Oberappellationsgericht München – Arzt ohne Zulassung

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Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1876, Nr. 8, Seite 90–93
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Kurzbeschreibung: Arzt praktiziert ohne staatliche Bestätigung (Approbation)
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Der oberste Gerichtshof des Königreichs hat unterm 15. Oktober v. Js. in Sachen des J. K., Chirurg in N., wegen unbefugter Führung eines ärztlichen Titels, zu Recht erkannt, daß durch das Urtheil des k. Landgericht P. vom 29. Juli 1875 das Gesetz in den §§ 29 und 147 Absatz 1 Ziffer 3 der Deutschen Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 verletzt worden sei, und zwar aus folgenden Gründen:

J. K., Chirurg in N. welcher sich in einer an die Gemeindeverwaltung S. über einen bedenklichen Krankheitsvorfall im Orte S. erstatteten Anzeige vom 3. Juni 1875 als „praktischer Arzt“ unterzeichnet hatte, ist aus Anlaß einer Note des k. Bezirksarztes vom 11. Juli, an das k. Bezirksamt P. gerichtet, vom k. Landgerichte P. unter der Anschuldigung der unbefugten Führung des Titels „praktischer Arzt“ in dessen öffentliche Sitzung vom 29. Juli geladen, nach gepflogener Verhandlung jedoch durch das sofort verkündete Urtheil von der bezüglichen Anschuldigung unter Ueberbürdung der Kosten auf die Staatskasse freigesprochen worden.

Dieses Urtheil hat die Rechtskraft beschritten. Dagegen hat der k. Generalstaatsanwalt am obersten Gerichtshofe Beschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen Verletzung des § 29 und des § 147 Absatz 1 Ziffer 3 der Deutschen Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 erhoben.

Zur Begründung des freisprechenden Urtheils des k. Landgerichts P. vom 29. Juli 1875 ist im Wesentlichen angeführt, daß der Beschuldigte eine dienstliche Anzeige an die Gemeindeverwaltung S. vom 3. Juni 1875 mit „J. K., praktischer Arzt“ unterschrieb, daß derselbe bisher nur als Chirurg galt, jedoch bei der Verhandlung durch ein unzweifelhaft echtes Diplom der medizinisch-chirurgischen Fakultät der k. k. Universität Wien vom 1. Februar 1833, beziehungsweise 28. Mai 1834, nachgewiesen hat, daß er als Wundarzt, Geburtshelfer und Chirurg geprüft und zur Ausübung dieser Zweige der Medizin befähigt gefunden worden, er sohin in der That eine geprüfte Medizinalperson, d. h, ein mit Diplom versehener Arzt, ist, der die ihm zustehende Praxis ausübt und auszuüben die Berechtigung bisher unbeanstandet hatte und noch hat.

Es erscheint zunächst auffällig, daß laut dieser Begründung nicht einmal festgestellt wurde, daß der Beschuldigte von einer bayerischen Behörde oder Stelle zur Ausübung irgend eines Zweiges der Heilkunde förmlich autorisirt worden sei, indem der Passus, daß derselbe bisher als Chirurg galt, blos auf einen bisher geherrschten [91] faktischen Zustand deutet, während der Betrieb der Heilkunde in Bayern vor der Einführung der Gesetze des Deutschen Reichs in allen Fällen und in allen Zweigen der Heilkunde von der ausdrücklichen Genehmigung der zuständischen bayerischen Obrigkeit abhängig war.

Siehe Organisches Edikt über das Medizinalwesen des Königreichs v. 8. September 1808, Titel I, § 1 (R.-Bl. v. J. 1808, Band II, Seite 2189); Verordnung vom 6. Juli 1835, das Zuständigkeitsverhältniß bei Bewilligung der ärztlichen Praxis betr. I (R.-Bl. Seite 683); Instruktion für die Landärzte v. 10. Febr. 1812, Abschnitt I, § 4 (Döllinger, Verordnungs-Sammlung, Band XV, Seite 87); Ministerial-Entschließung v. 25. Januar 1823, die Anstalten zur Bildung von Chirurgen betreffend, §§ 12, 13 (R-Bl., Seite 110); Verordnung vom 28. Juni 1836, die Einrichtung der Schulen für Bader betreffend, VII (R.-Bl., Seite 390); Baderordnung für das Königreich Bayern v. 21. Juni 1843, § 10 (R.-Bl., Seite 495); Revidirte Baderordnung für das Königreich Bayern v. 15. März 1866, § 9 (R.-Bl., Seite 378); Verordnung vom 25. Juni 1868, die Verhältnisse der Bader betreffend, §8 9 und 25 (R.-Bl., Seite 1134 und 1140).

