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Mutter Kranzlern

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Textdaten
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Autor: Max Alt
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Titel: Mutter Kranzlern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 457–459
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[457]
Federzeichnungen aus einem Berliner Skizzenbuche.
1. Mutter Kranzlern.

Flackerndes Laternenlicht, Sturm, Regen, Schnee, Alles in wechselnd schrägen Linien wild durcheinander gepeitscht; die Fußgänger vorn übergelegt dagegen ankämpfend, ihre Hüte haltend und die Falten ihrer Mäntel und Havelocks zwischen den Füßen; die Regenschirme ächzend und seltsame, melonenartige Gestalten annehmend, die Droschkenpferde sogar mit flatternden Mähnen und Schweifen das schwankende Gefährt ruckweise hinter sich herreißend – und das Ganze sich spiegelnd auf Trottoirs und Fahrdämmen [458] in tausend glitzernden, schwarzgesäumten Pfützen. – Keine angenehme Abkühlung für durcheinander strömende Menschen, die mit erregten Sinnen aus dem Theater kommen, wo die Unschuld, wie immer, nach langen und harten Kämpfen triumphirte. Der fallende Vorhang verschloß das süße Mysterium der Bühne, das Stück war da drinnen aus – um hier in Sturm und Regen von Neuem zu beginnen. – Da steht die arme Unschuld rathlos, während der Intriguant und das geschminkte Laster, das sie abgethan glaubte, in die sammetsitzige Kutsche steigen. Sie will eben daran vorüber, als die Pferde anziehen und die sich schnell in Bewegung setzenden Räder mit den Guttaperchabändern sie höhnisch mit Koth bespritzen. – Ein paar Thränen treten wohl der Armen in die Augen, die noch vor fünf Minuten so glücklich lächelten – aber sie schüttelt sie trotzig hinweg, denn in dem Herzen wogt es noch so wonnig zitternd auf und nieder. Noch steht sie einen Augenblick furchtsam überlegend da, dann rafft sie sich erröthend auf, und läßt sich von Sturm und Regen nach Hause peitschen, wo sie in ihrem kleinen Dachstübchen die wonnigen Träume von Neuem hervorzaubert, mit so festem Willen, daß diese gehorsam in ihren Schlummer hinübergleiten.

Dieses Bild flog an meinem Geiste vorüber, als auch ich an solch’ einem Tage aus dem Friedrich-Wilhelmsstädter Theater kam, und ich sah nachdenkend darauf hin, als ein junger Mann mit langem blonden Haar an mich herantrat und mit bescheidenem Gruß sagte: „Gehen Sie in das Brauhaus, Herr Doctor? würden Sie mir gestatten Sie zu begleiten? … ich möchte Ihren Rath in einer wichtigen Sache erbitten!“ – Es war ein junger Musiker, den ich fast nur vom Ansehen kannte, und so war ich ein wenig verwundert. Aber sein seltsam nervöses und aufgeregtes Wesen hatte meine Blicke zuweilen auf ihn gelenkt, und die wenigen Worte, die wir ein paar Mal ausgetauscht (er kannte mich, ohne daß ich wußte wovon), hatten mir gezeigt, daß er zu den Tausenden junger Leute gehörte, welche in der großen Stadt ihr Dasein kümmerlich fristen und dabei träumen von kommendem Ruhm, Reichthum und Größe. – Die Armen! – So ließ ich ihn gewähren, und wir saßen bald in dem großen Saal des Brauhauses an einem kleinen Tisch in der Ecke, und der wüste Lärm der klappernden Seidel und das Gewirr von tausend durcheinander schallenden Stimmen hinderte nicht, daß er sein Anliegen hastig und mit zuckender Lippe hervorbrachte. – Es war, wie ich mir gedacht hatte. Es duldete ihn nicht länger – er wollte hinaus in die Oeffentlichkeit. Das Theater – er war Componist – lockte ihn mit seinem verführerischen falschen Schein; er träumte von einer Oper, die hundert Mal gegeben würde.

