Mein Einzug in Paris

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Autor: Friedrich Wilhelm Heine
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Titel: Mein Einzug in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 234–238
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Mein Einzug in Paris.
Vom Feldmaler F. W. Heine.


Margency, Anfang März.

Die schönen Tage von Margency sind nun zu Ende! Ich schreibe Ihnen zum letzten Male von hier aus und verlasse morgen in aller Frühe das schlichte Gemach, in welchem ich unter der schützenden Obhut des Hauptquartiers der Maasarmee monatelang alle Freuden und Leiden eines berichterstattenden Malers und eines malenden Berichterstatters gründlich durchgekostet und, eingeschneit und eingefroren, so manche Stunde lang den Fall der „heiligen Stadt“ mit aller Inbrunst meines Herzens herbeigesehnt habe. Nun ist er gekommen, ist wirklich zur Wahrheit geworden, und wenn die eitlen Pariser noch immer nicht daran glauben wollten, so mußten sie sich in diesen Tagen wohl in das Unvermeidliche fügen, da der stramme Schritt der deutschen Regimenter auf dem Macadam der Boulevards dröhnte und die Melodie der „Wacht am Rhein“ von den stolzen Wölbungen des Triumphbogens widerhallte.

Ich war mitten dabei und war mitten drin und habe meine Zeichnung an Ort und Stelle aufgenommen – aber da über jene in der Geschichte Deutschlands für immer denkwürdigen Stunden, wenn Sie diese Zeilen veröffentlichen, gewiß schon unendlich viel gedruckt und gelesen worden ist, so kann es hier nur darauf ankommen, daß ich Ihnen von mir selbst erzähle, was ich bei meinem „Einzug in Paris“ Besonderes sah und hörte, und das allein will ich denn auch in den nachfolgenden Zeilen thun.

Ich war schon in der frühesten Morgenstunde des ersten März in Margency aufgebrochen und hatte mich über Argenteuil, Colombes und Courbevoie an die Brücke bei Neuilly begeben, da man mir gesagt hatte, daß von hier aus der Einzug stattfinden solle. Indessen fand ich an dem genannten Orte so wenig Leben, daß ich stutzig wurde, um auf verschiedene Anfragen endlich zu erfahren, wie bereits seit dem ersten Morgengrauen Truppen auf Truppen über die erst Tags zuvor geschlagenen Pontonbrücken bei Suresnes, St. Cloud und Sèvres marschirt seien und wie ich also jedenfalls nach dieser Richtung hin – schon Suresnes liegt weit südlicher als Neuilly am Fuße des Mont Valerien – meinen Weg zu nehmen habe. Ich hatte das Richtige getroffen. Als ich mich der Brücke von Suresnes näherte, drängte sich mehr und mehr Militär zusammen, Patrouillen streiften längs der Landstraße hin und Gensd’armen ritten dieselbe unaufhörlich ab. Plötzlich – es ging wohl schon auf elf Uhr – ward unter den Posten haltenden Soldaten eine eigenthümliche Bewegung bemerkbar. Schon kurz vorher hatte die Cavallerie- und Infanteriestabswache sammt den Pferden des Kaisers die von einer Schwadron Königshusaren besetzte und an ihren Pfosten mit flatternden Preußenfahnen geschmückte Brücke passirt. Jetzt aber drängten die Gensd’armen die wenigen Zuschauer, welche sich im Laufe der Zeit eingefunden hatten, mit ihren Pferden zurück und „Der Kaiser kommt!“ lief es lauter und lauter von Mund zu Mund. Da ward auch schon der Vorreiter des Kaisers sichtbar, staubaufwirbelnd und von einem schallenden Hurrah der Soldaten empfangen näherte sich rasch ein vierspänniger Wagen und in ihm der Kaiser in Generalsuniform mit Helm, Waffenrock und Schärpe und gefolgt von einer kleinen Suite. Nach kurzem Aufenthalt setzte der schimmernde Zug über die Brücke, Soldaten aller Waffengattungen strömten und drängten nach, und mitten unter ihnen nahm auch ich meinen Weg hinüber zur Rennbahn von Longchamps, wo der Kaiser Heerschau über die zum Einmarsch in Paris bestimmten dreißigtausend Mann hielt.

