Morgenbegegnung
Sie ist an mir vorbeigegangen,
Mit flücht’gem Gruße, schnell und kalt,
Kein Schimmer flog auf ihre Wangen,
Kein Licht durchzückte die Gestalt.
Mir sie noch diese Nacht gestellt!
Da wandelte sie durch die Bäume,
So ganz von Freundlichkeit erhellt;
Und neigte sich zu süßem Grüßen
Ich sah den Himmel sich erschließen,
Ich zweifelte, ich schwankte nicht.
Ich weiß nicht, wie es ist ergangen,
Ich lag ihr in dem zarten Arm;
Fühlt’ all ihr Leben voll und warm.
Mir duftete der Strauß entgegen,
Der keusche Wächter ihrer Brust,
Es war mir ihres Herzens Regen,
So hielt der Traum mich still und lange
Versenkt in ruhigen Genuß.
Da endlich drückt’ er Wang’ an Wange
Und schied mit einem sel’gen Kuß.
Seltsam bewegt von Lieb’ und Wahn;
Und, wie im Schlaf, so kam auf’s Neue
Alsbald die Süße mir heran.
Wie dacht’ ich meines Traumes wieder!
Ich schlug verschämt die Augen nieder,
Und wagte kaum, sie anzusehn.
Ich schielte bang nach meinem Glücke –
Sie sah nicht auf, sie winkte kaum:
Sie wissen nichts von meinem Traum!
Geh’ denn, du armes Lied, und sage,
Was ich ihr stets verschweigen muß!
Erfleh’ von Ihr mit deiner Klage
So wird der Traum mir zur Geschichte,
Und tritt in’s wache Leben ein:
Seh’ ich auf ihrem Angesichte
Den kurzen, lieben Widerschein.