Mordi’s Garten, ein dramatisirtes Mährchen
Mordi’s Garten,
ein
dramatisirtes Mährchen
in vier Akten.
Herr Mordi, | erst ein Ungeheuer, hernach ein König. |
Schira, | ein reicher Kaufmann. |
Astralle | seine Töchter. |
Hirlanda | |
Roselinde | |
Sami | Schira’s Diener. |
Lugar | |
Guran | |
Ein Meister Arzt. | |
Besenstielchen. | |
Rauna | Königstöchter. |
Billowa | |
Lodissa |
Mehrere Diener Mordi’s und Schira’s. |
Miß Käthchen, im Anfange Misekätzchen. |
Hunde, Störche und dergleichen Diener Mordi’s. |
Minister, Räthe, Gefolge. |
Ein breiter Weg zieht durch hohe, blühende Bäume: neben dem Wege blühen mancherlei Blumen. Ein wenig vom Wege entfernt steht ein Rosenstock mit einer einzigen eben aufblühenden Rose. Etwas ferner sieht man dichte Lauben und schattige Gänge. Im Hintergrunde steht ein prächtiges Schloß, über welches ein hohes Gebirge hervorragt, auf dem einzelne rauchende Hütten zerstreut liegen.
- Schira,
- auf einem schönen Arabischen Rosse reitend, hinter ihm seine Knechte mit reich beladenen Kameelen. Er hält sein Pferd an, und ruft zurück.
Haltet, Knechte! laßt die Thiere
Von der Fahrt ein wenig rasten.
Mögt auch selbst ein wenig ruhn.
Früh sind wir ja aufgebrochen,
Und es war der Weg beschwerlich,
Bin des Reitens selber müde.
Er steigt ab, und winkt einem Diener.
Sami, nimm mein Roß am Zügel,
Führ’ es, bis es sich verkühlet.
Sami
nimmt das Roß, und führt es auf und ab.
Schira, umhersehend.
Ei, welch blumenreicher Garten
Ist das nicht, in dem wir weilen.
Wer nur in dem Garten lebte,
Wer die Herrschaft jenes Schlosses;
Müßte glauben, Frühling sey es,
Während draußen vor dem Garten
Schon der Herbstwind von den Bäumen
Roth und gelbe Blätter schüttelt.
Sami.
Ja, das ist auch Mordi’s Garten,
Wo die Blumen immer blühen.
Schira.
Mordi’s Garten? Wer ist Mordi?
Sami.
Herr, nachher sollt Ihrs erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Hier getrau ich’s nicht zu sagen.
Schira.
Furchtsam Herz! Ich kenn dich, Alter.
Steckt dein Kopf doch voller Mährchen,
Die verwirren dir die Sinne.
Sami.
Hütet Euch, daß Ihr nicht selber
In ein Mährchen Euch verstricket.
Folget meinem guten Rathe,
Und verlaßt Herrn Mordi’s Garten;
Haltet wenigstens Euch ruhig.
(zu den Knechten:)
Und ihr Andern, bleibt im Wege,
Daß die Thiere nichts zertreten!
Hütet euch vor Mordi’s Rache.
Schira.
Hat ein Wahnsinn dich ergriffen,
Alter? bist du närrisch worden?
Sami.
Herr, befolget, was ich sage,
Denn ich kenne wohl den Garten;
Wohnt ich einst doch in der Nähe. –
Seht Ihr dort die Hütten rauchen?
Dort stand meines Vaters Hütte,
Dort erzählte mir die Mutter
Manches wunderliche Mährchen,
Und dann wies sie oft herunter,
Sprechend: „Seht, dort ist’s geschehen!
Dort steht noch Herrn Mordi’s Garten.
Darum bleibt hier auf den Bergen,
Hütet euch vor Mordi’s Rache!“
Schira.
Dort im Schlosse wohnt Herr Mordi?
Sami.
Schweigt, o Herr, ich bitt’ Euch herzlich!
Alles sollt Ihr ja erfahren,
Wenn wir aus dem Garten ziehen.
Nur verschont mich jetzt mit Fragen.
Schira, unwillig.
Läppisch Kind mit grauem Kopfe!
Solltest dich der Einfalt schämen.
So behalte dein Geheimniß,
Deine dummen Ammenmährchen!
Will sie jetzt auch gar nicht wissen.
Aber geh mir aus den Augen,
Und im Zuge sey der Letzte.
Führ’ ein Andrer meinen Rappen,
Daß ich ihn heut nicht mehr sehe.
Guran
nimmt ihm das Roß ab, und Sami geht traurig auf die Seite.
Lugar kommt.
Sollen wir ein Zelt Euch spannen,
Das Euch vor der Sonne schirmet?
Schira.
Laßt’s. Wir rasten hier nicht lange,
Stehn ja hier auch viele Bäume,
Ferne dort auch kühle Lauben,
Drin ich kühlen Schatten fände.
Doch mich lockt der schöne Garten,
Näher mir ihn zu betrachten.
(Er geht herum, und betrachtet die Blumen.)
Sieh doch! blühn ja hier versammelt
Alle Blumen, die ich kenne.
Nur die Königinn der Blumen,
Nur die Rose seh’ ich nirgend.
Und vor allen möcht’ ich grade
Eine Rose mir jetzt pflücken,
Denn es mahnen mich die Blumen
An ein unerfüllt Versprechen.
– Als ich auszog aus der Heimath,
Fragt’ ich meine Töchter alle:
Was soll ich euch aus der Ferne
Bringen, wenn ich wiederkehre?
Und es forderten die ältern
Sich ein Kleinod zum Geschenk.
Doch als ich die dritte fragte,
Meine zarte Roselinde:
Sprich, was soll ich für ein Kleinod
Dir mein herzig Mädchen bringen?
Sprach sie: Bring von deinen Fahrten
Mir, o Vater, nichts zum Schmucke,
Nichts, als nur ein frisches Röslein.
Das versprach ich, nicht bedenkend,
Daß ich mit dem Herbst erst wieder
Mich zu meiner Heimath wende. –
Unter vielen reichen Waaren,
Die ich zum Verkauf’ ertauschet,
Bring’ ich auch, was ich versprochen,
Meinen beiden ältern Töchtern. –
Roselindens frisches Röslein
War mir aus dem Sinn gekommen.
Hier kann ich es ihr nun suchen.
Und in feucht genetztem Moose
Hält es sich wohl frisch und blühend,
Bis ich es nach Hause bringe,
Was bis morgen kann geschehen.
Lugar.
Täuscht mich nicht mein Auge? sehet,
Blüht dort nicht ein frisches Röslein,
Schön, wie Roselindens Wangen?
Schira.
Nein, es täuscht dich nicht dein Auge;
Ja, das ist ein frisches Röslein!
Und wie schön! es faltet eben
Aus dem grünen Kelch die Blätter,
Die erröthend sich in Fülle
An das Licht der Sonne drängen.
(Er geht hin, die Rose zu brechen.)
Komm, du Röslein, laß dich brechen!
Sollst mein frommes Kind – –
Sami
(stürzt ihm in den Weg und läßt sich auf die Kniee.)
O, haltet!
Zürnet, Herr, so viel Ihr wollet,
Stoßt mich ganz aus Euern Diensten,
Stoßt mich alten Mann ins Elend –
Aber schonet Euch nur selber,
Brecht von Mordi’s Blumen keine.
Schira.
Bist du ganz von Sinnen, Alter?
Sami.
Laßt, o laßt die Rose stehen.
Schira.
Sami, stelle nicht zu lange
Meine Nachsicht auf die Probe,
Daß ich deine früh’re Treue
Nicht um deiner Thorheit willen
Gar vergesse. – Und was ist es
Denn am Ende werth der Rede?
Mag Herr Mordi seine Rose
Höher achten, als wir glauben, –
Wäg ich sie ihm auch mit Golde,
Wird er sich zufrieden geben;
Und der Kauf soll mich nicht reuen,
Müßt ich zehnfach Goldesschwere
Für das frische Röslein wägen,
Um es meiner Roselinde
Von der Fahrt mit heim zu bringen,
Wie beim Abschied ich versprochen.
Darum geh, laß mich gewähren!
(Er stößt ihn zurück, und bricht die Rose.)
Sami.
Herr, Ihr werdet mein gedenken.
Schira.
Wohl, so ist es meine Sache.
(Er betrachtet die Rose.)
Ei, wie herrlich ist das Röslein.
(zu den Dienern:)
Geht, und sammelt in ein Kästlein
Weiches Moos, und netzt’s mit Wasser,
Daß wirs unverwelkt erhalten.
Suchet in der Karawane
Das Kameel mit rother Decke.
Jenes trägt an goldnen Dosen
Einen reichen Schatz. Die größte
Soll das frische Röslein bergen.
Einige Diener abgehend.
Herr, wir werden’s gleich besorgen.
Schira zu Sami.
Nun, hier hab ich ja die Rose,
Und was ist uns denn geschehen?
Siehst du, alter Mährchenvater,
Wie du kindisch bist und albern!
Sami.
Herr, o Herr, lacht nicht zu frühe,
Sind wir erst aus Mordi’s Garten,
Dann erst kann ich auch mich freuen.
Ein Diener laufend.
Wehe, Herr, es kommt!
Schira.
Was kommt denn?
Diener.
Schwarz und feurig.
Andere Diener, laufend.
Zähne so lang!
Schira.
Was denn!
Diener.
Ohren so groß!
Schira.
Was denn?
(Man hört stark und dumpf brüllen.)
Diener.
Hört Ihr?
Andere Diener kommen gelaufen.
Rettet, rettet!
Sami.
Gelt, ich sagt es?
Hättet Ihr nur glauben wollen!
Schira.
Feige Knaben! warum rennet
Ihr so thöricht?
Knechte.
Hättet Ihr es
Nur gesehen. –
Schira.
Groß und schwarz ists?
Zähne so lang, Ohren so groß –?
(Er lacht:)
Was Unwissenheit nicht thun kann!
(Er lacht noch stärker:)
Knechte.
Ja, die Nase, Herr! die Nase!
Schira noch stärker lachend.
Nun, die Nase, ja die Nase!
Dann ists eben so gewisser
Nur ein Elephant gewesen,
Und vermuthlich gar ein zahmer,
Den Herr Mordi sich gezogen.
Diener.
Aber, Herr, die Feueraugen –
Schira.
Die du in der Angst gesehen?
Waren klein, wie Ochsenaugen.
Hundertmal hab ich’s gelesen,
Und in Bildern oft gesehen.
Schämt euch, schämt euch, o ihr Thoren!
(Man hört ganz nahe fürchterlich brüllen: Blut! Blut! Blut!)
Schira fährt erschrocken zusammen.
Guran bringt das Roß.
Gelt, Ihr schreckt doch auch zusammen?
Setzet Euch auf Euern Rappen,
Und entflieht so schnell Ihr könnt.
Sami.
Ist zu spät, da kommt er eben.
Mag Euch jetzt der Himmel schützen.
Guran, Lugar, Diener, Knechte laufen ab.
Sami bleibt in nicht großer Entfernung stehen.
Mordi kommt.
(Er ist ein Ungeheuer mit großem schwarzem Kopf mit zwei faustgroßen feuerfarbenen Augen; zwei große schwarzzottige Schlappohren hängen ihm bis auf die Schultern; auf der Stirne sitzen ihm zwei dicke aber kurze, stumpfe Hörner; zu dem Rachen stehn ihm, auf- und abwärtsgebogene große, sehr spitze Zähne hervor, und darzwischen hängt ihm eine große blutrothe Zunge weit herab. Die Nase ist aufwärts gebogen und beweglich. Sein Leib gleicht einer ungeheuern Raupe, ist mit schwarzen Schuppen auf dem Rücken, mit gelblich rothen am Bauche bedeckt, und endigt sich in einem langen Schlangenschwanz, auf dem er aufrecht steht. Die Arme sind riesenhafte Adlersfüße mit scharfen Krallen.
Es geht auf Schira zu, der zitternd stehen bleibt, umschlingt ihn mit seinem Schwanze, und packt ihn mit der Kralle an der Schulter; dann spricht er sehr dumpf und langsam:)
Schira, Schira, mußt es büßen!
Reicher Kaufmann mußt bezahlen!
Hast mein Röslein abgebrochen,
Mußt das Röslein theuer zahlen.
Schira ängstlich.
Fordert nur, wir werden hoff’ ich
Handels einig. – Aber lasset
Eure Krallen – Seid nicht böse –
Eure Nägel, wollt’ ich sagen –
Bitte, laßt sie mir vom Leibe.
Mordi schäumend.
Meiner Rache bist verfallen,
Darum fühle meine Krallen.
Drücke dir sie bis ins Blut,
Blut nur büßt den Frevel gut.
Schira.
Ach, mein Herr, seid nur vernünftig,
Fordert nur, ich will ja gerne,
Was Ihr fordert, Euch bezahlen.
Fordert Geld, so viel Ihr wollet.
Mordi.
Geld? ich hab’ genug des Quarkes.
Schira.
Nun, wie kann ich denn bezahlen?
Mordi.
Du bezahlst mit deinem Leben.
Schira.
Mit dem Leben?
Mordi.
Mit dem Leben!
Schira halb für sich klagend.
Meine fromme Roselinde,
Du begehrtest das Geringste,
Und dieß kostet mich am meisten.
Das hast du wohl nicht gefürchtet,
Daß dein Vater mit dem Leben
Dir dein Röslein kaufen würde?
Mordi.
Hattest du für Roselinde
Dieses Röslein abgebrochen?