„Einen Text,“ sagte er, mit den langen dünnen Fingern auf der Tischplatte concertirend, „einen guten praktischen Text von einem namhaften Autor, und ich bin ein gemachter Mann!“

Ich wußte aus Erfahrung, daß es unnütz sei, meine abmahnende Stimme ertönen zu lassen, und ich versprach deshalb an ihn zu denken, wenn ich etwas hören würde. Dann ließ ich ihn seine Luftschlösser aufbauen, und sah mit müden Augen in das wirre Durcheinander des großen Locals, während er ununterbrochen sprach, von sich – und sich – und seinen hochtrabenden Plänen, wie es Alle thun, die jung und ehrgeizig sind. – Sturm und Regen schienen ihr Spiel draußen noch unverdrossen zu treiben, denn die neu Eintretenden schüttelten sich, wischten mit blöden Augen umherstierend ihre Brillengläser ab, oder spritzten ihre Hüte an dem Fußboden aus. – Unter ihnen war eine alte Frau, die sich ein Weilchen in dem Winkel am Eingang aufhielt, wo sie ihr nasses Tuch ablegte, und sich dann bückte, um einen großen Korb von seiner schützenden Hülle zu befreien. Es war eine von den unzähligen umherwandernden Kuchenfrauen, denen das Volk den Gattungsnamen „Mutter Kranzlern“ gegeben hat, auf den sie Alle gleich willig hören. Ich kannte sie seit Jahren, und hatte sie oft, vielleicht bei schlechterem Wetter in irgend ein Local treten sehen – warum kam mir gerade heute der Gedanke, daß es grausam sei, eine offenbar leidende alte Frau in solchem Wetter hinauszujagen? – Sie machte, ihren großen Korb mühsam vor sich hertragend, ihre Runde und fand reichlichen Absatz. Ich war einer ihrer treuesten Kunden für ein den englischen Biscuits ähnliches Gebäck, das zum Bier gut mundete. Warum steuerte sie nicht heute wie immer mit ihrem traurigen Lächeln auf mich zu? – Hatte sie mich nicht gesehen? – Ich mußte sie rufen und sie drängte sich endlich nach unserer Richtung hindurch, da auch an einem Nebentisch nach ihr verlangt wurde.

„Wollen Sie mir nichts mehr verkaufen, Mutter Kranzlern?“ sagte ich lächelnd.

„Ach! Herr Doctor, ich habe Sie man blos nicht gesehen!“ antwortete sie verlegen.

„Wissen Sie übrigens, daß es sehr unklug von Ihnen ist, bei solchem Wetter nicht lieber zu Hause zu bleiben – in Ihrem Alter!“

Sie zuckte nur mit den Achseln und sagte einfach: „Ach, Herr Doctor – Sie wissen wohl!“

Was lag Alles in diesen wenigen Worten! Ich sah nach dem jungen Musiker hin, als müßte ich sehen, welchen Eindruck sie auf ihn machten. Er las in der Neuen Preußischen, deren großes Format ihn ganz meinen Blicken entzog.

„Ist Ihr Sohn noch immer nicht so weit etwas für Sie thun zu können?“ fragte ich weiter, während sie mir kleines Geld herausgab.

Sie schüttelte mit dem Kopf und antwortete: „Noch nicht!“

„Nun,“ fuhr ich fort, „er kann doch aber kein Kind mehr sein?“

Sie nahm den Korb auf und sagte im Begriff weiterzugehen: „Ja, Herr Doctor, er ist noch immer … mein Kind!“ und während sie sich umwandte, hatte ich einen Blick aufgefangen, der mit einer eigenthümlichen Milde auf dem mächtigen Blatt der edlen Junkerpartei ruhte.

Ich sah ihr einen Augenblick sinnend nach und sagte dann halblaut: „Die alte Frau, bei solchem Wetter … es ist ein Elend!“

Der junge Componist mußte meine Worte verstanden haben, denn er legte die Zeitung zusammen, fuhr sich hastig ein paar Mal durch die langen Haare und sagte dann ohne mich anzusehen: „Ja – es ist ein Elend! – Einen guten praktischen Text von einem namhaften Autor, und – ich bin ein gemachter Mann!“


Es war mir an jenem Abend nicht eingefallen, daß ich des jungen Mannes Sache in der Hand hatte, und noch einen zweiten Ehrgeizigen damit verbinden konnte. – Ein ebenfalls noch unbekannter Autor suchte einen namhaften Componisten für einen Text. Ich brachte sie zusammen, und es war komisch mit anzusehen, wie jeder von Beiden nur schlecht die Ueberzeugung verhehlte, daß er dem Anderen ein großes Opfer bringe. Aber sie konnten Beide nicht mehr warten, deshalb einigten sie sich, und kamen von da an zu bestimmten Stunden zusammen, um sich – zu zanken. – Ich hatte die Sache fast vergessen, als ich durch das Wiedererscheinen der alten Kuchenfrau, die ich lange nicht gesehen, daran erinnert wurde.

