Nur ein Komma

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Nur ein Komma
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 591–592
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[591] Nur ein Komma. Kleine Ursachen – große Wirkungen! Ist das zuweilen der Fall in den großen Haupt- und Staatsactionen der allgemeinen Weltgeschichte, warum nicht auch einmal im stillen Alltagsleben? Warum soll nicht auch ein Komma, oder vielmehr die Auslassung eines solchen, dem Leben eines gewöhnlichen Sterblichen ein oder mehrere Jahre verbittert haben?

Nachfolgend der Beweis davon.

Ich hatte bis vor etwa zwei Jahren eine angenehme, ziemlich freie und lohnende Stellung in der Redaction einer der größten Verlagsbuchhandlungen Deutschlands inne. Durch etwas zu ausgedehnten Gebrauch meiner Freiheit verlor ich die Stellung, fand dann eine andere in einem gleich großen Concurrenzgeschäft, die ich aber, da sie mir in mancher Beziehung nicht sehr zusagte, meinerseits bald wieder aufgab. Nun suchte ich lange, ohne etwas Passendes finden zu können, sodaß ich Anfang vorigen Jahres, entrüstet, daß die alte Welt mich nicht zu schätzen verstand, beschloß, die neue Welt mit meiner Persönlichkeit zu beglücken, schnell nach Hamburg fuhr und dort ein Billet nach New-York löste.

Das Erste, was die meisten nach Amerika auswandernden jungen und bisweilen auch ältere Leute in New-York thun, ist gewöhnlich, ihr Geld so schnell wie möglich durchzubringen; daß ich keine Ausnahme bin, bewies ich glänzend, denn von den 50 Dollars (etwa 210 Mark), mit denen ich New-York betrat, hatte ich nach acht Tagen kaum noch sechs! Ich wünschte jetzt, mein wahrscheinlich etwas langes Gesicht zu sehen, als sich dies Resultat meines „Cassemachens“ herausstellte. Noch an demselben Tage wurde eifrig die Zeitung studirt, ob denn keine passende Stellung sich darin fände, und richtig, wie für mich gemacht:

„Gesucht ein Corrector, welcher der deutschen, englischen und lateinischen Sprache mächtig ist. Schriftliche Gesuche sind zu richten an St. u. Comp.“

Ich ging in die erste beste Papierhandlung, kaufte mir Briefbogen und Couverts und frug nach der nächsten Gelegenheit, um einen Brief schreiben zu können. Mit Zuvorkommenheit brachte mir der Besitzer Tintenfaß und Feder, sodaß ich mein Gesuch gleich im Stehen auf dem Ladentisch niederschrieb, dann faltete und couvertirte ich es, schrieb die Adresse und brachte [592] es, um ganz sicher zu gehen, selbst in die betreffende Buchhandlung (eine der größten New-Yorks). Obwohl ich mir mit der Abfassung meines Gesuchs nicht besondere Mühe gegeben hatte, ferner auch wohl anzunehmen war, daß sich sehr viele Bewerber um die betreffende Stellung melden würden, war ich doch der besten Hoffnung, dieselbe zu erhalten, denn die Orthographie ist gleichsam Fleisch und Blut von mir selbst. Es verging jedoch ein Tag nach dem andern, ohne daß ich die erwartete Einladung erhielt, noch auch sonstwie Beschäftigung fand, und so ging ich denn etwa vierzehn Tage nach Absendung meiner Offerte, nachdem ich unterdessen natürlich Werthsachen etc. verkauft hatte, persönlich zu Herrn St. Ich wurde in einen kleinen, abgesonderten Raum des mächtigen Saales gewiesen, wo ich denn auch den von mir gesuchten Herrn fand und mich ihm vorstellte. Herr St. sagte, mein Name käme ihm bekannt vor, und als ich ihm erwiderte, ich hätte mich vor zwei Wochen zu der ausgeschriebenen Corrector-Stellung gemeldet, ging er an ein Seitentischchen, wühlte in einem Haufen dort liegender Papiere und zog eins davon hervor, indem er sagte: „Richtig, jetzt erinnere ich mich. Ja, Herr Sch., Sie kann ich nicht brauchen, Sie sind zu leichtfertig.“