Was soll ich Ihnen nun über diese Heerschau schreiben! Es war ein geradezu überwältigender, in seiner Art unbeschreiblicher Anblick, als der greise Kaiser, zur Linken den Sohn, und gefolgt von einer wohl über vierhundert Köpfe zählenden, in allen Farben glänzenden, den ersten Geschlechtern Deutschlands angehörenden Suite, die lange Front der in zwei Treffen aufgestellten Truppenmassen von der Rechten zur Linken hinabgaloppirte. Ein donnernder Jubelruf empfing ihn, die Musikchöre der ganzen Armee intonirten „Heil dir im Siegerkranz“, wie ein Sturm sauste und glänzte und blitzte der kaiserliche Zug an den Augen der Zuschauer vorüber und die Standarten wallten im Winde, manche freilich nur mit ihren zerfetzten Resten, so gut es eben gehen wollte – es war ein großartiger Moment und gewiß Jedem unvergeßlich, der das Glück hatte, ihn zu erleben und seiner Zeuge zu sein. Ja, Mancher trug es vielleicht in diesem Augenblick leichter, daß der „Einzug in Paris“, wie er eben stattfinden sollte, doch nicht so ganz alle Wünsche erfüllte, und daß der berechtigte Triumph des deutschen Volkes über das gedemüthigte Paris nur ein unvollkommener sei, so lange nicht von den Tuilerien das deutsche Banner wehe und so lange nicht in Notre-Dame ein Te Deum für die Verleihung des Sieges angestimmt werde. Nachdem der Kaiser das zweite Treffen wieder heraufgeritten war, nahm er Stellung etwas rechts von der großen Tribüne, und nun begann bekanntlich der Vorbeimarsch der einziehenden Truppen unter der Anführung des Kronprinzen als preußischen Feldmarschalls und Oberbefehlshabers der dritten Armee. Den Beginn machte das sechste Corps (General v. Tümpling), dann folgte das elfte Corps unter General v. Schachtmeyer und den Schluß bildete das zweite bairische Corps unter dem General v. Hartmann. Da die Truppen in Bataillonscolonnen vorbeimarschirten, so dauerte die Parade wohl an zwei Stunden, und so sehr denn auch die einzelnen Corps, die in strammster Haltung Regiment um Regiment vorbeidefilirten, meine ganze Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich zogen, so viel Interesse erregte es mir auch, den Kaiser selbst während dieses merkwürdigen, aber auch höchst anstrengenden Schauspieles zu beobachten. Und wahrlich, es gehörte eine echte Soldatennatur, wie die des Kaiser Wilhelm ist, dazu, eine so mächtige Siegerschaar während so langer Dauer mit immer gleichem Interesse an sich vorbeidefiliren zu lassen, nie müde, die Rechte grüßend an den Helm zu führen, nie ein Auge von der Mannschaft verwendend, und noch die letzte Schwadron mit derselben Aufmerksamkeit musternd, mit welcher er dem Vorbeimarsch des ersten Bataillons gefolgt war.

Kaiser und Kronprinz kehrten nach der etwa um ein Uhr zu Ende gegangenen Parade nach Versailles zurück; die Kriegerschaaren aber zogen sich in langen Linien und in staunenswerther Ordnung durch das Boulogner Hölzchen und mit ihnen nahm ich meinen Weg in der Richtung nach dem Triumphbogen. Kurz vor der Stadtmauer kamen wir an einem großen abgeholzten Theil des Hölzchens heraus, an dem Flecke, der den Parisern während der Belagerung zur Gewinnung des nöthigsten Feuerungsmaterials angewiesen worden war. Es war bald ein halb zwei Uhr, als wir in die Nähe der Stadtmauer kamen. Hier hatte sich schon eine ziemliche Anzahl neugieriger Pariser eingefunden, viele von ihnen saßen auf den Wällen, alle aber waren offenbar in der muntersten Laune, als handle es sich für sie um das fröhlichste Schauspiel von der Welt. Nun hielt ich es auch für angemessen, mich definitiv einer bestimmten Truppenabtheilung anzuschließen, um in ihrem Schutze allen möglichen Fährlichkeiten zu begegnen. Ich stieß zu den Sechser Jägern und marschirte mit ihnen strammen Schrittes die schöne breite avenue de la grande armée entlang bis kurz vor den Triumphbogen, wo wir Halt machten, [235] Angesichts einer unzähligen Menschenmenge, meist Blousenleuten und halbwüchsigen Burschen, welche auf die Nachricht von dem Einmarsch der Deutschen aus der ganzen Stadt hierher geeilt waren und sich nun skandalbereit herumtrieben. Man sah nur wenige wirklich anständige Menschen, die Fensterläden aber waren in allen Etagen fest verschlossen oder schienen wenigstens fest verschlossen zu sein, denn manchmal konnte man deutlich wahrnehmen, wie sie sich leise bewegten, wie hinter ihnen ein Vorhang sacht zur Seite geschoben wurde und wie das neugierige Gesicht einer Pariserin dahinter sichtbar wurde, um sofort wieder zu verschwinden, wenn man lachend die Aufmerksamkeit der umstehenden Soldaten darauf zu lenken suchte.

