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Merkwürdige englische Rechtsfälle

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Titel: Merkwürdige englische Rechtsfälle
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 9, S. 36
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Merkwürdige englische Rechtsfälle




Ungeachtet der Verkehr zwischen England und seinen amerikanischen Kolonien sehr lebhaft ist und sich daher oft der Fall ereignet, daß Sklaven von Amerika nach England und von da wieder zurückgebracht werden: so ist dennoch die englische Gesetzgebung in dieser Hinsicht äußerst mangelhaft und beschränkt sich auf die bloße Bestimmung, „daß Sklaven, welche den englischen Boden betreten, die Freiheit erhalten,“ ohne über die Frage zu entscheiden, ob dieselben, wenn sie in die Kolonien zurückkehren, wieder in die Sklaverei fallen oder nicht.

In Frankreich, wo jene Bestimmung gleichfalls besteht, kann hierüber kein Zweifel obwalten, da die unter dem Namen des Code noire bekannte Ordonnanz Ludwigs XIV. ausdrücklich die einmal erworbene Freiheit für dauernd erklärt.

Vor kurzem erst hat das Admiralitätsgericht zu London ein Urtheil gefällt, das wir unsern Lesern als einen merkwürdigen Beitrag zur Charakteristik der englischen Gesetzgebung nicht vorenthalten dürfen.

Die Frau eines reichen Eigentümers auf Antigoa, einer der antillischen Inseln, welche seit einigen Jahren Wittwe geworden war, kam zur Besorgung ihrer Angelegenheiten nach London und brachte eine hübsche junge Negerin, Namens Grace, mit sich. Nach Beendigung ihrer Geschäfte kehrte sie in die Kolonie zurück. Grace hätte sich ohne allen Zweifel weigern können, ihr zu folgen: allein sie kehrte freiwillig mit zurück und trug nach wie vor die Fesseln einer sanften Sklaverei, welche ihr nicht lästig fielen. Die Kolonialregierung von Antigoa bemächtigte sich indeß bald ihrer Person, nicht etwa um eine Verletzung ihres freien Standes zu rügen, sondern weil sie mit Uebertretung des Gesetzes, welches die Einführung von Sklaven verbietet, in die Kolonie gebracht worden sey. Nach langen Debatten entschied der Gerichtshof der Kolonie, „daß ein Sklave zwar durch seinen Aufenthalt in Großbritannien frei werde, allein wenn er an den Ort zurückkehre, wo er Sklave war, die dadurch gewonnene Freiheit verwirke; daß demnach Grace wieder Sklavin geworden und, da sie mit Uebertretung der Gesetze in die Kolonie eingeführt worden, dem Staate verfallen und zum Dienste auf einer demselben gehörenden Pflanzung zu verwenden sey.“

Von diesem Urtheile wurde von der Eigentümerin an das Admiralitätsgericht zu London, als letzte Instanz, appellirt; aber nicht etwa zum Vortheile der armen Grace, sondern zu ihrem eigenen, indem sie, über das Prinzip mit dem Fiskus einverstanden, daraus die Folgerung zog, daß Grace, da sie freiwillig auf die Freiheit verzichtet habe, wieder ihr rechtmäßiges Eigenthum geworden sey.

Nachdem die Verhandlungen länger als Jahr und Tag gedauert, und die ungeheuren Spalten der englischen Zeitungen gefüllt hatten, fiel endlich das entscheidende Urtheil des Admiralitätsgerichts dahin aus: „die Freiheit eines Sklaven während seines Aufenthalts in Großbritannien sey nur eine bedingte und er verliere dieselbe wieder, wenn er in die Kolonien zurückkehre; da nun aber kein Sklave dort eingeführt werden dürfe, so bleibe Grace dem Staate verfallen.“

Zur Ehre der englischen Nation müssen wir den Whigblättern (Times, Morning-Chronicle, Examiner u. s. w.) die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie ihren Unwillen über einen so entsetzlichen Justizmord nicht verhehlen und den Wunsch aussprechen, daß das Parlament endlich einmal über eine so wichtige Frage eine den Forderungen der Menschlichkeit entsprechende Bestimmung treffen möge.




Ein anderes Beispiel von der Unvollkommenheit des englischen Rechtswesens in vielen Beziehungen gab vor wenigen Monaten ein Rechtsfall vor den Assisen der Grafschaft Surrey wo ein junger Mann Namens Gill zum Tode verurtheilt, und darauf erst – zum Glück noch vor Vollziehung des Urtheils – für unschuldig erkannt wurde.

John Gill, der Sohn von Thomas Gill, einem Kärner in Sunderland war nach Beendigung seiner Lehrzeit bei Mr. Nelson, einem Fleischer in seiner Vaterstadt, als Geselle in Dienst getreten. Im Juni des vergangenen Jahres, faßte er den Entschluß, nach London zu gehen und von dort aus einen Besuch bei seinem Oheim zu machen, der eine Anstellung bei den königlichen Werften zu Portsmouth hat. Er begab sich zur See nach London und setzte nach einem Aufenthalte von zwei bis drei Tagen in der Hauptstadt am 11. Juli seine Reise zu Wagen nach Portsmouth fort. Hier blieb er bei seinem Oheim bis zum 17. desselben Monats, an welchem Tage er sich um drei Uhr Nachmittags zu Fuß auf den Rückweg machte; indem sein Oheim ihn ungefähr acht englische Meilen (vier Stunden) weit begleitete.

Da die Witterung heiß war, setzte er seine Reise die Nacht hindurch fort und rastete des andern Tages bis vier Uhr Nachmittags, wo er sich wieder auf den Weg machte. Er war auf der Straße von Guilford nach London ungefähr 8 Meilen weit gekommen, als er um drei Uhr des Morgens einen Mann überholte, der auf einem Esel ritt und zwei Ochsen vor sich hertrieb. Der Mann fragte ihn, wohin er zuginge, und Gill antwortete: nach London. Nach einigen ferneren Worten fragte er Gill, ob er wohl die Ochsen für ihn nach London treiben wolle? was nach langen Zureden dieser gegen eine Belohnung von 5 Schillingen zu thun versprach, indem ihm die Westminster-Brücke als der Punkt angewiesen wurde, wo sie wieder zusammentreffen wollten. Als er aber zu Wandsworth ankam, holte ihn eine Person ein, die ihn anklagte, die Ochsen gestohlen zu haben; und da er über die Art, wie er zu denselben gekommen sei, so wenig, als über seine Person genügende Auskunft zu geben wußte, so wurde er in das Gefängniß geworfen, am sechsten August zu Croydon vor die Assisen der Grafschaft Surrey gestellt, schuldig erklärt: „zwei Ochsen, das Eigenthum von Mr. Thomas Drewit verbrecherischer Weise gestohlen zu haben“ und den Gesetzen gemäß zum Tode verurtheilt.

Hinreichend, ihn für schuldig zu erklären, war das Zeugniß des Mannes gewesen, der ihn zuerst angehalten hatte und der zugleich ein Sohn des Klägers war, und die Aussagen von einem Diener des Klägers und dem Policeibeamten, der den Gefangenen verhaftet hatte.