Messenhandel
[801] Messenhandel. In der St. Lorenzkirche zu Rom befindet sich ein Altar, mit ganz besonderm Vorrecht ausgestattet. Durch jede an diesem Altar auf gläubige Bestellung hin gelesene Messe wird nämlich nach päpstlicher Bestimmung irgend eine „arme Seele“, die der Meßspender nennen mag, schnurstracks von den zeitlichen Qualen des Fegefeuers erlöst und in die ewigen Freuden des Himmels hinübergeführt. Für den Fall, daß benannte Seele durch glücklichen Zufall, was man nicht wissen kann, den Reinigungsort schon verlassen hätte, wäre der „liebe Herrgott“ genöthigt, eine andere Seele für das Paradies auszuwählen; denn die Messe ist zu packend, zu kräftig: eine Erlösung muß stattfinden. Eine so außerordentliche Messe kann natürlich für gewöhnlichen Preis nicht gelesen werden. Sie gilt und kostet auch mehr. Fester Preis: 1 Ducaten, gleich 5 Franken oder 1 Thaler 10 Silbergroschen.
Unter so lockenden Umständen mag es nicht auffallen, daß der Messenhandel am bevorzugten Altar in der St. Lorenzkirche zu Rom kein geringer ist. Daher ist auch der Andrang des Publicums zum Besten „lieber Abgeschiedener“ so groß, daß oft Restanzen in Messen bleiben, die außerordentliche Deckungsmittel erfordern.
Eine solche Restanz war es, als in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts eines schönen Morgens achttausend Ducaten glänzend im Sparhafen der St. Lorenzkirche lagen für achttausend Messen, die für achttausend arme Seelen gelesen sein sollten und noch nicht gelesen waren. Die Mönche nämlich, denen hier das Meßgeschäft oblag, waren an Zahl zu gering, um den massenhaften Bestellungen entsprechen zu können, und an Geiz zu schwer, um so gut bezahlte Messen auch nur aushilfsweise anderen Priestern gegen entsprechenden Rabatt abzutreten. Aus solcher Bedrängniß konnte nur der Papst als „Herr aller Seelen im Fegefeuer“ retten. Daher veranlassten die armen Mönche ihren Prior, zum Papste zu gehen und um die Ermächtigung zu bitten, die achttausend Messen in einer abfertigen, beziehungsweise achttausend Seelen gegebenen Falls durch eine Messe vom Fegefeuer befreien zu dürfen.
Gesagt, gethan. Der Prior begab sich eines Tages zum Papste, erzählte den Nothfall, bat um besagte Ermächtigung und betonte namentlich, daß es ihm schrecklich sei, die achttausend armen Seelen, die schon erlöst sein sollten, noch immer in dem Qualme des Fegefeuers zu wissen, wenn sie nicht durch glücklichen Zufall schon erlöst wären; aber auch dann hätten andere achttausend Seelen ein Anrecht auf Erlösung. …
Der Papst ließ ihn ausreden. Dann tadelte er scharf die fahrlässige Gleichgültigkeit der Mönche, besonders weil es sich hier nicht um ihre eigenen, sondern um die Interessen gläubiger Söhne der Kirche und armer Seelen handle. Doch ließ sich der Papst die Bittschrift überreichen, las und unterzeichnete die Ermächtigung. Der Prior, außer sich fast vor [802] Freude, so wohlfeilen Kaufs wegzukommen und achttausend Dukaten einstecken zu dürfen, wußte nicht, wie er dem Papste danken sollte; doch zog er sich endlich unter den üblichen Kniebeugungen zurück und wollte schon die Thür öffnen, als Gregor der Sechszehnte ihn plötzlich zurückrief.
„Wir haben vergessen,“ sprach der Papst, „Ihnen zu sagen, daß die achttausend Ducaten als Almosen für den Papst zu betrachten sind; ich werde die Messe selbst lesen,“ nahm, ohne sich weiter um den Prior zu kümmern, ein Buch vom nächsten Tische und las. Der Prior stand wie vernichtet; die Pille war bitter, doch er mußte sie schlucken. Daher war es kein Wunder, ihn, als er die Treppe hinabging, Worte murmeln zu hören, die Alles eher, als Segenswünsche waren.
Andern Tags begab sich Gregor wirklich an besagten Altar in der St. Lorenzkirche, las die Messe und ließ sich die achttausend Ducaten ausbezahlen. Einen großen Theil dieser Summe verschenkte er an seinen jungen Freund Gaëtanino; den Rest aber behielt er für sich. –
Ein anderes Mal kam ein Bauer in die St. Lorenzkirche und verlangte eine Messe, die sogleich gelesen werden sollte und die er selbst bedienen wollte. Seinem Wunsch willfahrend, steckte sich denn auch ein Mönch in’s priesterliche Gewand und begab sich mit dem demüthigen Landmanne an den bevorzugten Altar. Nachdem die Messe gelesen, verlangte der Sacristan den Ducaten.
„Bin ich aber auch gewiß,“ entgegnete der Bauer, „daß die Seele meines Vaters im Himmel ist?“
„Zweifeln wäre Sünde,“ sagte der Sacristan voll gläubigen Ernstes, „oder glaubst Du vielleicht nicht an die Wirksamkeit des Sündennachlasses in dem Augenblicke, wo ihn der meßlesende Priester ertheilt? Seufzte die betreffende Seele wirklich noch im Fegefeuer, so haben die Engel sie bereits geholt und in die ewigen Freuden des Paradieses getragen.“
„Um so besser,“ antwortete schnell gefaßt der Landmann, „denn ist die Seele meines Vaters einmal im Paradies, so wäre es ungeschickt von ihr es wieder zu verlassen, und dumm von mir, einen Ducaten zu zahlen.“
„Wie!“ rief der Bruder, welcher die Messe gelesen hatte, „Ihr unterstündet Euch …“
Doch die Worte des erzürnten Bruders verhallten ungehört; denn der Bauer war längst flüchtigen Fußes davon geeilt. Wenn wir auch das unredliche Gebahren des Bauern nicht billigen, so beweißt es doch die Mißachtung mit der selbst Leute dieses Schlages den schmählichen Meßhandel betrachten.