Gegen zwei Uhr endlich rückten die Baiern in geschlossenen Massen an. Ihrem Einmarsch schien sich für den Augenblick ein Hinderniß entgegenstellen zu wollen, als hinter dem Triumphbogen eine Rotte Blousenmänner und Gassenbuben – wohl tausend Köpfe stark – eine Erdbarricade aufgeworfen hatten und ihr republikanisches Leben auf dem Altar des Vaterlandes hinopfern zu wollen schienen. Ein betäubendes Gebrüll tönte den Anmarschirenden entgegen; die aber ließen sich nicht weiter irre machen, sondern schwenkten nach kurzem Besinnen mit rauschender Musik links um den Triumphbogen herum und die Pariser Maulhelden waren um ihren Theatercoup, auf den es doch allein abgesehen war, in der einfachsten Weise gebracht. Freilich begleitete die Baiern unbeschreibliches Zischen fort und fort, jene marschirten in unveränderten Reihen weiter, lachend hörten sie Alles mit an, indeß der süße Pöbel straßenbreit Arm in Arm dem Musikcorps vorauf und neben ihm hinzog, entweder pfeifend oder die Marseillaise singend. Das dauerte bis zum Concordienplatz, wo die Baiern die Gewehre zusammenstellten, indeß die Menge sich vertheilte und größtentheils wieder dem Triumphbogen zulief, den neu ankommenden Regimentern den gleichen Empfang zu bereiten. Ueber den mit seinen kolossalen Formen schwerfällig in die Höhe ragenden Triumphbogen glaube ich hier kein Wort der Beschreibung verlieren zu müssen, da er schon so oft geschildert worden ist und da ich auch hoffen darf, in meiner Illustration die Raumverhältnisse des gewaltigem Baues mit größter Genauigkeit wiedergegeben zu haben. Der Generalstab, den ich auf meinem Bilde gezeichnet habe, passirte etwa eine halbe Stunde nach den Baiern den Triumphbogen, ebenfalls außen links herum, dann aber sich dicht an den Bogen wieder hindrängend und gegen die Mitte einschwenkend; es war der des General von Tümpling.

Es wurde nach und nach Abend, die Soldaten hatten sich in ihren Quartieren zurechtgefunden und standen oder promenirten nun mit ihren mächtigen deutschen Tabakpfeifen in den schönen Straßen von Paris herum. Auch ich mußte auf ein Nachtquartier denken und wendete mich deshalb nicht umsonst an einen jungen Unterofficier vom zweiundzwanzigsten Regiment, der mich mit der größten Bereitwilligkeit und Freundlichkeit in seiner Wohnung, Rue Mac Mahon 113, aufnahm. Ein herrlicher Mondschein ließ mich indessen noch nicht zur Ruhe kommen, ich trieb mich mit den Soldaten auf den halbdunkeln Straßen herum, gleich ihnen mit den Einwohnern Bekanntschaft machend, oder nach einem Glas Wein oder Bier fahndend, bis der Zapfenstreich auch dem ein Ende machte und die letzte Strophe der vielen schönen deutschen Lieder verhallt war, welche unsere wackeren Soldaten am Bivouacfeuer auf den Plätzen und umdrängt von den lauschenden Parisern sangen.

Am nächsten Morgen trieb es mich hinüber in das eigentliche Paris. Eine Zeit lang ging ich unschlüssig an den Uebergängen hin und her, die – es mochte nun ein Platz, oder eine Straße, oder eine Brücke sein – diesseits wie jenseits auf einer Entfernung von zwanzig bis vierzig Schritten von deutschen und französischen Posten bewacht wurden. Bald aber sah ich, daß heute der Verkehr herüber wie hinüber ungehindert stattfand, während er Tags zuvor nur mit Passirscheinen möglich gewesen war; so schlug ich mich denn ohne Besinnen durch die Posten und war denn auch in wenigen Minuten drüben. Mit klopfendem Herzen, ich gestehe es, denn wenn ich auch selbst Tags und Abends zuvor keine einzige Ruhestörung mitangesehen hatte, so war mir doch von dieser und jener Brutalität Kunde geworden, die sich der Pariser Pöbel an anderen Orten gegen Männer und Frauen erlaubt hatte, denen das Unglück begegnet war, sein Mißtrauen zu erregen oder sein Mißfallen auf sich zu ziehen.