„Wo haben Sie gesteckt, Mutter Kranzlern?“ fragte ich; „Sie waren doch nicht krank?“

„Nicht ich, Herr Doctor,“ antwortete sie mit ihrem traurigen Lächeln; „aber mein Sohn wäre mir beinah’ gestorben!“

„O!“ antwortete ich theilnehmend, „was hat er gemacht?“

„Er hat zu viel gearbeitet, und verfiel in ein heftiges Nervenfieber; vier Wochen habe ich an seinem Bett gesessen, und es war schrecklich ihn anzuhören, wie er phantasirte!“

„Was arbeitet er eigentlich, Mutter Kranzlern?“

„Sie wissen ja – er macht was für’s Theater!“ antwortete die Alte nach einem kleinen Zögern.

„Ist’s möglich?“ sagte ich erstaunt, und ich sah plötzlich die Kreuzzeitung vor meinen Augen, ohne daß sie da war – „jener junge Mann war Ihr Sohn?“

Die alte Frau nickte und ihre Augen leuchteten stolz auf, während die meinen im Begriff waren sich zu trüben. – „Er spricht fortwährend von Ihnen, Herr Doctor,“ fuhr die Alte fort, nachdem sie mir Zeit gelassen, mich von meinem Erstaunen zu erholen; „und Sie waren immer so … freundlich zu mir! Vielleicht erfüllten Sie den Wunsch einer armen Mutter … und besuchten ihn einmal!?“

Ich gab meine stumme Zustimmung und fragte dann noch: „Ist es Ihr Wunsch, Mutter – oder der seine?“

Sie schien mich zu verstehen, denn sie antwortete ruhig lächelnd: „Der seine, und Sie würden mir einen so großen Gefallen thun!“

Am anderen Tage nach Tische war ich da. Die kleine Wohnung war einfach, aber nicht ärmlich ausgestattet, und in einem sehr weißen Bett lag der junge Componist, den seine übertriebene Sehnsucht nach Ruhm bald in das Reich der Schatten hinübergeführt hätte. Er glich fast einem solchen, so durchsichtig war sein schon sonst blasser Teint. Seine Hände concertirten wie damals unruhig auf [459] dem Deckbett hin und her, als er auf meine Frage nach seiner Oper antwortete: „O, sie wird! – ich habe während meiner Krankheit immer daran gearbeitet, sie wird – wenn nur der Text besser wäre !“

Ich mußte wider Willen lächeln, als ich antwortete: „Nun, vielleicht erlaubt der Autor, daß wir kleine Aenderungen damit vornehmen !“

„Ach, Herr Doctor, wenn Sie das wollten!“ und sein Gesicht verklärte sich, „so bliebe mir ... nichts zu wünschen übrig!“ Er schloß dann wie müde seine Augen und mein Blick durchflog schnell das Zimmer, um gleich darauf wieder zu ihm zurückzukehren.

„Ich weiß, was Sie denken,“ fuhr er dann plötzlich sich ein wenig aufrichtend fort. „Die Menschen sind so grausam, und haben mich so oft ... mit ihrem Spott darüber gekränkt – und meine alte Mutter wußte es – und es war ihr Wunsch – ihr Wunsch, daß wir uns in ... öffentlichen Localen nicht kennen sollten!“

Ich schwieg eine Zeit lang, nicht einmal verwundert, daß er meine Gedanken errathen hatte. Dann sagte ich theilnehmend: „Und sie trabte in Wind und Wetter durch die Locale und holte dreierweise zusammen, was Ihre Ausbildung kostete!?“

