Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze 3.

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Titel: Geruch von Montebello. Besuch des Schlachtfeldes von Palestro. Scene in Mailand
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 430–432
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Serie: Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze
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[430]
Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze.
III.
Geruch von Montebello. Besuch des Schlachtfeldes von Palestro. Scene in Mailand.

Wenn wir unter friedlichen Menschen im bürgerlichen Leben eine Leiche sehen, wohl gar einen Gemordeten, und den Mörder vor Gericht, auf dem Richtplatze, kann sich Niemand so leicht eines Grauens und Schauders erwehren. Ein Todter! Ein Gemordeter! Es ist immer etwas Entsetzliches. Aber täglich Hunderte von Verstümmelten und Todten um uns, – das ist bald etwas ganz Anderes. Man gewöhnt sich an die Schrecknisse des Krieges und nimmt die Hunderte und Tausende von Niedergeschmetterten, selbst wenn man sie sieht, als etwas Unvermeidliches, das sich von selbst versteht. Selbst das furchtbare, qualvolle, massenhafte Absterben der Verwundeten scheint für die Umgebung, wie für die Leidenden und Sterbenden zu einer Art von Geschäft zu werden, das man mit möglichst kaltem Blute ansehen und überwachen müsse. Ich habe in Alessandria lange Karawanen von Verwundeten und unterwegs Gestorbenen aus der Schlacht von Montebello ankommen sehen, genug Stoff für die erschütterndsten und grausigsten Romanscenen eines ganzen Jahrhunderts, aber die leicht Verwundeten sangen, rauchten und lachten dabei, wie Leute, die lustige Waaren auf den Jahrmarkt bringen. Sie wanden sich und rangen und jammerten herzzerreißend auf ihren Bahren, andere lagen ganz still und starr und waren todt, die leichter Verwundeten daneben aber, die noch gehen konnten, hinkten und lachten daneben und rauchten und sangen, und machten ihre humoristischen, gut gemeinten Bemerkungen über die ganz still Gewordenen. Ein Zuave mit einem ganzen und einem zerschmetterten Bein spielte den förmlichen Lustigmacher unter ihnen.

Nach Montebello selbst fand ich keinen Zutritt; ich ward von einer unerbittlich zurückstoßenden, unüberwindlichen Macht weit fort getrieben: von dem Geruch der Gefallenen, die hundertweise in hastig gegrabene viereckige Gruben dicht über einander bis oben eingepackt und nur locker mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt worden waren, so dünn, daß, wie mir ein Mann unterwegs erzählte, ein Platzregen über Nacht Köpfe mit flatternden Haaren, hervorragende Arme und Beine enthüllt hatte, so daß grimmig entstellte Gesichter mit weißen, todten Augen gen Himmel starrten. Wie ich später hörte, hat der König von Sardinien gegen bedeutende Extra-Belohnung mehrere hundert Leute aus der Umgegend gewonnen, und die Todtengruben mit Erdhügeln bedecken lassen.

Von einem englischen Correspondenten begleitet, machte ich mich zu Fuß auf nach dem Schlachtfelde von Palestro. Wagen waren für keinen Preis zu bekommen, und die Eisenbahnen sind überall umher aufgerissen oder durch Regen, Märsche, Schanzen unbrauchbar geworden.

Der allgemeine Verlauf der Doppelschlacht bei Palestro wird [431] Ihnen aus den Zeitungen bekannt sein. Ich beschränke mich daher auf Gesehenes und Erlebtes, als ich das Schlachtfeld acht Tage später unter brennender Sonne und verschmachtet in Staub und Verwüstung zu Gesicht bekam.

Palestro ist ein unbedeutendes Dorf in der Mitte zwischen Novara und Mortara unweit des Sesia-Flusses und eines sogenannten Canals, den ich aber als Sartiranische Höhle (Cavo di Sartirana) in seiner bösartigen Stromschnelle und düstern Umgebung würdig der schauerlichen Scene fand, die über 300 Oesterreichern das Leben kostete.

