Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert (1876)

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Autor: Karl Ueberhorst
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Titel: Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 587–590
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert
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Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert.
Ein Culturbild nach authentischen Quellen von Karl Ueberhorst.

Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts galt Nürnberg, und zwar mit Recht, für eine der ersten Städte deutscher Nation. Alle Schriftsteller damaliger Zeit einigen sich in dem Lobe dieser Perle Deutschlands, und nicht allein Hans Sachs ist es, welcher uns in einer poetischen Beschreibung Nürnbergs deutlichen Einblick in die Größe und Bedeutung der Stadt, in ihre musterhafte Verwaltung, in das behäbige, fast prunkvolle Leben seiner Bürger gewährt.

Es ist selbstverständlich, daß durch den Reichthum der Patricier und großen Kaufherren, durch die alle Bürgerkreise durchdringende Wohlhabenheit auch das Verlangen nach Lustbarkeiten und Vergnügungen, und zwar in hohem Maße, hervorgerufen wurde. In der That hat es denn auch an dergleichen Belustigungen nicht gefehlt, und wie um diese Zeit Nürnberg fast in allen Dingen für das übrige Deutschland tonangebend war, so auch in seinen Volksfesten. Gar viele der hier eingebürgerten Belustigungen haben sich von Nürnberg aus über ganz Deutschland verbreitet, und wenn die Städtechroniken von Augsburg, Frankfurt am Main, Köln, Lübeck etc. fast zu derselben Zeit von ähnlichen Volksbelustigungen zu erzählen wissen, so sind wir doch im Stande, den Ursprung fast aller dieser Feste auf Nürnberg zurückzuführen. Will uns der Leser auf dieses Gebiet folgen, so wird er neben vielem Bekannten auch manches Neue und Interessante finden, vorausgesetzt, daß eine aus zuverlässigen Quellen gezogene Beschreibung jenes fröhlichen Treibens unseres Volkes, seiner ungebundenen Sitten und Gebräuche ihn überhaupt interessirt.

I. Waffenspiele und Fechterinnerungen.
Marxbrüder und Federfechter.

Ein Grundzug des deutschen Volkes war von den ältesten Zeiten her die Lust am Waffenspiel. Daß in den emporblühenden Städten der waffentüchtige Bürger eine Hauptbedingung für die Existenz dieser Gemeinwesen war, ist selbstverständlich, und so sehen wir denn auch schon in der allerfrühesten Zeit zu Nürnberg Vornehm und Gering, theils auf dem Marktplatze der Stadt, theils auf dem grünen Anger vor den Thoren sich an allerhand Waffenspielen ergötzen. Während die Patricier ihre Gesellenstechen halten, ahmt die weitberühmte Gilde der Plattner oder Harnischmacher dieses ritterliche Vergnügen insofern nach, als sie, geharnischt auf hohen mit Rädern versehenen Stühlen sitzend, von ihren Lehrjungen geschoben, mit Stangen gegen einander rennen und sich so gegenseitig „abzuräumen“, das heißt in den Sand zu strecken suchen. Die Messerer und die Klingenschmiede, eine ebenfalls hoch angesehene Zunft des alten Nürnberg, ehren durch zierlich verschlungene Tänze, wobei Messer und Klingen die Stelle der Guirlanden vertreten, ihr Handwerk. Armbrustschießen, die Vorläufer unserer Schützenfeste, gehörten bekanntlich zu den Hauptbelustigungen des deutschen Volkes; in Nürnberg gelangten dieselben zu solcher Ausdehnung, daß der Rath es für nöthig erachtete, ein besonderes Schießhaus für diese Uebungen zu erbauen, wo denn in späterer Zeit die Kugelbüchse den zierlichen Schnepper sowohl, wie die massive Eyben (Armbrüste verschiedener Art) bald verdrängen sollte. Trotzdem aber hat der Nürnberger eine besondere Vorliebe für die mittelalterliche Armbrust sich erhalten; noch im 17. Jahrhundert finden vielfach Vogelschießen mit Schnepper und Eyben statt, und noch heutigen Tages kann der Fremde auf seinem Rundgange durch die interessante Stadt im sogenannten „Schnepperergraben“ am Thiergärtnerthor fröhliche Männer unter blühenden Bäumen erblicken, welche mit dem Schnepper die Schießkunst ihrer Aelterväter durch fortwährende Uebung in Ehren halten.

