New-Yorker Skizzen

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Autor: Alexander Wallner
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Titel: New-Yorker Skizzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 366–368
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[366]

New-Yorker Skizzen.
Von Alexander Wallner.
1. Eine Nacht unter „Outlaws“.
New-York das Eldorado der Verbrecherzunft. – Der Mörder Stupp. – Die Docks und ihre Schrecken. – Die Flußpiraten. – Die Räuber des Charlie Roß. – Die Fährbooträuber. – Der Polizeiagent Van Boskirk und eine Excursion in die Schlupfwinkel des Verbrecherthums. – Die Logirhöhlen. – Van Boskirk und die Falschmünzer. – Water-Street.

Jede große Seestadt, zumal wenn sie den Charakter einer Hauptstadt trägt, hat das wenig beneidenswerthe Glück, der Sammelplatz von Schaaren derjenigen Menschenclasse zu sein, die der Engländer so treffend mit dem Namen von „Outlaws“, das heißt, „außerhalb des Gesetzes Stehenden“, bezeichnet. Solche Großstädte bieten dem Verbrecher einen reichen Spielraum und die leichteste Gelegenheit, in dem täglich landenden Menschengewirr die eigne Spur zu verwischen und der verfolgenden Gerechtigkeit ein Schnippchen zu schlagen.

Neben London, der großen englischen Hauptstadt, ist von jeher der Boden der Vereinigten Staaten das Eldorado der Verbrecherzunft gewesen. Und unter allen Städten der Union ist New-York die begnadete, nach der sich der Strom dieser transatlantischen Einwanderung lenkt. Wer nur erst einmal hier gelandet und den noch verhältnißmäßig heißen Boden des Schiffes verlassen hat, dem ist es ein Leichtes, in dem Häuser- und Menschengewirr zu verschwinden, um von einem sicheren Orte aus die „Sache“ eine Zeit lang ruhig anzusehen und Gras über die Geschichte wachsen zu lassen.

Wenn jedoch das Verbrechen ein solches war, welches nur Blut sühnen konnte, wenn ein Mord das bange Gewissen des Schuldigen belastete, so trug ihn das Dampfroß nach dem fernen, uncivilisirten Westen, wo kein Mensch sich um seine Vorgeschichte kümmert. Hier, unter den Bewohnern der Wildniß, bedurfte es nur kühner, frecher Menschen, die vor Nichts zurückschreckten, die Nichts fürchteten. Alles Andere war Nebensache. Freilich haben in letzter Zeit theils der Telegraph, theils der Abschluß von Auslieferungsverträgen zwischen den verschiedenen Regierungen den Besuch des früher so sicheren Landes ziemlich mißlich gemacht und erschwert, und Mancher, der schon glücklich entronnen zu sein glaubte, wurde angesichts des rettenden Hafens festgenommen, wohl verwahrt und bewacht und mit eisernen Armbändern kostenfrei zurückspedirt.

So wurde Brüssel bekanntlich vor ungefähr einem Jahre durch eine grauenvolle That in Aufruhr versetzt. Der Chevalier de Bianco war ermordet in seinem Bette gefunden worden. Um jede Spur des Verbrechens zu verwischen, hatte der Mörder das Haus in Brand zu setzen versucht und war entflohen. Aber die schwarze That mißglückte. Der Leichnam verbrannte nicht, und der allgemeine Verdacht richtete sich sogleich auf den Kammerdiener des Ermordeten, einen gewissen Stupp. Als derselbe unter dem angenommenen Namen Vogt in New-York landete, wurde er sogleich festgenommen. Der Fall, so weit ein gewöhnlicher in der criminalistischen Praxis, wurde jedoch bald sehr verwickelt. Des Pudels Kern, der Vogt gestattete, so hartnäckig für seine Freilassung und für sein Leben zu kämpfen, ein Zufall, an den er sich wie der Ertrinkende an den Strohhalm klammerte, war folgender: Zur Zeit, als das Verbrechen begangen wurde, bestand zwischen Belgien und den Vereinigten Staaten noch kein Auslieferungsvertrag. Daher große Verlegenheit, als der belgische Consul die Auslieferung des Verbrechers verlangte. Nach langen Verhandlungen und nachdem die Anwälte des Beklagten eine enorme Summe von Scharfsinn und rabulistischen Kniffen aufgeboten, mußte der Richter, wenn auch mit schwerem Herzen, die Freilassung Vogt’s anordnen, und derselbe wäre gerettet gewesen, wenn sich nicht Preußens Consul in’s Mittel gelegt hätte. Zu seinem Unglück war der Mörder preußischer Bürger und Unterthan, aus Köln gebürtig, und da mit Preußen ein Vertrag bestand, so verlangte dieser Staat kraft desselben die Auslieferung. „Denn,“ hieß es in dem Antrage, „der preußische Unterthan sei dem Staate Rechenschaft schuldig für jedes von ihm, selbst im Auslande begangene Verbrechen.“ Der interessante Fall ist noch nicht erledigt, doch sollen die Actien für Vogt schlecht, sehr schlecht stehen. –

