Oberlandesgericht München – Sicherheitsstreifdienst

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Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 29. Mai 1883
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1883, Nr. 20, Seite 226–229
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Kurzbeschreibung: Anordnungen des Bezirksamtes haben nicht die gleiche Wirkung wie Anordnungen der Gemeindeverwaltung
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 29. Mai 1883.

in der Sache gegen Andreas L. Wirth in A. und Genossen, wegen Uebertretung in Bezug auf Gemeindedienste.

Am 8. Oktober vorigen Jahres wurde vom Bezirksamt R. aus Anlaß eines kurz vorher in Rch. verübten Einbruchs, bei welchem von den Thätern mit scharfer Ladung auf die Bewohner des angegriffenen Hauses gefeuert worden war, auf den 12. desselben Monats früh 7 Uhr in der Gemeinde A., wie auch in anderen Gemeinden, nach drei näher bezeichneten, des Einbruchs verdächtigen, höchst sicherheitsgefährlichen Individuen eine Streife in der Weise angeordnet, daß sämmtliche männliche dienstfähige Personen über 18 Jahren, womöglich bewaffnet, zugezogen, der ganze Gemeindebezirk mit Einschluß der Waldungen durchstreift, und alle verdächtigen, sich nicht genügend legitimirenden Personen, insbesondere die drei vorerwähnten Individuen, auf Betreten festgenommen und an das Amtsgericht M. abgeliefert werden sollten. Da bei der hierauf im Gemeindebezirke A. vorgenommenen Streife der Wirth Georg L., der Krämmer Georg S., der Bauer Peter St. und die Söldner Johann R. und Sebastian D. von A., ungeachtet hierzu geladen, sich nicht betheiligten, wurde gegen sie wegen Uebertretung in Bezug auf Gemeindedienste nach Art. 29 des Pol.-Strafges.-Bchs. Anklage erhoben, dieselben wurden jedoch, wie vom Schöffengerichte, so auch auf Berufung des Amtsanwalts in zweiter Instanz, dieser Uebertretung nicht schuldig erklärt, weil die vom Bezirksamt angeordnete Streife keine Sicherheitswache im Sinne des vorbezeichneten Art. 29 sei und daher die Nichtbefolgung der erwähnten bezirksamtlichen Anordnung, auch wenn die Angeklagten nach Art. 50 der Gemeindeordnung zur Leistung von [227] Gemeindediensten verpflichtet seien, nicht unter die angezogene Strafbestimmung falle.

Der hiegegen eingelegten Revision des landgerichtlichen Staatsanwaltes kann keine Folge gegeben werden.

Nach Art. 49 Abs. 1 der Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins können für Gemeindezwecke, insbesondere zur Handhabung der öffentlichen Sicherheit, Gemeindedienste angeordnet werden, zu deren Leistung die im Art. 50 bezeichneten Personen verpflichtet sind, und nach Abs. 4 des Art. 54 in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 1872 findet auf diese Personen der Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. Anwendung, welcher bestimmt, daß Pflichtige an Geld bis zu 15 bestraft werden sollen, wenn sie die nach Festsetzung der Gemeindeverwaltung sie treffenden Dienste zur Uebernahme der Sicherheitswache nicht leisten. Hiernach sind allerdings die Angeklagten wegen Nichtbetheiligung an der hier in Frage stehenden, auf Grund des Art. 49 Art. 1 der Gemeinde-Ordnung angeordneten Streife nur dann strafbar, wenn diese Streife die Eigenschaft einer Sicherheitswache im Sinne des Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. hatte. Letzteres ist aber der Fall.