Schira.
Ja, ich brach’s für Roselinde.
Mordi.
Wohl, so magst du weiter ziehen,
Magst ihr auch das Röslein bringen,
Daß sie sich mit selbem schmücke.
Du bist frei von jeder Strafe.
Aber sie, die es begehret,
Sie, für die du es gebrochen,
Mußt du mir zu eigen geben.
Schira.
Roselinde Euch zu eigen?
Mordi.
Ja, so sagt ich: mir zu eigen.
Schira.
Laßt Ihr Euch denn nicht erbitten?
Seht, da hab’ ich hundert Thiere,
Jegliches ist reich beladen,
Jegliches mit andern Waaren,
Die in diesem Lande fremd sind,
Jegliche von großem Werthe –
Wählt Euch nur, was Euch gefällig.
Mordi.
Roselinde will ich haben.
Schira.
Ach, was wollt Ihr mit dem Kinde?
Wenn Ihr es auch fressen wolltet –
O, verzeiht! ich wollte sagen:
Wenn Ihr es auch essen wolltet –
Denkt, sie hat erst zehn, elf Jahre!
’s ist kein guter Bissen an ihr;
Junges Fleisch ist gar nicht kräftig.
Mordi.
Roselinde will ich haben!
Mach’ mich nur nicht ungeduldig.
Schira.
Bitt’ Euch, denkt an Euern Magen!
Fraget nur einmal den Doktor,
Solches Fleisch kann nicht gesund sein.
Wollt Ihr Euch um’s Leben bringen?
Mordi.
Willst du noch in Zorn mich bringen?
(Er faßt ihn, und schüttelt ihn von Neuem mit den Krallen seines Arms:)
Nun, so fühle meine Krallen!
Soll ich Roselinde haben?
Schira.
Au, au, au! so zwingt Ihr freilich
Endlich mich, nur ja zu sagen.
Mordi ihn loslassend.
Wirst du endlich doch vernünftig?
Schira.
Ach, ich bin es ja schon lange,
Aber Ihr – verzeiht! ich meine,
Ihr thut klüger – Seht die Thiere!
Seht nur hier wie reich beladen!
Nehmt so eins; laßt mir das Mädchen.
Mordi.
Was?
Schira.
Nun zwei? – Auch vier nicht? – Sechse?
Zwölfe? – Zwanzig? – Aber vierzig?
Mordi geht auf ihn zu.
Schira, vor ihm laufend.
Auch vierzig nicht? – dann sechzig? achtzig?
Mordi umschlingt ihn wieder.
Schira.
So nehmt sie meinetwegen alle.
Mordi schüttelt ihn.
Will ich denn Kameele haben?
Schira.
Roselinde wollt Ihr haben.
Mordi.
Schwörst du mir bei deinem Leben,
Roselinden mir zu senden,
Wenn ich meine Diener schicke?
Schira.
Schwör es Euch bei meinem Leben,
Roselinden Euch zu senden,
Wenn Ihr Eure Diener schicket!
Mordi.
Wohl, nun magst du weiter ziehen.
Meine Diener werden kommen,
Wenn der dritte Morgen scheinet.
(Er geht ab nach dem Schlosse.)
Schira ihm nachsehend.
Ja, nun mag ich weiter ziehen,
Jetzt, nachdem ich hier verloren,
Was das Liebste mir gewesen.
Diener und Knechte kommen furchtsam.
Schira.
Wollt ihr denn hier ewig bleiben
In der Macht des Ungeheuers?
Jeder schnell zu seinen Thieren!
Treibt sie eilig durch den Garten,
Daß wir nicht zum zweitenmale
In die Krallen ihm gerathen.
Die Knechte
jagen ihre Kameele auf, und ordnen sie zum Zuge.
Lugar
bringt eine große goldene Dose und etwas feuchtes Moos.
Hier ist, Herr, die goldne Dose;
Größer konnt ich sie nicht finden.
Doch das Röslein wird hinein gehn.
Schira legt die Rose hinein.
O, du fromme Roselinde,
Dir soll ich das Röslein geben,
Das ich um dich selbst erkaufet.
Das ich mit dir selbst bezahle?
– Ja, du hast es selbst begehret.
O, ich hätt’ es merken sollen,
Als du nur ein Röslein wünschtest,
Daß in dem geringen Wunsche
Noch geheim ein Zauber stecke.
Guran bringt das Roß.
Schira
nimmt den Zügel, und giebt Guran die Dose.
Nimm die Dose, trag sie sorgsam,
Daß du mir sie nicht verlierest.
Sie enthält ein theures Kleinod,
Wohl das theuerste von allen,
Die ich in der Karawane
Diesesmal nach Hause bringe.
(Er steigt auf das Roß.)
Armes Mädchen! armes Mädchen!
Warum mußtest du vor allen
Auf die Rose denn verfallen?
- (Er reitet traurig und langsam ab. Die Diener und Knechte folgen ihm mit den hundert Kameelen in geordnetem Zuge.)
Astralle.
Meine Spitzen sind jetzt fertig.
Jetzt hab’ ich den schönsten Anzug,
Den ich mir nur wünschen könnte:
Denket euch mein Kleid von Scharlach,
Meine goldgestickten Schuhe,
Meine Diamantenringe,
Und jetzt gar mein Spitzenschleier! –
Ach, wie stolz will ich dahergehn!
Meine Perlen in den Haaren!
Aber Eines fehlt noch, – Eines:
Gold’ne Ohrgehäng’ mit Steinen,
Die im Lichte strahlend flimmern.
Doch die bringt mir ja der Vater,
Wenn er kommt von seiner Reise.
Aber dann ist auch mein Anzug
So vollkommen, als nur möglich.
Hirlande.
Und mir fehlt es nur an Ringen.
Weißt du? Ohrgehänge hab’ ich,
Aber keine Demantringe.
Darum sagt ich auch dem Vater,
Als er fragte, was ich wollte:
Schöne Fingerringe möcht’ ich
Wohl an meinen Händen tragen.
Die versprach er mir zu bringen. –
Ach, er bleibt nur gar zu lange
Diesesmal auf seinen Reisen.
Roselinde.
Fast kann ich ihn nicht erwarten.
Als die Veilchen kaum noch blühten,
Zog er mit der Karawane
Nach dem reichen Morgenlande.
Jetzt sind schon die Asterblumen
Bald verblüht, und immer, immer
Will er noch nicht wiederkehren.
Hirlande.
Ei, mich freut’s, wenn lang er bleibet.
Solches ist ein sicher Zeichen,
Daß er viele reiche Waaren
Sich ertauscht in fernen Landen.
Und so wird er immer reicher,
Gar so reich, als unser König,
Und wenn man von uns dann redet,
Sagt man nur: die reichen Damen –
Täglich dürfen wir in Seide
Und in Gold gestickt dann gehen,
Dürfen bei des Königs Festen
Sitzen unter seinen Rittern,
Wie die Gräfinnen und Fräulein,
Spielen dann mit seinen Töchtern,
Tanzen auch mit seinen Söhnen.
Astralle.
Ja, da hast du Recht. Wir sehen
Ja schon jetzt, wie alle Leute,
Die an uns vorüber gehen,
Tief sich neigend uns verehren.
Roselinde.
Ja, sie grüßen uns sehr höflich.
Aber sag mir, liebe Schwester,
Wenn wir nun in schlechten Kleidern
Gingen, wie im Hof die Mägde,
Würden sie dann auch uns grüßen?
Astralle.
Ei, wie dumm!
Hirlande.
Einfältig Mädchen!
Astralle.
Wer wird eine Magd denn grüßen,
Die in schlechten Kleidern gehet,
Wie man reiche Kaufmannstöchter
Grüßet, die in Seide gehen?
Roselinde.
Ei, da grüßen ja die Leute
Uns nicht, sondern unsre Kleider.
Hirlande.
Wie du wieder kindisch redest
Für ein Mädchen von elf Jahren.
(zu Astrallen:)
Komm, Astralle! komm, wir wollen
Uns an’s Kaufgewölbe setzen,
Wo die Leute aus- und eingehn.
Habe von des Königs Hofe
Eingehn sehn zwei hohe Diener,
Die sind immer gar zu höflich.
Ach, wie werden die sich neigen,
Wenn sie uns da sitzen sehen.
(Sie gehen ab.)
Roselinde allein.
Ich weiß nicht, was meine Schwestern
Nur in aller Welt dran haben,
Wenn sie fremde Leute grüßen,
Da man doch ihr Kleid nur grüßet.
Und warum denn möchten gar sie
Mit des Königs Töchtern spielen?
Pfui! mit diesen spielt ich gar nicht!
Hab’ ihnen noch vor wenig Tagen
In dem Garten ihres Schlosses
Beim Spazierengehn begegnet.
Als die Eine springen wollte,
Einen Schmetterling zu haschen,
Sagte gleich die alte Dame
Mit der spitzen, rothen Nase,
Die sie überall begleitet,
Auf Französisch ein Paar Worte:
„Fi ma chère vous êtes prinçesse!“
Und des Vaters Schreiber sagte,
Dieses heiße: „Pfui doch, Liebe!
Schickt sich das für die Prinzessinn?“
Nein, wenn ich nicht laufen dürfte,
Nicht nach Schmetterlingen haschen,
Nicht mit meinem Lämmchen springen,
Nicht im Garten Fangens spielen,
Oder meine Blumen gießen –
Sitzend möcht’ ich gar nicht spielen.
– Ei, da kommt das liebe Mädchen
Aus den kleinen Häuschen drüben,
Wo der Besenbinder wohnet.
Besenstielchen
- guckt furchtsam zur Thüre herein; in der Hand hat sie eine Handvoll Samenkronen vom Löwenzahn.
Darf ich’ rein?
Roselinde.
Ja, Besenstielchen;
Meine Schwestern sitzen unten.
Freilich, wenn die bei mir wären
Würden sie dich von mir schicken;
Denn sie sagen, ich sey reicher,
Hätte viele schöne Kleider,
Und da woll’ es sich nicht schicken,
Daß ich mit dir freundlich spiele,
Denn du hättest schlechte Kleider;
Aber ich hab’ doch dich gerne. –
Ei, was hast du da für Dinge?
Besenstielchen.
Blumenlichter. Guck!
(Sie bläst die Samenkrone von einem Stiel ab.)
Ei, Alles!
Das bedeut’ mir langes Leben.
Roselinde.
Ach, du liebes Besenstielchen,
Sey so gut, schenk mir doch eines.
Besenstielchen.
Da, da!
(Sie gibt ihr alle.)
Nimm nur alle. Morgen
Geh’ ich wieder mit dem Vater
In den Wald nach Besenreisern,
Bring dir da den ganzen Arm voll.
Roselinde bläst eine Samenkrone ab.
Sieh, das hab’ ich ausgeblasen,
Alles ist davon geflogen.
(Sie bläst die andern auch ab.)
Besenstielchen.
Guck, ei, guck! du wirst recht alt noch.
Roselinde.
Ei, wo kannst du das denn sehen?
Besenstielchen.
Ist kein Härchen dran geblieben,
Das bedeutet langes Leben.
Mein’ Großmutter weiß so Vieles,
Die hat mir das auch gelehret.
Aber die muß sehr bald sterben,
Sie hat so ’nen schwachen Athem,
Kann dir keines halb ausblasen,
Bleiben alle beinah hängen.
– Ach, was hast du da für schöne
Rothe Schuh an, Roselinde?
Roselinde zeigt sie.
Gelt, du hast nur immer schwarze?
Schwarze Schuh sind aber besser,
Da darf man doch auf der Straße
Gehn und springen nach Gefallen,
Auf den Wiesen und im Walde.
Aber da mit meinen Schuhen
Darf ich morgens nicht im Garten
Anders, als im Wege gehen,
Weil sie sonst vom Thau verderben.
Ich möcht’ lieber schwarze Schuhe!
Besenstielchen.
Nein, ich nicht, ich lieber rothe.
Roselinde zieht die rothen Schuhe aus.
Da!
(Sie gibt sie hin und springt in den Strümpfen herum).
So ist es noch viel besser,
Ohne Schuh, in bloßen Strümpfen.
Besenstielchen
betrachtet die rothen Schuhe mit Vergnügen.
Roselinde.
Nun, so zieh sie an, sie sind dir
Groß genug.
Besenstielchen.
Ach, nein! ich darf nicht!
Deine Schwestern werden schelten.
Roselinde.
Nein! ach, nein!
(Sie bückt sich, hilft Besenstielchen die rothen Schuhe anziehen, und sich zieht sie die schwarzen Schuhe an.)
Wie angemessen,
Passen sie dir ja am Fuße.
Sieh, jetzt hast du rothe Schuhe.
Besenstielchen.
Dürft’ ich sie nur auch behalten!
Roselinde.
Ei, du sollst sie ja behalten.
Besenstielchen.
Deine Schwestern –
Roselinde.
Ach, das thut nichts.
Aber wart’, zu rothen Schuhen
Steht nicht gut dein braunes Kleidchen.
(Sie fängt an, ihr Oberkleid auszuziehen.)
Komm, ich geb dir auch mein Kleidchen,
Und du mußt mir deines geben.
Besenstielchen fängt an sich auszuziehen.
Ach, das schöne weiße Kleidchen!
– Aber –
Roselinde.
Was denn?
Besenstielchen.
Deine Schwestern!
Roselinde.
Ach, die werden mir nicht zanken,
Hab’ ja noch gar viele Kleider.
So! – Gib mir nun auch die Mütze;
Da hast du mein Bändernetzchen.