Nachdem wir auf zusammengebundenen Räder- und Wagenruinen über die Sesia geflößt worden waren, fanden wir nach dreistündigem Schwitzen und Suchen die ersten Spuren des Schlachtfeldes. Ganze unabsehbare Flächen üppigen Weizens waren niedergetreten, und nur hier und da standen einige Halme und Gruppen unversehrt empor. Lange Weingefilde lagen niedergeschmettert von Geschützen und Schüssen, durcheinander geknetet von schweren Kanonenrädern und Pferdehufen. Angesichts des Dorfes zwischen zwei Hügelrücken mit reichem Laubwerk fanden wir den Boden mit Stücken von Rädern, Ruinen von Gewehren und Säbeln, von Uniformen und Mützen, von Lederzeug und menschlichen Gliedern (in halbverwestem Zustande) dichter und dichter besäet. Felder und Bäume, Gruben und Hecken, Grenzmarken, Zäune, Alles lag wüst und trostlos durcheinander, verwischt und verwirrt, gebrochen und entstellt – ein entsetzlicher Anblick, der freilich von den Eindrücken im Dorfe selbst bald als unbedeutend und respective idyllisch verdrängt ward. Palestro besteht aus einer einzigen Straße von Häusern, Gehöften und Hütten, die zuweilen dicht, wie Kuchen mit Rosinen, mit Kugeln und Löchern übersäet waren. Mehrere Dächer waren von Kanonenkugeln oder Bomben ganz heruntergerissen und lagen in zerstückelten Haufen umher. In dem Innern der weiß angestrichenen Stuben, namentlich in einigen, dichte Spuren von Bajonnetstichen, Schlägen und Hieben und von rothem, rothem Menschenblut, das stellenweise noch nicht trocken in großen Flächen auf dem Boden lag, und aus lebendigen Leibern gegen die Wände gespritzt war. Es war nicht nur ein Straßenkampf, sondern eine Schlächterei Einzelner in den Zimmern und Höfen gewesen, wie uns der an einer Hand zweifingerige Zuave, der hier verwundet und als Cicerone geblieben war, in dramatischer Schilderung, aber im schlechtesten Gascogner Französisch anschaulich zu machen suchte. Hernach führte er uns auf das eigentlich entscheidende Schlachtfeld rechts vom Dorfe, von wo die Geschlagenen flohen. Tornister, Czako’s, Gürtel, Stücken Lederzeugs, Brodbeutel, Degenscheiden, Fetzen von Uniformen, Schuhe, Halsbinden lagen wie gesäet umher in dem hohen, zu zwei Dritttheilen niedergetretenen Weizen. Sie flohen bis an den tiefen, dunkeln, reißenden Fluß, genannt Il Cavo di Sartirana und stürzten sich, hart verfolgt, in dessen reißende Wellen, von denen sie in eine dicht von Bäumen überschattete Stromschnelle gerissen wurden, um hundertweise zu ertrinken.

Das Feld war sehr ungünstig, zerschnitten in nasse Reisfelder mit Bewässerungsgräben, kleinen Flüssen, Teichen und Fußsteiggewinden, so daß die Entfaltung von Angriffscolonnen so gut wie unmöglich war. Die Bersaglieri und Sardinier aber drängten dessen ungeachtet den Feind bis in die Straße von Palestro, wo er festen Fuß faßte, so daß die Oesterreicher beinahe wie in antiken und vorschießpulverigen Zeiten Mann gegen Mann verzweifelt kämpften und Schritt für Schritt auf der Straße, Haus für Haus im Innern niedergeschlagen wurden und niederschlugen, bis sie endlich über Massen Verwundeter und Todter hinausgedrängt waren.

Diese Straßenkampfscenen und „Hauskriege“ waren zum Theil so entsetzlich und blutig, so fanatisch und unbarmherzig, wie die grausamsten Einzelnheiten in Revolutionskämpfen. Der Zuave erzählte eine solche Menge fabelhafter Details rasch durcheinander, daß ich mich kaum eines einzelnen Falles genau erinnern würde, ohne ihn mit andern zu vermischen oder unsicher zu werden.

