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Oberlandesgericht München – Bleihaltige Lebensmittelverpackung

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Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 8. Oktober 1884
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1884, Nr. 36, Seite 314–317
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Kurzbeschreibung: Verwendung von ungeeignetem, übermäßig bleihaltigen Verpackungsmaterial für Lebensmittel
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 8. Oktober 1884.

Die Revision des Staatsanwalts rügt die Verletzung des Art. 75 Abs. 1 des P.-St.-B. mit §. 12 der von der k. Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern, am 15. April 1874 hiezu erlassenen oberpolizeilichen Vorschriften und des §. 59 des St.-G.-B.

Nach Art. 75 Abs. 1 des P.-St.-G.-B. wird an Geld bis zu 45 ℳ. gestraft, wer außer den Fällen des §. 367 Nr. 7 des R.-St.-G.-B. den zur Verhütung von Gefahren für die Gesundheit in Bezug auf die Aufbewahrung verkäuflicher Nahrungsmittel ergangenen oberpolizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, und nach §. 12 der auf Grund dieser Bestimmung und des Art. 7 des P.-St.-B. von der Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern, am 15. April 1874 erlassenen, in Nr. 34 des Kreisamtsblattes von Mittelfranken vom Jahre 1874 (S. 431) veröffentlichten, oberpolizeilichen Vorschriften dürfen zum Verkaufe bestimmte Kaffeesurrogate weder in gifthaltigen Papieren noch in Blei oder Zinn, welches mehr als den achten Theil seines Gewichts Blei enthält, eingehüllt werden. Im gegebenen Falle steht nun thatsächlich fest, daß die beiden Angeklagten bis zum 3. Dezember v. Js. in ihren Geschäftsräumen von der Firma Keßler & Comp. in Gelnhausen und Werner Breuer in Köln bezogene Kaffeesurrogate zum Verkaufe bereit gehalten haben, deren Umhüllung aus einem Papier bestand, auf welchem eine oberflächlich verzinnte Bleifolie durch Aufkleben befestigt war, die bei den Surrogaten des H. 95,6 % und bei jenen des W. 95,5 % Blei enthielt. Die Strafkammer erblickte jedoch hierin in Uebereinstimmung mit dem Schöffengericht keine nach Art. 75 Abs. 1 des P.-St.-G.-B. mit §. 12 der vorerwähnten oberpolizeilichen Vorschriften strafbare Uebertretung, weil das Surrogat nicht unmittelbar von der Metallfolie, sondern zunächst von Papier umhüllt sei, welches die Berührung des Surrogats durch die dem Papier aufgeklebte, ein Schutzmittel des letzteren gegen äußere Einwirkungen bildende, Bleifolie ausschließe, daher eine Verpackung in Papier, nicht eine solche in Blei oder Zinn vorliege, und weil sich die Angeklagten jedenfalls insofern über die wirkliche Beschaffenheit der beanstandeten Verpackung in einem, die Strafbarkeit nach §. 59 des St -G.-B. ausschließenden, tatsächlichen Irrthum befunden hätten, als ihnen leicht habe entgehen können, daß die zum Schutz der Papierhülle aufgeklebte Bleifolie unter Umständen in Folge eines chemischen Prozesses schädliche Bleisalze an die Papierhülle abgebe und sich dadurch mit dieser vermenge, in welchem Falle dann Papierhülle und Bleifolie [315] ein Ganzes bilden und die Letztere allein in Betracht komme. Allein diese Anschauung ist rechtsirrthümlich.

Die oberpolizeilichen Vorschriften vom 15. April 1874, deren gesetzliche Giltigkeit nicht beanstandet ist, verbieten in §. 12 ganz allgemein und unbedingt jede Einhüllung zum Verkaufe bestimmter Kaffeesurrogate in Blei oder in Zinn, wenn letzteres mehr als den achten Theil seines Gewichts Blei enthält, ohne hiebei zu unterscheiden, ob das Metall unmittelbar das Surrogat berührt, oder eine Hülle bildet, auf deren inneren, gegen das Surrogat gerichteten, Seite Papier geklebt ist. In diesem Sinne hat sich schon das Urtheil des bayerischen obersten Gerichtshofes vom 18. März 1878 (Samml. Bd. VIII S. 111) ausgesprochen. Eine solche Unterscheidung würde auch dem Zweck der erlassenen Vorschriften, welcher darin besteht, die das Surrogat verwendenden Personen möglichst vor einer Gefährdung der Gesundheit zu schützen, nicht entsprechen, da, wie die Strafkammer in dem Urtheile selbst bemerkt, die auf die Papierhülle geklebte Bleifolie unter Umständen schädliche Stoffe an die Papierhülle abgibt, und demgemäß für die Gesundheit auch dann Gefahr besteht, wenn auf der Innenseite mit Papier überklebtes Blei oder bleihaltiges Zinn von der in §. 12 der oberpolizeilichen Vorschriften bezeichneten Beschaffenheit zur Einhüllung benützt wird, so, daß dasselbe mit dem Surrogat nicht in unmittelbare Berührung kommt. In solcher Weise zusammengeklebtes Blei und Papier bilden nicht, wie das Berufungsgericht annimmt, erst dann ein Ganzes, wenn das Metall schädliche Stoffe an das aufgeklebte Papier abgibt, sie sind dieß schon durch das Zusammenkleben geworden. Sie bilden daher auch nicht zwei selbständige Einhüllungen, sondern eine einzige Hülle, deren Gefährlichkeit für das eingehüllte Kaffeesurrogat sich nur noch erhöht, wenn bereits Bleisalze in das aufgeklebte Papier eingedrungen sind.

