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Offenes Rundschreiben an alle Deutsche

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Titel: Offenes Rundschreiben an alle Deutsche
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 449
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[449]
Offenes Rundschreiben an alle Deutsche.

Es geht uns aus Constantinopel zur Veröffentlichung folgender Aufruf zu:

„Bei dem Brandunglück, das unsere Stadt am Pfingstsonntage heimsuchte und mehr als einem Viertel der deutschen Colonie Obdach und Habe, einer nicht geringen Zahl das Leben raubte, ja das grauenhafter als je ein ähnliches war durch den entsetzlichen Verlust an Menschenleben, ist es besonders eine Katastrophe, auf welche die Deutschen in aller Welt aufmerksam gemacht werden müssen. Es ist dies der Untergang des deutschen Hospitals, besser: des vom deutschen Wohlthätigkeitsverein unterhaltenen Krankenhauses.

Die Erhaltung dieses Krankenhauses, das in vielen Fällen ein Asyl selbst für Unheilbare und Altersschwache war, und in welchem nicht Wenige, deren Kraft im Kampf um’s Leben nicht voll mehr ausreichte, Brod und Trost fanden, war stets die erste und nächste Aufgabe dieses Vereins. Bei den beschränkten Mitteln desselben mußte es leider fast immer seine einzige Aufgabe bleiben. Beschränkt aber blieben diese Mittel, weil die auf das Princip der freien Brüderlichkeit Alles dessen, was deutsch spricht, gegründete Genossenschaft, die alle politischen und konfessionellen Vorrechte ausschloß, dafür auch von den confessionellen und politischen Gewalthabern ignorirt, wo nicht scheel angesehen wurde. Auf die Mittel beschränkt, welche eine nur nach Hunderten zählende Colonie zu bieten vermag, ist redlich geschehen, was eben möglich war. Nie klopfte ein mittelloser deutscher Kranker vergebens an die Thür unseres Hospitals. Vor wie nach 1851, in welchem Jahre das mit Staatshülfe fundirte confessionell-evangelische preußische Hospital aus ihm abzweigte, hat unser deutsches Krankenhaus Vielen, ja Tausenden Gutes gethan.

Viele Jahre wären wir bei der außerordentlichen Theuerung der für unsere Zwecke einigermaßen passenden Grundstücke genöthigt, in elenden Häusern ohne alle Feuersicherheit unsere dreißig Betten aufzuschlagen. Endlich, vor kaum Jahresfrist, gelang es mit großen Opfern ein passendes Gebäude zu finden; steinfest wie wenige, unter dem Dache gewölbt, mit schweren eisernen Thüren und Fensterläden, hatte es schon vier Feuersbrünsten siegreich widerstanden.

Der Pfingstmorgen hatte die halbe Bevölkerung weit hinaus in’s Grüne gelockt, ein scharfer Wind blies wohl über die Höhen, war aber in den tiefen Thälern des Bosporus zur milden Brise abgeschwächt. Keinem der vielen Tausend Pfingstfahrer ahnte etwas von dem grausigen Drama in der Stadt. Im Krankenhause ging Alles seinen gewohnten stillen Gang. Wohl war ein großes Feuer in der Stadt, aber Niemand dachte an Gefahr. Da raste der Flammenstrom auf ein benachbartes Stadtviertel zu, in welchem viele Deutsche wohnten.