(Sie zieht es ab, und setzt es ihr auf.)
Ei, wie steht dir das so niedlich.
(Sie ziehn sich gegenseitig vollends an.)
Roselinde.
Sieh, jetzt bist du Roselinde,
Und ich bin das Besenstielchen.
– Wart, wir wollen ’mal so spielen,
Ich wär du, und käm jetzt zu dir.
(Sie geht zur Thüre hinaus, klopft an, und kommt wieder herein.)
Guten Morgen, Roselinde?
Besenstielchen.
Guten Morgen, Besenstielchen.
(Sie lachen beide).
Roselinde.
Ist dein Vater noch nicht kommen
Aus dem reichen Morgenlande?
Besenstielchen.
Weiß nicht, liebes Besenstielchen.
Roselinde halb still, verweisend.
Ach, das war ja dumm! du wirst doch
Wissen, ob dein Vater hier ist?
(verbessernd:)
Nein, er ist noch nicht gekommen!
Sieh, so hätt’st du sagen sollen.
Besenstielchen.
Frag mich wieder, will’s dann sagen.
Roselinde.
Ist dein Vater noch nicht kommen?
Besenstielchen.
Nein, er ist noch nicht gekommen.
(Man hört vor der Thüre Schira’s Stimme.)
Roselinde freudig.
Ach, da kommt er, Besenstielchen!
Draußen hör’ ich seine Stimme.
Freu dich! freu dich! ja, das ist er!
Besenstielchen.
Könnt ich nur hinaus noch kommen.
Kann ich mich denn nicht verstecken?
(Sie versteckt sich hinter die Tische.)
Schira kommt mit Hirlande und Astralle.
Roselinde dem Vater entgegen.
Bist du kommen, lieber Vater?
Bist du endlich wieder kommen?
(Sie springt an ihm hinauf, und küßt ihn.)
Bist so lange ausgeblieben.
Schira.
Ei, was ist das, Roselinde?
Bist du’s denn?
Roselinde steht beschämt.
Hirlande.
Um Himmelswillen!
Wie ist das denn zugegangen?
Astralle.
Hätt’ ich doch darauf geschworen,
Du seist Nachbars Besenstielchen
Drüben aus dem kleinen Häuschen!
Schira.
Wie kamst du zu diesem Kleide?
Roselinde.
Ach, ich spielte mit dem Mädchen,
Tauschte mit ihm meine Kleider. –
So hab’ ich doch auch ein Kleidchen,
Drin ich auf dem Gras darf purzeln,
Und mit andern Kindern spielen.
Hirlande.
Siehst du, Vater! solche Streiche
Macht sie immerfort. Wir haben
Recht viel mit ihr ausgestanden,
Seit allein wir bei ihr waren.
Und auf uns will sie nicht hören.
Astralle.
Ist so groß und noch so kindisch.
Schira.
Schweigt, o schweigt, ich weiß es lange,
Daß ihr sie auch gern zur Puppe
Putzen möchtet, wie euch selber.
Immer noch das alte Liedchen?
Gleich zum Willkomm nichts als Klagen?
–Und besonders heute müsset
Ihr sie mir nicht schelten. Komm nur!
Komm, mein Roselindchen, komm denn?
(Da Roselinde zu ihm kommt, hebt er sie in die Höhe, drückt sie an sein Herz, seufzt schwer, und die Thränen fallen ihm aus den Augen. Darauf stellt er sie wieder nieder, und spricht zu ihren Schwestern.)
Seht, ihr wißt ja nicht, wie lange
Ihr die Schwester bei euch habet.
Eh’ vielleicht, als ihr es glaubet,
Wird sie von uns scheiden müssen.
Armes, armes Roselindchen!
(Er drückt sie noch einmal heftig und im Schmerz an sich; dann eilt er, seine Thränen verbergend, ab.)
Roselinde sieht ihm weinend nach.
Hirlande.
Ei, was fehlt denn nur dem Vater?
Astralle gleichgültig.
Was wirds seyn? er ist halt traurig.
Ich mag auch nicht immer lachen.
Aergert mich nur, daß er’s grade
Heut zum Willkomm so gewesen.
Jetzt, wer weiß es, noch wie lange
Zeit es dauert, bis wir endlich
Kriegen, was er uns versprochen.
Und ich bin so ungeduldig,
Kann es beinah nicht erwarten.
Hirlande.
Ach, vielleicht hat er es gar nicht.
Roselinde folgt dem Vater nach.
Ich muß sehen, was ihm fehlet.
(ab.)
Lugar und Guran kommen.
Lugar.
Hier, ihr Jungfraun, sind vom Vater
Die versprochenen Geschenke.
Hier die reichen Ohrgehänge.
Astralle nimmt sie ihm schnell ab.
Lugar.
Hier die Diamantenringe.
Hirlande nimmt sie, steckt sie an.
Ach, wie herrlich!
Astralle, ihre Ohrringe betrachtend.
Ach, wie kostbar!
Guran.
Und für Roselinde hab’ ich
Hier ein Röslein in der Dose.
Astralle zeigt nach der Thüre.
Roselinde ist da drinnen.
Hirlande.
Sag dem Vater nur einstweilen
Unsern Dank.
Astralle.
Wir kämen selber
Gleich, bei ihm uns zu bedanken.
Hirlande.
Sag, wir wollten die Geschenke
Hier nur erst noch anprobiren,
Und im Schmucke dann uns zeigen.
(Lugar und Guran ab.)
Hirlande.
Sieh die Ringe! sieh die Ringe!
Just für jeden Finger einen,
Und sie passen, wie gegossen.
Besenstielchen
guckt neugierig hervor, versteckt sich aber sogleich wieder.
Astralle.
Aber diese Ohrgehänge!
Sieh, wie bunt, in Farben spielend!
Rothe, blaue, grüne Lichter!
Wie die Diamanten blitzen!
(Sie zieht sie vor dem Spiegel an.)
Und wie leicht sie angehn, sieh doch!
Hirlande.
Ach, jetzt sind wir gar zu glücklich!
Alles, was wir uns nur wünschten,
Haben wir jetzt, Alles, Alles!
Astralle.
Roselinde war recht kindisch,
Daß sie nur ein Röslein wollte.
Hirlande.
Komm, jetzt wollen wir zum Vater.
Astralle.
Geh, er ist ja gar zu mürrisch.
Hirlande.
Komm, wir müssen ihm doch danken.
Astralle.
Ach was! danken! – Glaub nur sicher,
Das ist ihm für seinen Reichthum
Nichts gewesen, das zu kaufen.
Und er ist ja unser Vater,
Muß uns geben, was wir brauchen.
Bleib nur bei mir. Wenn er wieder
Heiter ist, und seine Waaren
Einmal im Gewölbe ordnet,
Dann, dann wollen wir ihm danken.
Weißt du? dann erzählt er immer,
Wo er das und jenes tauschte,
Und wie viel er dran gewinnet.
Und am Ende gibt es immer
Dann noch allerlei Geschenke.
Hirlande.
Ja, das können wir noch immer.
Aber jetzt laß uns doch sehen,
Thränen standen ihm in seinen
Augen, als er von uns eilte.
Schira kommt mit Roselinden.
Roselinde hat das Röslein vorstecken.
Setz dich daher, lieber Vater,
Sey nicht traurig. – Nein, ich sterbe
Nicht so bald; mich wird’s nicht fressen.
Besenstielchen soll dir’s sagen.
(Sie sieht sich umher.)
Ei, wo ist sie hingekommen?
Besenstielchen schüchtern hinter dem Tische.
Da!
Roselinde.
Ei, wo denn?
Besenstielchen.
Hinterm Tische.
Roselinde will sie hervorziehen.
Ei, so komm doch vor. Gelt, Vater,
Sie darf hier seyn?
Schira.
Ei, ja freilich.
Komm hervor dort, Besenstielchen.
Besenstielchen kommt furchtsam.
Roselinde.
Gelt, ich hab die Blumenlichter
Heute alle ausgeblasen,
Daß kein Härchen dran geblieben?
Besenstielchen.
Das muß wahr seyn, nicht ein Härchen.
Roselinde.
Sag auch, was mir das bedeutet.
Besenstielchen.
Das bedeutet langes Leben.
Schira.
Zeig einmal, lieb Besenstielchen.
(Er nimmt sie beim Arm und betrachtet sie.)
Ei, du siehst wie Roselinde
Völlig aus in diesen Kleidern.
Besenstielchen lacht in sich.
Bin’s doch nicht. – Ei, Roselinde,
Ei da hast du noch ein Röslein?
Schira seufzend.
Ja, da hat sie noch ein Röslein –
Aber denk, um dieses Röslein
Muß sie übermorgen sterben,
Wird ein häßlich Thier sie fressen.
Besenstielchen.
Fressen?
Schira.
Ja, Herr Mordi –
Besenstielchen.
Mordi?
Das ist der dort in dem Garten,
Wo die Blumen immer blühen?
Schira.
Weißt du von ihm?
Besenstielchen.
Ja! Großmutter
Weiß von ihm gar schöne Mährchen,
– Habt Ihr ihm in seinem Garten
Dieses Röslein abgebrochen?
Schira.
Ja.
Besenstielchen.
Für wen man etwas abbricht,
Der muß ihm zu eigen werden.
Nein, dem dürft Ihr sie nicht schicken.
Ach, das arme Roselindchen
Würde sich gar vor ihm fürchten,
Und da würd’ es gleich gefressen.
Nein, da schicket mich hinüber, –
Wär ja Schad um Roselindchen!
Und ich weiß mich gut zu schicken,
Denn ich weiß es aus den Mährchen,
Die Großmutter mir erzählte.
Schira.
Ei, du bist ein braves Mädchen,
Besenstielchen. Ach, ich wollte
Recht für deinen Vater sorgen,
Wollt’ ihm Geld und Waaren geben,
Und ihm sonst noch manche Wohlthat
Bei Gelegenheit erzeigen.
Besenstielchen.
Ach, der Vater wird schon froh seyn,
Wenn er mich nicht mehr darf kleiden,
Und mich nicht mehr muß ernähren.
Denn er klagt ja oft, er könne
Uns nicht Alle mehr ernähren,
Weil das Brot so theuer wäre.
Hab’ ich ja noch sieben Schwestern,
Und ich bin die kleinste, kann ihm
Auch noch nichts verdienen helfen.
Kommt nur schnell mit mir hinüber.
Roselinde.
Aber, liebes Besenstielchen –
Besenstielchen.
Nein, du darfst nicht, Roselinde!
Kommt nur, kommt nur mit zum Vater.
(Sie geht mit Schira und Roselinde ab.)
Astralle und Hirlande
standen während der letzten Scene ganz verwundert und schweigend da.
Hirlande.
Ei, was war denn das, Astralle?
Astralle.
Kam das kleine Besenstielchen
Doch am Ende ganz in Eifer. –
Wär’ es nur nicht da gewesen!
Hirlande.
Möcht’ es nur ausführlich wissen,
Was denn eigentlich geschehen.
Wart, ich frag den alten Sami,
Der wird mir es schon erzählen.
(Sie geht ab.)
Astralle.
Und ich geh zum Besenbinder.
Ich will doch nur gerne sehen,
Wie das Ding zu End mag gehen.
(Sie geht ab.)
Ein freier, grüner Platz auf der hintern Seite des Schlosses; auf der einen Seite von einem Birkenwäldchen begränzt. Mordi liegt im Grase, nahe am Eingang in das Schloß.
Mordi.
Heut ist schon der dritte Morgen,
Seit der reiche Kaufmann Schira
Mir das Röslein abgebrochen;
Und es sind schon meine Diener
Frühe von mir ausgegangen,
Roselinde mir zu holen.
– Will am Thor hier liegen bleiben,
Bis sie angefahren kommen.
– Wenn sie sich doch nur nicht fürchtet,
Sonst muß ich sie auch zerreißen.
Muß mich nur recht traurig stellen,
Denn sonst glänzen meine Augen
Gleich so feurig, daß sich Alle,
Die mich sehn, vor mir entsetzen.
– Das war ja mein Unglück immer:
Wenn sie freundlich mit mir waren,
Und ich auch dann freundlich wurde,
Glänzten mir gleich meine Augen,
Wackelte gleich meine Nase,
Schlappte meine lange Zunge,
Spitzten sich die Zottelohren, –
Und dann ging die Furcht sie an,
Daß ich sie zerreißen möchte, –
Und da mußt ich sie zerreißen.
Denn es sprach ja meine Mutter,
Weil ich ihre Zaubereien
Einst mit Schelten ihr verwiesen,
Ueber mich den Zaubersegen:
„Schiltst du mich?
Zaubersegen
Wandle dich!
– Zaubersegen
Hat Gewalt;
Bringt zuwege
Ungestalt.
Sey von neuer
Art ein furchtbar Ungeheuer.
Und im Zaubergarten
Mußt als Wächter warten. –
Deinen Krallen
Ist verfallen,
Wer das kleinste Blümlein bricht.
Schonen darfst du nicht.
Bis das Schicksal es gewähret,
Daß ein Mädchen eins begehret. –
Ohne Schonen
Aus dem Vaterhaus genommen,
Muß sie in den Garten kommen,
Bei dir wohnen.
Wird sie aber Furcht beweisen,
Mußt du sie alsbald zerreißen.
Streichelt sie dich mit den Händen,
Dann nur kann dein Unglück enden.