„Ja,“ stimmte er mit einem schwermüthigen Kopfnicken zu, „und sie litt es nicht, daß ich zum Tanz spielte, weil ich zu schwächlich sei, und schaffte Alles, Alles was ich brauchte, und ich – kannte sie nicht, wenn wir uns vor fremden Menschen sahen! Da kam meine Krankheit, die Gott mir schickte, ich weiß es! Es wurde mir klar, aus ihrer unermüdlichen Pflege, was – Mutterliebe ist; und ich schämte mich! Verdammen Sie mich nicht! Wenn ich wieder gesund bin, soll es anders werden, und ich schwöre Ihnen, wenn meine Oper gefällt, was Gott geben mag, dann will ich sie an meinem Arm im Triumph in’s Brauhaus führen, und will ihr vor allen Leuten um den Hals fallen, und sie soll nicht mehr hinaus in Wind und Wetter, ich schwöre es Ihnen!“

„Halten Sie diesen Schwur, Berger,“ sagte ich, ihm gerührt die Hand reichend, „und es wird Ihnen kein Unglück bringen!“

Zwei Monate darauf war die kleine Oper fertig und der junge Componist that selbstbewußte Schritte, um sie zur Aufführung zu bringen. Hangen und Bangen, in der Zwischenzeit durchwebt mit goldenen Träumen; dann die Enttäuschungen. Zwei Directionen hatten das kleine Werk kalt zurückgewiesen. Wer kennt nicht die Schwierigkeit des ersten Schritts in jeder künstlerischen Laufbahn? – Verzweifelt und aus all’ seinen Himmeln gestürzt kam Julius Berger zu mir und bat mich um Unterstützung; es traf sich wieder, daß ein beliebter Schauspieler ein paar kleine Sachen für sein Benefiz brauchte; und ich sagte dem Componisten, daß dies die leichteste Art für unbekannte Autoren sei, das ersehnte Licht der Lampen zu erblicken. Der Schauspieler, mit dem ich befreundet war, legte sich dahinter, die Operette wurde geprüft und zur Aufführung angenommen. Es kamen die Proben mit ihren großen Kränkungen und den kleinen aufregenden angenehmen Momenten, und hinter ihnen der langersehnte und nun so gefürchtete Tag der ersten Aufführung. Das Haus war überfüllt, und die erste der vier kleinen Novitäten, die im Verein mit der Beliebtheit des Benefizianten die Menge herbeigezogen hatten – ward ausgepfiffen. Ich traf während des zweiten Stücks, dem ein gleiches Schicksal bevorzustehen schien, auf der Bühne mit dem jungen Componisten zusammen und ich freute mich zu sehen, daß sein sonst ziemlich starkes Selbstbewußtsein ihn vollständig verlassen hatte. Er war im Voraus halbtodt und lehnte zitternd an einer Seitendecoration.

„Es fällt durch, es muß durchfallen; ich weiß es – der Text!“ jammerte er und zitterte vor Erregung. Er that mir leid und ich sagte deshalb tröstend zu ihm:

„Haben Sie Ihre Schuldigkeit ganz und vollständig bei der Sache gethan, Berger?“

„Ich habe mein Herzblut gegeben, Herr Doctor!“ sagte er betheuernd.

„Nun,“ erwiderte ich, „so lassen Sie es gehen; Sie können mit Ihrer Angst nichts ändern; vertrauen Sie auf Gott und denken Sie an das, was Sie ihm versprochen!“

Ein Arbeiter fuhr mit einem staubigen Rosenstrauch (von Pappe mit Latten aufgesteift und hübsch ausgezackt) zwischen uns durch und trennte uns. Ich ging wieder in den Zuschauerraum, aus dem immer stärker das Begehren laut wurde, daß der Vorhang fallen solle. Es war eine sehr bedenkliche Stimmung im Hause und ich fing an, für den Sohn der Mutter Kranzlern zu fürchten. Aber wer will das Publicum einer großen Stadt und einer ersten Aufführung berechnen? Es hatte soeben ein Strafgericht an zwei gar nicht unbekannten Autoren statuirt, denen es manche frohe Stunde verdankte. Nun kam es zu der dritten Pièce, der kleinen Operette. Der Zettel wurde zum zwanzigsten Mal gelesen: „Hübscher Titel ! – Aber wer ist Berger? – Wie heißt Berger?“ – Niemand kannte ihn. – Hatte dieses vielköpfige Ungeheuer einen Instinct? ahnte es, daß hier das Lebensglück eines jungen talentvollen Burschen durch ein freundliches Lachen, durch ein paar gut ausgeführte Beifallssalven zu gründen sei? – Gleich bei den ersten Nummern merkte man deutlich, daß auf allen Plätzen der Wunsch vorhanden war, sich nun auch ein Bischen zu amüsirem. – „Bravo!“ „da capo!“ tönte es hier und da, und die Gesichter klärten sich mehr und mehr auf. Nun kam die erste Sängerin, der ausgesprochene Liebling des Publicums, mit einem lustigen, aufgeweckten Liede, das außerordentlich gefiel. Das Schicksal des kleinen Werkes war entschieden, und ich ging erfreut auf die Bühne, nach meinem Schützling zu sehen. Er fürchtete noch immer, daß es anders kommen könne. Aber Trost kam jetzt von allen Seiten.