Aber auch angenommen, der vorerwähnte Passus wollte dahin verstanden werden, der Beschuldigte habe bisher vermöge ertheilter Autorisation durch die zuständige bayerische Behörde oder Stelle, – welche Autorisation immerhin bestimmt hätte bezeichnet werden müssen –, als Chirurg Geltung gehabt, so war ihm lediglich die Ausübung der verordnungsmäßig begrenzten Befugnisse eines Chirurgen zugestanden.

Das k. Landgericht P. legt übrigens auf solche Eigenschaft des Beschuldigten als Chirurg kein weiteres Gewicht, sondern erachtet denselben einzig und allein auf Grund des vorgelegten Diploms der medizinisch-chirurgischen Fakultät der k. k. Universität. Wien vom 1. Februar 1833, beziehungsweise 28. Mai 1834, mit Rücksicht auf dessen oben hervorgehobenen Inhalt zur Führung des Titels „praktischer Arzt“ berechtigt, unter dem Beifügen, daß die Befugnisse des Beschuldigten als einer von der im Jahre 1834 allenthalben als deutsch gegolten habenden Universität Wien geprüften Medizinalperson nicht nach den angezogenen instruktiven Vorschriften für die Landärzte oder Chirurgen in Bayern bemessen werden dürfen.

Diese Anschauung stellt sich als völlig unrichtig dar.

Allerdings ist im Absatze 5 des § 29 der Deutschen Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 bestimmt, daß Personen, welche vor Verkündigung dieses Gesetzes in einem Bundesstaate die Berechtigung zum Gewerbsbetriebe als Aerzte, Wundärzte, Zahnärzte, Geburtshelfer, [92] Apotheker und Thierärzte bereits erlangt haben, für das ganze Bundesgebiet approbirt gelten.

Allein die thatsächliche Voraussetzung, daß von dem Beschuldigten schon vor Einführung der Deutschen Gewerbeordnung die Berechtigung zum Gewerbsbetriebe als „Arzt“ in einem Bundesstaate erworben worden, ist im gegenwärtigen Falle nicht vorhanden.

Durch das mehrberührte Diplom der k. k. Universität Wien konnte der Beschuldigte die Berechtigung zur Ausübung der Heilkunde in Bayern niemals erlangen.

Es ist im Eingange dargethan, daß der Betrieb der Heilkunde in Bayern vor Einführung der Deutschen Gewerbeordnung in allen Zweigen der Heilkunde durch die ausdrückliche Genehmigung der zuständigen bayerischen Obrigkeit bedingt war.

Die betreffende bayerische Behörde oder Stelle mochte von dem Befähigungszeugnisse einer auswärtigen wissenschaftlichen Anstalt nach Umständen Veranlassung nehmen, die Bewilligung zur ärztlichen Praxis zu ertheilen. In keinem Falle erwuchs ohne den Zutritt der erforderlichen besonderen Erlaubniß aus dem bloßen Besitze eines derartigen Befähigungsattestes die Berechtigung zur Ausübung irgend eines Zweiges der Heilkunde in Bayern, gleichviel, ob das ausgestellte Fähigkeitszeugniß von einer ausländischen wissenschaftlichen Anstalt, oder von einer solchen einem Staate des damaligen Deutschen Bundes zugehörigen Anstalt herrührte. Selbst dann, wenn der Beschuldigte in Bayern als Wundarzt, Geburtshelfer und Chirurg wirklich autorisirt wäre, würde er nicht befugt sein, sich den Titel „praktischer Arzt“ beizulegen, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine für das gesammte Gebiet der Heilwissenschaft approbirte Medizinalperson.

(Vergleiche Verordnung v. 11. August 1873, die Ausübung der Heilkunde betreffend, § 2 (R.-Bl., S. 1315.))

Gegenüber der Schlußbemerkung in dem landgerichtlichen Urtheile, der von dem Beschuldigten geführte Titel unterscheide sich von dem eines „eigentlichen praktischen Arztes“ wesentlich und sogleich erkennbar dadurch, daß sich derselbe nicht als „Doktor“ bezeichne, kommt zu erinnern, daß diese Auffassung gerade aus dem dort unmittelbar vorher selbst angeführten Grunde offenbar irrthümlich sich zeigt, daß die Approbation als Arzt gemäß § 29 Absatz 1 der Deutschen Gewerbeordnung von der akademischen Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werden darf, wonach aus dem Mangel der Beilegung des Doktorgrades ein Schluß auf eine minder ausgedehnte Approbation zur Ausübung der Heilkunde nicht gezogen werden kann. [93]

Aus allem Dem ergibt sich, daß die von dem Beschuldigten unbefugt unternommene Beilegung des Titels „praktischer Arzt“ unter die Strafbestimmung des § 147 Absatz 1 Ziffer 3 der Deutschen Gewerbeordnung fällt, daß daher das k. Landgericht P. in seinem freisprechenden Urtheile diese Gesetzesstelle in Verbindung mit § 29 ebenda durch Nichtanwendung verletzt hat, weshalb, wie geschehen, zu erkennen war.