Doch verrathen darfst du nicht,
Wie man diesen Zauber bricht,
Willst du jemals noch auf Erden
Menschlich werden
Von Gebehrden. –
– Zaubersegen
Hat Gewalt,
Bringt zuwege
Ungestalt.“
– Freilich hab ich manch Geräthe,
Sonst auch Alles, was ich brauche,
Das mit zauberischen Kräften
Mir nach meinem Willen dienet.
Aber doch sitz’ ich schon länger,
Als neunhundert Jahr, als Wächter
Dieses Gartens unerlöset.
Doch vielleicht ist mir Erlösung
Näher schon, als ich es hoffe.
– Ei, da kommt sie ja gefahren!
Ach, sie sollte mich doch dauern,
Wenn sie sich gleich fürchten würde,
Und so früh schon sterben müßte.
– Mein Gesicht muß ich nur wenden,
Daß sie’s nicht sogleich erblicke,
Eh’ ich sie drauf vorbereitet.
(Er wendet sein Gesicht gegen das Schloß.)
Besenstielchen
- kommt in einer prächtigen, aus Golde getriebenen Kutsche, die wie die Sonne glänzet, von acht schneeweißen Pferden mit Flügeln und schwarzen Mähnen und Hufen an rothem Sammtgeschirre gezogen. Die Polster in der Kutsche sind ebenfalls von rothem Sammt und [49] reich mit Gold gestickt. Besenstielchen gegenüber, auf dem vordern Sitze, sitzt ein Vehkätzchen in menschlicher Stellung. Auf dem Kutschbocke und den Pferden sitzen Affen als Kutscher; hinten auf stehen zwei Pudelhunde aufrecht als Bediente, und vor den Pferden laufen zwei sehr große langbeinige Störche als Läufer. – Wenn sie bis an das Thor des Schlosses gekommen sind, halten die Pferde; die zwei Pudelhunde springen hinten herunter, und laufen an den Kutschenschlag.
Mordi ohne umzusehen.
Kommt ihr endlich meine Diener?
Lange seid ihr ausgeblieben.
Die Pudelhunde.
Wau, wau! wau, wau!
Mordi.
Kann mir’s denken,
War der Abschied so gar traurig. –
Hebet sie doch aus dem Wagen.
Besenstielchen zu den Pudelhunden.
Ei, ihr wart ja noch so eben
Schöne Herrn in reichen Kleidern,
Und jetzt seid ihr Pudelhunde?
Und das Thier, ist das Herr Mordi?
(Sie steigt aus.)
Die Pudelhunde
- nicken mit den Köpfen, steigen dann wieder hinten auf die Kutsche; das Kätzchen steigt ebenfalls aus, und hält sich hinter Besenstielchen; [50] die Affen steigen wieder auf den Kutschbock und die Pferde, und fahren durchs Thor in das Schloß.
Mordi.
Fürchtest du dich vor mir, Kleine?
Besenstielchen.
O nein, gar nicht!
Mordi.
Wenn ich aber
Dich mit meinen Feueraugen
Jetzt betrachte, wirst du zittern.
Besenstielchen.
Ei, warum nicht gar! – und wären
Deine Augen noch so feurig,
Sind sie doch nicht ganz so glühend,
Als auf unserm Heerd das Feuer,
Oder als die Abendsonne.
Da hinein kann ich gut sehen.
Was ist da sich denn zu fürchten?
Guck nur um, du sollst es sehen,
Daß ich mich nicht fürchten werde.
Mordi.
Aber meine langen Ohren.
Besenstielchen.
Ach, die seh ich auch schon hinten.
Vaters Esel hat sie länger.
Mordi.
Aber meine krummen Zähne?
Besenstielchen.
Sind gewiß noch nicht so lange,
Als des Elephanten Zähne,
Den ich gestern sah im Kasten.
Mordi sieht um.
Du gefällst mir, Roselinde.
Besenstielchen.
Du mir aber nicht ein Bißchen.
Mordi.
Sei mir doch nicht gar so kindisch!
Besenstielchen.
Liebe Zeit, was hängt so lange
Roth aus deinem Maul da ’runter?
Hast du so ’ne große Zunge?
Mordi.
Das ist freilich meine Zunge. –
Aber komm, ich will den Garten
Dir jetzt zeigen und das Wohnhaus.
(Er will sie packen und führen.)
Besenstielchen.
Nein, ich kann alleine gehen.
Bleib mir nur drei Schritt vom Leibe, –
Wenn ich mich schon gar nicht fürchte;
Bist doch aber gar zu garstig.
– Sind auch Kinder da zum Spielen?
Mordi.
Nein, sonst sollst du Alles finden,
Gutes Essen, gutes Trinken,
Schöne Kleider, schönes Spielwerk,
Schöne Blumen, schöne Früchte,
Schnelle Diener, schnelle Mägde –
Aber Menschen gibt’s hier keine.
Besenstielchen.
Keine Menschen? – Deine Diener!
Deine Mägde sind doch Menschen?
Mordi.
Hast du es denn nicht gesehen?
Hattest du nicht Menschendiener?
Und wo sind sie hingekommen?
Besenstielchen sieht um nach dem Kätzchen.
Ja ’s ist wahr! das war ein Mädchen,
Aber jetzt ist’s gar ein Kätzchen.
Mordi.
Alle sind zwar klug, wie Menschen,
Doch sie können gar nicht sprechen.
– Komm, wir wollen durch das Wäldchen,
Da ist schöner kühler Schatten.
Besenstielchen.
Ei, das sind ja lauter Birken!
Mordi.
Birken? nun, was ist’s denn weiter?
Besenstielchen.
Ach, wenn die mein Vater hätte,
Da könnt’ er recht Besen binden.
Mordi.
Besen binden? – Ei, ei! höre,
Ist er denn ein Besenbinder?
Besenstielchen für sich.
Ach, wie bin ich dumm gewesen!
(laut.)
Nein, ich mein nur, wenn er’s wäre.
Mordi.
Wenn er’s wäre? – Doch wie kommst du
Da gerad’ auf’s Besenbinden?
Bist du etwa Besenstielchen?
Besenstielchen.
Ach, so giebt’s ja, glaub’ ich, gar keins.
Mordi.
Gar kein Besenstielchen gäb es?
Ei, wie heißt denn wohl das Mädchen
In dem kleinen Nebenhäuschen,
Das mit Roselinden gestern
Noch in Schira’s Hause spielte,
Und die Kleider mit ihr tauschte?
Ich sah’s wohl im Zauberspiegel. –
Warte, zeig mir deine Schuhe,
Ob sie roth sind!
(Sie zeigt ihre rothen Schuhe.)
Ei, ei, wirklich!
Bist du nicht das Besenstielchen?
Gibt es noch kein Besenstielchen?
Holla! Diener!
Ein Pudelhund kommt.
Mordi.
Schnell die Kutsche!
Der Pudelhund ab.
Mordi.
Hätte nur dran denken sollen.
Du hast ja auch nicht das Röslein,
Das ihr Vater hier gebrochen;
Denn das welket nicht, wie andre,
Schon am ersten, zweiten Morgen.
Das bleibt frisch, so lang man lebet,
Und für wen man’s hier gebrochen,
Der behälts, so lang er lebet.
(Der Wagen kommt, wie vorhin bespannt, und hält bei Mordi.)
Mordi.
Nehmet schnell das Besenstielchen,
Führt es hin, woher ihr’s brachtet.
Nehmt den Zauberspiegel mit euch,
Haltet ihn vor Schiras Augen,
Daß er’s deutlich darin lese,
Roselinden wollt’ ihr holen,
Und daß ich mit seinen Kindern
Ihn verderbe, wenn er’s waget,
Noch einmal mich zu betrügen.
(Besenstielchen wird in die Kutsche gehoben und fortgefahren.)
Mordi nachrufend.
Besenstielchen! Besenstielchen!
Laß es dir nicht mehr gelüsten,
Vor die Augen mir zu kommen;
Denn du wolltest mich belügen.
Schira hat mich auch betrogen,
Muß mit schwerer Krankheit büßen.
Und du selbst wärst mit dem Leben
Dießmal nicht davon gekommen,
Hättest du es nicht aus Liebe
Nur gethan zu Roselinden.
(Er geht in’s Schloß ab.)
Es liegen große Päcke, Ballen und Kisten mit Waaren umher. Schira ist damit beschäftigt, sie zu ordnen und zu zeichnen.
Astralle.
Was ist denn in dieser Kiste?
Schira.
Das sind lauter Perlenschnüre,
Und zwar lauter Kirschenperlen,
Die man darum also nennet,
Weil sie groß sind, wie die Kirschen.
Hirlande.
Ei, wo gibt’s die großen Perlen?
Schira.
Diese kommen aus dem Reiche
Ceilon, einem Insellande.
Astralle.
Krieg’ ich nicht auch drei, vier Schnüre
Von den schönen Kirschenperlen?
Meine Perlen, die ich habe,
Sind ja kaum so groß, als Erbsen;
Und die mag ich nun nicht tragen,
Seit ich weiß, daß es so große
Perlen gibt, als wie die Kirschen.
Schira.
Jede soll sechs Schnüre kriegen.
Hirlande.
Was ist in dem großen Packe?
Schira.
Das sind feine Wollenzeuge,
Die ich in dem Türkenlande
Zum Verkaufe mitgenommen.
Astralle.
Hast du denn auch Straußenfedern?
Schira.
Straußenfedern? Ei, ja freilich!
Daran läßt sich viel gewinnen.
Astralle.
Willst du nicht ein Paar mir schenken?
Sie sind gar zu schön zum Kopfschmuck.
Schira.
Ja, sobald ich sie nur finde,
Leg ich dir davon bei Seite.
Hirlande.
Vater, gibst du mir denn keine?
Schira.
Ja, auch du sollst welche haben,
Und auch meine Roselinde.
Astralle.
Ach, was kann denn die mit machen?
Lieber gib uns mehr. Die Kleine
Braucht noch keine hohen Federn.
Roselinde kommt eilig.
Vater! Vater! Besenstielchen –
Eben kommt’s daher gefahren!
Freu dich! ’s ist ihm nichts geschehen,
’s ist auch nicht gefressen worden.
Schira, Astralle und Hirlande.
Besenstielchen?
Roselinde.
Ei, ja freilich!
Guckt durch’s Fenster da hinüber.
Eben ist es ausgestiegen. –
Das ist aber schnell gefahren.
(Sie sehen zum Fenster hinaus.)
Sami kommt traurig.
Herr, es kommt von Mordi’s Dienern
Eben einer nach dem Hause.
Schira.
Ha, was wird mir das bedeuten?
Roselinde.
Freust du dich denn nicht von Herzen?
Ach mein liebes Besenstielchen!
Ach, ich muß nur gleich hinüber.
(Sie springt hinaus.)
Ein Diener Mordi’s.
Er ist sehr reich gekleidet. In der Hand trägt er einen kleinen Zauberspiegel, den er, indem er vor Schira tritt, demselben vorhält.
Schira erbleicht.
O, mein gutes Roselindchen,
Mußt du doch das Opfer werden?
Astralle sieht auch hinein.
Hirlande.
Ei, was sieht man in dem Spiegel?
Mordi’s Diener mit Sami ab.
Astralle gleichgültig.
Ach, die kleine Roselinde
Muß nun hin zu Mordi’s Garten.
(zu Schira, der weinend die Hände ringt.)
Schäm dich, Vater, so zu weinen,
Wird ihr nicht gleich was geschehen.
Hirlande
die indeß zum Fenster hinausgesehen.
Eben wird sie fortgefahren.
Schira.
Fortgefahren? Roselinde?
(Er reißt das Fenster auf, und ruft:)
Roselinde! – Roselinde! –
Roselinde! –
Astralle.
Was die Pferde
Schnell hinflogen, wie die Pfeile.
Hirlande.
Möcht’ wohl selbst einmal so fahren.
Schira.
Aber nicht nach Mordi’s Garten.
– O, ihr, meine lieben Töchter!
Roselinde ist verloren!
Ihr verliert die beste Schwester,
Ich die beste, frömmste Tochter!
Astralle.
Es geschieht ihr recht gerade!
Warum läuft sie denn auch immer
Auf der Gasse, wie ein Bettler?
Ich hab’s ihr gar oft verwiesen.
Ist sie deine frömmste Tochter,
Warum will sie denn nicht folgen,
Wenn Verständige ihr rathen.
Schira.
Ja, sie war mein frömmstes Mädchen,
Hat mich mehr, als ihr, geliebet.
Hirlande.
Ei, du hast sie ja auch immer
Ueberall uns vorgezogen,
Hast ihr manchmal was gegeben,
Was wir selber noch entbehrten,
Und wir sind denn doch die ält’sten.
Schira.
Schweig, o schweig, ich weiß zu wohl nur,
Ihr verkaufet eure Liebe,
Liebet darum nur den Vater,
Weil er Putz und Schmuck euch schenkte;
Aber meine Roselinde
Hätte mich geehrt, geliebet,
Wenn ich auch in Bettlerkleider,
Nur in Lumpen sie gekleidet.
Astralle.
O, du brauchst uns nicht zu schelten.
Hast dirs selbst ja zuzuschreiben,
Daß das Herzblatt nun dahin ist.
Hirlande.
Komm, Astralle, wollen gehen;
Er ist wieder ungeduldig.
(Sie gehen ab, und werfen die Thüre zu.)
Schira.
Was? und das sind meine Kinder?
Also lieben sie den Vater
Und die gute, fromme Schwester?
Roselinde, Roselinde!
Was magst du erlitten haben
Von dem Haß der eiteln Schwestern,
Seit ich ferne war vom Hause?
