Meiner Mutter (Langewiesche)
Meiner Mutter.
Wenn wir den ganzen Nachmittag
Umhergetollt in Wald und Flur,
Bis spät uns rief mit dumpfem Schlag
Nach Haus die alte Kirchturmuhr,
Mit übermütigem Gesang,
In schönster Eintracht Arm in Arm
Dem Städtchen zu, den Wald entlang.
Da ragte wohl am Wegessaum
Vor manchem alten Weidenbaum
Wie überlief’s uns heiß und kalt!
Im Nebel auf der Wiese kroch
Manch fabelhaftes Ungetier:
Doch um so lauter sangen wir.
Erst wenn ich unser Haus erreicht
Und in die Stube trat hinein,
Dann ward die bange Brust mir leicht
Im Sorgenstuhle saßest Du,
Ich schmiegte mich an Deine Knie,
Und lauschend fand ich süße Ruh’
In Deiner Märchen Poesie.
Im Dunkeln mich befiel die Angst,
Wie froh ward ich, wenn nebenan
Ein frommes Abendlied Du sangst,
Dann fühlt’ ich durch den dunkeln Raum
Und einen Engel sah im Traum
Ich neben meinem Lager stehn. -
Das ist nun alles längst dahin;
Zerstoben ist der Knabenschwarm,
Gegangen ich schon Arm in Arm.
Im Nebel sich mein Weg verlor,
Und wenn mein Auge rückwärts schaut,
Ragt manche Schreckgestalt empor
Dir, meine Mutter, hat die Zeit
Des Fabulierens Lust geraubt,
Und Deine Märchenherrlichkeit
Mit Alltagssorgen schnöd’ bestaubt,
Auch ihre bösen Furchen schrieb,
Dein Mutterherz bezwang sie nicht
Und Deine treue Liebe blieb!
Und, Mutter, ob Du auch schon längst
Und auch kein Märchen mehr erdenkst,
Ich weiß, daß Du mir Frieden bringst:
Die Angst, die Reue läßt mich los,
Ich werde wieder rein und gut,
An Deiner Brust mein Antlitz ruht.
Wilhelm Langewiesche.