Die fragliche Streife fand im Interesse der öffentlichen Sicherheit statt und hatte sich auf den Bezirk der Gemeinde A. zu beschränken. Sie war sohin eine gemeindliche Sicherheitsstreife. Die bei derselben zu leistenden Dienste aber bestanden in der Durchgehung der Markung zum Zweck der Nachforschung, ob sich verdächtige Personen, namentlich die vom Bezirksamt bezeichneten gemeingefährlichen Individuen, in derselben aufhielten, ferner für den Fall des Betretens in dem Anhalten der Betroffenen und in dem Festnehmen, dem Bewachen und dem Entfernen der Verdächtigen aus dem Gemeindebezirk mittels Vorführung vor das Amtsgericht. Die geforderten Dienste waren daher, theilweise sogar nach ihrer Benennung, Sicherheitswachtdienste. Denn dieselben sind die nämlichen, wie sie der mit der Besorgung der nächtlichen Ortswache Beauftragte zur Ueberwachung der Sicherheit der Person und des Eigenthums der Ortsbewohner durch Begehen der Straßen und Plätze und durch Anhalten und Vorführung der daselbst betroffenen verdächtigen Personen zu verrichten hat. Sie bezielen wie die Dienste des Ortswächters die Sicherung der Gemeindeangehörigen gegen Gefährdung ihrer Person und ihres Vermögens, nur werden sie nicht im Innern des Ortes, sondern außerhalb desselben geleistet. Für den Begriff des gemeindlichen Sicherheitswachtdienstes ist es aber gleichgiltig, in welchem Theil des Gemeindebezirks er zu verrichten ist, ob die zu begehende Oertlichkeit einen größeren oder geringeren Umfang hat, ob die Dienstleistung längere oder kürzere Zeit in Anspruch nimmt, ob der Dienst nur [228] in einer einmaligen oder in einer zu wiederholenden Leistung besteht. Ebenso gleichgiltig ist, aus welcher Veranlassung die Dienstleistung angeordnet wurde, und ob dieselbe die Person des Pflichtigen mehr oder weniger belästigt oder gefährdet. Auf Letzteres Rücksicht zu nehmen, ist Sache der die Dienstverrichtung anordnenden Behörde. Dem Strafrichter steht nicht zu, bei Beurtheilung der Natur der Dienstleistung, wie von Seite der Strafkammer geschehen ist, in Erwägung zu ziehen, ob und in welchem Grade durch dieselbe für den Pflichtigen eine Gefahr entstehen kann. Hiernach ist aber ein Sicherheitsstreifdienst, wie derselbe hier in Frage steht, nichts Anderes als ein Sicherheitsstreifwachtdienst, und demgemäß, wenn auch die Streifmannschaft nicht Streifwache genannt wird, ein Sicherheitswachtdienst im Sinne des Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs., da diese Strafbestimmung zwischen den verschiedenen Arten desselben nicht unterscheidet.

Wenn aber auch dem zu Folge der Sicherheitsstreifdienst, um welchen es sich nach der erhobenen Anklage handelt, ein Sicherheitswachtdienst im Sinne des Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. von 1871 war, so findet diese Strafbestimmung doch darum hier keine Anwendung, weil die treffenden Dienstleistungen nicht, wie Art. 29 vorschreibt, durch die Gemeindeverwaltung festgesetzt wurden. Nachdem die Streife vom Bezirksamt angeordnet worden war, hatte nach Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. die Gemeindeverwaltung und zwar, wie aus Art. 123 in Verbindung mit Art. 147 Abs. 1 der Gemeindeordnung und den Landtagsverhandlungen zu Art. 127 Ziffer 10 des Entwurfs der Gemeindeordnung (Verhandl. des Gesetzgebungs-Ausschusses der Kammer der Abgeordneten für die Sozialgesetze von 1866/69 Abthl. I S. 15, 145, Abthl. II S. 552, – Verhandl. der Kammer der Reichsräthe von 1868/69 Beil. Bd. V. S. 372, 588) sich ergibt, der Gemeindeausschuß von den gemäß Art. 50 der Gemeinde-Ordnung dienstpflichtigen Personen diejenigen zu bestimmen, welche nach ihren persönlichen und sonstigen Verhältnissen als dienstfähig im Sinne der bezirksamtlichen Verfügung zur Streife zuzuziehen waren. Dies ist jedoch nicht geschehen, während, wenn der Gemeindeausschuß seiner Verpflichtung nachgekommen wäre, in der vorwürfigen Sache die Anklage wohl kaum sich gegen eine Person gerichtet hätte, welche nach der Revisionsausführung in solchem Maße krüppelhaft ist, daß daraufhin die amtsanwaltschaftliche Berufung zurückgenommen wurde. Statt dessen wurden die Angeklagten lediglich zur Theilnahme an der Streife auf Grund der bezirksamtlichen Verfügung vom 8. Oktober vor. Jahres vom Bürgermeister geladen. Der Bürgermeister ist aber, wenn ihm auch durch Art. 138 der Gemeinde-Ordnung die Handhabung der Ortspolizei übertragen ist, nach Art. 124 und [229] 131 nur Vorstand des Gemeindeausschusses, und das Bezirksamt kann wohl die Anordnung bestimmter Gemeindedienste im Interesse der öffentlichen Sicherheit auf Grund des Art. 49 der Gemeinde-Ordnung verfügen, die Vertheilung der Dienste auf die einzelnen Pflichtigen aber ist Gemeindesache (Verhandlung der Kammer der Abgeordneten 1859/61 Beil. Bd. III S. 419). Wegen Weigerung des Gemeindeausschusses, die vorerwähnte, ihm nach Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. obliegende Verpflichtung zu erfüllen, oder wegen Gefahr auf Verzug ist vom Bezirksamt eine Verfügung, durch welche die einzelnen dienstfähigen Pflichtigen bestimmt worden wären, nicht getroffen worden. Es mangelt daher im vorliegenden Fall an einem Erforderniß des Thatbestands der in Art. 29 des Pol.-Straf.-Ges.-Bchs. vorgesehenen Uebertretung.