– O, du fromme Roselinde!
Mit dir ist mein Glück verloren,
Mit dir jede Lebensfreude.
Trüb und trüber wird mein Leben.
Einem Zauber preiß gegeben,
Häuft sich mir von Tag zu Tage
Neuer Schmerz und neue Plage,
Bis die stille Todesnacht
Mir so Klag’ als Thräne stillt
Und mir Rosalindens Bild
In den Himmelsgärten mild
Wieder einst entgegen lacht.
In Roselindens Zimmer. Roselinde hat sich eben angekleidet; das graue Kätzchen hat ihr geholfen und ist eben mit der Aufräumung des Zimmers fertig.
Roselinde.
So, nun geh nur, Misekätzchen,
Keine Hilfe brauch’ ich weiter.
Misekätzchen.
Miau! miau!
Roselinde lachend.
Ja, miau! miau! was heißt denn
Das Miau, lieb Misekätzchen?
Ich versteh nicht Katzensprache.
Misekätzchen sich an ihren Arm schmeichelnd.
Miau! miau!
Roselinde.
’s ist schon gut, geh nur hinunter.
Bring zum Frühstück Obst und Kuchen.
Du sollst auch vom Kuchen haben.
Misekätzchen abgehend.
Miau!
Roselinde.
Wenn das gute Miesekätzchen
Nur wie Menschen reden könnte.
Ach, wie wäre das so herrlich!
Dann wär’s ganz so klug, wie Menschen. –
Ach, schon bin ich bald vier Jahre
Ganz entfernt von allen Menschen.
Hier ist zwar wie Menschen Alles
Klug, Herr Mordi und die Thiere,
Und was ich nur wünschen könnte,
Alles, alles hab ich reichlich.
Und Herr Mordi ist so freundlich,
Aber gar zu, gar zu garstig.
Fürchterlich ist er mir gar nicht,
Aber, ach, ihn nur zu sehen,
Eckelt mir schon oft gewaltig,
Und ihn gar dann anzurühren
Wäre mir nun ganz unmöglich.
Und doch bittet er oft kindisch,
Daß ich ihn doch streicheln möchte.
Heiß ich ihn dann von mir gehen,
Dann entfernt er sich gehorsam.
Aber immer will mir’s scheinen
Seine Augen würden trübe,
Als wenn Thränen kommen wollten,
Und ich fühle oft dann Mitleid,
Ordentlich, als wär’s mein Bruder.
Wär er nur nicht gar so garstig,
Würd’ ich ihn einmal doch streicheln,
Denn ich bin ihm gut von Herzen,
Wie ich gut war meinem Vater.
– – Meinem Vater! – ach, der Arme!
Wie’s ihm gehn mag? wüßt ich das nur!
Wie er sich gegrämt mag haben?
Wüßt’ er nur, daß ich noch lebe,
Daß es mir so gut ergangen!
– – O, wie schön wars doch zu Hause!
Und wie mag es jetzt dort gehen? –
Ach, vielleicht ist er gestorben
Gar vor Gram um meinetwillen.
Lieber Vater! – Armer Vater!
(Sie weint.)
Mordi bringt ein Körbchen mit Obst.
Guten Morgen, Roselinde!
Sieh, da hab ich Pomeranzen
Und noch andre süße Früchte
In dem Garten dir gebrochen.
– – Wie? du weinst? was ist dir, Liebe?
Roselinde schweigt und weint.
Mordi.
Ist dir was zu Leid geschehen?
Roselinde.
Nein!
Mordi.
Was ist der Thränen Ursach?
Roselinde.
Ach! ich denk an meinen Vater, –
Könnt’ ich sehn nur, daß er lebet.
Mordi ruft.
Holla! Diener!
Ein Pudelhund kommt.
Mordi.
Bring mir eilig
Meinen Spiegel doch herüber.
Pudelhund läuft, und kommt schnell mit dem Spiegel wieder.
Mordi hält ihr den Spiegel vor.
Denke nur an deinen Vater,
Und du siehst ihn hier im Spiegel.
Roselinde lacht in Thränen.
Ach, da ist das Haus des Vaters!
Da der Hof, die Gartenthüre,
Und da liegt der treue Leo,
Unser Hofhund, an der Kette!
Ei, da bin ich ganz zu Hause.
Wer ist denn der fremde Mann dort,
Der im Garten traurig sitzet,
Und so bleich ist im Gesichte?
(fängt plötzlich an zu weinen.)
Ach, du Himmel, ’s ist der Vater!
’s ist mein guter, lieber Vater.
Ach, wie bist du krank und elend!
Nun, was machst du? Willst du aufstehn,
Und vermagst es nicht aus Schwäche?
Mußt die Krücke darzu brauchen?
– Ach wie wankst du mit der Krücke!
Und ist keine meiner Schwestern
Um dich, die dich pflegen könnte?
O, da kommt der alte Sami
Dir entgegen, dich zu stützen.
(Sie weint.)
Ach, du Himmel! ach, du Himmel!
Muß sich selbst in seinem Zimmer
Seine Arzeneien holen. –
Ei, wo sind denn meine Schwestern?
Sollten die nicht, immer Eine,
Bei dir sein, und dich bedienen?
Und dich pflegen, armer Vater?
Mordi.
Willst du deine Schwestern sehen?
Roselinde.
Ja, da sind sie, da Hirlande
Und dort neben auch Astralle.
Ei, was thun sie da am Tische?
Ach, sie spielen. Da sind Karten.
Pfui! wer mag mit Karten spielen?
Ach, was liegt da auf dem Tische
Für ein Haufen Geld von Golde –
Und ringsum, was kleine Häufchen;
Warum sehen sie denn alle
Nach dem dicken Herrn dort oben?
Da! – Er zeigt jetzt seine Karte.
Ei, was ist das? – Wie sich alle
Die Gesichter jetzt verzerren.
Ach, er hat es all gewonnen.
Denn er scharrt mit einer Harke
All die kleinen gold’nen Häufchen
Jetzt zu seinem großen Haufen. –
– Ei, Herr Mordi, sag, in welchem
Orte sind denn meine Schwestern?
Mordi.
Sind in’s nächste Bad gefahren,
Sich Vergnügen da zu machen.
Roselinde.
Und der Vater sitzt zu Hause,
Ohne Pflege, ohne Wartung,
Nur von Fremden schlecht bedienet?
Und doch besser noch gepfleget,
Als von seinen eignen Kindern.
– O, du armer, armer Vater!
– Ach, da ist er ja schon wieder,
Seh’ ihn wieder in dem Spiegel.
Horch! da sprach er eben seufzend.
Sprach vielleicht gar meinen Namen.
– Wenn ich doch nur bei dir säße,
Du mein lieber, guter Vater!
Bist du jetzt so ganz alleine?
Hast von deinen Mädchen keine,
So dich in der Krankheit pflege,
Deine Arztenei dir gebe,
Und dich stütze, und dich führe.
(Sie weint bitterlich.)
Ach wenn ich nur bei dir wäre;
Ach, wie wollt’ ich für dich sorgen!
Daß du unter meiner Pflege
Völlig bald genesen solltest,
Lieber, armer, kranker Vater!
Mordi.
Holla! Diener!
Pudelhunde kommen.
Wau! wau!
Mordi.
Bringt den Wagen.
Pudelhunde ab.
Mordi.
Wär ich krank, wie jetzt dein Vater,
Würdest du auch Mitleid fühlen?
Roselinde.
Würdest mich gewiß recht dauern. –
– Ei, was willst du mit dem Wagen?
Willst du doch nicht gar verreisen,
Und mich ganz alleine lassen?
(Man hört unten den Wagen vorfahren und die Pudelhunde rufen: Wau, wau!)
Mordi.
Du kannst reisen, Roselinde.
Roselinde.
Ich darf reisen? ich? zum Vater?
Mordi.
Was du brauchst von schönen Kleidern,
Geld und Kleinod und dergleichen,
Auch Geschenke für die Heimath,
Findest du in deinem Wagen.
Auch ein Fläschlein Balsamthau,
Von dem Lebensbaum gesammelt,
Hab ich dir hinzugefügt,
Deinen Vater zu erretten
Von dem sichern nahen Tode.
– Hier, nimm aber diesen Spiegel.
Roselinde.
Ach, den kann ich dort nicht brauchen.
Mordi.
Nicht dort brauchen? Roselinde!
Willst du mich dort ganz vergessen?
Roselinde.
Nein, o nein! du bist so gütig;
Nein, ich will dich nie vergessen.
Mordi.
Gut. So nimm auch diesen Spiegel,
Sieh an jedem dritten Abend,
Eh du dich zum Schlafe legest,
Drin nach mir, ob ich noch lebe,
Noch gesund bin, was ich mache.
Siehst du aber krank mich liegen,
Dann, o liebe Roselinde,
Komm mit deinem Balsamthaue
Schnell mit deinen Flügelpferden.
Nur der Balsam kann mich retten,
Der auch deinen Vater rettet.
Willst du thun, was ich dich bitte?
Sieh, so oft du unterläßt,
Nach mir in den Zauberspiegel
Einzusehn, muß ich in Schmerzen,
Stärker, als je Menschen fühlten,
Um ein Zwanzigtheil von meiner
Größe, Dick’ und Schwer zusammen-
Runzeln, bis nach zwanzig Malen
Gar nichts von mir übrig bleibet.
Gelt, du wirst mich nicht vergessen?
Roselinde.
Nein! – Gewiß, gewiß, Herr Mordi,
Werd’ ich niemals dich vergessen.
Mordi.
Sechzig Tage darfst du bleiben,
Dann mußt du zurücke kehren.
Roselinde.
Ach, wie gut bist du, Herr Mordi.
Will auch sicher nie vergessen,
In den Spiegel einzusehen.
Mordi.
Holla! Diener!
Pudelhunde und Misekätzchen kommen.
Mordi.
Hebt die Jungfrau in den Wagen,
Fahret rasch mit ihr von dannen;
Wißt es ja, wohin sie reiset.
(zu Roselinde.)
Sieh, da ist auch Misekätzchen,
Nimms doch mit zu deinem Vater.
Lebe wohl!
Roselinde bewegt.
Leb wohl, Herr Mordi.
Mordi.
So? du weinst?
Roselinde.
Ich dachte eben,
Wie die Zeit dir lang mag werden,
Wenn du niemand hast zu pflegen,
Niemand mehr, der mit dir redet.
Ach, wenn’s nicht der Vater wäre,
Oder wär’ er nicht erkranket,
Wüßt’ ich wohl, daß ich dann bliebe.
Mordi.
Du bist fromm, lieb Roselinde.
Sei zufrieden. Schau nur fleißig
Nach mir in den Zauberspiegel,
Dann wird alles gut noch gehen.
Komm hinab in deinen Wagen.
(Sie gehen Alle ab.)
Schira.
Lieber Meister, wie ich sagte,
Jeden Tag geht’s immer schlechter.
Arzt.
Macht Euch doch nicht solche Grillen.
Schira.
Keine Grillen! – Ach, ich fühl’ es! –
Arzt.
Könnt Ihr denn nicht freier athmen!
Schira.
Wenig. Wohl gibt’s Augenblicke,
Da die Brust mir freier dünket,
Da sie wieder leicht sich dehnet –
Doch im andern Augenblicke
Schnürt sie wieder sich zusammen,
Daß ich kaum zu Athem komme.
Arzt.
Leidet Ihr dann große Schmerzen?
Schira.
Körperlich nicht eben Schmerzen. –
Bange, – bang, so recht im Innern,
In der Seele, möcht’ ich sagen,
Fühl’ ich mich alsdann beklommen.
Arzt.
Sind die Arzenein zu Ende?
Schira.
Hab sie pünktlich eingenommen.
Arzt.
Will Euch eine neu verschreiben,
Die gewiß Euch wohl bekommet.
Schira.
Ist sie blau?
Arzt.
Blau? Wie verstehet
Ihr denn das?
Schira.
Ei, blau von Farbe!
Seht, ich hab seit heute immer
Einen Balsam in dem Sinne,
Der allein mich heilen könnte:
Wüßt ich nur ihn zu bekommen!
Wenn ich nur daran gedenke,
Fühl’ ich wunderbar mich stärker.
Wüßt’ ich nur ihn zu beschreiben.
Er ist himmelblau von Farbe,
Braußen muß er in der Schale,
Süß und bitter muß er schmecken,
Ach, und – o, ich fühl’ es deutlich,
Wie er mir die Brust durchströmet,
Und die alten Schäden heilet,
Daß ich ganz mich neu verjünge.
Arzt.
Ja, ich weiß es, was Ihr meinet.
Habt Ihr denn in Euerm Leben
Je den blauen Trank gesehen?
Schira.
Niemals, nie in meinem Leben.
Arzt.
Wunderbar! – Es gibt solch einen
Trank, und ich erkenn’ ihn deutlich:
’s ist der Thau vom Lebensbaume,
Der im Paradies gewachsen,
Den Herrn Mordi’s böse Mutter
Endlich nach gar mancher Erbschaft
Noch geerbt von einer Muhme,
Und der in Herrn Mordi’s Garten
Nur allein noch steht auf Erden.
Wer ihn aber holt, den Balsam,
Setzt sein Leben auf die Waage,
Ach, schon Tausend, über Tausend,
Büßten mit dem Tod das Wagniß.
Schira.
Und allein in Mordi’s Garten?
Ach, nun schlagt Ihr meine Hoffnung
Ganz darnieder.
Arzt.