Eine merkwürdige Art bürgerlicher Waffenübung bilden die um die Mitte des 16. Jahrhunderts auftretenden Fechterspiele. Ob die Fechter im Allgemeinen (wir finden deren schon in den ältesten Handschriften erwähnt) Nachfolger der römischen Gladiatoren gewesen, lassen wir dahingestellt; Fechter, welche für Geld ihre Künste zeigten, gehörten ursprünglich zu den fahrenden Leuten und konnten schon deshalb keine Gemeinschaft mit den Fechterinnungen haben, welche sich lediglich aus Handwerkern, und zwar aller Zünfte bildeten. Gegen 1600 nahmen die städtischen Fechtschulen Eintrittsgeld, in dessen Ertrag sich dann die siegende Partei theilte. Vor dieser Zeit galt bei den Nürnberger Fechtschulen das Ehrenkränzlein als höchster und ritterlicher Preis.

Die ersten regelrechten deutschen Fechtschulen sind zweifelsohne in Nürnberg gehalten worden. Während vor 1500 keine Stadt ähnlicher Schulen urkundlich erwähnt, beweisen schon Nürnberger Rathserlasse von 1477 bis 1492, daß hier, und zwar von Handwerkern, Fechtschulen gehalten worden sind. Sie standen in solchem Ansehen, daß Friedrich der Dritte den „deutschen Meistern des Schwertes zu Nürnberg“ einen Privilegiumsbrief ausstellte. Derselbe datirt vom 10. August 1487 und sichert den Nürnberger Meistern zu, „daß nun hinfür allenthalben in dem heiligen reiche sich niemand ein meister des schwerts nennen, schul halten noch um geld lernen soll, er sei denn zuvor von den meistern des schwerts in seiner kunst probirt und zugelassen.“[1]

Von Nürnberg aus verbreiteten sich Meister des langen Schwerts über ganz Deutschland. Wie bei den Zünften, so geschah auch hier die Aufnahme in die Innung unter allerhand Ceremonien. Es bildete sich eine Bruderschaft, welche um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts ihren Sitz in Frankfurt am Main hatte und sich nach dem Evangelisten St. Marcus die Marxbrüder nannte. Zur Zeit der Herbstmesse schlug der Hauptmann der Marxbrüder hier den Schüler nach abgelegtem Probestück zum Meister des langen Schwertes, und erhielt dieser hierdurch das Recht, überall im deutschen Reiche Fechtschulen zu halten, das heißt öffentlich fechten zu dürfen.

Die Marxbrüder sollten bald in den Federfechtern ebenbürtige Gegner erhalten. Dieselben erwählten den Prager Heiligen St. Veit zu ihrem Schutzpatrone und nannten sich Sancti-Viti-Fechter, woraus Viterfechter (Federfechter) entstanden sein mag. Da sich ihre Fechtwaffen von denen der Marxbrüder in nichts unterschieden, so ist die vielfach verbreitete Annahme, als ob das Wort Feder eine nur bei ihnen gebräuchliche Waffe bedeute, vollständig aus der Luft gegriffen. Kaiser Rudolf gab ihnen zu Prag 1607 Privilegium und Wappen, welch letzteres zur näheren Bezeichnung eine Schreibfeder im Schild führte.

Die Hauptwaffe beider Bruderschaften war das lange, zweihändige Schwert, wie es sich noch in vielen städtischen Rüstkammern vorfindet. Bei ihren öffentlichen Aufzügen wurde dasselbe, gewöhnlich mit Kränzen behangen, voraufgetragen und hieß deshalb das Prunkschwert. Es ist dieselbe zweihändige Waffe, welche das erste Glied des Landsknechthaufens beim Angriffe führte und in dessen Handhabung Georg von Frundsberg, der vielgenannte Vater der Landsknechte, ein hochgepriesener Meister war. Die zweite, vielgebräuchliche Hiebwaffe war der Dussak oder Tessak, ein kurzer, plumper Säbel mit höchst primitivem Griffe. Als unter Karl dem Fünften die spanische Mode in Deutschland einriß, kam auch der leichtere Korbdegen – in den Fechtbüchern schon damals Rappier genannt – in Aufnahme, konnte aber das lange deutsche Schwert und den Dussak nicht verdrängen.