Obwohl nun mancher Verbrecher in New-York festgenommen und zurückspedirt wird, gelingt es dennoch einer großen Anzahl, durchzuschlüpfen und im Lande der Verheißung Hütten zu bauen, wo sie dann mit des Satans Hülfe ihr trauriges Gewerbe weiter treiben. Und es giebt wenige Städte der Welt, wo das Verbrechen so frech und ungescheut auftritt und wuchert, wie in New-York, wo viele dunkle, furchtbare Unthaten begangen werden, ohne daß „die Sonne sie an den Tag bringt“.

Einer der schlimmsten Tummelplätze des Verbrechens sind die New-Yorker Docks, welche die Stadt von Süden, Westen und Osten umgürten. Was hilft es, daß hier und da Polizeipatrouillen diese Gegend durchstreifen und viele Polizei-Agenten hier angestellt sind! Oede und finster, mit ihren zahllosen Schlupfwinkeln, liegen die Docks da. Die Wogen der Bai schlagen plätschernd an die ankernden, nach allen Welttheilen bestimmten Schiffe und nehmen gurgelnd die Unvorsichtigen auf, die sich hierher verlaufen und dem Verbrechen zum Opfer fallen. „Der Leichnam eines unbekannten Mannes wurde aus den Wassern der Bai gefischt,“ heißt es dann in den Zeitungen. Die Leiche wird in die Morgue geschafft, wo sie einige Tage liegt, ohne natürlich identificirt zu werden, bis endlich das Gericht die Todtenschau gehalten und den weisen Spruch abgegeben hat: „Tod durch Ertrinken“. Dann kräht kein Hahn mehr nach dem Todten, der ohne Sang und Klang begraben wird, während in der Ferne vielleicht ein angstvolles Mutterherz sich um den Verlornen grämt und abhärmt und lange Jahre hindurch hoffend und harrend die Rückkehr des Lieblings erwartet, der ihre einzige Stütze. Nie, nie mehr wird er in die sehnenden Arme der Mutter zurückkehren.

Auf den die Hafenstadt umgebenden Gewässern der Bai, des Hudson River und des East River, jenes schmalen Meeresarmes, der Long Island, die „lange Insel“, von dem Continente trennt, treiben die Flußpiraten ihr gesetzloses Handwerk. In stürmischen Nächten durchkreuzen sie in ihren kleinen, flinken Booten die Fluthen, stehlend, schmuggelnd oder raubend, und wehe dem, der sich ihnen in den Weg zu stellen versucht! Selbst der Hafenpolizei liefen sie bisweilen kleine Schlachten, in denen es selten ohne größeres Blutvergießen abgeht.

