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Nervöse Hunde

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Nervöse Hunde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 836
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[836] Nervöse Hunde. Jüngst hat der berühmte französische Irrenarzt Féré höchst eigenartige Beobachtungen an Hunden gemacht, aus welchen man beinahe den Schluß ziehen möchte, daß Hunde geisteskrank werden können.

Es ist bekannt, daß nervöse Leiden in gewissem Sinne ansteckend, übertragbar sind. Unter Kindern entstehen oft förmliche Epidemien von Veitstanz oder hysterischen Anfällen; ebenso oft wurde beobachtet, daß Menschen, die mit Geisteskranken dauernd verkehren, in derselben Art geisteskrank werden können. Féré theilt uns mit, daß Hunde in ähnlicher Weise durch den Verkehr mit ihren leidenden Herren an einem Nervenleiden erkrankt sind.

Es handelt sich dabei um ein bestimmtes, sehr charakteristisches Leiden, das den Uebergang der Nervosität zur Geisteskrankheit bildet. Nervöse Menschen sind in der Regel unruhig und ängstlich, und nicht selten nimmt das Angstgefühl bestimmte Formen an, die zuweilen als „Zwangszustände“ das Seelenleben der Kranken beherrschen. Eine dieser Formen ist z. B. die Berührungsfurcht; der Kranke wagt nicht, gewisse Gegenstände zu berühren, indem er glaubt, daß sie ihm Schaden bringen, ihn verletzen oder vergiften würden.

Eine andere, namentlich bei geistig Ueberangestrengten häufig vorkommende Form ist die „Platzangst“ oder „Agoraphobie“. Der Kranke befindet sich anscheinend ganz wohl und betritt einen großen Platz oder eine geräumige Kirche. Mit einem Male fühlt er sich von unnennbarer Angst erfaßt, er zittert, Schweiß bedeckt seine Stirn; der weite freie Raum wirkt auf ihn unheimlich ein; er kann nur mit Mühe, auf seinen Stock sich stützend, über den Platz wegschreiten, oder er sucht ihn zu umgehen, indem er sich an den Mauern der ihn umgebenden Häuser vorwärts tastet.

Féré hat nun beobachtet, daß einige Luxushunde, die in stetem Verkehr mit „platzscheuen“ Kranken sich befanden, schließlich selbst platzscheu wurden. Auf der Straße hielten sie sich dicht an der Mauer und geriethen in Angst und Zittern, wenn sie den Fahrdamm überschreiten mußten. Féré bemerkte bei ihnen als ein besonderes Zeichen der Furcht auch ein plötzliches Austrocknen der Nasenschleimhaut.

Diese Hunde genasen, wenn man sie von ihren kranken Herren oder Herrinnen trennte, wurden aber rückfällig, wenn man sie zu den Kranken zurückführte. So scheint die Nervosität, die schlimme Plage des neunzehnten Jahrhunderts, selbst das Hundegeschlecht nicht zu verschonen.