Mit der Handhabung des Rappiers war vielfach die des Messers oder Dolches insofern verbunden, als der Fechter mit der rechten Hand das Rappier, mit der linken aber den Dolch und zwar wohl hauptsächlich zum Pariren der Hiebe führte. Ebenso finden wir Abbildungen, wo der kurze spanische Mantel, über den linken Arm geworfen, zur Abwehr der Streiche gebraucht wird. Das Gefecht um Dolchen allein, welche, um nicht tödtliche Wunden herbeizuführen, an der Spitze mit einem runden Knopf versehen waren, scheint mehr ein Ringkampf gewesen zu sein, wie denn schon Leküchner’s alte Handschrift über das Messerfechten dabei des Ringens, namentlich aber eines Handgriffs erwähnt, vermittelst dessen man den Gegner wehrlos zu machen und in den bereit gehaltenen Sack zu stecken vermag. „Will er nicht darein kriechen (in den Sack), so greif mit deiner rechten hand auswendig in seyn rechte kniepug und wirf ihn in gottes namen darein!“ So lautet der wohlgemeinte Rath des [588] alten Fechtmeisters; ob es ihm selbst jemals gelungen, seinen Gegner auf solche Art in den Sack zu bringen, verschweigt er bescheiden.

Eine weitere Fechterwaffe war die Stange und Hellebarde. Erstere diente lediglich zum Stoß und zu kunstvoller Parade, war also unschädlicher, als die wuchtige Hellebarde, welche zwar gleich der Stange geführt wurde, durch ihre Eisenbarde aber gefährliche Wunden verursachen konnte und auch wohl verursacht haben mag. Mit dem Haken, welcher sich auf der entgegengesetzten Seite der Barde befand, den Gegner beim Fuß zu ergreifen und niederzureißen, war eines der Hauptstücke bei dieser Fechtweise.

Gefochten wurde stets barhäuptig, sehr oft mit abgelegten Oberkleidern; die einzige Schutzwehr war die Waffe selbst, und unzählige Kniffe und Pfiffe finden wir in den alten Fechtbüchern zum Angriff, zur Auslage und Abwehr angegeben. „Alber“, „Ochs“, „Tag“ und „Pflug“ heißen seltsamer Weise die verschiedenen Auslagen (Leger). Von Hieben nennen wir den Ober- und Unter-, den Mittel- und Flügelhau. Für besonders subtil galten der Zorn- und Krummhau, sowie der Zwerg- und Scheitelhau. Eine Hauptparade beim langen Schwert, der imposanten Stellung halber vielfach als Titelvignette abgebildet, war die sogenannte „Krone“.


Fechten mit dem Langschwert.
Aus Joachim Meyer’s Fechtbuch von 1570 facsimile nachgebildet.


Sie diente zum Pariren des Scheitelhiebes und entstand, indem der Fechter das Schwert bei Klinge und Griff wagerecht über den Scheitel erhob und so den gefährlichen Hieb auffing.

Die Nürnberger Fechtschulen wurden unter freiem Himmel in einem von hölzernen Galerien umzogenen Hofe abgehalten. Der „Heilsbronner Hof“, auf dessen Stelle die königliche Bank hingebaut wurde, sowie das Gasthaus zum „güldenen Stern“, dicht am neuen Thore gelegen, dienten bis 1628 zu diesen Spielen. Da sich aber das Bedürfniß zu einem besonderen Fechthause, welches zugleich Bären- und Ochsenhetzen, sowie die Aufführung von allerhand Komödien zuließ, geltend machte, so ließ der Nürnberger Rath um das Jahr 1628 auf der Insel Schütt ein besonderes Fechthaus errichten, welches denn auch so lange zu Fechtschule, Bärenhatzen etc. benutzt wurde, bis ein verfeinerter Geschmack die Darstellungen guter Schauspielertruppen, beispielsweise der berühmten Veltheimischen, diesen blutigen Actionen vorzog und letztere so allmählich in Vergessenheit brachte.