Die hier in Frage stehenden Umhüllungen der zum Verkaufe bestimmten Kaffeesurrogate der Angeklagten stellen sich hiernach als durch §. 12 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 15. April 1874 verbotene Bleieinhüllungen dar, wobei es strafrechtlich gleichgiltig ist, daß, wie im landgerichtlichen Urtheil hervorgehoben wird, die Bleifolien das innen aufgeklebte Papier gegen äußere Einwirkungen schützen, und daß zu große Einschränkungen des Gewerbebetriebs die Gewerbetreibenden zu schädigen geeignet sind. Der erste Umstand ändert nichts an der Thatsache, daß die Metallfolien zugleich zur Einhüllung der Kaffeesurrogate dienen, und der zweite Umstand liegt nach Art. 15 des P.-St.-G.-B., welcher dem Strafrichter nur eine Prüfung der gesetzlichen Giltigkeit, nicht aber der Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der treffenden oberpolizeilichen Vorschrift gestattet, außer dem Bereich der richterlichen Erwägungen.[316]

Erschöpfen aber demzufolge die Feststellungen, daß die Angeklagten Kaffeesurrogate zum Verkauf bereit hielten, deren Einhüllung aus einem Papier und einer auf dessen Außenseite aufgeklebten, über 95 % Blei enthaltenden, oberflächlich verzinnten Folie bestand, den Thatbestand einer Uebertretung nach Art. 75 Abs. 1 des P.-St.-G.-B., so ist der vom Berufungsgericht im Hinblick auf §. 59 des St.-G.-B. für erheblich erachtete Einwand der Angeklagten, die eben bezeichnete Verpackung sei keine Verpackung in Blei oder Zinn, sondern eine die menschliche Gesundheit zu schädigen nicht geeignete Papierverpackung, ohne Belang, da im Falle die Angeklagten dieser Meinung waren, ihr Irrthum auf einer unrichtigen Auffassung des durch die Strafbestimmung des Art. 75 Abs. 1 des P.-St.-G.-B. geschützten Verbots des §. 12 der mehrermähnten oberpolizeilichen Vorschriften beruht und mithin ein strafrechtlicher Irrthum ist, welcher nicht beachtet werden kann.

Dagegen ist der von den Angeklagten in der öffentlichen Sitzung vom 31. März dieses Jahres geltend gemachte weitere Einwand, nicht gewußt zu haben, daß die Zinnfolie einen so hohen Bleigehalt habe, insofern von Erheblichkeit, als damit Unkenntniß der Thatsache behauptet wurde, daß die zur Einhüllung der Kaffeesurrogate verwendete verzinnte Folie mehr als den achten Theil ihres Gewichtes Blei enthielt, und falls die Angeklagten wirklich nicht wußten, daß das Gewicht an Blei ein höheres war, dieselben wegen der ihnen zur Last gelegten Übertretung, welche auch durch fahrlässiges Handeln verübt wird, nach §. 59 Abs. 2 des St.-G.-B. nur dann strafbar sind, wenn ihrer Unkenntniß Fahrlässigkeit zu Grunde lag. Hierüber ist aber in dem angefochtenen Urtheil nichts festgestellt. Die Strafkammer ist auf die Frage, ob die Angeklagten darüber in Unkenntniß waren, daß die Folie mehr als den achten Theil ihres Gewichts Blei enthielt, nicht eingegangen, und hat sich in Folge dessen auch nicht mit der für den Fall der Bejahung der ersteren gebotenen weiteren Thatfrage befaßt, ob die geltend gemachte Unkenntniß nach den Umständen eine durch Fahrlässigkeit verschuldete war oder nicht. Es ist über diesen Einwand der Angeklagten keine Verhandlung gepflogen werden.

Wenn daher auch das landgerichtliche Urtheil vom 2. Juli d. Js. auf einer Verletzung des Art. 75 des P.-St.-G.-B. mit §. 12 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 15. April 1874 und des §. 59 des St.-G.-B. beruht, so kann doch bei der Unvollständigkeit der diesem Urtheil zu Grunde liegenden Feststellungen in der Sache selbst hierorts nicht entschieden werden, da es noch einer weiteren thatsächlichen Erörterung der Frage bedarf, ob das letzterwähnte Vertheidigungsvorbringen der Angeklagten in Wahrheit sich verhält, und ob, wenn dieß der Fall ist, ihre Unkenntniß darum eine fahrlässige[317] war, weil sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung entgegen es unterließen, Sorge zu tragen, daß die Einhüllung ihrer Kaffeesurrogate keinen höheren als den in §. 12 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 15. April 1874 gestatteten Prozentsatz Blei enthielt (Urtheil des Reichsgerichts vom 12. Oktober 1880 – Rechtspr. Bd. II S. 327), oder ob sie sich über den Bleiprozentsatz der verwendeten Folien zu vergewissern suchten und besondere Thatumstände ihre Unkenntniß als eine nicht durch Fahrlässigkeit verschuldete darstellen. Es mußte deshalb in Anwendung der §§. 393 und 394 Abs. 2 der Str.-Proz.-O. unter Aufhebung des Urtheils nebst den durch die Gesetzesverletzung betroffenen Feststellungen die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Fürth zurückverwiesen werden.