Noch einmal die Kindermilch im Hause

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Titel: Noch einmal die Kindermilch im Hause
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 591
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Noch einmal die Kindermilch im Hause.

Ich saß in einem Wagen der Eisenbahn auf meiner sommerlichen Ferienreise. Mit mir dampfte eine erholungsbedürftige Familie mit einem Säugling von vier Monaten. Ich war nun Zeuge, wie die junge Mutter „rationell“, nach den neuesten Vorschriften der Wissenschaft ihr Kind künstlich ernährte, sie führte eine Flasche sterilisierter Milch aus einer gut empfohlenen Fabrik mit und tränkte mit dem Inhalt den durstigen Erdenbürger. Ein weiterer Vorrat dieser unfehlbar gesunden Milch befand sich in Korb und Koffer. Die junge Frau war felsenfest überzeugt, ihrem Kinde ein mustergültiges Präparat darzureichen. Nun wollte es der Zufall, daß sich in meinem Reisekoffer unter andern, auch das neueste Heft der „Zeitschrift für Hygieine und Infektionskrankheiten“ befand, und darin stand eine wichtige Abhandlung von Professor C. Flügge über „Die Aufgaben und Leistungen der Milchsterilisierung gegenüber den Darmkrankheiten der Säuglinge“. Wie wunderbar kam es der Mutter vor, als sie kurz über den Inhalt jener Abhandlung belehrt wurde und erfuhr, daß in jener allerneuesten wissenschaftlichen Arbeit über die fabrikmäßig hergestellte Dauermilch, sofern sie als Nährmittel für Säuglinge dienen soll, geradezu der Stab gebrochen wurde!

So hat sich also die ehrwürdige medizinische Wissenschaft am Leitbande der Bakteriologie wieder einmal geirrt? Die sterilisierte Milch, die von den Aerzten als frei von allen Krankheitserregern gepriesen wurde, sie soll nichts taugen? Ganz so schlimm ist es nicht. Aber zum Besten der jungen Mütter wollen wir hier das Wichtigste aus den Enthüllungen Professor Flügges über die Milchsterilisierung mitteilen.

Lange bevor man Bakterien kannte, wußte man, daß die unschuldige Kuhmilch mitunter recht gefährlich werden kann. Man gab darum den Rat, die Milch niemals roh, sondern nur in abgekochtem Zustande zu genießen, und in der That sichert diese einfache Vorsichtsmaßregel die Erwachsenen völlig vor jenen Gefahren, welche durch den Milchgenuß heraufbeschworen werden können. Eine besondere Behandlung erheischte jedoch, wie man sich bald überzeugte, die Kuhmilch, welche zur künstlichen Ernährung der Säuglinge dienen sollte. Der Säugling vermag die Kuhmilch nicht so leicht zu verdauen; außerdem wird sie selbst in dem reinlichsten Stalle beim Melken, Zusammengießen, Durchseihen etc. mit zahllosen unsichtbaren Keimen verunreinigt, wodurch sie leicht zersetzbar wird. Diese Keime sind in der Regel an sich keine Krankheitserreger, sie schaden wenigstens den Erwachsenen nicht; wohl aber vermögen sie die Milch derart zu verändern, daß sie für die überaus zarten Säuglinge schädlich, ja lebensgefährlich wird.

Man empfahl darum, auch die Säuglingsmilch durch Abkochen vor dem Verderben zu schützen, erfuhr aber bald, daß viele der gewöhnlich in der Milch vorkommenden Bakterien sich durch Siedehitze nicht so leicht abtöten lassen, sie bilden Keime oder Sporen, die gegen Hitze ungemein widerstandsfähig sind. Kocht man z. B. die Kuhmilch eine halbe Stunde lang und läßt sie in einem wohlverschlossenen Gefäße stehen, so bemerkt man, daß sie nach längerer oder kürzerer Zeit doch verdirbt. Ein Teil der Bakteriensporen hat der Hitze zu trotzen vermocht, er keimte später aus, vermehrte sich und verdarb die Milch.

Es ist darum ungemein schwierig, die Milch völlig keimfrei zu machen. Wollte man dieses Ziel durch die einfache Siedehitze von lOO° C. erreichen, so müßte man die Milch sechs bis sieben Stunden lang kochen. Dabei wird aber die Milch dunkelbraun von Farbe, unangenehm im Geschmack, die Eiweißstoffe werden zum Teil ausgeschieden, kurz, die Milch wird so verändert, daß sie nicht mehr verkaufsfähig ist und sich auch als Nahrungsmittel für Säuglinge nicht mehr eignet.