Es erübrigt uns noch, das Abhalten einer Nürnberger Fechtschule nach vor uns liegenden Quellen zu beschreiben, und wenn auf der einen Seite heutigen Tages auch nur der Rohe und Ungebildete an den blutigen Kraftstücken der wackeren Handwerksgesellen Gefallen finden dürfte, so wird andererseits doch auch der feiner Geartete sich höchlichst ergötzen können an der ungeschminkten, derben Lust des Volkes, vor Allem aber an dem bunten Bilde, welches die stolze Reichsstadt in ihrer pittoresken Bauart sowohl, wie in dem farbigen Gepränge der Aufzüge und dem bunten Wechsel der Trachten geboten haben mag.

Es ist Sonntag. Der Fechtmeister (Schulhalter) hat vom Rathe die Erlaubniß zur Abhaltung einer Fechtschule erhalten und schon einige Tage vorher durch Anschlagzettel Ort und Zeit der Schule verkünden lassen. Zugleich ladet er durch den Zettel alle guten Gesellen, wie ehrliebenden Meister des langen Schwertes ein, mit ihm einen Gang zu thun, „truck oder naß“ (blutig), dabei des Schwertes nit zu schonen, sondern ihn zu treffen zu suchen „zwischen den Ohren, wo das Haar am dicksten steht“.

Vom großen Marktplatze aus, wo sich die Gegner – Marxbrüder und Federfechter – einträchtiglich versammelt haben, geht, unter Vorantragung des großen Prunkschwertes, an dem die den Siegern bestimmten Kränze hängen, der Zug zum Hofe des „güldenen Sterns“ hinauf. Ein freundlicher Junitag lacht auf die bunte Menge in den Straßen, auf die blonden Mädchenköpfe herab, welche neugierig und kichernd aus den Erkern der Häuser (in Nürnberg „Chörlein“ genannt) in das lustige Getümmel hinabschauen. Unter Trommel- und Pfeifenschall ziehen die Fechter in den mit Sand bestreuten Hof des „güldenen Sterns“ ein und theilen sich alsbald nach ihren Bruderschaften in zwei Parteien. Die Galerien ringsum sind dicht mit Schaulustigen aller Stände besetzt und auf besonderen Plätzen sehen wir Abgeordnete des Rathes, welche über strenge Handhabung der Fechtordnung zu wachen haben.

An beiden Enden des Platzes liegen Langschwerter und Dussaken, Rappiere, Stangen und Hellebarden in buntem Haufen durcheinander. Sie sind Eigenthum der einzelnen Bruderschaften, und jeder Fechter greift, sobald er den angebotenen Gang annimmt, seine Waffe heraus.

Abermaliger Trommel- und Pfeifenklang verkündet den Beginn des Spiels, und mit mächtigem Sprunge erscheint der Fechtmeister alsbald auf dem Plane. Er weiß, was er seinem Amte, seiner Würde schuldig ist. Mit gespreizten Beinen, das Haupt anmuthig hin- und herwiegend, umschreitet er den Fechtplatz und kehrt dann mit hohen „Fechtersprüngen“ auf den ersten Standort zurück. Allerlei artige Männchen, als Wiegen in den Hüften, Armschwingen, tänzelnder Schritt etc., begleiten diese Evolutionen, und auch der eitelste Tambourmajor der alten Kaisergarde hätte beim Anblick dieser unzähligen Stellungen, [589] Sprünge und Verrenkungen gestehen müssen, daß seine Grazie und Gewandtheit nur Stümperei sei gegen die zünftigen Fechtersprünge.

Nach dieser fast burlesken Einleitung ertönt seine Aufforderung, mit dem Fechten zu beginnen. „Jedoch,“ so warnt er nach Fechterordnung, „sollten etliche Gesellen vorhanden sein, welche Haß, Feindschaft oder Neid auf einander haben aus alter Zeit, so sollen sie selbigen hier abthun, auch nicht aus Neid oder Mißgunst auf einander schlagen, sondern aus ritterlicher Kunst fechten, ohne Gift und Groll, wie es der Brauch, und somit:

Heb’ auf, geh’ nit lang umleiern,
Rüst Dich und laß die Wehr nit feiern!
Wohl her, wohl her, frisch, frei zu mir
Und zwägst Du mir, so schir ich Dir!
(Und wäschst Du mich, so scheer’ ich Dich!)“


Fechten mit dem Dussak.
Aus Joachim Meyer’s Fechtbuch von 1570 facsimile nachgebildet.