Auch hier in den Straßen fand ich in der Nähe der Demarcationslinie fast alle Läden geschlossen, dafür lagerten überall französische Truppen – an der Madeleine-Kirche, auf dem Platze Vendome, sowie in den anstoßenden Straßen, war Alles voll Mobilgardisten; Chasseurs zu Pferde, sowie die ehemalige Kaisergarde zu Pferde ritten unaufhörlich mit gezogenen Säbel die Straßen auf und ab. Ich näherte mich den schönen Boulevards, und das herrliche, sonnendurchglänzte Frühlingswetter begünstigte meinen Einblick in das Pariser Leben. Vor den dichtgefüllten Cafés waren ganze Reihen Stühle hintereinander aufgestellt, mit Mobilgardisten und anderen Gästen, Herren und Damen besetzt – das wogte und schwirrte und plauderte und lachte durcheinander, als ob die Welt im tiefsten Frieden läge, und als ob die deutsche Armee sich ganz wo anders befände, und nur nicht in der „heiligen Stadt“ Paris. Omnibusse fuhren vorbei, der Verkehr, den sie vermittelten, war der lebhafteste. Es war nur schade, daß ich nirgends lange verweilen und noch weniger die Straßen oder die Menschen mit der dem Fremden eigenen Neugierde betrachten durfte. Manchmal mochte mir das denn doch wohl passiren, so sehr ich auch auf der Hut zu sein bestrebt war; dann aber konnte ich gleich bemerken, wie Vorübergehende oder Umstehende mich in höchst fataler Weise zu mustern begannen – ja, ein paarmal hörte ich auch in’s Ohr sagen: „voilà un Allemand.“ Ich ließ mich aber nicht einschüchtern: hatte ich mir doch Maryland-Cigaretten gekauft, mit denen ich trotz dem echtesten Pariser drauf losqualmte; hatte ich mich doch mit der neuesten Nummer des Journal officiel versehen, in der ich, wie fast jeder Pariser, mit dem größten Eifer zu lesen begann, sobald ich etwas Unheimliches zu bemerken glaubte, im Portemonnaie hatte ich gleichfalls vorsichtiger Weise nur französische Münze, und so schlenderte ich denn die Boulevards entlang, scheinbar ganz unbekümmert, die Maryland-Cigarette im Munde, die Linke in der Hosentasche und in der Rechten das Zeitungsblatt, bereit zum augenblicklichen Gebrauch.

Am Boulevard St. Denis bog ich rechts ab nach den Tuilerien zu, glaubte aber in einer Restauration des Boulevard de Sebastopol noch einmal einkehren zu müssen, denn ich hatte einen unbändigen Hunger. Auf der Firma hatte ich gelesene: Déjeûner et dîner. Hier hoffte ich mich in Ruhe erholen zu können und bestellte mir denn sofort beim Eintritt eine Flasche Bordeaux und ein Dejeuner. Der Garçon sah mich eigenthümlich von der Seite an und verschwand. Ich blieb lange allein und es fing mir an unhaglich zu werden, zumal als ich bemerkte, daß durch das in die Gaststube führende Küchenfenster nacheinander mehrere Gesichter zum Vorschein kamen, die mich ziemlich unfreundlich anstierten und bei der ersten ungeduldigen Bewegung meinerseits wieder verschwanden. Ich überlegte eben, ob es nicht passend für mich sei, unter solchen Umständen einen concentrirten Rückzug anzutreten. Da trat der Garçon wieder in das Zimmer. Er trug eine Flasche in der Hand, bei deren Anblick mir etwas leichter um’s Herz wurde. Die Flasche schob er mir verdrießlich hin, dabei kurz bemerkend, zu essen könne ich nichts bekommen. Vermuthlich um die Wahrheit seiner Behauptung zu bekräftigen, hatte er die Küchenthüre offen stehen lassen, durch die mir ein so vollkräftiger Geruch von Gebratenem und anderen Delikatessen in die Nase stieg, daß mein Magen noch mehr gereizt und daß mir fast übel wurde. Aber ich bezwang mich; schweigend und duldend goß ich die Flasche Bordeaux in den leeren Magen und eilte dann, nach geschehener Bezahlung, aus der ungastlichen Höhle, meinen dringendsten Hunger bei einem Bäcker mit Weißbrod zu stillen.

