wurde.

[416]

Ja, der Passat ist das Paradies des Seemanns! Schon vierzehn Tage führten wir unser wohliges Schlaraffendasein, nur wenig unterbrochen durch allerlei leichte Geschäfte, Waschen, Polieren, Anstreichen, Nageln, Schnitzen, Theeren, Stengenschmieren, Tauanziehen, Segelflicken und Kleiderausbessern. Sommerluft, lachende Sonne, leuchtendes Meer, soweit das Auge reicht, tagelang, wochenlang! Und zwischen Sonne und Meer schwebt lustig dahin das Schiff, mit weißen schöngeblähten Segeln unter stets gleichmäßiger Brise, und die Mannschaft wird dick und wohlgenährt. –

Schon seit einigen Tagen spähte der Kapitän eifrig nach Südwesten – wir sollten die Kap-Verdischen Inseln eigentlich schon erreicht haben! Da ertönte es eines Morgens: „Land too Luvert!“ und wir erblickten in westlicher Richtung, kaum sich abhebend vom Himmel, zart umrissene Linien von Felsbergen.

Das war ohne Zweifel St. Vincent, und in wenigen Stunden würden wir diese zweite wichtige Station unserer großen Fahrt erreicht haben. So dachten wir, aber so leichten Kaufs sollten wir nicht davonkommen.

Ahnungslos segelten wir dahin. Da hob sich plötzlich das Schiff, wie das öfters geschieht, wenn sich aus dem sonst gleichmäßig wogenden Wasser durch irgend eine Rückströmung eine größere Welle aufbäumt, stieß auf den Wasserkamm und fuhr stark nieder. In demselben Augenblick erscholl auch langgezogen der böse Ruf „Mann über Bord“ und der Ausluger deutete nach der Luvrichtung. Wie schnell waren wir aus unserer freudigen Erregung gerissen! Sofort wurde gebraßt, daß der Wind von unten in die Segel fuhr, die Focksegel losgebunden und das Steuer beigedreht, damit das Schiff halte. Zwei Mann sprangen in das Boot und lösten die Schlingen – die andern stürmten gleichfalls dorthin, um zu helfen, und der erste Steuermann stand schon auf dem Kajütendach und warf einen Rettungsring. – Das alles war das Werk weniger Sekunden. Es war ein wildes, fieberhaftes Treiben; denn jetzt konnte jede Minute verlorener Zeit das Leben eines Mannes kosten. Wir sahen den Verunglückten als dunklen Gegenstand schon weit hinter dem Schiff treiben. Der Ring, obgleich gut geworfen, ging doch zu fern von dem Mann ins Wasser. Da sauste das Boot nieder und stieß von der „Elisabeth“ ab; die Ruder wurden eingesetzt, und nun begann ein heißes Jagen nach dem Dahintreibenden, den irgend eine geheimnißvolle Macht der Rettung entziehen zu wollen schien. Er sank und kam wieder nach oben, er schaukelte bald nach dieser Richtung bald nach jener – endlich, bei einer Bogenwendung, die das kräftig vorfahrende Boote machte, schoß er gegen uns, so daß zwei Langruder sich gleichzeitig unter seinen Körper schoben und der Haken ihn festhalten konnte. Der Mann war besinnungslos und gab kein Lebenszeichen von sich; wir zogen ihn herein – es war Mertens! Der stille stets träumerische junge Mann hatte auf der Nock der Bramraa gearbeitet und war bei der unverhofften Bewegung des Schiffes heruntergestürzt. Innerhalb weniger Minuten lag der Gerettete auf Deck, aber es dauerte lange, bis er unter den erfahrenen Händen der Kameraden Zeichen von wiederkehrendem Leben gab. Erst als die Frau Kapitän an dem Rettungswerk sich betheiligte und ein paar stärkende Tropfen dem Regungslosen in den Mund goß, zitterten seine Augenlider, und eine schwache Athmung stellte sich ein. Nach Verlauf einer weiteren Stunde war Mertens aus der tiefen Ohnmacht erwacht; allein er sprach irre und zeigte Spuren einer schweren Erkrankung. So wurde er ins „Krankenlogis“ gebracht und ein Schiffsjunge als Wärter bestellt.

