Neapolitanische Straßenhändler
Neapolitanische Straßenhändler.
Neapolitanische Straßenhändler! … Wenn wir sie gleich charakterisieren wollen mit dem ihnen eigensten, mit ihrer Stimme, so sind sie dem homerischen Helden
„Stentorn gleich, dem starken, an Brust und eherner Stimme,
Dessen Ruf laut tönte, wie fünfzig andere Männer.“
Mit zwanzigtausend, mit fünfzigtausend solcher eherner Stimmen zieht es jeden Morgen durch die Thore Neapels, wandelt und hastet durch alle seine Plätze, Straßen und Gassen – alles, was die Triften, die Gärten, die Weinberge, das Meer, die Hühner-, Schaf- und Kuhställe an eß- und trinkbaren Dingen liefern.
Der Verbreitung dieser Waren dienen die Schneckenhändler, Brotkuchenbäcker und Maccaroniköche, die Verkäufer von gesottenem Esels- und Pferdefleisch, von Lungen und Lebern unbekannter Tiere, Schafs- und Rindereingeweiden, die Lupinen- und Olivenhändler, Austräger von Pfefferfrüchten in Essigtunke, von Pinienkernen und gebackenen Kastanien, die Orangen-, Citronen- und Grünwarenverkäufer, Schwefelwasserträger, Lumpensammler, die mit Johannisbrot bezahlen, Fischer, Vertreiber von Garküchenresten, Blumenjungen und -mädchen, Bürsten- und Schwammindustrielle. Körbe, Tücher, Matten, Fässer, Bretter, ungekämmte Köpfe und zerschundene Eselsrücken, wenn’s hoch kommt Karren, dienen der Ware als Unterlage.
Und auf welchem Pflaster spielt sich das ab!
Die armen Straßenkehrer kommen nicht nach. Jeder der ambulanten Straßenhändler hinterläßt seine Spuren. Schreitet man über die immer nassen Steine, so kracht und knackt es von Muschelschalen und leeren Schneckengehäusen, von Kirsch- und Pflaumenkernen, so rutscht der oft strauchelnde Fuß unaufhörlich auf Krautblättern und Gemüsestrünken jeder Art, schlüpft auf Melonen- und Orangenschalen, auf ausgepreßten oder faulenden Citronen. Esel sodann, Ziegen, Schafe und ganze Kuhfamilien, die zur Milchabgabe vor die Thüren geführt werden, glauben natürlich auf solchem Boden sich zu jeder Verunglimpfung des Bürgersteigs berechtigt.
Es lebe die Reinlichkeit, es lebe Deutschland! Ich stand in Frankfurt am Fenster, brach einige welke Blätter von dem Epheu und warf sie auf die Straße hinab. Mit welchem Entsetzen fiel mir der Freund in die Arme! Und hier?
Kot und Kehricht überall, wie im dicksten Orient!
Dazu das dröhnende Tosen der Tausende von Stimmen, das Schlachtgeschrei im Kampfe ums Dasein, im Ringen des Erwerbs, das sich zu gewissen Stunden bis zur Unerträglichkeit steigert und deutschen Ohren so weh thut. Darüber aber der blaue reinliche Frühlings- oder Sommerhimmel, die sanften freundlichen Hügel, wo die Ruhe wohnt. Wie gern steigt man aus der Hölle empor zu Licht und Luft und steht mit Wohlgefühl atmend auf den Balkonen des Klosters S. Martino, hinabblickend auf die graue, in Dampf und Dunst gehüllte Häusermasse. Aber auch hier: wie das Brausen von hundert Eisenbahnzügen, wie ein Toben „derer, die obliegen und unterliegen,“ dringen gewaltige Tonwogen bis zu uns herauf, wie aus einer Stadt im tollen Aufstand, wie ein Riesenwasserfall. Das ist Stimmengebraus, das sind die zu einem riesigen Schall zusammenschwellenden Ausrufe des ambulanten Handels von Neapel, das ist die Musik der Stadt, der eine uralte überlieferte Partitur zu Grunde liegt. Tausende von Orchester-, Solo- und Chorstimmen.