Am Louvre, in der Rue Rivoli fand ich große Aufregung. Da, wo der Eingang von dieser Straße in die Tuilerien ist, wogte eine ungeheure Volksmasse hin und her, Schreien, Zischen, Heulen, Pfeifen erfüllte fast betäubend die Luft. Die hohen starken Gitterthore waren geschlossen; Jungen waren an denselben in die Höhe geklettert, als ich aber näher kam, sah ich, daß es sich um eine Demonstration gegen deutsche Soldaten handelte, welche compagnieweise im Louvre herumgeführt wurden. Der Pöbel entblödete sich nicht, durch das Gitter die Unbewaffneten mit Steinen zu bewerfen. Hier war nicht gut sein. So trollte ich denn eine Strecke unter den schönen Arcaden der Rue Rivoli hin, kaufte mir einige Ansichten von der „heiligen Stadt“ und machte mich alsdann wieder auf den Heimweg nach dem „deutschen Paris“.

Hier war mir noch eine kleine Ueberraschung vorbehalten und nicht die angenehmste. Während ich mich in dem „französischen Paris“ herumgetrieben hatte, war von diesem die Weisung an die

[236]

Der Einzug der deutschen Truppen in Paris am 1. März 1871.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Feldmaler F. W. Heine.

[238] Demarcationslinie ergangen, keinen Menschen mehr weder herüber noch hinüber passiren zu lassen. Dieser Umstand eröffnete keine erfreuliche Aussicht für mich, und ich fand es nichts weniger als wünschenswerth, noch länger oder gar noch die kommende Nacht mitten in der fanatisch aufgeregten Bevölkerung zu verweilen. Aber auch die Pariser waren mit der getroffenen Anordnung unzufrieden. Viele von ihnen waren ja in der gleichen Lage wie ich, so daß es an höchst unliebsamen Erörterungen nicht fehlen konnte. Die Masse der heimwärts Begehrenden häufte sich an einzelnen Punkten so sehr an, daß eine Verstärkung der Wachen sich nöthig machte; trotzdem gelang es weder mir noch Anderen, die Postenkette zu durchbrechen.

Der erwähnte Befehl war so unerwartet gekommen, daß eine Frau, die nur wenige Häuser von der Demarcationslinie wohnte und nur gegangen war, einen Eimer Wasser zu holen, nun mit diesem und in bloßen Armen auf der Straße stand, ohne zurück zu können. Es war eine höchst ergötzliche Scene, ihren ausbrechenden Unmuth zu beobachten; trotzdem wuchs meine eigene Unruhe von Minute zu Minute, denn schon an zwei Stunden irrte ich längs der Demarcationslinie hin, ohne irgendwo durchschlüpfen zu können. Endlich kam ich in ein kleines Gäßchen, wo nur zwei Posten standen und wo der Verkehr des Publicums gleich Null war. Ich machte mich an die beiden Mobilgardisten heran und fand sie freundlicher, als ich hoffen durfte. Noch ein paar eindringlich bittende Worte meinerseits, dann ein Lächeln des einen Mobilgardisten, zuletzt eine artig gewährende Handbewegung des andern und ich war wieder im „deutschen Paris“. Ich athmete aus vollem Herzen auf; dann aber dachte ich zunächst an meinen Magen, dem den ganzen Tag wider meinen Willen die größte Mißachtung meinerseits widerfahren war, und als ich auch diese Pflicht freudig erfüllt hatte, machte ich mich über Courbevoie, Colombes und Argenteuil wieder auf den Heimweg hierher nach Margency, wo ich nach fast dreistündigem Marsche gegen acht Uhr ankam, voll der Erinnerungen, welche mir dieser Tag gebracht und welche auch mein ganzes Leben begleiten werden. Ich hätte keinen schöneren, großartigeren und bedeutenderen Eindruck, als diesen Einzug und Aufenthalt in Paris, zum Schlusse mit hinwegnehmen können. Zum Schlusse! Schon in den nächsten Tagen bricht das Hauptquartier seine Zelte hier ab und unser Aller Blicke sind sehnsüchtig nach Osten gerichtet, nach der Heimath.