Mit diesem poetischen Spruche aber ist Apollo bei den Fechtern noch nicht abgethan. Jeder hervorspringende Geselle, Marxbruder sowohl wie Federfechter, wirft seinem Gegner einen Trutzreim entgegen, und daß derselbe oft derbster, nicht immer wiederzugebender Art ist, liegt im Geschmacke jener Zeit.

Es scheint heute eine „große, das heißt heiße Schul“ werden zu sollen. Trotz der Aufforderung, jeden Privatstreit hier zu vergessen, gährt es arg zwischen den zwei Bruderschaften. Drohende Blicke fliegen hin und her; Trutzreime erschallen schon jetzt über den Platz, und die beiden Rathsherren, einen stürmischen Ausgang voraussehend, winken schon jetzt den Platzwärteln, die ledernen Dussake zum Auseinandertreiben des Volkes bereit zu halten. Dem Fechtmeister aber dünkt eine nochmalige und zwar ernste Ansprache nothwendig. Warnend ruft er den aufgeregten Parteien zu:

Der Tod ist gewiß, ungewiß der Tag,
Die stund auch niemand wissen mag.
Drum fürcht Gott und denk darbei,
Daß jede stund die letzte sei!

Den Messerer (Messerschmied) aber, welcher jetzt hervortritt und mit kräftigem Arme das emporgeraffte Schwert durch die Luft schwingt, scheint der ernste Spruch nicht zu kümmern. Er ist Federfechter und ruft den Marxbrüdern zu:

Ich bin ein Kaufmann; klein ist mein Gewinn;
Schläg und Stöß, die geb ich hin.
Streich und Püff nehm ich davon;
Mit eisernem Flederwisch kehr’ ich den Staub darvon.
Schwing Dich, Feder, sieh, wie man thut,
Schreib gern mit Dinten, die sieht wie Blut!

Der ihm mit dem Langschwert entgegenspringende Marxbruder, ein Kürschnergesell, ist galanter Natur, und zweifelsohne hat der Trutzreim, den er dem Gegner zuruft, seine gute Bedeutung:

Ein schönes Maidlein hab ich gefunden;
Die hat mir meinen Kranz gebunden
Und dermalen mich fleißig gebeten,
Ich sollt ihn keinem Federfechter geben.
Mit ihm zu streiten bin ich bereit –!
Frisch her und dran, denn es ist Zeit.

Während Kürschner und Messerer in gewaltigen Hieben und kunstvollen Paraden ihre Kräfte messen, und zwar:

Daß es zusammen ging kling kling,
Ein zwitzert (klirrend, schmetternd) Schwert an’s andre ging,
Knopf an Knopf zu beiderseits,
Faust gegen Faust, Kreutz gegen Kreutz,

springen vom entgegengesetzten Ende des Platzes zwei andere Kämpen gegeneinander. Der eine, Schuhknecht und Federfechter, nimmt das Maul gar voll:

Frisch her, Ihr Marxbrüd’, zu mir g’schwind,
So viel als Eurer zu Nürnberg sind!
Mit Euch zu fechten steht mein Begier;
Drum hebt auf und fecht tapfer mit mir!

[590]

So woll’n wir einand’ ausklopfen das Leder.
Dieweil Ihr stets naget an der Feder
Und wollt die gar zureißen,
So muß man Euch auf die großen mäuler schmeißen,
Daß darüber läuft das Blut.
Solche Kappen sind Euch Marxbrüder gut.

Ihm antwortet sogleich ein Altreiß (Altflicker) und Marxbruder:

Die Marxbrüder mit ihrer Kunst
Haben bei Fürsten und Herren Gunst.
Drum frisch her, Ihr Federfechter, ohn’ allen Scherz!
Und wer dann hat ein Mannesherz,
Der komm herauf auf diesen Plan!
So wöll’n wir sehn, wer’s am besten kann,
Und einand’ um den Kopf gehn, wie d’Büttner um’s Faß.
Wer’s nit wohl kann, der lerne es baß!