Mir fielen alle meine Sünden bei, ich war wie vom Donner gerührt. Daß ich in Betreff meines Lebenswandels und Charakters bisher etwas leichtfertig war, wußte ich gut genug, wie aber die Kenntniß davon aus Deutschland schon bis zu den Ohren des Herrn St. in New York gedrungen sein sollte, war mir ein vollständiges Räthsel. Ich stammelte blos:

„Wie wissen Sie –“

„Nun, wenn Sie in Ihrem Gesuche, das man doch gewöhnlich mit besonderer Aufmerksamkeit abfaßt, gleich in der ersten Zeile, bei der Datum-Angabe eine Nachlässigkeit begehen, so ist man wohl zu der Schlußfolgerung, die ich machte, berechtigt.“

Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entquoll meiner gepreßten Brust; also nicht moralisch leichtfertig, sondern nur schriftlich, nun, das konnte nicht so schlimm sein, dessen war ich gewiß.

„Ja, aber was für einen Fehler habe ich denn gemacht?“

„Gleich im Datum, nach New-York, haben Sie das Komma ausgelassen.“

„Herr St., darüber ließe sich doch streiten –“

„Was, Sie wollen das noch bestreiten?“ ereiferte sich der leicht erregbare Herr, mein Gesuch mir fast unter die Nase haltend, „hier sehen Sie!“

„O, Sie mißverstehen mich, ich bestreite nicht die Thatsache, daß ich das Komma ausgelassen habe, sondern ich sage nur, daß man über dessen Existenzberechtigung doch verschiedener Meinung sein könne.“

„Nein, Herr Sch., das kann man nicht; so ein Komma ist ein sehr wichtiges Ding. Lassen Sie z. B. bei 10000,00 Dollar das Komma weg, dann heißt es eine Million Dollar, statt zehn Tausend.“

„Ja, Herr St., das stimmt, aber bei einem Datum ist das doch etwas Anderes, ob da zwischen New-York, Leipzig oder Constantinopel und dem Monatstage ein Komma –“

„Wenn das auch am Sinn nichts ändert, indeß es doch stehen, und ein sorgfältiger Corrector wird es nicht auslassen.“ Herr St. wurde immer erregter, ich dagegen, da mir plötzlich einfiel, was auf dem Spiele stand, wurde nun sehr ruhig, sehr höflich und sogar etwas wehmüthig.

„Bitte, Herr St.,“ suchte ich sachte einzulenken, „Sie werden mir doch zugeben, daß die einzelnen Herren Verleger und Drucker ihre einzelnen, besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Orthographie haben und –“

„Aber die Interpunction hat ihre allgemeinen Regeln. Ich will Ihnen ganz ruhig sagen“ (er war aber nichts weniger als ruhig), „von den vielen Bewerbern um den Platz hätte ich Sie engagirt, Ihre Handschrift gefällt mir, Ihr sonstiger Brief ebenfalls, das Zeugniß, von dem Sie einne Abschrift beigelegt haben, ist gut, und das Haus selbst, in dem Sie angestellt waren, ist eine noch bessere Empfehlung. Aber das Komma“ (er meinte natürlich das Nichtvorhandensein des Komma) „bricht Ihnen das Genick. Ich kann Sie absolut nicht brauchen.“

Das Herz, oder war es der Magen, sank mir sozusagen bis in die Stiefeln. Das war allerdings deutlich gesprochen und nichts dagegen zu machen, wie sich bald herausstellte; denn obwohl ich es in allen möglichen Tonarten versuchte, Herrn St. umzustimmen, so blieb dieser doch bei seinem Ultimatum, drehte mir schließlich schweigend den Rücken zu und wandte sich zu seiner früheren Beschäftigung an seinem Pulte. Das war ebenfalls deutlich; ich machte also meine Abschiedsverbeugung, die freilich, wie ich fürchte, nicht ganz so ausfiel wie die zur Begrüßung, und ging.