Bei einer Wanderung durch die Gassen haben wir jetzt Gelegenheit, die einzelnen Stimmen und Rollen flüchtig zu überlesen. Wie eine Aufforderung zur Revolte, zum Bürgermord kommt es uns auf der nächsten Straße, dem breiten Corso Vittorio Emanuele, entgegen. Wüstes Geschrei in den höchsten Tonlagen aus einer wirbelnden Rotte von Straßenjungen, dazu eine herausfordernde heißatmige Pickelflötenmelodie auf der Basis einer zornigen Pauke, einer metallisch klirrenden Trommel mit Beckenbegleitung: ein toller Marsch! Und da kommt’s um die Ecke. Ein zerzauster barfüßiger Kerl, als General gekleidet, blauer reichgalonierter Rock mit hohen Aufschlägen, mit Goldpapierorden bedeckt, fettiger federgeschmückter Dreispitz – wie ein Tambourmajor schwingt er seinen langen Marschallstab und wirft ihn in die Luft, herablassend nach allen Seiten grüßend. In Lumpen folgt die von ihm befehligte Musikbande, folgen die hundert Gassenjungen, immer aufgeregter tobend. Da stockt der Zug. Tiefes Schweigen. Und jetzt hält der Bandenführer eine [850] dickbauchige Weinflasche hoch empor, erhebt die Stimme zum höchsten Tenor und ruft: „Seht diesen Rotwein! Es ist das Beste, was das Jahr gebracht! Aber er fließt ausschließlich in den Kellereien (!) des weltbekannten Messer Gaetano, Corso Vittorio Emanuele – (folgt die Hausnummer), vier Soldi, fünf Soldi, sechs Soldi der Liter! Kommt und probt ihn, den Segen des Himmels!“ Nun drängt das Volk mit gespitzten Mäulern von allen Seiten heran und empfängt in einem rinnenden Strahl den Tau aus der Höhe, dazu klatschen die hundert Jungen und rufen ihr gellendes „Evviva“.
Diese Figur ist uralt und beliebt, es ist der Bacchusherold, der Banditore di Vino, der den Neuen Wein anpreist und Mohammeds Paradies verheißt. Ganz ähnlich tritt der „Banditore di Farine“ und „di Paste“ (der „Ausrufer von Mehl“, „von Nudeln“) auf. Der trägt oder läßt tragen gefächerte Kasten, in denen die ganze runde maccaronische Familie in Rangstufen verteilt liegt: Maccheroni, Maccheroncelli, Vermicelli, Vermicellini, Spaghetti und Fidelini, Lasagne, Lasagnelle, Tagliarelle, in mehr als fünfzig Abarten, die alle dem Volke mit geläufiger Zunge in plätscherndem Wortfall hergesagt und mit allen Gebärden des ausgelassenen Entzückens symbolisch vorgegessen werden.
Die Banditori treten also mit einem großen Apparat auf, einfacher ist die Sache bei den andern Händlern. Zu den Maccheroni gehört, wie die Wurst zum Sauerkraut, der Paradiesapfel, der Pomidoro oder die Tomate, wie die Frucht in Deutschland heißt. So sind im Sommer fünfzig Prozent der mit Körben springenden Händler Pomidoro-Verkäufer. Bis in das versteckteste Kämmerlein dringt der gellende Ruf: „Rot! Zwei Soldi! Rot!“ Hier steht die Farbe für die Frucht. Weiterhin heißt es: „Schwarz hab’ ich sie! Macht die Konserve! Ich brauche Geld!“
Um diese Zeit treten auch die Feigenhändler auf. An Beliebtheit steht die Feige dem Pomidoro am nächsten, und geradezu sinnbethörend vernimmt der Feigenlüsterne den Ruf: „Trojane!“, wie die goldige volle Frucht genannt wird. In den allerersten Morgenstunden tönt es: „Vor Tagesanbruch! Kalt! Eiskalt!“ womit die verlockende Frische der Frucht angedeutet wird. Werden sie im September reifer und reifer, wobei sie wie Rosinen zusammenrunzeln, so wird gerufen: „Kornschnaps braucht’s zu diesen Feigen, Kornschnaps“, denn die Süße ist zu groß. Oder: „Kaufmannsfeigen! Bringt Tüten herbei!“ Der Kaufmann nämlich wickelt die getrockneten Feigen in Papier, und diese hier sind so saftig überreif und süßwelkend, daß man sie wie getrocknete behandeln möchte. Im August blüht der Handel mit den frischen reifen Feigen. Geht es im Oktober mit dieser Lieblingsfrucht zu Ende, so vernimmt man häufig die Klage: „Wann werde ich mich wieder an Trojanen erlaben?“ Hörst du dann zu Winterszeiten „Pfefferkuchen! Pfefferkuchen!“ ausrufen, so wisse, daß es die durch den Backofen gegangene Erinnerung an die Trojane ist: die pfefferkuchenfarbige gedörrte Feige, die, auf Schilfstäbchen gereiht, in den Straßenhandel kommt und als „italienische Ware“ in Deutschland so beliebt ist.