Habt Ihr keinen
Treuen Diener, der mit Freuden,
Euch das Leben zu erhalten,
Seines auf die Wage setzte?
Schira.
Keinen, keinen, der so Treue,
Als auch Muth in sich vereinigt.
Und dann möcht’ ich auch den treuen
Diener nicht zum Tode senden.
Arzt.
Ihr seid immer nicht verloren,
Könnt noch sonst gerettet werden.
Darum seid nur gutes Muthes.
Aber dennoch hoff’ ich immer,
Euch den Balsam noch zu schaffen.
(ab.)
Schira allein.
Ach, wer wird sein Leben geben,
Um das meine zu erhalten?
– Nein, der gute Muth, der schwindet,
Nach und nach muß ich verschmachten.
Alle andern Arzeneien
Können mir ja doch nicht helfen.
Ach, wenn’s Roselinde wüßte!
Doch! – die lebt schon lange nimmer, –
Ach, da will ich auch ja sterben!
Was hab’ ich denn noch auf Erden?
Meine beiden andern Mädchen
Sind mir weder Trost noch Freude,
Fahren immer nach dem Hofe,
Denken nur an ihr Vergnügen,
Nur an Spiel und Putz und Mode! –
– und so gräm ich mich zu Tode.
Arzt.
Seht, ich rief euch hier zusammen,
Aufs Gewissen euch zu fragen;
Ist denn Keiner unter Allen,
Der den Herrn liebt wie sein Leben?
Alle außer Sami.
Ich, Meister Arzt. Wir lassen alle unser Leben für ihn.
Einer.
Ich wollte gern mein Leben lassen, wenn ich nur wüßte, daß ich das Leben meines Herrn damit erkaufen könnte.
Zweiter.
Freilich, das geht in seinen jetzigen Umständen nicht. Die Krankheit sitzt in ihm, da können wir nichts helfen. Ja, wär er äußerlich in Lebensgefahr, so solltet Ihr schon Eure Freude an mir erleben, Meister, wie ich sein Leben mit meinem Blute erkaufen wollte.
Arzt.
Wollt’ ihn Einer nun erstechen,
Würdest du mit deinem Leibe
Deinem Herrn zum Schilde dienen,
Und den Stich für ihn empfangen,
Wenn du sonst nicht Waffen hättest,
Deinen Herrn damit zu schützen?
Zweiter.
Ja, Herr.
Dritter.
Wenn er im Walde von dreißig Räubern angefallen würde, und ich stünde allein an einem recht verborgenen, sichern Platz, so lief ich doch schnell darunter hinein, um ihn heraus zu hauen.
Arzt.
Das ist wahrlich schön und löblich.
Erster.
Nun, Sami, alter Haushofmeister! Du stehst allein still da? Sag doch auch, daß du deinen Herrn mehr liebst, als dein Leben.
Sami.
Ach, was hilft’s wenn ich’s auch sage!
Guran zu Lugar.
Ich möcht’ aber doch wissen, warum der Meister uns das fragt. Zum Spaß hat er’s doch wohl nicht gethan; er ist ja sonst ein ehrenfester Mann.
Arzt.
Da ihr ihm so treu ergeben,
Wünscht ihr auch gesund ihn wieder?
Alle.
Ja, von ganzem Herzen, Meister.
Lugar.
Wir hofften dabei immer auf Euch, Herr. Aber es scheint, Ihr seid nicht gar zu wohl erfahren in Pflanzen und ihren Kräften, daß Ihr ihn nicht von seiner Krankheit heilen könnt.
Arzt.
Freund, hier fehlt’s nicht an Erfahrung,
Nicht an Kunst und Wissenschaft
Von der Kräuter Werth und Kraft.
Hätten wir von einem Baume,
Den ich gar zu wohl nur kenne,
Nur den Thau, ihm wär geholfen.
Guran.
Ei, so sammelt von dem Baum den Thau, so habt Ihr ihn, oder steht der Baum zu weit von hier, so sagt’s, so kann’s schon Einer für den Herrn thun, und ihn holen.
Zweiter.
- Das ist wahr. Was fragt Ihr da so lang unter uns [84] herum, und sprecht von Leben auf’s Spiel setzen, wo doch nur ein Gang zu thun ist.
Arzt.
Doch der Gang ist sehr gefährlich.
Da du aber, wie mir scheinet,
Selber Lust hast, diesen weiten
Gang zu machen, –
Zweiter ihm in’s Wort fallend.
Ich? – Ei, behüte mich der Himmel! Ich kann gar nicht mit dem besten Willen. Es ist heute und morgen und die ganze Woche rein unmöglich; ich habe gar zu viel im Haus zu schaffen. Ich darf meinen Dienst nicht so vernachlässigen. Nein, von mir kann da gar nicht die Rede sein. Die Andern werden aber schon Zeit dazu haben. Ja, wenn’s ein kurzer Gang von ein Paar Stunden wäre, so wollt ich’s noch gerne thun, und wenn’s auch noch so gefährlich wäre. Ihr sprecht aber von einem weiten Gange.
Alle außer Sami.
Ja, wir haben auch unsere Geschäfte. Zum Müßiggang hat uns der Herr nicht gedungen.
Arzt.
Einen Diener stell ich gerne
Von den meinen an desselben
Stelle, der zu Mordis Garten
Gehn will, –
Viele durcheinander.
Was? – Zu Mordi’s Garten? – Ja, prosit da wird nichts draus.
Erster.
Das wär mir gelegen, mich in jungen Jahren von einem Unthier fressen zu lassen bei lebendigem Leibe. Daß ich ein Narr wäre!
Dritter.
Das wär mir so! Ich bin meines Lebens noch nicht so satt, daß ich dem in den Rachen laufen möchte.
Zweiter.
- Hört, Meister, wenn Ihr nichts Besseres wißt, als das, so hättet Ihr uns nicht zu rufen brauchen. Das könnt Ihr Euch denken, daß wir keine solchen Thoren sind. (Zu den Knechten:) Kommt laßt den Narren stehn. Wie kann man sich denn in aller Welt einbilden, daß es einen Menschen gibt, der so unsinnig sein wird, mit seinem eigenen Leben, das Leben eines andern zu erkaufen. Das Leben hat man nur einmal, und mit dem, was ich nur einmal habe, helf ich meinem Bruder nicht aus, und wenn’s noch so gering wäre, denn wenn ich’s weggebe, so [86] hab ich’s gar nicht mehr – und auf jeden Fall bin ich mir selbst der Nächste.
Guran.
Ei, so gebt nur selber Euer Leben hin, um den Herrn damit zu retten. Warum fragt Ihr da noch lang herum? Gelt, wir wären Euch gut genug, die Kastanien aus den Kohlen zu holen, und die Finger daran zu verbrennen, damit Ihr dann in Ruh die gebratenen Kastanien schälen und essen könntet! Ja? prosit! ’s wird nichts gereicht.
Arzt.
Schlechtes Volk! Geht, packt euch! packt euch!
Mit dem Maule seid ihr fertig,
Mit dem Maule seid ihr Diener,
Daß man sie nicht besser wünschte,
Aber kommt es erst zum Handeln,
Zeigt ihr euch so niederträchtig,
Daß man euch nicht schlechter fände,
Wenn man euch aus allen Enden
Dieser Welt zusammen suchte.
Zweiter.
Seid still, und laßt das Schelten, sonst schlagen wir Euch noch am Ende die Knochen im Leibe zu Brei.
Sami zu dem Knechte.
Gehst du schnell an deine Arbeit? – All an euer Geschäft, ihr groben Menschen!
Die Diener gehen murrend ab.
Sami zum Arzt.
Herr, sagt, wie sieht der Baum des Lebens aus!
Arzt.
Sami, wie? du wolltest gehen?
Und du sprachst vorhin kein Wörtchen.
Sami.
Ach, das sind lauter Maulmacher, die reden viel und thun nichts, und zu solchen mag ich auch scheinsweise nicht gerechnet werden. Darum schwieg ich ganz; denn ich wußte wohl, daß an mich noch die Reihe kommen würde, wenn es Ernst gilt mit der Sache.
Arzt.
Du, alter Mann, du wolltest?
Sami.
Nun, wundert Euch nur nicht. Eben weil ich alt bin, ist gar nichts Verwunderliches dabei. Noch ein Paar Jahre, so muß ich doch fort, – vielleicht! – wer weiß schon morgen. Sollt’ ich da die Paar ungewissen Tage nicht mit Freuden hingeben, um meinem Herrn ein Paar gewisse Jahre dafür zu erkaufen?
Arzt.
Nun gelobet sei der Himmel!
Ja, es gibt noch eine Treue,
Und die ist ein köstlich Kleinod.
Ja, auch unter Dienern gibt es
Hier und da noch treue Seelen.
Roselinde mit einer Dienerin und Diener, welche Koffer und allerlei Gepäcke hereintragen. Vorige.
Sami stürzt ihr entgegen auf die Kniee, und küßt weinend den Saum ihres Kleides.
Ach, du Himmel! ach, du Himmel!
Seid Ihr’s wirklich! oder träum ich?
Ja, Ihr seid es, Roselinde.
Roselinde.
Ja, ich bin es lieber Sami,
Grüß dich herzlich, treuer Diener.
(Sie drückt ihm die Hand; er küßt ihr aufstehend die ihrige:)
Roselindens Diener zu Sami.
Sagt, wohin kommt das Gepäcke?
Sami in Freudenthränen.
Kommt nur mit, ich will euch zeigen,
Wo ihr alles niederstellet.
(ab mit Roselindens Dienern.)
Roselindens Dienerin.
Herrin, diese kleine Flasche
Fand ich in der Kutschentasche.
Roselinde.
Gib sie. Das ist für den Vater.
(zum Arzt:)
Wißt Ihr, Meister, wo er sitzet?
Arzt.
Ja, ich weiß es, holde Jungfrau.
Seid Ihr aber Roselinde,
Dürft Ihr so unvorbereitet
Wahrlich! jetzt nicht vor ihn kommen.
Allzu unverhoffte Freude
Könnte leicht ihm schädlich werden.
– Auch vor Freude kann man sterben.
Schira kommt.
Ist es wahr, was Sami sagte?
(Er sieht seine Tochter, fängt an zu weinen und sinkt ihr in die Arme:)
Meine Tochter! meine Tochter!
Arzt.
Um des Himmels willen, Schira!
Mäßigt, mäßigt Eure Freude.
Roselinde.
Meister, helft! er sinkt in Ohnmacht.
Arzt hilft ihn auf einen Sitz bringen.
Habt Ihr gar nichts schnell zu Handen,
Ihm die Schläfe einzureiben?
Roselinde.
Nichts als diese Balsamflasche,
Die Herr Mordi mir gegeben,
Aber dieser Balsam heilet
Nur bei innerem Gebrauche.
Arzt nimmt sie.
Ach, das ist er! Dank dem Himmel.
(Er öffnet die Flasche und netzt Schira die Lippen mit dem Balsam.)
Ich benetz’ ihm nur die Lippen,
Und alsbald wird er erwachen.
Schira seufzt aus tiefer Brust.
Roselinde.
Ja er kommt schon wieder zu sich.
Dank dem Himmel! Dank, Herr Mordi!
Arzt.
Ja, das ist der Lebensbalsam,
Der vom Lebensbaume quillet,
Der nur einmal wächst auf Erden,
Fern von hier, in Mordi’s Garten.
Schira, die Augen aufschlagend.
Wie? wo bin ich? – Meine Tochter!
Meine fromme Roselinde!
Arzt.
Nun, wie ist Euch?
Schira.
So erträglich,
Aber immer etwas schwächlich.
Arzt reicht ihm von dem Balsam in einer Schaale.
Trinkt einmal das zur Erquickung.
Schira, indem er die Schaale abnimmt, Roselinden die Hand reichend.
Lebst du noch, lieb’ Roselinde?
(Er setzt die Schaale an, und trinkt:)
Ach, was ist das? Süß und bitter.
Wie es mir die Brust durchströmet!
Ha, in allen Adern! Wahrlich,
Ja, das ist mein Trank, mein blauer!
(Er trinkt die Schaale leer:)
Ha, durch alle meine Glieder,
In das Mark der Knochen dringt es
Mir, wie neue Kraft des Lebens.
Roselinde, ihn selig küssend.
Wie die Wangen dir sich röthen!
Wie dein Auge fröhlich blicket!
Schira, aufstehend.
Ja, ich fühl’ es – alle Krankheit
Hat der Trank in mir geheilet,
Bin gesund jetzt und vergnüget.
Kommt, o kommt mit mir geschwinde,
Kommt hinauf in meine Zimmer,
Daß ich meine Diener finde,
Daß sie mir ein Fest bereiten,
Daß man noch in späten Zeiten
Stets davon erzählen soll.
Denn mein Herz schlägt freudevoll,
Meine Krankheit ist verschwunden,
Und ich bin wie neu geboren.
Und mein Kind, das mir verloren,
Wieder hab ich’s ja gefunden.
(Sie gehen alle ab.)
(Abendgesellschaft.)
Die drei Königstöchter Rauna, Billowa und Lodissa sitzen vorn mit Astralle und Hirlande an einem Spieltische, und spielen mit Karten. Hinten stehen noch mehrere besetzte und unbesetzte Spieltische, die Großen von des Königs Hofstaate stehen hinten in [93] einem Halbkreise. Der König, auf- und abgehend, spricht bald mit diesem bald mit jenem ein Paar Worte.
Astralle.
Dieser Stich ist mein, Prinzessin.