General Zobel hatte Befehl, am folgenden Tage Palestro wieder zu nehmen. Der Angriff ward Morgens neun Uhr eröffnet. General Salo rückte mit seiner Brigade gegen den stromschnellen sogenannten „Sartirana-Canal“ vor, während eine andere Colonne über die Brücken des Gamara-Canals und der Cavo Scotti sich hinter die erste Linie der Sardinier herandrängte und sie mit schrägem Feuer zurückwarf. Jetzt mußte das dritte Zuaven-Regiment vor. Es postirte sich hinter eine lange Reihe von Pappel- und Weidenbäumen, bis es von Oberst Chabran plötzlich im Sturmschritt am Canale entlang gegen den Feind gehetzt ward, um ihm in die Flanke zu fallen. Sie wurden mit einem dichten Kartätschenhagel empfangen und in’s Wasser getrieben, wo sie wehrlos von dem sichern Rohre der Tyroler Schützen decimirt wurden. Die Tyroler hatten in dem hohen Getreide am Canale entlang versteckt gelegen. Bis an die Schultern im Wasser und vom Ufer her von sichern Kugeln umzischt, kamen sie doch wieder auf’s Trockene und zum Siege. Sie stürzten sich triefend und wüthend wie Wölfe auf die Oesterreicher zum Bajonnet- und Faustkampfe. Letztere retirirten und suchten eine neue Position auf günstigerem Boden zu halten. Aber von hier wurden sie von den Bajonneten der Zuaven ebenfalls vertrieben und fliehend beinahe eine Meile weit verfolgt, bis sie eine einsame Meierei zu einem Haltpunkte zu machen versuchten. Schon war ihre Artillerie in voller Thätigkeit. Aber mit katzenartiger Gelenkigkeit liefen auch hier die Zuaven gleichsam zwischen den Kanonenkugeln hindurch und erstachen die österreichischen Artilleristen zum Theil neben ihren Geschützen, welche nun in die Hände der Sieger fielen. Noch nicht gesättigt, sprangen sie hinter den Fliehenden her, bis diese, vom Sartirana-Canal (Stromschnelle) aufgehalten, tatsächlich im Rücken angefallen und bajonnetirt wurden. So blieb den noch Lebenden nichts Anderes übrig, als sich in das dunkele Gewässer zu stürzen, in welchem über dreihundert Mann ertranken. Noch am 5. Juni, als wir diese Stelle besuchten, wurden Leichen herausgenommen, die am Ufer wie verzweifelt Lebende sich zu bewegen schienen, als sie von den anprallenden Wellen auf- und abgeschaukelt wurden.

Nach der Schlacht, als alle Gefahr vorüber war, erschien der Civilisations-Kaiser auf der blutigen Stätte und lobte die Zuaven, die meist alle verwundet waren, wegen ihrer Tapferkeit und erbeuteten Kanonen und der Lorbeeren, wofür Se. Majestät sich ein Monopol gesichert zu haben scheinen. Die verkrüppelten Zuaven konnten ihre Kanonen nicht ziehen. Die Pferde waren alle todt oder zuckten sterbend umher. Jetzt bekam ein Corporal den Einfall, gefangene Kroaten vor die Kanonen zu spannen. Diesen blieb nichts Anderes übrig, als dem befehlenden Sieger zu gehorchen, so daß sie die Kanonen, mit den am schwersten verwundeten Zuaven auf ihnen, in’s französische Lager zogen.

Dies ist ein Blick in eine untergeordnete Schlacht. Wie viele blutigere stehen schon in den Zeitungen geschildert, jede eine Aufschwellung des Ungeheuers, das mit jedem Siege sich länger und breiter über den Frieden und die Freiheit Europa’s ausstreckt, eine Art menschen fressender chinesischer Drache! Wenn er nur in China oder wenigstens eine Fabel wäre!