In Neapel ist der Fruchthandel im höchsten Schwange und die Fruchthändler können, mit erfinderischem Geiste begabt, sich nie genug thun in rätselhafter Schönrednerei oder Singerei; denn gesungen, schreiend, brüllend gesungen wird alles, gesungen in ganz chinesisch versteinerten Melodien, die zweifellos schon vor Jahrhunderten dieselben waren und wie die neapolitanischen Volkslieder sich zumeist in Molltonarten bewegen. An diesen Melodien, auch wenn man die Worte nicht verstehen sollte, weiß [851] man, was da angeboten wird. Manchem dürfte auch der Rede Sinn sehr dunkel bleiben. Was verkauft jener Rufer im Streit, der auf den absonderlichen Text singt: „Schwarze! Schwarze! Der Tod der Schneider!“ Der Erklärer muß weit ausholen. Im Monat August, wo das Volk halbnackt einherläuft, „sterben die Schneider aus Mangel an Arbeit,“ zu dieser Zeit aber erscheint die gar absonderliche, bei Schleckmäulern in hohem Ansehen stehende Frucht des Eßbaren Nachtschattens, So1anum esculentum, die von schwarzvioletter Farbe ist. Auf Italienisch heißt sie „Melangiana“, der Neapolitaner nennt sie „Mulignana“ und entfernt sich dadurch von der italienischen Bedeutung des mela insana, Tollapfel, um ein Bedeutendes. Ruft der Bauer diese Frucht also mit kühnster Uebertreibung aus, so besingt er die süßen schwarzen Kirschen als „Mulignane von Ischia“.
Es ist eine eigenartige Erscheinung, wie der einfachste Bauer aus dem Sumpflande, der in der Stadt arg verspottete „Padulano“, mit der Sprache vertraut und zungenfertig ist.
Seine Rede trägt jeden nur möglichen Schmuck, so schmückt er auch seine Ware ganz kunstsinnig aus; er verschönert das Ekelhafteste durch Ornamente von Blättern, Blumen, buntem Papier, giebt den Dingen wie der Maler seinem Bilde einen goldenen Rahmen. Gaumen und Neugier werden angeregt, der Kauflustige sieht und hört Wunderdinge, und hat der Ausrufer über alles das noch eine schöne Stimme, so wird gekauft, besonders von den Frauen, auch ohne Bedürfnis. Man muß es gesehen haben, mit welchem Entzücken die Mädchen, die Mägde, ihre Arbeit unterbrechend, dem „Manne mit der schönen Stimme“ lauschen. „Signora, wir brauchen doch heute Sellerie oder Salat oder Radieschen oder dies und jenes?“ Und der Korb tanzt aus dem zweiten, dritten, vierten Stockwerke hinab, tanzt wieder hinauf, nochmals hinab, der Handel dauert oft lange, jeder Kauf ist eine kleine unterhaltende Komödie. Und diese Komödien vor den Hausthüren hat sich das Volk Neapels nicht nehmen lassen. Die Väter der Stadt wollten, wie in der ganzen civilisierten Welt, den Handel mit Nahrungsmitteln in große, schöne, luftige Hallen bannen. Die Hallen wurden gebaut, Millionen dafür ausgegeben, nie aber ist ein ambulanter Händler in ihnen seßhaft geworden; wenn man den Handel unter Dach und Fach bringen will, müßte man ein Dach über die ganze Stadt bauen, die inzwischen den orientalischen Namen der „Mutter des Schmutzes“ behalten wird.