Kranke an Bord sind üble Vorbedeutungen, und die Schiffsleute sind abergläubisch, es herrschte darum ein etwas gedrückter Ton auf der „Elisabeth“ und stiller, als wir gedacht, fuhren wir in den schönen Hafen von St. Vincent.

Der sichere Hafen ist das einzig Schöne an diesem rothgelben, starren, nur äußerst spärlich bewachsenen Felseilande. St. Vincent ist ein trauriger Ort, es regnet hier kaum dreimal im Jahre, es giebt keine Quellen auf der Insel, die Felsen setzen kein Erdreich an und die Schiffe können an diesem Platz nichts bekommen als Kohlen und destilliertes Seewasser zum Trinken, letzteres zu hohen Preisen. Wir waren gezwungen, Wasser einzunehmen, da unser Vorrath erschöpft war, und nachdem dies geschehen war, kehrten wir den glühenden Felskolossen den Rücken und fuhren in die frische See hinaus.

Neben dem Winde hatten mir eine Aequatorialströmung zum Helfer auf unserer Fahrt. Da das herrliche Wetter anhielt, so wäre alles wunderschön gewesen, wenn der junge Mertens nicht den Typhus bekommen hätte. Bleich und entstellt lag er in seiner Koje und redete irre, und namentlich in den stillen Nächten, wenn der Himmel so durchsichtig war, daß wir glaubten, die scheibenförmig erscheinenden, großen, geheimnißvoll leuchtenden Sterne mit Stangen erreichen zu können, hörten wir ihn rufen, lachen, schwatzen, weinen, – ein schauerlicher Gegensatz zu der erhabenen feierlichen lichten Schönheit der tropischen Nächte.

Unsere Kapitänin hatte neben dem Schiffsjungen die Pflege des Schwerkranken übernommen. Viele Stunden des Tages und manchmal auch der Nacht saß die feine Frau an seinem Bette und machte ihm Eisumschläge auf den Kopf und gab ihm Chinin und Limonade, genau nach dem Krankenbuche, das der Kapitän an Bord hatte; jedoch es wollte nicht besser werden. Die Fieberdelirien verstärkten sich und wechselten mit zeitweiliger völliger Bewußtlosigkeit, und in einer wunderbar schönen ruhigen sanft durchleuchteten Nacht, als das südliche Kreuz stärker als je glänzte und die Wellen weithin silbern leuchteten und so eigenartig murmelten, da hauchte der junge Mertens, im Beisein des Kapitäns, seinen Geist aus, die erstarrende Hand in der seiner treuen Pflegerin.

Eine dumpfe, beklommene Stille herrschte an Bord. Als der [417] Kapitän den Tod des jungen Kameraden in das Schiffsbuch eintrug und wir alle unterschrieben, da liefen den harten Seeleuten die Thränen über die gefurchten Wangen.

„Mann über Bord!“

Am nächsten Morgen wurde das Deck besonders geputzt, unten in dem „Krankenlogis“ wurde ernst gearbeitet, und nach einiger Zeit kam die Leiche des Entschlafenen, sorgfältig in Segeltuch eingenäht und auf ein starkes Brett gebunden, herauf. An der Regeling wurde sie aufgebahrt. Das Schiff ward zum Stehen gebracht und die Flaggen auf Halbmast herabgezogen. Ein leises Glockenzeichen, die Mannschaft tritt zusammen, vor der Leiche wird ein Kreis gebildet, der Kapitän spricht das Vaterunser, und wir sprechen es leise mit. Dann wird das beschwerte Brett über die Regeling gehoben und langsam in die klare, heiter lächelnde Fluth hinabgelassen. Wir sahen es sinken, immer dunkler war es, erst tief blau, dann schwarz, endlich entschwand es ganz unseren Blicken, und nur einige aufsteigende Blasen zeigten an, wo unser Kamerad in kühler Tiefe sein Grab gefunden hatte.

Glucksend und murmelnd spielten die Wogen am Körper des Schiffs während dieses einfachen Seemannsbegräbnisses, und aus der Kajüte hörten wir das Weinen und Schluchzen einer Frauenstimme.

Dann wurde das Schiff wieder in Gang gesetzt, das Steuer drehte sich knarrend, die Brise schwellte die Segel, und fort ging es, südlichen Küsten entgegen.

Begräbniß.