Zu den Schaaren derselben gehörten auch die beiden in diesen Tagen zu so großer Verrufenheit gelangten Hallunken Mosher und Douglaß, die frechen Räuber des kleinen Charlie Roß aus Germantown, der Vorstadt Philadelphias. Ungeheures Aufsehen in ganz Amerika hatte diese That gemacht, da sie am hellen Tage, gleichsam im Angesichte aller Bürger, ausgeführt worden war. So gut geplant hatten indessen diese Beiden das Verbrechen, daß sie trotz der eifrigsten Nachforschungen der gesammten Polizeimacht unentdeckt blieben. Am Tage in einer Spelunke von New-York verborgen, durchkreuzten sie in dunklen, stürmischen Nächten den East River auf ihrer kleinen Barke, mit seltener Keckheit ihre Verbrechen ausführend und den Raub auf einer der unzähligen kleinen Inseln des Sundes bergend. Endlich aber hatte auch ihre Stunde geschlagen. Bei einem Ueberfalle der Villa des Richters Van Brunt in Bay Ridge wurden Beide erschossen. Bis jetzt aber ist noch keine Spur des unglücklichen Knaben aufgefunden worden, dessen Vater dem Wahnsinne nahe ist. – Eine dritte Classe von Mördern – und diese sind die gefährlichsten – sind diejenigen, die auf den Fährbooten in der Nacht ihr fürchterliches Gewerbe betreiben. Wehe dem Leichtsinnigen, der sich mit goldener Kette oder einem in die Augen fallenden Goldschmucke aus der sicheren Kajüte hervorwagt! Im Nu wird er rücklings gefesselt und beraubt, und mit halb ersticktem Schrei stürzt der Ueberraschte über Bord. Wann wäre wohl je einer dieser zahlreichen Morde an’s Tageslicht gekommen? Das Boot fährt ruhig seine Bahn fort, und der Unglückliche ist verloren. Wieder giebt die Jury ihren Spruch ab: „Tod durch Ertrinken. Ursachen unbekannt“ – und Alles ist vorbei. –

Einen höchst interessanten Beitrag zu dem New-Yorker

[367] Verbrecherleben liefern die Polizeiberichte für das Jahr 1874. Laut derselben beträgt die Gesammtzahl der Gefangenen, welche den Polizeirichtern während der Periode vom 3. November 1873 bis zum 31. October 1874 vorgeführt worden, 84,821, was, wenn man die Gesammtbevölkerung New-Yorks auf eine Million veranschlagt, eine Verhaftung auf je zwölf Personen ergiebt. Den General- und Specialassisen wurden von den Verhafteten 8424 überwiesen, 7394 männliche und 1030 weibliche. Die größte Zahl der Angeklagten ist nicht über fünfundzwanzig Jahre alt. Bei einer solchen Lage der Dinge wird man wohl begreifen, wie wohlthätig der mit nächstem 1. Januar in Kraft tretende obligatorische Schulunterricht wirken wird.

Eines Tages entschloß ich mich, eine Tour durch die verrufensten Gegenden der Empire City zu machen. Ich hatte diesen Wunsch lange mit mir herumgetragen, ohne ihn jedoch ausführen zu können, als die Ankunft eines lieben Freundes meiner Unentschiedenheit ein Ende machte. Derselbe war auf dem Wege nach dem fernen Colorado und wollte sich nur wenige Tage in New-York aufhalten Ich begab mich deshalb nach dem Stationshause des vierten Polizeibezirks, um den Capitain zu ersuchen, uns einen Polizei-Agenten zur Verfügung zu stellen. Es war ziemlich nebelig, und die grünen Laternen in Oak Street, welche das Stationshaus anzeigen, flimmerten nur schwach durch die dicke Luft. In dem großen Vorsaale saß hinter einem geräumigen, von zwei Lampen hell erleuchteten Pulte der wachthabende Sergeant, soeben beschäftigt, die Personalien einer alten, abscheulich häßlichen Negerin aufzunehmen, die ein Polizist vagabondirend und „zum Laster aufreizend“ aufgegriffen hatte.

Als ich nach dem Capitain fragte, wies er mich in die Nebenstube linker Hand.

So einfach und kahl der große Raum war, den ich verließ, so schmuck und reinlich war derjenige ausgestattet, den ich betrat. Capitain Williams, ein noch junger Mann mit hübschen, charaktervollen Zügen, saß in einem Stuhle und las die Abendzeitung, indem er dazu eine Cigarre rauchte. Mit der größten Bereitwilligkeit und Liebenswürdigkeit gewährte er meine Bitte und schickte sogleich Boten nach dem durch seine Kühnheit, Kaltblütigkeit und Umsicht bekannten Polizeiagenten Van Boskirk aus.