Soweit unser Correspondent. Daß der Krieg auch freundlichere, fast gemüthliche Genrebilder bietet, beweist uns eine Scene aus Mailand, deren Thatbestand vielen unserer Leser wahrscheinlich schon aus den Zeitungen bekannt ist. Unser Illustrateur hat diese Scene in gewohnter geistreicher Weise zur Darstellung gebracht, und wir lassen zur großen Sicherheit die Mittheilung nochmals folgen, da sie im Drange der überhäuften Zeitungslektüre der letzten Zeit leicht der Erinnerung entschwunden sein könnte.

Nachdem die Oesterreicher Mailand geräumt hatten, stand mitten in der tiefaufgewühlten, lärmenden, tobenden Stadt, welche mit dreifarbigen Fahnen und Blumen sich schmückte, um die Franzosen zu empfangen, auf einem weiten Platze ein Trupp kroatischer Soldaten. Sie hatten sich verirrt und wissen nicht ein, nicht aus in der großen weiten Stadt, deren Sprache sie nicht kennen. Sie halten kurzen Rath und beschließen, sich zu wehren. Sie bilden ein Carré, um gegen alle Seiten hin gedeckt zu sein, laden ihre Gewehre und erwarten mit trotzigen Mienen, was das Schicksal über sie verhängt haben mag. Der Anblick des kleinen, aber unverkennbar entschlossenen Häufleins flößt der großen Masse des johlenden Volkes Respect ein und Niemand wagt es, sie anzugreifen oder zu beleidigen. So mögen sie etwa eine Stunde gestanden haben, als sie einen österreichischen Stabsarzt, Namens H., bemerkten. Sofort eilten einige von den Soldaten auf ihn zu, theilten ihm in wenigen Worten ihre Verlegenheit mit und baten ihn, sie aus der Stadt herauszuführen. Der Stabsarzt erklärte sich bereit, stellte sich an ihre Spitze, zog den Säbel und commandirte „Marsch!“ Die energische Haltung, welche die Soldaten zeigten, ihr festes Auftreten scheint mißverstanden worden zu sein, denn alsbald entstand Lärm und Geschrei, als gelte es, einen Angriff abzuwehren. Die Folge davon war, daß man hier und da anfing, aus den Fenstern auf die kleine Truppe zu schießen. Die Sache drohte eine mißliche

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Gemüthliche Kriegsscene in Mailand.

Wendung zu nehmen. Die Soldaten wollten mit ihren Kugeln antworten, und nur mit Noth konnte H. sie davon abbringen, der kalten Blutes die gefährliche Situation überblickte. Da, in dem kritischsten Momente, fliegt eine Thüre auf und eine ganze Schaar plaudernder, lachender, schreiender Mädchen verläßt die Schule. Sie kümmern sich weder um die Verbündeten, noch um die Oesterreicher, und laufen munter an den Kroaten vorüber. In diesem Augenblicke wendet H. sich um, richtet einige Worte an die Soldaten, diese fahren auseinander, fallen über die Kinder her und – jeder nimmt eins von ihnen auf den Arm. Die Kleinen sind erschreckt, doch einige Worte des Arztes und mehr noch die freundlichen Gesichter der Kroaten beruhigen sie. So ziehen die Soldaten weiter, in der Rechten das Gewehr, auf dem linken Arme die Knospe einer reizenden Italienerin der Zukunft tragend. Die Volksmenge, welche Zeuge dieser Scene war, ist im ersten Augenblicke entsetzt. Bald jedoch erräth man die Absicht des Führers der Soldaten, man ist angenehm überrascht, man lacht, man applaudirt, man ruft Evviva! In allen Straßen wird der interessante Zug auf’s Freundlichste aufgenommen und unbehelligt gelangt die kleine Truppe, gefolgt von einer Schaar Neugieriger, vor’s Thor. Hier küßt jeder Kroate sein kleines Schätzchen, und die niedlichen Italienerinnen scheinen dagegen nicht protestiren zu wollen. H. kauft Kirschen und Melonen, beschenkt die Kinder reichlich und mit artigen Knixen empfangen sie das Präsent. H. bittet schließlich die anwesenden Mailänder, die Kinder heimgeleiten zu wollen, und zieht dann mit seinen Schutzbefohlenen weiter.“