Der Tenorist sagte im Vorübergehen: „Kopf hoch – wir sind nun über den Berg fort!“

Der Director trat einen Augenblick zu uns heran und sagte neckend: „Haben Sie auch einen Frack an, Herr Berger? Sobald nach Ihnen gerufen wird, stoße ich Sie hinaus und lasse hochziehen!“

Der glückliche Junge strahlte.

„Ist Ihre Mutter im Theater?“ fragte ich ihn gleich darauf.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete er, immer ängstlich nach dem Zuschauerraum hinhorchend; „sie wollte um keinen Preis der Welt her; aber ich glaube dennoch, daß sie da ist – heimlich!“

Das Finale hatte begonnen und ging glänzend zu Ende. Die Sänger wurden gerufen, und gleich darauf erhoben sich ein paar Stimmen, die nach dem Componisten verlangten; die Menge fiel augenblicklich ein und es wirbelte in allen Tonarten durcheinander: „Berger! Componist! – Componist! Berger!“ – Der Tenorist und die erste Sängerin nahmen den Zitternden in ihre Mitte und zogen ihn hinaus. Während der Vorhang emporrauschte, lehnte ich mich unerlaubt weit vor, um zu sehen, ob ich aus der dunkeln Menge nicht den Punkt herausfinden könne, wo nächst seinem jungen ein altes treues Herz am lautesten unter den Tausenden klopfte.

Eine halbe Stunde später verließen die letzten Nachzügler das Theater, während der Director noch mit einigen Recensenten und Kunstfreunden plaudernd im Corridor vor der Casse stand. Ich befand mich in der kleinen Gruppe, als Julius Berger strahlend vor Glück grüßend daran vorübergehen wollte. Der Director bemerkte ihn und rief ihn freundlich heran. „Ich werde thun, was ich kann,“ sagte er, ihm die Hand reichend. „Es ist ein hübscher Anfang; machen Sie sich bald an etwas Größeres. Ihre Tantième können Sie am Tage nach jeder Aufführung erheben!“ Auch die anderen Herren sagten ihm verbindliche Worte, die er jedoch nur halb zu hören schien, denn sein Auge durchirrte den großen, nur noch spärlich erhellten Gang.

Ja, ja! da steht sie ja in ihrer alten unmodischen Enveloppe mit der schlichten Kappe auf dem grauen Haupte in dem dunkelsten Winkel, so bescheiden, als wäre sie eine Magd, die auf ihre Herrschaft wartet! Ich beobachtete ihn scharf. Jetzt sah er sie – und Gott sei Dank! muthig stürzte er auf sie zu, zog sie an’s Licht und warf sich schluchzend in ihre Arme. Auch sie weinte und strich ihm das lange Haar glatt, durch das der Zugwind nach der Straße hinausfuhr.

„Es ist seine Mutter,“ sagte ich, zum Director gewandt, ich fühlte, dieser Augenblick konnte ihm nützlicher sein als irgend eine andere Empfehlung; „seine Mutter, eine alte brave Frau, die Tag und Nacht für ihn gearbeitet hat!“

„Freut mich,“ antwortete der Director, „so ist er auch ein braver Sohn und wir wollen ihm auf die Beine helfen!“

Die kleine Oper ist in einem Jahre vierzehn Mal gegeben worden und hat ihrem Componisten eine Anstellung als Dirigent einer andern Theatercapelle eingetragen. Mutter Kranzlern trägt keinen Kuchen mehr aus; sie hat jetzt die langverdiente Ruhe. Aber sie scheut heute noch nicht Wind und Wetter, um zu sehen, wie ihr Sohn den kleinen schwarzen Dirigentenstock führt. Denn das ist für sie die Hauptsache bei der ganzen Geschichte.

Max Alt.