Trotzdem ich an jedem Morgen aus den Zeitungen nur alle möglichen Stellungen ausschrieb und dieselben ablief, trotzdem ich selbst mehrere Dollar für Inserate ausgab, trotzdem ich mich in jedem größern Geschäfte, Laden, Fabrik etc. anbot, bekam ich doch keine feste Stellung. Hin und wieder erhielt ich auf einige Tage, auch auf einige Wochen Arbeit, was man drüben Arbeit nennt, das heißt ich war eine Zeit lang Fensterputzer in einer Apotheke, Stiefelwichser, wandelnder Reclameträger, Eisenbahnarbeiter, Holzspalter, Schneeschaufler, Eiscrememacher, Laufbursche, Küchenauswäscher, Hafenarbeiter, Kutscher.

Endlich schien Fortuna mir lächeln zu wollen. Mein „Baas“ (Principal), bei dem ich als Kutscher einen kleinen Unfall hatte, fühlte mir betreffs meiner „Bildung“ etwas auf den Zahn, und da er sah, daß diese für einen Kutscher etwas ungewöhnlich war, fragte er mich, ob ich auch Buchführung verstände. In Deutschland würde natürlich Jemand, der noch nie ein Hauptbuch in der Hand gehabt und noch nie ein Cassabuch weder für Andere noch für sich selbst geführt hat, die Unverschämtheit nie besitzen, auf obige Frage eines „Baas“ mit Ja zu antworten; in Amerika ist das anders. Und so antwortete auch ich frischweg bejahend. Er führte mich zu seinen Büchern und sagte mir, es hätten sich da mehrere Irrthümer und Uebelstände eingeschlichen, die sollte ich aussuchen und gut machen, das Weitere fände sich dann.

Nun, mit etwas gutem Willen und gesundem Menschenverstande bringt man so Manches fertig, und so fand ich mich auch bald in seiner allerdings ziemlich einfachen Buchführung zurecht. Ich sah die Uebelstände, verbesserte sie nach besten Kräften, schlug vor, zur bessern Uebersicht ein paar weitere Bücher anzulegen, und so wurde ich wohlbestallter Buchhalter. Jetzt glaubte ich das Glück an allen vier Zipfeln zu haben – ja, hat sich was! Die Stellung war freilich nicht schlecht, ich hatte zwar angestrengt zu arbeiten, von früh sechs fast ununterbrochen bis Abends acht, manchmal zehn Uhr, aber dafür 18 Dollar (75 Mark) wöchentliches Gehalt (in Amerika werden alle Privatstellungen wöchentlich bezahlt) und Board, das heißt Essen, Trinken und sogar Cigarren[1] frei.

Die Herrlichkeit dauerte nur leider nicht allzu lange; nach einigen Monaten kam ein, wie ich jetzt merkte, längst erwarteter Schwager meines „Baas“, und nun hieß es natürlich, der Mohr hat seine Arbeit gethan, der Mohr kann gehn, und zwar ohne Kündigungszeit, wie das drüben leider so Sitte oder vielmehr Unsitte ist. Voller Geigen hatte mir der Himmel gehangen, was hatte ich nun? Höchstens noch ein Stückchen Resonanzboden, das heißt ein paar Dollar Ersparnisse. Jetzt ging die Hetzjagd von Neuem los; ich will den geneigten Leser aber nicht mit der Erzählung davon ermüden, sondern nur kurz mittheilen, daß ich von Amerika (drüben nennt’s der Volkswitz sehr bezeichnend Malörika) mehr als genug hatte, mein Bündel schnürte und über England nach Deutschland zurückfuhr.

Unterwegs hatte ich Muße genug, über mein Amerikaleben nachzudenken, und sehr erbaulich fiel das Resultat gerade nicht aus. Mit reichlichem Gelde und vielen schönen Hoffnungen war ich damals nach Hamburg gekommen, um mich nach Amerika einzuschiffen; ohne Geld, fast ohne Sachen kam ich von da nach Hamburg zurück, fast keine Hoffnung hatte sich erfüllt. Ja, wenn ich in New-York jene Correctorstellung erlangt hätte, wenn ich jenes Komma nicht ausgelassen hätte! O, das Komma!!


  1. In Amerika eine bedeutende Ausgabe, denn die billigste, einigermaßen rauchbare Cigarre kostet 10 Cents (24 Pfenig).