Man begann zu retten; – wohin? – In’s deutsche Hospital, diese steinerne, das Feuer höhnende Burg der Barmherzigkeit. Drei zufällig in der Stadt anwesende Mitglieder des Vereins-Vorstandes eilen zu Hülfe. Alle Kranke, welche zu gehen fähig sind, werden fortgeschickt, aber fortwährend bringt man deren neue aus den brennenden Quartieren, und eine deutsche Mutter, die ihre todtkranke Tochter nicht verlassen will, bleibt, fast gewaltsam zurück. Nun dringen die Flammen bis an’s Haus; es ist nicht mehr möglich die Schwerkranken fortzuschaffen. Glühend werden die eisernen Läden, aber muthvoll arbeiten die braven drei Männer, um dem Feuer den Eintritt in’s Haus zu wehren. Da leckt tief unten im Erdgeschosse durch irgend eine vergessene Oeffnung, vielleicht auch aus glimmend geretteten Betten, die Flamme in’s Haus, rasend schnell Alles ergreifend. Den nahe der Thür Befindlichen gelingt es mit Noth zu entkommen, unter diesen ist eine der Pflegerinnen. Auch der Krankenwärter entrinnt, arg verbrannt. Aus dem ersten Stock stürzt sich über die brennende Treppe herunter einer der Braven, Herr Seefelder. Auch er gewinnt, gräßlich versengt, die Straße. Nach wenigen Minuten brechen die Stockwerke ein und begraben Alles in einen ungeheuren Pfuhl.

Zwei Tage darauf begruben wir den, der recht eigentlich der Vater der deutschen Colonie war, Herrn Seefelder. Am gleichen Tage die den Flammen entronnene Pflegerin, die den Folgen der ungeheuren Anstrengung erlegen war.

Wiederum nach zwei Tagen folgten wir dem einen Sarge, der die wenigen Ueberreste derer enthielt, die in den Flammen den Tod gefunden hatten. Es waren außer denen des Herrn Runzler, unseres verehrten Vereins-Präsidenten, und des Herrn Krebs, beide hochstehend im ehrenden Andenken der Colonie und insbesondere der Vereins-Mitglieder, die Asche der zweiten Pflegerin, der vier kranken Frauen und der bereits erwähnten Mutter. Es ist nicht sicher, ob mehr als diese acht Personen in den Flammen blieben.

In wenigen Tagen werden wir das letzte, eilfte der Opfer begraben, den armen Krankenwärter. Die drei Ehrenmänner, welche ihr Leben ließen für ihre Brüder und deren Andenken uns heilig sein wird, waren sämmtlich mehr als sechzigjährig, Familienväter und hinterlassen zahlreiche Familien, die Gott tröste.

Als wir unsere geliebten Todten begruben, in der katholischen Kirche zu St. Maria, über dem Sarge, der die Gebeine unseres Präsidenten, eines Protestanten, wie einer Klosterfrau und Aller derer umschloß, deren Confession zum Theil unbekannt war, feierte der Genius der Menschheit einen hohen Triumph. Da gab es selbst für Diplomaten kein Oesterreich und kein Preußen, für Mönche, Missionäre, für Juden und Türken keine Giauren und Ketzer, für Reich und Arm keinen Gegensatz. Da gab es nur Thränen, Thränen, die vor Gott gelten. Ehre dem wackeren Dom Antonio, dem Präfecten des Franciscanerklosters, für seinen Vorschlag: in der Kirche auf katholisch, auf dem katholischen Friedhof auf protestantisch mit unseren Geistlichen zu beten!

So ging das deutsche Krankenhaus zu Grunde und mit ihm seine Leiter, seine Pfleger und seine Kranken. Es war nicht unser Krankenhaus, es war dein Krankenhaus, du deutsches Volk! Wir, Mitglieder des deutschen Wohlthätigkeits-Vereins, bedurften seiner für uns oder unsere Familien nur wenig und selten und dann doch nur gegen Vergütung der Pflege durch unsere Beiträge und Leistungen. Aber tausend deutschen Müttern, allen Kreisen des weiten Gebietes deutscher Nation haben wir ihre hergewanderten Söhne und Töchter in Armuth und Krankheit gestützt und gepflegt; Viele danken dem deutschen Hospital in Constantinopel ein deutsches Trostwort in der Sterbestunde und ein ehrlich Begräbniß.

Deutsches Volk, wirst du dein Krankenhaus verlassen?“


 Beiträge wird, auf Wunsch, die Redaction der Gartenlaube gern annehmen und weiter befördern.