„Ich bedaure nur,“ bemerkte er hierauf, nachdem er mich zum Sitzen eingeladen, „daß Sie nicht viel Sehenswerthes finden werden. Die schlimmsten Spelunken sind sammt und sonders aufgehoben, unter anderen die Logirhöhlen – mit einem andern Namen kann ich sie nicht gut bezeichnen – des vierten Stadtviertels, förmliche Löcher, in welchen dem, der sie betrat, Schlamm und Wasser bis an die Knöchel gingen. Aufrecht stehen konnten Sie in den wenigsten. In diesen Höhlen wurden des Nachts Stricke ausgespannt, auf welchen für die Besucher Betten zurecht gemacht wurden. Männer und Weiber lagen natürlich bunt durch einander. Der Preis für die Person betrug, wenn ich nicht irre, zwei Cents (achtzig bis zweiundachtzig Cents gleich drei Mark). Diese Löcher sind alle verschwunden, da sich herausstellte, daß sie gemeingefährlich seien und oft Epidemien sich von da über die Stadt verbreiteten.“

Ich fand diese Beschreibung eines Nachtlagers nicht gerade sehr idyllisch und konnte die Frage nicht unterdrücken, wer denn eigentlich die Kostgänger dieser prachtvollen Hôtels gewesen seien.

„Farbiges Volk,“ war die Antwort. „Es ist kaum glaublich, in welcher Unsumme von Unrath und Schmutz sich diese Race wohlfühlt. Höchst selten verliefen sich einige weiße Personen dahin. Außer diesen Höhlen gab es noch eine Anzahl anderer Locale ähnlicher Tendenz, aber wir haben das Geschäft zum größten Theile in die Luft gesprengt.“

Welcher Art dieses Geschäft war, wurde nicht weiter berührt. Da der Polizeiagent noch nicht erschienen war, so machte Capitain Williams den Vorschlag, uns die innere Einrichtung des Hauses zu zeigen, was mein Freund und ich mit großem Danke annahmen. Wir besichtigten den Telegraphen, der mit dem Hauptquartiere in Verbindung steht, den höchst einfach möblirten Wartesaal für die Mannschaften und stiegen nach den Schlafstätten für heimathlose Personen hinauf, die zumeist im Winter stark benutzt werden. Wir traten in einen langen kahlen Raum, in dem sich hölzerne Pritschen befinden. Eine wollene Decke vollendet das Bett. Doch hat das Zimmer bei all’ seinen Mängeln einen großen Vortheil für Obdachlose – es ist geheizt. Und wenn der eiskalte Nordwind durch die Straßen fegt und die Schritte der Passanten beschleunigt, dann sammeln sich jene unglücklichen Geschöpfe schaarenweise vor den Stationshäusern und bitten um Aufnahme. Leider erweisen sich diese Plätze bei großer Kälte meist als zu klein, und mancher muß mit schwerem Herzen, der Verzweiflung nahe, wieder abziehen. Wie sich von selbst versteht, sind die beiden Geschlechter streng geschieden und werden in verschiedenen Räumlichkeiten untergebracht.

Unter diesen primitiven Herbergen öffnete der Capitain eine schwere eiserne Gitterthür, die zu den Gefangenenzellen führte. Dieser Theil des Gebäudes ist von massiven Quadern aufgeführt. In den Wänden sind Nischen, in denen sich eine breite hölzerne Pritsche als Lager für den Gefangenen befindet. Außerdem sind in der Ecke eine Wasserleitung und eine Commodité angebracht. Die Nischen, die so groß sind, daß ein Mann sich zur Noth darin bewegen kann, werden wieder durch schwere eiserne Gitterthüren verschlossen. Obwohl ein kleiner eiserner Ofen in der Mitte des Ganges beständig feurige Gluthen ausspeit, ist doch die Temperatur dieser Zellen feucht und unangenehm. Die gewaltigen Quadern sind mit herabrieselnden Tropfen bedeckt und die ganze Luft ist moderig.

Als wir wieder in den vorderen Saal traten, wartete unser Führer Van Boskirk bereits auf uns. Capitain Williams überlieferte uns demselben, und wir hatten allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Van Boskirk, ein geborener Amerikaner, ist eine schlanke, geschmeidige Gestalt, etwas über Mittelgröße. Ein wohlgepflegter, schwarzer Schnurrbart giebt seinem Aussehen etwas Kühnes, zu dem auch der durchdringende Blick wohl paßt. Seine Erscheinung ist die eines Mannes, dem man nicht gerne als Feind gegenüber treten möchte. Alles an ihm ist Muskel, Kraft, Gelenkigkeit. Dabei ist sein Auftreten fern von jeder Anmaßung. Im Gegentheil machte sein fast bescheiden zu nennendes Wesen den besten Eindruck. Er trug einen einfachen, doch eleganten schwarzen Anzug, den er jedoch fest zugeknöpft hielt.

