Nochmals das Bluten der Marienkäfer
[739] Nochmals das Bluten der Marienkäfer. In Nr. 19 des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“ wird in dem Aufsatz „Aus dem Arsenal der Tierwelt“ auch das Bluten der Marienkäfer besprochen. Ganz richtig heißt es dort, daß schon der Altmeister Leydig erkannt hat, daß jene gelbe Flüssigkeit, welche die Käferchen in wirklicher oder vermutlicher Gefahr absondern, mit dem Blute der Tiere identisch ist. Die weitere Angabe aber, daß dieser Vorgang dadurch entstehe, daß der Druck des plötzlich zum Stillstand gebrachten Blutes die Haut in den Punkten des geringsten Widerstandes sprenge und so ein Tropfen herausgepreßt werde, beruht auf einer ganz irrigen Annahme des französischen Gelehrten Cuénot. Ein deutscher Forscher, K. G. Lutz, hat kürzlich überzeugend nachgewiesen, daß das Blut durch eine Spalte in der Gelenkhaut des Knies austritt. Wenn beim „Sichtotstellen“ das Blut infolge starker Zusammenziehung der Hinterleibsringel in die Beine gepreßt und gleichzeitig am Zurückfließen gehindert wird, so wird durch die Kontraktion des Beugemuskels des Unterschenkels (tibia) – vorausgesetzt, daß sie das normale Maß übersteigt – die Bahn frei. Durch die starke Beugung des Unterschenkels lockert sich nämlich der feste Verschluß zwischen Sehne und Oberschenkel, und indem der Unterschenkel wie die Klinge eines zuklappenden Taschenmessers zwischen die beiden Kanten des Oberschenkels eingedrückt wird, tritt infolge des erhöhten Druckes das Blut durch die Spalte der Gelenkhaut aus dem Kniegelenke. Bei dem bekannten gemeinen Marienkäfer, der auf roten Flügeldecken sieben schwarze Punkte trägt, hat Lutz oft beobachtet, wie er die Tarsen (die Fußglieder) während des Blutens an den Rand der Vertiefung, in welche die Beine eingelegt werden, anstemmt, wodurch die Beugung des Unterschenkels noch wesentlich unterstützt wird. Sobald die Kontraktion des Hinterleibes und damit die Zurückdrängung des Blutes, sowie ferner die verstärkte Kontraktion des Beugemuskels des Unterschenkels aufhört, wird auch das Bluten unmöglich. Sehr schnell trocknet die Blutflüssigkeit ein und wird dann so klebrig und zähe, daß die Käfer nicht selten mit ihrem eigenen Blute kleben bleiben; deshalb bemühen sich die Tiere auch stets, das geronnene Blut zu entfernen. – Während man früher das Bluten der Marienkäfer (welches nur beim „Sichtotstellen“ erfolgt) als einen bewußten, überlegten Akt der Tierchen auffaßte, hat in der letzten Zeit die Ansicht die Oberhand gewonnen, daß man es mit einer Art Starrsucht vor Angst und Schrecken zu thun hat. Doch wohl mit Unrecht! Beruht das Sichtotstellen auf einem Starrkrampfe (Tetanus), so ist das Bluten die Folge desselben; wenn aber die Starre von der Willkür des Tieres abhängt, so ist auch die Blutung eine willkürliche. Nun sind schon Fälle von willkürlichem Blutspritzen aus der Insektenwelt bekannt. So lebt in der Sahara eine Heuschrecke (Eugaster Guyoni), welche aus 40 bis 50 cm Entfernnng ihren Verfolger mit Blut bespritzt, welches durch Poren der dünnhäutigen Oberseite zwischen Hüfte und Schenkelring unter hohem Drucke ausgespritzt wird. Da wir nun in dem Bluten der Marienkäfer ein Verteidigungsmittel gegen insektenfressende Tiere erblicken, so müssen wir es als einen willkürlichen, durch Vererbung überkommenen Vorgang ansehen. Auch das Anstemmen der Tarsen während des Blutens ist ein Beweis dafür, daß es sich nicht um einen Starrkrampf, sondern um einen willkürlichen Vorgang handelt. Endlich geht aus der Beschaffenheit der Spalte, welche von einer doppelt konturierten Haut gebildet wird, hervor, daß sie nicht erst unmittelbar vor dem Blutaustritt entsteht, sondern schon vorhanden ist, wenn der Käfer die Puppenhülle verläßt. H. Reeker.