Nicht so viel Handgepäck
[514] Nicht so viel Handgepäck! Kaum irgendwo im modernen Leben
tritt die Rücksichtslosigkeit gegen Recht und Behagen des Nebenmenschen
greller zu Tage als in den durchgehenden Wagen eines sehr besetzten
Eilzuges zur Hauptreisezeit auf den süddeutschen Bahnen, die kein Freigepäck
zugestehen. Man traut als Unbetheiligter seinen Augen nicht,
welche Masse von Päcken, Ballen und Koffern einer einzigen Person in
den Eisenbahnwagen nachfolgen, als Betheiligter aber hat man öfters
einen sehr ernsthaften Kampf zu bestehen, um sein Recht auf das Gitter
oberhalb des eigenen Platzes zu wahren. Einen solchen Kampf sah Einsender
dieses kürzlich mit an, wo sich von dem allen verfügbaren Platz
einnehmenden Handgepäck eines nur mit drei Personen besetzten Nichtrauchcoupés
sieben große Stücke als Eigenthum zweier Damen auswiesen,
so daß ein Neuankommender mit seinem bescheidenen Köfferchen
rathlos dastand und dasselbe endlich zwischen den Füßen seiner Mitreisenden
unterbringen mußte, nicht ohne unangenehmen Wortwechsel mit den Besitzerinnen
so vieler Nothwendigkeiten. An wem liegt die Schuld? Die
Schaffner drücken begreiflicherweise gern ein Auge zu, um nicht durch einfaches
Bestehen auf der Vorschrift eine Abreise im letzten Augenblick unmöglich
zu machen, das Publikum hat die bekannte menschliche Neigung, jede
Vergünstigung bis zum Mißbrauch in Anspruch zu nehmen. Hier kann
nur eines helfen: Herabsetzung des Personengepäcktarifs. Mit Anhängen
eines einzigen Wagens würde der gesammte ärgerliche Ballast eines
Schnellzuges untergebracht sein, eine mäßige Taxe dafür würden die
Besitzer zahlen, um selbst der Unbequemlichkeit enthoben zu sein. Dann
aber könnte die strengste Durchführung der Bestimmung, daß jeder nur
den über seinem Platze befindlichen Raum belegen darf, verlangt und vom
Publikum selbst mithelfend vollzogen werden. Man sollte denken, es bedürfe
nur des guten Willens der Bahnverwaltungen,
um diese so sehr wünschenswerthen
Einrichtungen zu treffen! – n.