Als wir durch die nebligen Straßen dahinwandelten, war meine erste Frage an ihn, ob es ihm nicht mitunter unheimlich sei, so allein durch alle Verbrecherhöhlen zu gehen.

Es war ein feines Lächeln, das für den Augenblick auf seinem Gesichte spielte.

„Es ist dies eine Frage,“ antwortete er, „die mir sehr häufig vorgelegt wird, und sie ist auch wohl natürlich. Ich kann Ihnen indessen die Versicherung geben, daß ich selten das, was man Angst nennt, empfunden habe. Sie werden gewiß in den Blättern gelesen haben, daß ich schon zu verschiedenen Malen in recht heiklichen Lagen war. Wirkliche Furcht erinnere ich mich nur einmal gehabt zu haben, und damals allerdings hätte ich um mein Leben keinen Heller gegeben. Ich glaube, die Geschichte ist interessant genug, um sie Ihnen zu erzählen. Ich wurde im Jahre 1867 einer Fälscherbande nachgeschickt, der wir auf die Spur gekommen waren. Nach langem Forschen entdeckte ich endlich in dem kleinen Städtchen Houston in Texas die zwei Hauptgeschäftsführer der Bande, und es gelang mir, mit denselben in Geschäftsverbindung zu treten. Nach und nach kaufte ich den Hallunken für circa zweitausend Dollars gefälschtes Geld, natürlich auf Staatskosten, ab, wobei ich ihnen fünfzehn Cents für den Dollar bezahlte. Sie sehen, das Geschäft war ein recht einträgliches. Dadurch hatte ich nun die Mittel in die Hand bekommen, die Burschen jeden Augenblick verhaften lassen zu können, aber dies genügte mir nicht. Mein Hauptbestreben war, das ganze Nest aufzuheben, oder doch wenigstens die Platten in meinen Besitz zu bekommen. Lange unterhandelte ich vergebens. Endlich gaben sie nach und versprachen, mich mit sich nach New-Orleans zu nehmen, wo mir die Platten gegen den Preis von fünftausend Dollars ausgehändigt werden sollten.

Wir hatten uns bereits zur Reise fertig gemacht, als plötzlich, wie ich glaube, durch die Unvorsichtigkeit meiner eigenen Leute, die Brüder Wind bekamen.

Ahnungslos kam ich also eines Tages in ihre Wohnung, eine Dachkammer, als der Aeltere die Thür hinter mir zuschloß. Der Andere spielte mit einer Pistole und sagte kaltblütig: ‚Das Spiel ist zu Ende.‘ Gefangen in der eigenen Falle! Das Blut strömte mir heiß in die Schläfe. Es flimmerte mir vor den Augen. Da standen die beiden Schufte mir gegenüber, [368] beide mit Pistolen bewaffnet. Ein Schrei, ein Zeichen meinerseits, und ich war ein Kind des Todes. Zwar wußte ich, daß unten meine Leute auf mich warteten und daß mein Tod augenblicklich gerächt werden würde, aber dies war doch nur ein schlechter Trost. Was thun? Jenen unten ein Zeichen geben, war nicht rathsam und hätte die Katastrophe nur beschleunigt. Ich sammelte also all’ meine Willenskraft und setzte mich, so kaltblütig, wie nur irgend möglich, auf einen Stuhl, fix und fertig mit meinem Schlachtplane. So viele Minuten ich hier brauche, um Ihnen die Sache zu erklären, so viele spielte die Affaire im Ganzen. Alles folgte blitzschnell aufeinander.

‚Schöne Gauner seid Ihr!‘ erwiderte ich spottend. ‚Recht nette Geschäftsleute! Aber ich hätte dergleichen erwarten sollen, als ich mich mit Euch einließ. Jetzt, wo Ihr das Geld aus mir heraushabt, wollt Ihr mich um meinen Gewinnst betrügen. Nun wohl, es sei! Hier habt Ihr Euer Geld zurück!‘ Damit warf ich ihnen den Ballen, den ich stets bei mir in der Tasche hatte, vor die Füße. ‚Seid froh in dem Bewußtsein, mich übertölpelt zu haben!‘

Die Wirkung meiner Worte war eine magische. Verdutzt schauten sich die beiden Spitzbuben an. Ich aber verfolgte rasch den errungenen Vortheil. Entschlossen stand ich auf. Ich sah, ich war gerettet.