Bald kracht und klingt es an allen Ecken und Enden. Feuerfunken sprühen auf aus den stählernen Waffen, wohin man blickt. Immer verbissener werden die Kämpfer, und der Bader hat nicht genug Hände, die blutigen Köpfe zu verbinden, denn

Die zuvor gute Gesellen gewesen seindt,
Ist jetzt keiner des andern Freund,
Zusammenstoßen Kopf an Kopf,
Und Stirn an Stirn zusammenknallt,
Bis einer gar zu Boden fallt.

Das zuschauende Volk drängt aus der Straße immer weiter in den Hof. Der von den überfüllten Galerien bei jedem guten Hiebe herabtönende Zuruf erhitzt die Fechter immer mehr. Staub und Gedränge, wohin man blickt, dazu das Klirren und Schmettern der Waffen, der wilde Kampfruf der Fechtenden – wahrlich ein Bild, den römischen Fechterspielen an Wildheit wenig nachstehend.

Jetzt scheint der Zeitpunkt gekommen, wo den Rathsboten das Einschreiten der „Platzwärtel“ nöthig erscheint. Auf ihren Wink springen letztere mit dem ledernen Dussak in das dichteste Gedränge, und so wild der Kampf bis jetzt gewesen, so humoristisch, ganz im Sinne des derartige Späße liebenden Volkes, ist der Ausgang desselben. Links und rechts fliegen die Hiebe des ledernen Prügels; Geschrei, Gelächter überall, wo dieselben Platz fassen, denn Niemand wird geschont, der im Wege steht; selbst der Fechtmeister bekommt seinen gehörigen Theil ab. Der Platzwärtel

Schmieret zu ohn’ alls Gefehr
Und kommt gleich hinter ihm auch her.
Trifft ihn so weidlich über’n Rücken,
Daß er sich mußte darnach bücken:
Er schmirzte ihn in seinem g’wissn,
Mußt’s han, als hätt’ ihn ein Hund g’biss’n.

In kürzester Zeit ist Ruh und Ordnung hergestellt, denn der noch Widerstrebende wird in’s Loch (Gefängniß unter dem Rathhause) gesteckt. Diesmal sind die Federfechter Sieger geblieben. Sie tragen vier Kränze davon, während die Marxbrüder nur einen gewinnen. Nach und nach leert sich der weite Hof, und das lebhaft über den Kampf debattirende Volk verliert sich in den Straßen. Der wilde Grimm der Fechter aber scheint verdampft, denn die sich noch eben so blutig bekämpft, ziehen jetzt, vorausgesetzt, daß die erhaltenen Schrammen es erlauben, einträchtig ihren Herbergen und Trinkstuben zu.

Wir wissen nicht, was bei diesen blutigen Spielen mehr anzustaunen, die Körperkraft der Fechter oder die Dicke ihrer Schädel. Wahrscheinlich fielen die meisten Schwerthiebe flach, und nur unter dieser Voraussetzung können wir uns die verhältnißmäßig geringe Anzahl tödtlicher Verwundungen erklären, obgleich einzelne Glieder, wie Nasen, Augen, Arme etc., der Kampfeswuth genügend zum Opfer gefallen sind. Abraham a Sancta Clara schreibt hierüber sehr bezeichnend: „Gleichwohl geschieht es gar oft, daß aus dem Marksbruder ein Merksbruder wird, so er etwann ein Aug’ verliert, aus dem Federfechter ein Lederfechter, wann er mit zerrissener Haut ein Kehraus tanzet.“

Mit dem verfeinerten Geschmacke bürgerten sich allmählich andere und edlere Belustigungen in Nürnberg ein, obschon derartige Fechterspiele bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts abgehalten worden sind und auch da noch eifrige Verehrer gefunden haben. Die letzte Nürnberger Fechtschule fand am 21. November 1698 statt; auf wiederholte Vorstellungen der Geistlichkeit sollen derartige Schauspiele von da an gänzlich abgestellt worden sein.

  1. Wir geben die Urkundenauszüge zur Bequemlichkeit des Lesers in einer verständicheren Rechtschreibung.