Völlig keimfrei kann die Milch ferner gemacht werden, wenn man sie in gespanntem Dampfe auf 120° C. erhitzt, wozu besondere Apparate nötig sind. Ein dritter Weg, der gleichfalls zum Ziele führt, ist die „diskontinuierliche Sterilisierung“, ein höchst umständliches Verfahren, bei dem die Milch fünf bis sechs mal erhitzt und dann wieder an mäßig warmem Orte stehen gelassen wird.

Dr. Barons Apparat zum Sterilisieren der Milch.

Apparat zum Sterilisieren der Milch: Der innere Topf.

Es ist klar, daß durch solche Behandlung der Preis der wirklich sterilisierten Milch bedeutend verteuert wird und daß nur die wenigsten Familien in der Lage sein würden, eine solche keimfreie Milch für ihre Säuglinge zu kaufen. Man hat darum einen Mittelweg eingeschlagen, indem man die Milch nur eine verhältnismäßig kurze Zeit, etwa 3/4 Stunden lang erhitzte; die so behandelte Milch nannte man gleichfalls „sterilisierte“ Milch und empfahl sie für Säuglinge in der Annahme, daß die in der Milch noch am Leben gebliebenen Bakterienarten der Gesundheit nicht schädlich seien. Die praktische Erfahrung schien auch für die Richtigkeit dieser Annahme zu sprechen und Aerzte und Mütter waren des Lobes der sterilisierten Milch voll.

Erst in der neuesten Zeit wurden gegenteilige Ansichten laut. Flügge untersuchte diejenigen Milchbakterien, welche der Hitze trotzen, und fand, daß viele von ihnen durchaus nicht harmlos waren, sondern bei der Zersetzung der Kuhmilch Stoffe erzeugten, welche auf Versuchstiere giftig einwirkten und wohl geeignet waren, auch Säuglinge krank zu machen. Diese Stoffe bildeten sich namentlich dann, wenn die sogenannte sterilisierte Milch, auch in wohlverschlosscnen Gefäßen oder Flaschen, längere Zeit an einem warmen Orte aufbewahrt wurde. Auch aus ärztlichen Kreisen wurden Stimmen vernehmbar, daß die käufliche sterilisierte Milch unter Umständen im Hochsommer bei der Ernährung von Säuglingen sich nicht bewährt habe.

Da nun gegenwärtig die Milch vielfach in Fabriken, Molkereien und mit Hilfe verschiedener Apparate auch im Hause „sterilisiert“ wird, ist eine nähere Besprechung der verschiedenen Verfahren von allgemeinstem Interesse.

Eine völlig keimfreie Milch ist, wie gesagt, im Handel äußerst selten und teuer. Sie wird ausschließlich für die Ausfuhr und die Versorgung der Seeschiffe hergestellt. Für unsere Angelegenheit, für das Haus ist sie ihres Preises wegen ohne Belang.

Was wir für gewöhnlich unter dem Namen „sterilisierte Milch“, „keimfreie Dauermilch“ etc. kaufen, verdient diesen Namen im eigentlichen Sinne nicht. Flügge äußert sich darüber: „Ich selbst habe im Laufe der letzten drei Jahre von allen mir bekannt gewordenen Firmen, welche sterilisierte Milch in Flaschen oder Blechdosen herstellen, Proben kommen lassen, dieselben uneröffnet in den Brutofen gebracht und nach Abiauf von einigen Tagen oder Wochen bakteriologisch untersucht. Ich habe 30 bis 100 Procent aller dieser Proben mit Massen von Bakterien durchsetzt gefunden.“ Er hält darum diese partiell, d. h. nur unvollständig sterilisierte Flaschenmilch des Handels für ein völlig unsicheres und gefährliches Präparat, gefährlich namentlich dann, wenn die Flaschen längere Zeit hindurch an einem warmen Orte aufbewahrt wurden.

Aus diesen Gründen befürwortet Flügge die Sterilisierung der frisch bezogenen Milch im Haushalte selbst. Natürlich kann diese Sterilisierung nicht vollständig sein, durch eine Reihe von Vorsichtsmaßregeln läßt sich aber die Gefahr beseitigen, welche die übrig bleibenden Keime verursachen könnten.