Lodissa.
Hast du denn das Aß?
Astralle.
Ja, freilich!
Und was sprechet Ihr zu dieser?
Rauna.
Aber ich hab diese besser.
Hirlande.
Wie verdrießlich!
Eine Kammerfrau kommt.
Ach! Astralle,
Denket nur einmal! Hirlande!
Astralle.
Nun, was ist’s denn?
Hirlande.
Nun, so redet.
Kammerfrau.
Denkt Euch! denkt Euch! Euer Vater –
Astralle, einfallend.
Ach, von dem? da ist’s nicht nöthig,
Unser Spiel darum zu stören.
Hirlande.
Ei, was ist’s denn?
Astralle.
Kanns mir denken:
Er war diesen Morgen übel,
Und ist jetzt vielleicht gestorben.
Billowa.
Und das wäre so gleichgültig?
Astralle.
Nun gleichgültig auch nicht eben.
Nein, man muß in solchen Fällen
Sich doch auch zu fassen wissen.
Er ist schon zu lange kränklich,
Und ihm war doch nicht zu helfen,
So hat er doch seine Schmerzen
Endlich einmal überstanden.
– Aber wir vergessen völlig
Unser Spiel. Wie stand’s doch eben?
Kammerfrau.
Nein, Ihr irrt Euch. Es ist anders.
Rauna.
So erzähle!
Hirlande.
Doch Prinzessin,
Liebt es denn nicht Eurer Hohheit,
Dieses Spiel erst zu beenden,
Sonst vergessen wir die Karten.
Kammerfrau.
Nein, gesund ist er geworden,
Euer Vater, nicht gestorben.
Eben wird es ausgerufen.
Darum will er Feste feiern,
Die zwei Monde dauern sollen.
Astralle.
Nimmermehr! Ich will’s nicht hoffen!
Ganz gesund?
Bellowa.
Du willst’s nicht hoffen?
Astralle.
Nein, ach nein, ich freu mich herzlich.
Aus Verwunderung sprach ich also.
Hirlande.
Ja, wir freuen uns von Herzen.
Kammerfrau.
Und ich weiß auch noch was Neues.
Rauna.
Was denn? rede.
Kammerfrau.
Roselinde,
Ihre Schwester, ist gekommen.
Hirlande.
Roselinde?
Astralle.
Roselinde?
Nein, nicht möglich. Die hat Mordi
Vor vier Jahren schon gefressen.
Kammerfrau.
Und doch ist sie angekommen
In derselben schönen Kutsche,
Drin sie abgeholet wurde.
Und sie sei so schön geworden,
Daß sie in dem ganzen Lande
Weit und breit die Schönste wäre.
Hirlande aufstehend.
In dem ganzen Land die Schönste?
Nein, das ist doch übertrieben.
(Sie geht vor dem Spiegel:)
Aber weit und breit die Schönste –
Ach, es gibt doch auch noch manche
Schöne Frauen in dem Lande.
Astralle.
Ja, das sollt’ ich auch doch meinen.
Lodissa, aufstehend.
Nun, ihr eilt wohl jetzt nach Hause?
Thut euch weiter keinen Zwang an.
Hirlande.
Aber unser Spiel?
Rauna.
Ich bitt’ euch!
Nein das wäre höchst unbillig.
Ihr habt Eure liebe Schwester
Seit vier Jahren nicht gesehen.
Astralle.
Bitt’ Euch, Hoheit, wollt’ erlauben,
Daß wir dieses Spiel erst enden.
Billowa.
Künftig spielen wir schon wieder.
Astralle wirft unwillig die Karten hin.
Wenn Ihr’s denn nicht anders wollet –
Rauna.
Gehet heim zu euerm Vater,
Grüßet mir auch eure Schwester,
Bringt sie auch einmal zu Hofe.
Lebet wohl!
Hirlande.
Lebet wohl! Behaltet
Ferner uns in Eurer Gnade.
Astralle neigt sich abgehend.
Eurer Hoheit mich empfehlend.
(Sie gehen ab.)
- Mordi.
(Er ist von seiner ungeheuern Größe und Dicke ganz zusammen gerunzelt und bis auf die gewöhnliche Mannesgröße eingeschrumpft. Seine Schuppenhaut hängt ihm in Falten um den Leib, seine rothe Zunge ist ihm ganz schwarzbraun eingetrocknet, und seine Augen sind trübgelb und ohne Glanz. Er spricht langsam mit tiefer, aber schwacher Stimme:)
Ja, nun gehts mit mir zu Ende;
Meine Freundin Roselinde
Hat mich ganz und gar vergessen
In den Armen ihres Vaters,
In dem Land der lieben Heimath.
Ach, ich leide große Schmerzen,
Schon so klein bin ich geworden,
Und so schwach bin ich und elend.
Bin zu schwach, vom Lebensbaume
Lebensbalsam mir zu holen,
Und von meinen vielen Dienern
Darf ich keinen darnach senden,
Soll er nicht die Kraft verlieren.
Nur in eines Menschen Händen,
Oder auch in meinen Krallen
Bleibt der Lebensbalsam kräftig;
Aber meine Diener alle
Sind ja Affen oder Hunde.
– Hat sie mich denn ganz vergessen?
Nun, so leg’ ich hier mich nieder,
Hier in’s hohe Gras, und sterbe.
Wär’ ich nur als Mensch gestorben,
Dann, dann wäre meine Seele
In den Himmel doch gekommen.
Aber so wird auch die Seele
Mit dem Leib mir täglich kleiner,
Und nach sechzig vollen Tagen
Ist auch gar nichts von mir übrig,
Weder Körper mehr, noch Seele.
– Das ist schmerzlich! Nein, es ist nicht
Solch ein Unglück zu ermessen.
– Ja, sie hat mich ganz vergessen.
(Nacht.)
Roselinde.
Heute ist es spät geworden.
Miß Käthe.
Die Gesellschaft war recht fröhlich.
Roselinde.
Komm, entkleide mich jetzt eilig.
Miß Käthe.
Aber königliche Feste
Feiert Euer edler Vater.
Schon sind’s heute vierzig Tage,
Seit sie angefangen haben.
Roselinde.
Vierzig Tage schon vorüber?
Miß Käthe.
Freilich, ach! ich rechne immer.
Bald, gar bald sind’s sechzig Tage,
Und dann müssen wir zurück
Zu Herrn Mordi’s Frühlingsgarten,
Dann wird, leider! aus Miß Käthchen
Euer graues Misekätzchen,
Und dann muß ich wieder schnurren
Und miauen, statt zu reden.
Roselinde.
Ist es möglich? vierzig Tage!
Und was mag Herr Mordi machen?
Ach, den hätt’ ich fast vergessen,
Hab’ ihm Schmerzen viel verursacht.
Her, geschwind, geschwind den Spiegel!
Miß Käthchen hält ihr den Spiegel vor.
Nun? was seht Ihr?
Roselinde weinend.
Lieber Himmel!
Er ist krank. Da liegt er elend
In dem Garten.
Miß Käthchen.
Krank? unmöglich!
Ist ihm denn nicht mehr zu helfen?
Roselinde.
Hast doch von dem blauen Balsam
Jetzt noch etwas in der Flasche.
Miß Käthchen.
Ihr habt viel davon verbrauchet,
Habet ja so viele Kranke,
Seit Ihr hier seid mit geheilet,
Heut erst noch den Besenbinder.
Doch ’s ist noch ein wenig übrig.
Roselinde.
Doch noch etwas? nimm es zu dir.
(Sie ruft.)
Diener! Holla!
(Ein Diener kommt.)
Schnell den Wagen!
Diener.
Er ist unten, noch bespannet.
(ab.)
Roselinde zu Miß Käthchen.
Folge schnell mir mit dem Balsam.
Alle liegen jetzt im Schlafe.
Laß uns sachte, sachte schleichen.
Nein, der Abschied hält nur auf,
Und vielleicht an der Minute
Hängt des guten Mordi’s Leben, –
Wenigstens sehr große Schmerzen.
– Ach, wie vieles, vieles Gute
Hat er mir nicht schon erwiesen!
Hat er durch den Lebensbalsam
Meinen Vater nicht errettet?
Müßt’ ich nicht undankbar heißen,
Zögert’ ich jetzt eine Stunde
Ihm mit Gleichem zu vergelten?
(Sie geht ab, Miß Käthchen folgt ihr.)
Schira,
nach einer Weile kommend.
Wunderlich! sonst träumt’ ich öfter,
Dachte nie daran, daß Wahrheit
Mir ein Traum verkünden könnte.
Aber dieser treibt mich heute
In der Nacht aus meinem Bette.
Und was seh ich? Ja, die Lichter
Brennen hier noch auf dem Tische.
Und wo sollte Roselinde
Denn noch sein? Es schläft schon Alles,
Sie allein ist nicht zu Bette.
Und ihr Bett noch unberühret.
(Er sieht umher.)
Aber ihre Sachen alle,
Ihre Kleider, ihre Schuhe
Sind noch da, all ihr Gepäcke.
(Er sieht den Zauberspiegel und nimmt ihn.)
Ei, was ist das für ein Spiegel?
Welcher wunderliche Rahmen?
(Er sieht hinein.)
Muß doch auch einmal hinein sehn.
– Ei, da seh’ ich sie im Spiegel!
Ei, da sitzt sie in der Kutsche!
Was ist das für eine Gegend,
Die mir so bekannt erscheinet? –
Ach, das geht nach Mordi’s Garten. –
– So verließest du mich wieder,
Meine liebe Roselinde?
Und ich soll allein hier bleiben?
(Er besinnt sich.)
Nein! ich weiß jetzt was ich thue.
Kost’ es mich auch was es wolle,
Kost’ es mich auch selbst das Leben,
Hier verbleib’ ich nicht mehr länger,
Reise nach zu Mordi’s Garten,
Bleibe dort bei Roselinde.
– Meine beiden ältern Töchter
Lieben doch mich nicht von Herzen,
Werden sich zufrieden geben,
Wenn sie meine Schätze haben,
Daß sie reich sich kleiden können,
Und um große Summen Geldes
Spielen mit den Königstöchtern.
(ruft:)
Heda! Sami! – Holla! Sami!
Sami kommt.
Was befehlt Ihr, mein Gebieter?
Schira.
Laß den Wagen schnell bespannen.
Sami.
Wollet Ihr so spät noch reisen?
Und alleine?
Schira.
Willst du mit mir?
Sami.
Wenn Ihr mich auch brauchen könnet.
Schira.
Doch wir kehren schwerlich wieder.
Sami.
Euer Schicksal will ich theilen.
Schira.
Doch du zitterst, wenn ich sage,
Wo ich hin zu reisen denke.
Sami.
Herr, und wenn’s durchs Feuer ginge, –
Ja, ging’s hin zu Mordi’s Garten,
Würd’ ich doch Euch nicht verlassen.
Schira.
Ja, es geht zu Mordi’s Garten,
Geht zu meiner Roselinde.
Sami.
Ist sie wieder dort? – Mit Freuden
Folg’ ich Euch und ohne Zittern.
Schira.
Bist ein treuer Diener! – Sorge,
Daß man uns die schnellsten Rosse
Jetzt an unsern Wagen gebe.
Sami.
Folgt nur bald hinab zum Wagen,
Denn geschirrt sind bald die Pferde.
(ab.)
Schira.
Ei, mit wem spricht denn der Alte?
Wer ist noch so spät da draussen?
(Es pocht an der Thüre.)
Nur herein!
Besenstielchen kommt schüchtern.
Schira.
Ei, Besenstielchen,
Was führt dich so spät herüber?
Besenstielchen.
Danken wollt’ ich Roselinden,
Denn am Tag hab’ ich zu schaffen;
Abends aber sind die Feste,
Da ich auch nicht kommen konnte.
Schira.
Danken?
Besenstielchen.
Ja, ich wollt’ ihr danken.
Ach, sie ist so gut und freundlich.
Seit sie hier ist, kam sie immer
Schon zu mir am frühen Morgen.
Manches that sie mir zu Liebe.
Doch vor Allen hat sie heute,
Da ich draussen war im Walde,
Besenreiser dort zu holen –
Denn, Ihr wißt, der Vater kann nicht,
Hält die Besen auf dem Markte
Immer nur noch zum Verkaufe,
Weil er gar zu schwächlich worden,
Da hat sie ihm heut am Tage
Ganz geheilt mit einem Balsam,
Als sie ihn am Markt gesehen.
Dafür wollt ich ihr nun danken.
Schira.
Kannst ihr aber jetzt nicht danken,
Sie ist fort, nach Mordi’s Garten.
Besenstielchen.
Ist sie fort nach Mordi’s Garten?
Schira.
Und ich reis’ ihr nach so eben.
Besenstielchen.
Ach! dürft’ ich doch auch mitreisen.
Schira.
Willst du mit? – Sags deinem Vater,
Mit mir nehm’ ich dich recht gern.
Besenstielchen.
Wollt Ihr? – O, da reis’ ich mit Euch.
Vater wird es gern erlauben.
Will ihn gleich darum befragen.
(schnell ab.)
Schira setzt sich und schreibt.
Daß Hirlande und Astralle
Wissen, wo ich hingekommen
Will ich schriftlich Abschied nehmen.
(Er schreibt einige Zeilen, steht auf.)
So, nun hab’ ich aufgeschrieben,
Daß ich weit von hier verreise,
Daß ich nimmer wieder komme,
Daß Hirlande und Astralle
Sich in meine Schätze theilen,
Und für todt mich ansehn sollen.