Einige Tage war es auf der „Elisabeth“ noch recht still; gedrückt schlichen wir umher und [418] thaten schweigend unsere Arbeit – dann forderte das Leben seine Rechte, die altgewohnte Heiterkeit kehrte wieder bei uns ein.

Nach Süden – nach Süden!

Zwei Wochen waren seit dem Begräbniß von Mertens verflossen und aus der Aequatorialströmung kamen wir in den Guineastrom, der uns durchaus nach Osten führen wollte. Da gab es denn tüchtige Segel- und Steuerarbeit. Der Wind frischte auf und acht Tage kämpfte die „Elisabeth“ mit schiefstehenden Masten gewaltig – dann erreichten wir südatlantische Strömung und das Ferienleben begann wieder, hier und da unterbrochen von einem tropischen Regenguß, der binnen weniger Sekunden das Verdeck zollhoch mit Wasser übergoß und unseren Trinkwasservorrath ganz anständig vermehrte. „Solch ein Regen schlägt durch Blech und Schmiedeeisen“ – meinte Spia Tjaden, der Schiffskoch; in der That, Gummimantel und Theerdecken helfen nichts dagegen, davon habe ich mich manchmal überzeugt!

Tapfer durchschnitt die „Elisabeth“ weitere zwölf Tage die blauen südlichen Wasser – dann näherten wir uns dem Aequator. Die Fahrt über die „Linie“, welche die Erdkugel in zwei Hälften theilt, läßt kein Schiff ohne die Feierlichkeiten vorübergehen, die ein Hauptspaß für die älteren Seeleute, weit weniger ergötzlich und angenehm aber für die Neulinge sind, die bisher die Linie noch nicht passiert haben; denn diese müssen in jeder Hinsicht die Kosten des Vergnügens tragen.

Eines Morgens, nachdem der Kapitän eifrig Messungen angestellt hatte, konnte man denn auch ein geheimnißvolles Treiben auf und unter Deck wahrnehmen.

Unter der „Linie“.

Am Bugspriet ward ein Kübel Seewasser aufgestellt, der Theereimer fand daneben Platz, und über dem Wasserkübel ward ein hübscher Sitz auf einem Brett errichtet. Der Schiffszimmermann, prächtig als Neptun verkleidet, mit einem riesigen Holzdreizack und einem fußlangen Flachsbart, und Spia Tjaden in Admiralskleidung, der in dieser Uniform einem Jahrmarktsaffen wunderbar ähnlich sah, waren unter den Klüverbaum gestiegen; der Rest der Mannschaft hatte sich am Ankerspill aufgestellt. Langsam kam Neptun auf die Back und fragte in feierlichem Tone die Versammelten: „Könnt’ wi an Bord kamen?“ Lautes Hurrahrufen war die Antwort. Und nun umwandelte Neptun mit Gefolge unter der Melodie „Mädele ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite“ dreimal den Kübel, dann nahm er Platz auf der Back, sein Admiral hinter ihm – ein Leichtmatrose und ein Schiffsjunge waren die Täuflinge.

Zuerst begann das Examen: ob der Schiffsjunge wüßte, was ein Schiff wäre – wie dem Teufel seine Großmutter mit ihrem Mädchennamen geheißen habe – was daraus entstünde, wenn man Pflaumen mit Theer gekocht äße, und andere dergleichen schöne Fragen mehr. Nachdem diese gebührend beantwortet waren, zeigte man den beiden den Aequator; sie mußten durch ein Fernrohr sehen, über dessen letztes Glas ein Haar gezogen war. Das war der Aequator!

Jetzt erhielten die Täuflinge die Erlaubniß zum Gehen – aber plötzlich eilte ihnen jemand nach. Sie hätten sich ja den Bart nicht abnehmen lassen, sie seien heut’ an ihrem hohen Feiertag nicht rasiert! Das dürfe nicht ungestraft bleiben – und bevor die Unglücklichen sich dessen versahen, waren sie auf die Bank über dem Kübel gesetzt, mit Theer wie beim Barbieren „eingeseift“ und gründlich mit einem Holzmesser rasiert. Mitten in dieser Prozedur ein Ruck, man hat das Brett unter ihnen weggezogen und sie fallen in den Wasserkübel. Mühsam arbeiten sie sich unter dem Jubel der Kameraden heraus, da werden noch ein paar Eimer Wasser über ihre Köpfe gegossen und vervollständigen die Taufe. Den Schluß bildet die Erlegung der Taufgebühr in Form einer tüchtigen Grogbewirthung, deren Kosten die Frau Kapitän großmüthig aus ihrer niedlichen grünseidenen Börse für die armen Teufel bestritt.