Die Grundsätze, nach weichen man verfahren soll, sind folgende: es genügt, die Milch von dem Augenblick an, in dem sie ins Wallen gerät, zehn Minuten lang zu kochen. Die abgekochte Milch muß hierauf möglichst rasch abgekühlt werden, indem man sie samt dem Kochtopf in ein Gefäß mit kaltem Wasser setzt, an besonders heißen Tagen das Kühlwasser auch wohl noch einmai erneuert. Die abgekühlte Milch soll darauf in einem Raum aufbewahrt werden, dessen Temperatur weniger als + 18° C. beträgt; unter diesen Umständen bleibt die Milch 24 Stunden lang zur Ernährung der Säuglinge tauglich. Steht ein entsprechend kühler Raum nicht zur Verfügung, und dies ist in den Wohnungen der Städter und der weniger Bemittelten im Hochsommer gar oft der Fall, dann ist die Milch nur 12 Stunden lang brauchbar und soll nach dieser Zeit für Säuglinge nicht mehr verwendet oder vorher noch einmal abgekocht werden. Diese Grundsätze sind nach Flügge auch für die Benutzung des Soxhletschen Apparates maßgebend. Bei Spaziergängen darf die vorher gewärmte Milch höchstens 1 bis 2 Stunden durch Umhüllen mit wollenen Tüchern auf höherer Temperatur gehalten werden.

Im übrigen weist Flügge darauf hin, daß bei sorgfältiger Behandlung durch einfache Milchkocher, wie sie im Handel vielfach vorkommen, die Milch ebenso gut „sterilisiert“ werden kann wie im Soxhletschen Apparat. Durch eine möglichste Verbreitung dieser Milchkocher unter der armen Bevölkerung unter Beifügung leicht verständlicher „Vorschriften“ könnte, wie Flügge meint, am wirksamsten der noch immer übergroßen Sterblichkeit der Kinder im Säuglingsalter entgegengearbeitet werden. Beispielshalber möchten wir einen dieser Milchkocher beschreiben, der von Dr. Baron eingeführt wurde und den unsere Vignetten zeigen.

Er besteht in einem verzinnten mit passendem Deckel versehenen Kochtopfe und in einem zweiten größeren Topf, in welchen der erste hineingestellt werden kann. Der Gebrauch gestaltet sich nach Angaben Dr. Barons wie folgt: Man füllt den sauber gereinigten 2 Liter fassenden kieineren Topf mit der für einen Tag reichenden, wenn nötig entsprechend verdünnten und versüßten Milchmenge und schließt ihn mit dem Deckel. Darauf setzt man den Milchtopf in den großen Topf und füllt zwischen beide Töpfe so viel Wasser, daß es knapp bis zur halben Höhe reicht, schließt den großen Topf ebenfalls und stellt das Ganze aufs Feuer. Von dem Augenblicke an, wo das Wasser siedet, läßt man es noch eine reichliche halbe Stunde kochen. (Nach Professor Flügge würden, wie gesagt, schon zehn Minuten genügen.) Will man eine Mahlzeit bereiten, so dreht man den Deckel des Milchtopfes, ohne ihn zu lüften, mittels des Griffes soweit nach rechts, bis die Nase des Deckels an dem Holmgriffe anstößt, es deckt sich dann der Ausschnitt in der Deckelzarge mit dem Ausguß und man kann bequem abgießen. Zum Schluß bringt man den Deckel wieder in seine frühere Lage zurück, der Topf ist wieder verschlossen und die Milch vor Verunreinigung durch Keime geschützt. Die Milch kann abgekühlt werden, indem man den Topf in ein Gefäß mit kaltem Wasser setzt.

Noch vor dem Erscheinen der lehrreichen Abhandlung des berühmten Breslauer Hygieinikers haben wir in dem Artikel „Die Kindermilch im Hause“ (Nr. 25 dieses Jahrgangs) ähnliche Ratschläge unseren Leserinnen erteilt, dabei aber auf die Zuhilfenahme aller, selbst der einfachsten Milchkocher verzichtet. Wir glaubten, im allgemeinen Interesse unsre früheren Mitteilungen durch die Ausführungen von Professor Flügge ergänzen zu sollen, unter gleichzeitigem Hinweis auf den Baronschen Milchkochapparat, der für die Zubereitung einer gesunden Kindermilch immerhin von Wert und dabei einfach und billig ist. *