Scharen von Fruchthändlern sind inzwischen vorübergeeilt, wir wollen die interessanten Rufe nicht verlieren. Die Maiskolben, in Salzwasser abgekocht oder über dem Kohlenbecken gebraten, sind „Hühnchen“. „Warme Hühnchen, Hühnchen mit dem goldenen Dotter! Zart, ach wie zart, Hühnchen!“ Die aus Maismehl gebackenen Brötchen werden angezeigt durch die Worte: „Komm und wärm’ dir den Bauch, Junge!“ Der Apfelhändler nennt seine Ware „Gewürznelken“, der Orangenhändler „Ananas“, der Händler mit kleinen frischen Quarkkäsen, die meist von Massa Lubrense auf der Sorrentohalbinsel kommen, „Zucker von Massa“, der Bauer mit den Artischoken „Mütterchen aus den Sümpfen“; so werden die Aprikosen zu „Zimmet“, die ausgeschälten Nüsse zu „Wachteln“, weil die halbe Nuß einer gebratenen Wachtel ähnelt.
„Zehn Farben, zehn Geschmäcke!“ schreit der Austräger der bunten, in ihrer Buntheit auf den lebhaften Farbensinn der Jugend berechneten „Konfekte“, die, genau besehen, nichts anderes als gebackene Haselnüsse sind. Die gewürzige Frühbirne wird verstanden unter der Sangstrophe: „Ei, wie duften sie dir aus dem Munde!“ Auf den Geruchsinn sollen die Worte des Waffelbäckers und des Schneckenkochs abzielen: „Ich geh’ vorüber und du riechst nichts?“ Charakteristisch ist die „voce“, Stimme, wie der Ausruf genannt wird, des Kirschenverkäufers: „Sie sind ohne Passagiere, zwei Bissen eine!“ Das bezieht sich auf das Freisein von Maden, auf die Härte der Frucht und ihre münchhausensch aufgefaßte Größe. Die „Corvine“, rabenschwarze Hartkirschen, werden als „Chokolade“ ausgesungen. Aus der „Grotta del Sole“, der Sonnengrotte, kommen die goldfarbenen Pfirsiche nach der Versicherung ihrer Verkäufer, pures Gold sind die edelfaulen Weintrauben, und der weiße, aus diesen Trauben gepreßte sogenannte Asprinowein braucht silberne Becher.
Wer nicht die landläufige Gepflogenheit kennt, die unreifen Melonen zur Nachreife für den Wintergebrauch an der Außenseite der Häuser aufzuhängen, würde nimmer den Ruf verstehen: „Hänge sie auf! Hänge sie auf! Ich geb’ dir den Nagel dazu!“ Das sind die Sumpfmelonen; die Wassermelone, jene, die drei Farben Italiens aufweisende immer dunkelrote hochbeliebte Frucht, wird von buntbemalten Ständen aus verkauft. Für wenig Geld stillt sie der Bedürfnisse drei, denn „für einen Soldo eß ich, trink ich und wasch’ ich mir das Gesicht“. Haben zwei dieser Melonari durch Zufall ihre Stände nebeneinander, so steigern sie gegenseitig ihre Anpreisungen bis zur Raserei, und dies zum höchsten Gandium des dicht gedrängten Publikums.
Da schreit der eine: „Von Castellammare! Welches Wunder, schaut! Von Castellammare sind sie!“
Der andere übertönt ihn: „Jetzt, jetzt eben sind sie aus der Grotte des ewigen Eises gekommen und sind doch voll Feuer!“
Nun geht der Wettstreit erst los. Eine Meloue wird auseinandergeschnitten, [852] geschnitten, die Schnittflächen werden vorgezeigt: „O, welche Pracht! Welche Ware, welche Ware ist das! Seht, da geht die Sonne auf!“
„Nein, nein! Hier sind die wahren Melonen! Der dort hat nur den Mond, die wirkliche Sonne seht ihr hier! Acht Soldi die ganze, vier die halbe, wer sie hier ißt, drei!“
Der Widersacher spaltet nun auf dem Haupte eines Buben gewandt mit einem Messerstreiche eine andere der gepriesenen Früchte, staunt selbst und ruft: „Ah! Das achte Wunder der Welt! Blickt her, wenn ihr Augen habt! Welcher Glanz: Feuer! Feuer!“
„Vesuv! Vesuv!“ tönt es vom Gegenüber.