Den ganzen Tag über herrschte Karnevalstimmung auf der „Elisabeth“, Mittags gab’s Backpflaumen und Kartoffelklöße und am Abend ein Tänzchen auf dem Deck. Erst tanzten die Männer miteinander, daß das Schiff in seinen tiefsten Planken erzitterte, und dann gewährte als besondere Ehre die Frau Kapitän jedem Schiffsmann einen Tanz, bei dem die alten Seebären die Dame so zart anfaßten, daß oft Herr und Dame allein tanzten, bis sie sich endlich wieder fanden.

So wechseln Ernst und Scherz, Heiteres und Trauriges auf dem Schiff. Für den Seemann ist eben sein Fahrzeug die ganze Welt. Auf den schwankenden Planken lebt und webt er. Am Lande giebt er nur Gastrollen und macht Dummheiten. –

Der Aequator war hinter uns und wir suchten die Brasilianische Strömung zu gewinnen, um Pernambuco anzulaufen.

[419] Der Steuermann war mir noch immer die Geschichte der Heirath des Kapitäns schuldig. Wie das beim Dienst so geht, verschiedene Mal fing er in seiner orakelhaften Manier an, dann kam etwas dazwischen und er mußte seinen schmallippigen Tabakmund schließen.

Heute saßen wir in sonntäglicher Stimmung am Achterdeck auf einer schön gelegten Taurolle. Das Wetter war lieblich, das Schiff glänzte vor Sauberkeit und spiegelte sich mit seinen Segeln wie ein Riesenschwan in der Fluth. Der Kapitän hatte, wie üblich, ein Kapitel aus der Bibel gelesen und saß jetzt mit seiner Frau vor dem Kajütenlicht, sein Warenbuch auf den Knieen, und rauchte sein Pfeifchen, während die Frau Kapitän neben ihm sich niedergelassen hatte und, den Kopf an seine Schulter gelehnt, auf ein Kästchen sah, das Geranien, Stiefmütterchen und Levkoien enthielt, Pflänzlein aus ihrem heimathlichen Garten in tropisch üppiger Entfaltung. Ich schaute zu dem friedlich dasitzenden Paare hinüber und der erste Steuermann auch.

„Was ist es denn mit der Heirath des Kapitäns?“ fragte ich.

„Nicht leiden wollt’ es der Alte, ihr Alter.“

„Warum denn nicht?“

„Der Kapitän hatte kein Schiff, war arm, hatte eben erst sein drittes Examen gemacht und keinen Groschen im Beutel.“

„Da hatte der Alte ja doch recht!“ warf ich ein.

„Nicht recht hatte er!“ grollte der Steuermann. „Denn das Mädchen wollte ihn doch haben; sie besaß selbst von der Mutter Geld, nicht viel, aber genug, um ein Schiff zu kaufen. Dem Alten war der Aarhus zu simpel, nur ein einfacher Schiffer, dessen Vater ein Lotse gewesen – er wollte was Vornehmes für seine Tochter, wenigstens den Sohn eines Senators.

Da sagte jedoch die Tochter ‚Pros’t Mahlzeit‘ – –“

„Habt Ihr’s gehört?“ unterbrach ich den Steuermann.

„Nein!“ rief er ärgerlich – „ich sage nur so! – Sie erklärte also dem Alten, daß sie nur diesen Mann und keinen andern nehme, denn der habe ihr Herz. Es gab einen großen Zank, und der Alte sprach von Enterben und Verstoßen. Die Tochter aber legte den Finger auf die Bibel und sagte: ‚Da steht, du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen!‘ und nun gab’s noch mehr Skandal. Der Alte wollte seine Tochter fortbringen, einsperren, was weiß ich; man sprach in ganz Bremen davon, und eines Tags ging das Mädel fort, ließ sich in Schottland trauen, kam als Frau Aarhus wieder und zog gleich in das kleine Haus zu ihrem Schwiegervater, wo auch ihr Mann wohnte. Das gab ein Aufsehen! Jetzt trat Kapitän Aarhus fest auf beim Alten, bis der schließlich das Geld seiner Tochter herausgab; Aarhus kaufte sich dann den schönen ‚Morgenstern‘, den er ‚Elisabeth‘ umtaufen ließ, und fuhr mit seiner Frau ab. Jetzt mag sie bei ihren Blumen an ihren Vater und an das große Haus daheim voll Gold und Silber denken! – Aber es reut sie nicht, das weiß ich gewiß!“ schloß der Steuermann seinen Bericht.