‚Oeffnet die Thür jetzt und laßt mich gehen! Ich habe nichts mehr mit Euch zu schaffen,‘ herrschte ich sie barsch und im Tone des gekränkten Biedermannes an.

Jetzt kam die Reihe des Triumphirens an mich.

Dem Gefühle der Verdutzung folgte das der Beschämung, einen dummen Streich gemacht und sich mit ihrem besten Geschäftsfreunde überworfen zu haben.

Fast mit Gewalt drangen sie mir meine falschen Banknoten wieder auf und baten mich um des Himmels willen, ihnen doch zu vergeben. Lange sträubte ich mich, endlich aber gab ich nach, da ich meinen Plan, die Platten zu erhalten, noch nicht durchgeführt hatte. Die Nacht verbrachte ich mit den Burschen, die von nun an blindes Vertrauen in mich setzten, indem wir von einem Spielhause in das andere zogen.“

Van Boskirk wischte sich den Schweiß ab, der ihm bei der Erinnerung an diese Scene auf die Stirn getreten war.

„Nun? Und das Ende?“ fragte ich.

„Das Ende? Wie abgemacht übergaben sie mir in New-Orleans die Platten. Nach dem Reste der Bande zu forschen, hatte ich nach diesem kleinen Erlebnisse aufgegeben. Mein Leben war mir doch zu lieb. Deshalb begnügte ich mich mit den Platten. Ich legte ihnen die bedungene Summe auf den Tisch. Doch ehe sie dieselbe nehmen konnten, trat ich ihnen mit der gespannten Pistole entgegen, während auf meinen schrillen Pfiff meine Leute eindrangen. Es war auch dies nicht ganz gefahrlos, denn der eine hatte schon sein Pistol gezogen, wurde aber schnell entwaffnet. Beide wurden auf vierzehn Jahre eingesperrt.“

„Also“, beendete er seine Erzählung, „es giebt für uns nur eine Regel: ‚Laß Dich nicht verblüffen!‘ Wie man verloren ist, wenn man einer wilden Bestie nur die geringste Furcht im Auge zeigt, wo ein Zittern der Wimper zum Untergange führen kann, so ist es auch in unserem Berufe. Ein wenig moralischer Muth thut viel. Unterdessen stelle ich mich mit den Hallunken auf einen möglichst guten Fuß und – habe stets meinen Revolver in Bereitschaft. Apropos,“ fuhr er fort, „haben die Herren sich mit Revolvern versehen?“

Als wir dies bejahten, entgegnete er, es wäre nicht gerade absolut nöthig, aber gut sei es doch immerhin, wenn man einen „verläßlichen Freund“ bei sich habe.

Unterdessen hatten wir unsere erste Station, Water-Street, erreicht. In derselben, wie in der angrenzenden James-Street und Cherry-Street, befinden sich eine Menge Schifferkneipen, gemeine Spelunken niedrigster Sorte, in denen der Matrose seinen Vergnügungen nachgeht. Wir zählten allein in Water-Street deren gegen dreißig.

Diese Localitäten sind alle nach der Straße zu offen. Eine grüne Jalousie, die jedoch unverschließbar und durch einen leichten Stoß zu öffnen ist, schließt die Blicke der Passanten aus. Aus dem Innern der Räumlichkeiten ertönt eine haarsträubende Musik, meist aus Harfe oder Banjo, Geige und Trompete oder Pickelflöte bestehend. Dazwischen erschallen laute Jauchzer, Schreie und Flüche in allen erdenklichen Sprachen.

Wir waren eben im Begriff, in eine dieser Localitäten zu treten, als dieselbe von innen mit großer Gewalt geöffnet wurde und ein englischer Matrose mit fabelhafter Geschwindigkeit hervorstürzte. Augenscheinlich war er durch einen wohlgezielten Tritt auf den Schwerpunkt seines Rückens so telegraphisch schnell befördert worden, daß er unserem Polizeiagenten mit seinem Kopfe, wie eine wohlgezielte Bombe, gerade vor den Bauch fuhr und diesen um ein Haar umgerannt hätte. Von unsichtbarer Macht dem Matrosen nachgeschleudert, kam der Hut hinterdrein geflogen. Mit ein paar freundlichst in der Eile ausgetauschten Flüchen trennten sich die beiden in einander gerannten Fahrzeuge wieder, und wir segelten in das feindliche Lager, indem unser Begleiter sich noch immer den Magen rieb.