„Aetna und Mongibello (Volksname des Aetna). Aetna hier!“
Aber auch damit ist die höchste Steigerung noch nicht erreicht, denn der Nebenbuhler spielt den letzten Trumpf aus mit dem Schrei: „Hier habt ihr die Hölle mit allen Teufeln!“
Da legt denn der Kollege Messer und Melone hin, stemmt die Arme in die Seiten und spricht ironisch resigniert: „Jetzt woll’n wir doch mal sehen, was du uns noch zu sagen hast!“
Mit diesem Wort geht das Wortgefecht von neuem los.
In gleicher Weise schreit daneben der Pizzajuolo, der Brotkuchenbäcker, der fetttriefende Zeppolajuolo, der seine Waffeln oder Zeppole (die den Namen vom S. Giuseppe, dem heiligen Josef, haben) auf kleinem Tuffsteinherde in Fett oder Oel bäckt und zum „Schwelgen“ auffordert: „Schwelgt, schwelgt, jetzt ist es Zeit zum Schwelgen!“ Zwischen diese Händlergruppen drängen sich Leute, die allerlei Hausgeräte, Körbe, Bürsten u. dergl., zum Verkauf anbieten; und auch in den Straßen Neapels fehlt nicht der Mann mit alten Sachen, der Trödler. Unermüdlich durchwandert er die Straßen, Käufer und Verkäufer in einer Person.
Der allerneapolitanischste Typus, der am meisten hervorstechende, ist der „Pescivendolo“, der ambulante Fischhändler. Bronzefarben, schlank und hager, aber voll Federkraft, in seinen Zügen ein Gemisch von Verschlagenheit, Geldgier und Mißtrauen, stürzt er an heißen Tagen, wo seine Ware gar bald verderben könnte, mit Tigersprüngen durch die Straßen. Seine Kleidung ist ein Hemd und eine Halbhose, zu der sich manchmal noch das „phrygische“ Barett gesellt.
Er hat hundert Variationen in seinen Rufen, allen aber liegt das Leitmotiv unter: „Jetzt, jetzt eben hab’ ich sie aus dem Netze genommen, seht, sie zappeln noch! Sie springen von selbst in die Pfanne!“ Beinn Feilschen um den Preis geht es bei diesem Händler oft recht schlimm zu, und wütend läuft er die Treppen hinab, um doch zwei-, dreimal zurückzukehren.
Ihm verwandt, aber ruhiger und geduldig wie seine Ware ist der „Ostricaro“, der Austernhändler, der seinen Stand mit seinen Konkurrenten in langer Reihe dereinst in dem berühmten Santa Lucia hatte, von wo die Neuzeit ihn bald ganz vertreiben wird.
Das Meer bietet den Küstenbewohnern noch andere Genüsse. Dazu wird auch der Tintenfisch gerechnet, der im Volke noch immer den Namen „Polyp“ führt. Ihm ist in den Straßen Neapels ein eigener Verkaufsstand gewidmet. In der Nähe des „Ostricaro“ sitzt auch die Verkäuferin der „Purpetielle“, der Meerpolypen, die als Speise vom kleinen Volke sehr geschätzt werden, weil sie lange im Magen zu spüren sind. Der Polyp wird in seinem eigenen Safte gekocht und mit etwas Salz und Citronensaft verschlungen.
Die Maccheroni! Wollte man alle ihre Sorten, ihre Herstellung und Bereitung genauer beschreiben, so würde das ein Kapitel für sich erfordern. Neapel steht in dem Rufe, mit besonders guten Maccheroni versorgt zu sein. Nicht weit von der Stadt liegt Amalfi, das erst vor kurzem in der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1896, S. 173) ausführlich geschildert wurde. Von dort kommen seit lange nach Neapel die herrlichsten Nudeln. die in den Trattorien von italienischen Leckermäulern „versponnen“, d. h. in langen unzerschnittenen Fäden bündelweise verschlungen werden. Pomidorosauce und feingeriebener Käse erhöhen den Wohlgeschmack. Der Feinschmecker denkt dabei nicht, mit welcher Mühe die armen Amalfitaner den Teig geknetet haben. Einfacher bereitet und geringerer Güte sind die Nudeln, die in der Maccheroniküche auf der Straße feilgeboten werden. Aber sie finden begeisterte Liebhaber. Wohl dem jungen Diogenes, der des Luxus der Gabel entbehren kann und sie, die „göttlichen“, „in aria“, d. h. in der Luft, von der emporgehobenen Hand in den Mund herabhängend, verzehren gelernt hat!