„Nein, sicher nicht!“ wiederholte ich mit Ueberzeugung, „wenn auch mancher wehmüthige und schmerzliche Gedanke ihr durch den Kopf gehen mag. Der Kapitän ist ein tüchtiger, ehrenwerther, schöner Mann und ein Schiffer ersten Ranges, und er hat eine ehrliche Liebe zu seinem Weib Elisabeth.“

Das Schiff „Elisabeth“ zog indessen weiter seine Bahn. Allmählich jedoch nahm die Herrlichkeit des ewig schönen Wetters ein Ende. Die Regengüsse mehrten sich und Gewitter mit starken Luftströmungen und plötzlichem Windwechsel mahnten zu großer Aufmerksamkeit. Wir näherten uns nämlich der brasilianischen Küste, und in diesen Breiten begann jetzt der Winter mit seiner Regenzeit. Nebel hatten wir zwar nicht zu fürchten, doch gab es in diesen Gewässern schon Gegensegler, in gleichem Kurs fahrende entgegenkommende Schiffe – etwas, was man im Passat zu dieser Jahreszeit nicht zu besorgen hat.

Noch eine vierzehntägige unruhige Fahrt, und eines Abends ertönte wieder der Ruf vom Ausguck „Land in Sicht! Twee Strich in Lee!“ Die Sonne neigte sich zum Untergang, der Tag war erträglich gut gewesen, und bei klarem Himmel erblickten wir jetzt Berglinien in zartem rosa Duft. Vorläufig mußten wir uns mit dem Anblick aus der Ferne begnügen, denn da vor Pernambuco eine gefährliche Felsbank liegt, so waren wir gezwungen, die Nacht über zu kreuzen.

Am nächsten Morgen hielten wir auf die Küste zu, und bald kam uns auch das Riff zu Gesicht, an dem die Wellen in langen weißen Linien sich schäumend brechen. Es erstreckt sich, vor der Küste hinlaufend, wohl zwei Stunden breit und bildet den guten Hafen der berühmten brasilianischen Hafenstadt, während es zugleich die Einfahrt bedeutend erschwert. Auf unsere Signale kamen in einem lateinischen braunrothen Segler zwei Lotsen, die uns erst einen langen Weg nach Norden steuerten, und dann erschien vom Riff her eine Dampfbarkasse, die auf uns zufuhr. Sie nahm uns ins Schlepptau, und herein glitten wir in das gelbbraune Wasser, zwischen Felsbank und Stadt in den Hafen, ein riesenhaftes Wasserbecken, wo wir im Osten neben einer Anzahl andrer großer, hauptsächlich italienischer und englischer Segler Anker warfen.

Sobald die Ankunft des Schiffes gemeldet war, fuhr ein Boot mit der Post vom Hafenamt auf uns zu. Es war ein Eilbrief da für die deutsche Brigg „Elisabeth“, Kapitän Aarhus, an die Adresse der Frau Kapitän Elisabeth Aarhus.

Ich sah Frau Elisabeth erbleichen, als sie die Aufschrift des Briefes erblickte. – Sie zitterte und mußte sich einen Augenblick an die Kajütenhauswand lehnen, dann erbrach sie den Brief und las – ihr blasses Gesicht färbte sich rosig, und plötzlich fiel sie dem neben ihr stehenden Kapitän um den Hals und lachte und weinte und weinte und lachte.

Der Brief war von ihrem Vater, ein Dampfer hatte ihn vor vierzehn Tagen schon von Bremen gebracht. Ich hatte Gelegenheit, das Schriftstück später zu lesen – es lautete:

„Obwohl Du Dich von mir getrennt hast, um einen Mann zu heirathen, den ich seiner gesellschaftlichen Stellung nach Deiner nicht würdig glaubte, will ich doch nicht hart sein und Dir Dein Vaterhaus noch ferner verschließen.

