Noch einmal der „Leviathan“
Das doppeleiserne Doppeldampf-Ungeheuer, das auf Verlangen mit mehr als 10,000 Pferdedampf- und 6500 Quadrat-Yards-Segelkraft die Reisen nach und von Australien mit der Geschwindigkeit des Sturmes und mit den Flügeln der Morgenröthe, mindestens in einem Fünftel der bisherigen Geschwindigkeit zurücklegen will, hat zu seiner ersten Reise mehr Zeit gebraucht, als jemals ein vom Stapel laufendes Schiff: über zehn Wochen zu einer blos 300 Fuß weiten und noch dazu bergabführenden Entfernung. Zuerst ließ es sich mit Hunderttausend-Centner-Lasten von Druck und Zug (hydraulischen Pressen und Dampfböcken, [54] welche von hinten drängten, und 8 Barkschiffen davor, welche vermittelst der kolossalsten Flaschenzüge, die jemals construirt wurden, zogen) nur einige Fuß weit bringen und richtete dabei gleiches Unheil unter Maschinen und Menschen an. Dann stand es einige Wochen still, bis man mit neuem Zug und Stoß, die zu fabelhaften Massen von Pferdekräften stiegen, es Tag für Tag, oft mit Hülfe der Nächte bald einige Fuß, bald einige Zoll, bald gar nicht vorwärts, aber nach wochenlangen, fabelhaft theuern Anstrengungen doch endlich etwas in’s Wasser brachte. Am 9. December Abends spülte die rauschende, schäumende, donnernde Hochfluth der Themse mächtig um den Riesenbauch des Leviathan, aber ohne ihn im Geringsten zu rühren, während schwere Schiffe und tiefgeladene Kohlenflöße auf der Fluth umherschaukelten wie Nußschalen.
Er wird noch manches Stoßes und Zuges bedürfen, ehe er ordentlich in sein Element und in Zug kommt, denn noch immer (18. December) liegt er während der Ebbe in seiner „Wiege“ auf dem Trocknen. Doch das Schlimmste scheint überwunden und der Lauf vom Stapel im Wesentlichen gelungen und vollendet zu sein, obwohl nicht auf die einfachste, wohlfeilste und wissenschaftlichste Weise. Tüchtige, wissenschaftliche, praktische Mathematiker und Techniker würden sehr wahrscheinlich einen praktischeren, sicherern Weg vom Stapel construirt und das Schiff ihn unter ihrer Leitung schneller zurückgelegt haben.
Doch das ist hier nicht unsere Sache. – Wir wollen, nachdem diese kolossale Arche wiederholt von uns in ihren verschiedenen räumlichen, architektonischen und technischen Verhältnissen geschildert ward,[1] uns jetzt nur das Innere dieser schwimmenden Eisenstadt ansehen, wie es aussehen muß, wenn man sie vollständig ausgestattet, bemannt und verproviantirt, zugleich aber zur Bequemlichkeit für die Leser gleichsam halb durchgeschnitten haben wird. Diese „Sections-Ansichten“ sind bei dergleichen complicirten und in der Wirklichkeit verdeckten Bauten und Structuren das einzige Mittel, sich eine klare Vorstellung von den innern Raumverhältnissen zu bilden, zumal da Andeutungen des verschiedenen Inhalts dieser Räume sehr bequem zu Hülfe kommen, so daß wir noch einiger Zahlen und der Erklärung derselben bedürfen, um uns ganz ohne Irrthum überall zurecht zu finden. Wir verweisen also auf untenstehende Ansicht nebst erklärendem Text.
Wir wissen dann, wenigstens topographisch genommen, Bescheid, und wenn wir früher mitgetheilte Raum- und Größen-Verhältnisse, Bauart u. s. w. zu Hülfe nehmen, wird es uns nicht zu schwer werden, eine ziemlich umfassende Vorstellung von dieser riesigsten aller Schiffsbauten zusammenzubringen.
Wir fügen nur noch einige Notizen hinzu, um die früher gemachten Mittheilungen zu ergänzen. Das Dampfungeheuer wird, wenn erst ordentlich auf und im Wasser, sich immer in ehrerbietiger Entfernung vom Lande halten müssen und braucht deshalb zum Verkehr mit Häfen und Landungsplätzen kleinere Fahrzeuge. Dazu sollen außer 20 Seebooten, die ringsherum hängen werden, auch zwei Dampfschiffe, jedes von 40 Pferdekraft, dienen. Letztere werden, wenn nicht gebraucht, wie Spielwaarenschiffe hinter den Schaufelrädern hängen, um hängend im Nothfalle geheizt und zum sofortigen Gebrauch hinunter gelassen zu werden. Die schwimmende Eisenstadt für 8 bis 10,000 Personen wird durch eine ganz besondere Gasanstalt erleuchtet und außerdem des Nachts an den Außenwänden durch elektrisches Licht illuminirt werden, so daß es wie ein ungeheueres, leuchtendes Meteor hinschießen und in weiter Ferne ringsum gesehen und gemieden werden kann.
Von besonderen Dampfmaschinen im Innern zum Auf- und Einziehen der Segel, zum Heben, Schrauben, Ziehen für innere ökonomische Zwecke, von des Capitains Arm-Telegraphen am Tage und dem elektrischen Telegraphen für die Maschinen unten zum Commandiren und sonstigen niedlichen Nebensachen ließe sich noch Vieles singen und sagen. Doch wollen wir warten, bis die Henne das Ei vollends gelegt haben wird.
Wenn Alles, was noch zum Ganzen fehlt, in derselben Weise ausgeführt wird, wie die Operationen des Entstapelns, wird man noch in verschiedene Brüche kommen und den Generalnenner suchen. Nach dem Urtheil eines Sachverständigen hätte man durch eine wissenschaftlich-mathematische Entstapelung allein gegen 30,000 Pfund bei dieser Operation sparen können. Bis jetzt sollen die 300 Fuß Weges vom Bauplatze bis in die Themse, die ihre Last
[55] noch nicht trägt, beinahe 100,000 Pfund kosten. Nun kostet aber das ganze Schiff bis jetzt nicht viel über 600,000 Pfund, wobei man rechnete, daß andere 100,000 Pfund zur vollständigen „Seefertigkeit“ des Schiffes hinreichen würden. Diese sind nun, gegen alle Vorausberechnung, blos für die noch nicht gelungene Entstapelung darauf gegangen, so daß Leviathan, wenn er erst im Themsewasser wirklich schwimmen sollte, so stark von Geldverlegenheit beladen werden wird, daß er wieder nicht vorwärts kommen kann. Wenn er einmal glücklich auf dem Wege nach Australien oder wohl gar zurückgekehrt ist, wollen wir uns wieder sprechen.