– – Leb denn wohl, du alte Heimath!
Oft bin ich hier ausgezogen,
Aber immer wieder kommen.
Heute zieh’ ich denn von dannen,
Kehre nimmermehr zurück.
Lebt hier niemand, der mich liebet,
Als der alte, treue Sami,
Als das gute Besenstielchen,
Und die nehm’ ich mit von dannen.
Lebe wohl, du alte Heimath!
Keine Heimath bist du ferner,
Denn wo keine Liebe wohnet,
Ist ein jedes Land uns Fremde.
(ab.)
Roselinde.
Wo er ist, der arme Mordi?
(ruft.)
Mordi! – Bin den ganzen Garten
Jetzt schon nach ihm durchgelaufen,
Habe laut und oft gerufen.
(ruft wieder:)
Mordi! Mordi! lieber Mordi!
– Ei, was liegt denn da im Grase?
Ist er das? – Ach, ja! das ist er.
Ach, wie klein ist er geworden!
Oder ist er gar gestorben?
(sie geht hin.)
Nein er lebt, denn sichtbar dehnet
Sich der Leib – das kommt vom Athmen.
Aber, ach, wie muß er krank sein!
Denn er ist so abgezehret,
Eingeschrumpft fast bis zur Hälfte.
(Sie kniet nieder zu ihm.)
Wie er jetzt die Augen wendet,
Und mich ansieht! Armer Mordi!
Ach, wie trüb sind deine Augen!
Sag, was fehlt dir?
Mordi gibt einige schwache Laute von sich.
Roselinde.
Wie, du kannst auch nicht mehr sprechen?
Ach, du wirst mir doch nicht sterben?
Soll ich dir vom Balsam geben?
(Indem sie das sagt, streichelt sie ihm mit der Hand über den Kopf und weint.)
Mordi
wird in diesem Augenblick in einen Menschen verwandelt, und liegt in prächtigen Königskleidern aber eben so schwach und krank vor ihr. Misekätzchen wird zu Miß Käthchen.
Roselinde.
Ei, was war das? Wo ist Mordi?
Wie ist das denn zugegangen?
Mordi ist ja ganz verschwunden,
Und da liegt ein Mensch im Grase!
Miß Käthchen.
Das ist unser König, Herrin.
Roselinde.
Ei, wer spricht da? du, Miß Käthchen?
Und ist dieser Prinz Herr Mordi?
Mordi schwach.
Ja!
Roselinde.
Bist Du wirklich mein Herr Mordi?
Mordi.
Gib mir schnell vom Lebensbalsam,
An dem Herzen sitzt der Tod mir.
Roselinde hält ihm die Balsamflasche an die Lippen.
Da! da! trinke!
Mordi trinkt.
Ach, wie heilsam!
(Er trinkt mehr, steht auf.)
Liebe, liebe Roselinde,
Sieh schon bin ich ganz genesen.
Roselinde.
Ach, wie bin ich nun so glücklich,
Daß Du jetzt ein Mensch geworden,
Aber wirst Du auch nicht wieder
In ein Ungeheu’r verwandelt?
Mordi.
Sei nicht bange, Roselinde.
Du hast mir mit Deinen Händen
Freundlich meinen Kopf gestreichelt,
Der so furchtbar häßlich aussah,
Und das lös’te allen Zauber.
Roselinde.
Dürfen jetzt auch Menschen kommen?
Mordi.
Alles, Alles ist nun anders.
Ich bin kein verwünschter Prinz mehr,
Meine Diener sind nun Menschen,
Und so dürfen denn auch künftig
Menschen ohne Furcht sich nahen.
– Aber wie kann ich Dir’s danken!
Sieh, in Zukunft bin ich König,
Herrsche über all die Länder,
Welche hier uns rings umgeben,
Und durch Dich bin ich so glücklich
– Bleibe bei mir Roselinde,
Sei die Königin des Landes.
Roselinde.
Ei, das will ich herzlich gern.
Mordi.
Willst Du? liebe Roselinde?
O, dann komm, dann komm geschwind.
Laß uns zu dem Schlosse eilen,
Daß man schnell ein Fest bereite,
Unsre Hochzeit bald zu feiern;
Daß ich schnell an Deinen Vater
Einen meiner Diener sende,
Der ihn zu uns her geleite,
Daß ich all den bittern Kummer,
Den ich ihm gemacht, vergüte,
Daß er jetzt in seinem Alter
Frohe Tage bei uns lebe.
Roselinde.
Ach, Du bist so gut, Herr Mordi!
Komm, ja, komm denn schnell zum Schlosse. –
Aber laß auch Besenstielchen
Mit dem Vater zu mir kommen,
Daß ich ihre treue Liebe,
Die sie mir als Kind bewiesen,
Wie es billig ist, vergelte.
Mordi.
Ja, sie soll als Deine Freundin
Künftig immer um Dich bleiben,
Und soll die Gemahlin eines
Meiner ersten Räthe werden –
Komm, laß uns das all bestellen.
(Er bietet ihr den Arm, sie gehn ab.)
Miß Käthchen folgt.
Diener, Läufer, Kutscher, Koch und viele andere Hofbedienten kommen.
Läufer tanzt herum.
Heisa, lustig! heisa, lustig!
Meine langen Storchenbeine
Sind doch wieder menschlich worden.
Diener.
Und die langen Zottelhaare
Sind mir auch doch abgefallen.
Andrer Diener.
Was warst du denn für ein Thierchen?
Diener.
Ich? ein Pudelhund.
Andrer.
– Ich aber
War ein Affe.
Koch.
Dank dem Himmel!
Ich muß jetzt doch nicht mehr bellen,
Und kann wieder deutlich reden.
Kutscher.
Unser Herr ist auch ein Mensch.
Koch.
Der war noch am allerschlimmsten
Dran, der war verzweifelt garstig.
Diener.
Dem wirds auch ganz wohl sein endlich.
Wie ist’s aber zugegangen?
Andrer Diener.
Wau! wau! – Ach, wie dumm! ich meinte
Ich sei noch ein Hund, und müßte
Auch, wie sonst, noch immer bellen.
Läufer.
Juchhe! meinetwegen sei es
Zugegangen, wie es wolle! –
Diener.
Kommt! der Herr wird auf uns warten,
Eben ging er aus dem Garten.
Alle springend.
Juchhe! Kommt! Juchheisasa!
Mordi ruft.
Diener!
Alle.
Herr, wir kommen! ja!
Guran
sitzt, und sieht hinauf unter das Dach.
Hm! hm! – Was das bedeuten mag.
Ein Knecht kommt.
Was guckst du denn so hinauf unter das Dach?
Guran.
Siehst du nichts?
Knecht.
Die Schwalbennester.
Guran.
Und die Schwalben reißen sie selber ab. Ich seh schon lang zu. Sonst ziehen sie immer wohl um diese Zeit bald fort, aber die Nester lassen sie doch, daß sie eine Unterkommen haben, wenn sie zurückkehren.
Knecht.
Das bedeutet Unfriede in dem Haus.
Guran.
- Geh! das werden die Vögel wissen? Das Vieh [119] kümmert sich nichts drum, ob Fried’ oder Unfried’ im Hause ist, wo sie ihr Nest ankleben, wenn’s nur brav Ungeziefer gibt, von dem sie leben.
Knecht.
Das gilt nicht von den Schwalben.
Guran.
Ach, geh mit deinem Aberglauben.
Knecht abgehend.
Wunder über Wunder! Der Herr ist fort, kommt gar nicht wieder.
Guran.
Fort?
Lugar.
Ja, fort! und ich geh auch. (Zeigt einen Beutel mit Geld:) Sieh, das ist mein Lohn. Den hab ich mir gleich auszahlen lassen. Denn jetzt mag ich nicht hier bleiben. Die beiden Töchter des Herrn sind gar wunderlich und immer verdrießlich, wenn sie zu Hause sind. Ich glaube, die können nur am Spieltisch fröhlich sein.
Guran.
- Wahr ists! Da wirds eine schöne Wirthschaft geben. [120] Aber wie ist es denn zugegangen? Warum ist der Herr denn fortgereißt.
- Lugar.
- Ja, warum? das kann ich nicht sagen. Sieh, ich war eben oben, da hör’ ich die Beiden zanken und schelten, und als ich in das Zimmer ging – du hättest den Spektakel sehn sollen! – Da zankten sie sich um Roselindens Kleider. Die ist auch fort, und hat alle ihre kostbaren Sachen im Stich gelassen.
- Guran.
- Ei, ei! was man nicht alles erlebt!
- Lugar.
- Und wie sie so die Kleider herum rissen, und sich schier darüber schlugen, und sie einander aus den Händen zerrten, da sagt’ ich so in aller Unschuld vor mich hin: „Nun, ja! wenn das der Herr wüßte!“ Da fuhren sie aber alle Beide auf mich her, und schrieen durcheinander: „Was willst du? Jetzt sind wir Herrn! Jetzt haben wir zu befehlen!“ Und die Eine hielt mir ein Blatt, von unserm Herrn geschrieben, vor die Augen, und stieß mir’s fast unter die Nase, und rief: „Da, lies, und lerne Respekt haben!“ Da las ich denn klar in drei, vier Zeilen, daß [121] er fort sei, und nicht mehr wieder käme, und daß seine zwei ältesten Töchter alle seine Güter und Schätze theilen sollten.
- Guran.
- Hm! hm! Was das für Sachen sind! Die Schwalben haben da doch Recht, da war ja Zank und Streit.
- Lugar.
- Er ist mit der frommen Roselinde fortgefahren, und da geht’s ihm gewiß gut. – Aber ich forderte gleich meinen Lohn, und gehe jetzt, den Herrn wieder aufzusuchen, oder doch in einen andern Dienst zu kommen. Denn in dem Hause wird kein Diener mehr lange bleiben.
Guran.
Ja, ja! da zieh’ ich auch davon.
Ein Knecht kommt.
Jetzt reißt auch der Storch sein Nest vom Dach. Das beweißt, daß jetzt nur Gottlosigkeit in dem Hause wohnt.
Lugar.
Was? das bedeutet schnell Verderben!
Ein Diener kommt.
Welch ein Unglück?
Alle.
Nun, was gibt es denn schon wieder?
Diener.
Zwei Leichen auf einmal.
Guran.
Was?
Diener.
Unsers Herrn Töchter zankten sich über ihrer Schwester goldgesticktes Kleid, jede hielt es, und keine wollte es lassen, und zerrten so daran, und kamen bis an die Treppe, und eine riß mit aller Macht, da riß das Kleid entzwei, und beide stürzten die Treppe von oben bis unten herab, und liegen nun da, und keine rührt ein Glied. Sie haben beide den Hals gebrochen. Aber jede hält noch das Stück Kleid in den Händen.
Guran.
So sind sie todt?
Diener.
Freilich, freilich! maustodt.
Knecht.
Das haben die Schwalben wohl gewußt, daß es Todtschlag in dem Hause geben wird. Gelt, Guran, du wolltest nicht glauben!
Lugar.
Und der Storch. Drum hat er sein Nest heruntergeworfen.
Guran.
Das haben die beiden Mädchen wohl an ihrem Vater verdient, den sie hätten verschmachten lassen, als er krank lag.
Lugar.
Sie hätten gern schon früher mit seinem Vermögen geschaltet und gewaltet nach Gefallen. Darum wars ihnen leid, daß er wieder gesund ward.
Einige Diener.
Kommt, laßt uns das Unglückshaus verlassen.
Alle.
Ja, wir wollen alle gehen.
(Sie gehen ab, indem schlagen die Flammen an allen Enden aus dem Hause.)
Sami.
Stellet hier euch in zwei Reihen;
Lange können sie nicht bleiben.
Wenn sie von dem Tempel kommen,
Wo die Trauung jetzt geschiehet,
Laßt uns laut ein Vivat rufen.
Alle.
Ja, gewiß von ganzem Herzen.
Das versteht sich ja von selber.
Voraus geht eine vollständige Musik. Die Musikanten sind in himmelblauen Sammt gekleidet. Darauf folgen zwölf Knaben und zwölf Mädchen in weißen Flügelkleidchen mit silberdurchwirkten himmelblauen Binden um den Leib. Dann folgt das Brautpaar, der König mit Roselinden, hinter ihnen geht Schira. Hinter Schira kommen wieder sechs Knaben und Mädchen in hellgrünen Flügelkleidern, nach ihnen kommt Besenstielchen als Braut gekleidet, und neben ihr geht des Königs erster Rath, ihr Bräutigam. Den Zug schließen lange Reihen von des Königs Räthen, Hofbedienten und Volk.
Einer der Diener zu Sami.
Wer ist der denn hinterm Brautpaar?
Sami.
Das ist Schira ja, der Vater.
Und dort geht noch eine Jungfrau,
Die aus unserm Land gekommen.
Andere Diener.
Welche?
Sami.
Dort, die Braut vom zweiten Brautpaar;
Dort die Braut des ersten Rathes.
Die hieß bei uns Besenstielchen,
Aber ist die treuste Seele,
Die man weit und breit kann finden.
(Der Zug nahet sich.)
Sami.
So, jetzt ruft das Vivat,
Aber recht aus voller Kehle.
Alle.
Vivat Mordi! vivat Braut.
Vivant alle Hochzeitsgäste!
Mordi und Roselinde.
Kommt und nehmet Theil am Feste.
Alle.
Vivat Bräutigam und Braut!
Vivant alle Hochzeitsgäste!
Indem der Zug mit Musik vorüberzieht, fällt der Vorhang.