Es hat mir wehgethan, daß Du nur schriftlich von mir Abschied nahmst, als Du eine so große Reise, dazu auf einem Segelschiff, antratest. Ich hätte Dich, wenn Du gekommen wärst, wie meine Tochter empfangen und Deinen Mann auch. Ich habe Stunden schwerer Sorge um Dich gehabt und schreibe Dir diese Zeilen, damit Du bei Deiner Ankunft in Pernambuco sofort telegraphieren mögest, ob Du gesund und wohl bist.

Ich will Deinen Mann als meinen Schwiegersohn anerkennen und in alle seine Rechte einsetzen, denn es soll nicht heißen, daß ich den Gatten meiner Tochter in kleinen Verhältnissen gelassen habe; man hat mir von seiner Tüchtigkeit und seinem Muth erzählt, und so wird er wohl seinen Platz behaupten und, wie ich hoffe, uns Ehre machen.

Ich begreife, wenn Du – namentlich in den ersten Jahren – Deinem Manne auf seinen Fahrten folgen willst. Es ist mir jedoch ein peinlicher Gedanke, Dich allen Zufälligkeiten der Segelschiffahrt ausgesetzt zu sehen, und deshalb biete ich Deinem Manne an, die Brigg ‚Elisabeth‘ mir zu überlassen und dafür den Dampfer ‚Bremen‘, der in Pernambuco liegt und dies Schreiben überbracht hat, zu übernehmen, als selbständiges Eigenthum, als Dein Vatergut. Er ist ein vortrefflich ausgestatteter Kauffahrteidampfer von dreitausend Tonnen und besitzt eine Kajüte, in welcher Du bequem wohnen kannst. – Gerhardt, der mit dem ‚Bremen‘ in Pernambuco liegt, ist von allem verständigt und wird die

[422] ‚Elisabeth‘ sammt Ladung auf meine Rechnung übernehmen. Ich bitte Deinen Mann, den ‚Bremen‘ mit den von mir gecharterten Gütern, Baumwollenballen und Tabak, zu incargieren und hierherzuführen. – Es drängt mich, Dich bald wieder zu sehen.
Dein Dich liebender Vater 
Jakob Krusen, 
Senator.“ 

Natürlich zauderte Kapitän Aarhus keinen Augenblick, die ‚Elisabeth‘ gegen den prächtigen Dampfer zu vertauschen, denn welcher Kapitän würde nicht lieber auf einem großen Dampfer herrschen als auf einem Segler, wer würde anstehen, einen Dampfer im Werthe von etwa mehreren hunderttausend Mark gegen ein Segelschiff auszuwechseln, das vielleicht achtzigtausend gilt. Und dann konnte er auf einem so schönen Dampfschiff seiner jungen Frau ein anderes Logis und andere Bequemlichkeiten bieten als auf dem besten Segelschiff. Für die Dauer war der Aufenthalt auf einem Segler für die ganz anders gewöhnte Frau auch kaum durchführbar – das mochte der Kapitän auf dieser Reise eingesehen haben.

Am folgenden Tage, nachdem wir gelandet waren, gab mir Kapitän Aarhus den Brief seines Schwiegervaters und theilte mir seinen Entschluß mit, die „Elisabeth“ abzugeben. Ich begriff ihn, bat aber zugleich, meinen Dienst auf der „Elisabeth“ quittieren zu dürfen. Gerhardt war ein ganz guter Mann, ich kannte ihn, allein als Kapitän war er nur ein erfahrener Handwerker, und nachdem ich auf der „Elisabeth“ unter einem Kapitän gedient hatte, der mein Freund war, gelüstete es mich nicht weiter, auf demselben Schiff unter den gänzlich veränderten Verhältnissen zu bleiben.

Ich beschloß, vorläufig in Pernambuco Station zu machen und, soweit meine bescheidenen Mittel reichten, eine andere Gelegenheit abzuwarten. Aarhus billigte meinen Entschluß, die Kapitänin hätte mich gern auf dem „Bremen“ gesehen – ich vertröstete sie auf später – und so endete mein kurzer, aber erlebnißreicher Dienst auf der „Elisabeth“.