Neujahrsgruß für 1890
Neujahrsgruß für 1890.
Setz’ du zur Erde deinen Fuß
Mit Vorsicht, erstes im Jahrzeh’nte!
Bringst wirklich du den Friedensgruß,
Den wahren, den die Welt ersehnte?
Kann leicht den großen Brand entzünden,
Daß hell des Krieges Fackeln loh’n
Und Feuer sprüht aus erz’nen Schlünden.
Wie athemlos harrt dein die Zeit!
Nie dich erwarten, würden weit
Die höchsten Zinnen überragen.
Wo noch ein finstrer Zorn sich bäumt
Und wo noch Unrecht kränkt, versöhne!
Wo danklos blieb Verdienst, da kröne!
Du führst den letzten Reigen an,
Bewahr’ fürs künftige Jahrhundert,
Was unsres recht und gut gethan
Neig’ auch zu Wiegen deinen Stab
Und zu des Lebens ersten Stufen,
Zu jenen, die, wenn wir im Grab,
Zum Weiterkämpfen sind berufen!
Wir späh’n nach deiner Stirne Falten,
Nach deinem festgeschloss’nen Mund;
Verhüllt umgeben dich Gestalten
Und alle schweigend – durch die Nacht
Ihr Geister, die ihr mit uns wacht,
Mit uns’rem Denken, Ringen, Schaffen!
Hermann Lingg.