Skizzen und Naturbilder aus Mittel- und Südliefland

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Titel: Skizzen und Naturbilder aus Mittel- und Südliefland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30-31, S. 433-434, 441-443
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Skizzen und Naturbilder aus Mittel- und Südliefland.
Nr. 1. Fischerei.

In einem Lande, das bei einer ausgedehnten Meeresküste zugleich eine beträchtliche Anzahl fischreicher stehender und fließender Gewässer besitzt, wird die Fischerei eine Erwerbsquelle genannt werden können, deren Ausnutzung den Bewohnern im Allgemeinen sowohl einen bedeutenden Zuschuß an Nährstoffen sichern, als auch einem Theile derselben, den Fischern, das Hauptmittel zu ihrer ganzen Existenz verschaffen, endlich einen nicht gering anzuschlagenden Einfluß wenigstens auf den inneren Handelsverkehr ausüben muß.

Das so eben Ausgesprochene gilt auch für Liefland; seine Westgrenze bildet die Ostsee, in seinem Gebiete befinden sich viel Seen und Flüsse, die eine große Masse trefflicher Fische hergeben, welche fast nur im Lande verzehrt werden, durch ihren Ein- und Verkauf wird zugleich ein starker Geldumsatz erzielt, während schließlich eine Anzahl von Handeltreibenden in dem hierdurch bestimmten Geschäftszweige zu arbeiten vermag.

Dies Alles würde jedoch für eine Besprechung der liefländischen Fischerei nicht maßgebend sein, wenn nicht von der Art und Weise, wie einige Zweige derselben betrieben werden, Interessantes und, wie wir glauben, für viele Leser Neues zu berichten wäre.

Wir berichten vorerst Einiges über die Küstenfischerei, weiter unten soll dann besprochen werden, wie das Gewerbe bei uns auf den Flüssen und Landseen betrieben wird. – Die Ostseefischerei beginnt im Frühling, sobald das Küsteneis durch Sonne, Sturm und Regen entfernt wurde und die letzten Schollen aus den Flüssen in’s weite Meer hinausgeschwommen sind; denn jetzt erst erwärmt sich das seichtere Strandwasser allmählich und lockt die Fische, welche im Winter die wärmeren Tiefen der hohen See aufsuchten, wieder in die Nähe des Landes. Die Strandbauern haben schon lange diese Zeit herbeigewünscht, welche ihnen neuen Erwerb bringt, den ganzen Winter hindurch lebten sie kümmerlich von ihrem Ersparten und von der Feldernte des vorigen Jahres, welche aber an vielen Orten wegen der Unfruchtbarkeit des sandigen Küstenstriches schlecht genug ausfällt; an einigen Stellen sind die Leute sogar gezwungen, den nackten Dünensand mit großen Mengen Tangs zu bedecken, welchen sie einige Zeit faulen lassen und alsdann mit Hafer oder Gerste besäen, wobei natürlich nicht viel herauskommt. – Die Art und Weise, wie sie die Fischerei betreiben, bietet kaum Unterschiede von Belang im Vergleich mit der Fischerei an deutschen Ostseeküsten, doch ist bei uns das Meer an feineren Seefischen ziemlich arm; nur Schollen gibt es in großer Menge, während der Hering sehr selten ist, dagegen besuchen zwei seiner Verwandten unsere Seeufer in mächtigen Schaaren, der Strömling und der Brätling.

Der Strömling hat in der Gestalt viel Aehnlichkeit mit dem Hering, wird aber nur sechs bis zehn Zoll lang und hat eine mehr silberweiße Farbe, die auch auf dem Rücken wenig in’s Blaue spielt. Die ersten Strömlinge, welche im Mai auf die Märkte gebracht werden, sind besonders groß und fett und werden für eine Delicatesse angesehen; der Fisch wird überhaupt am besten geräuchert verspeist, er ist in anderer Zubereitung nicht so schmackhaft. Die späterhin gefangenen Strömlinge sind viel kleiner, dafür nimmt aber ihre Menge zu und wächst oft in’s Erstaunliche. Die Fischerbauern pflegen sie alsdann einzusalzen und in Tonnen zu verpacken um sie, sobald die Zeit der Fischerei vorüber ist, also im Winter, weit in’s Land hinein zum Verkaufe zu führen. Zwischen den Strandleuten und den näher wohnenden Landbauern existirt an manchen Orten eine Art Tauschhandel; Letztere pflegen dort zur Fangzeit an den Strand zu kommen und den Fischern sowohl Salz mitzubringen, als auch beim Einpökeln zu helfen; dafür erhalten sie einen Antheil vom Salzfisch und liefern noch im Herbste den Fischern eine angemessene Quantität an Korn.

Der Brätling ist ein drei bis fünf Zoll langes, sehr zartes, silberglänzendes Fischchen mit bläulichem Rücken, welches nur gleich nach dem Fange, also am Strande selbst, frisch verzehrt werden kann, da es gar zu leicht verdirbt; zu Markte wird er nur gesalzen gebracht. Der Fisch wird in großer Menge gefangen und bildet einen ziemlich wichtigen Handelsartikel, namentlich für Reval, Esthlands Hauptstadt, in welcher man ein geheim gehaltenes Verfahren kennt, ihn in einer pikanten Sauce vorzüglich gut einzumachen, so daß er sich, an einem kühlen Orte aufbewahrt, Jahre lang eßbar erhält und selbst mit der Zeit an Wohlgeschmack gewinnt. Diese sogenannten Revaler Külloströmlinge oder Küllos, auch in Deutschland unter dem Namen der russischen Sardellen bekannt, werden weithin verschickt und stehen ziemlich hoch im Preise. Schon in Riga kostet ein mit Küllos gefülltes, etwa ein preußisches Quart haltendes Glas an zwanzig bis fünfundzwanzig Neugroschen. In früheren Zeiten erschienen manchmal arme esthländische Studenten in Dorpat mit einer Wagenladung eingemachter Küllos, von deren Erlös sie die Kosten ihres dortigen Aufenthaltes bestritten.

Trotz des großen Verbrauches ist doch an Strömlingen und Brätlingen keine Abnahme zu bemerken, eine desto größere an Lachsen. Vor einigen hundert Jahren gab es in Riga so viel Lachse, daß in der damaligen Stadtverordnung sich ein Paragraph vorfindet, welcher den Herrschaften ausdrücklich vorschreibt, ihre Dienstboten nicht mehr als zwei Mal in der Woche mit Lachs zu beköstigen. Heutzutage dagegen ist der Lachs schon so ziemlich ein Luxusessen geworden, denn obgleich man in guten Jahren noch immer einen Lachs von fünfundzwanzig Pfund für wenig mehr als zwei Thaler kaufen kann, so steigt doch der Preis für einen eben so schweren Fisch andererseits wohl auf zwölf bis sechzehn Thaler. Dem geräucherten Dünalachs kann man an Wohlgeschmack und schöner Farbe höchstens den besten Rheinlachs an die Seite stellen; man räuchert ihn in kleinen, halb offenen Hütten, indem man feuchtes Stroh auf glühende Kohlen schüttet und die leicht besalzenen Stücke des zertheilten Fisches eine Nacht lang in diesem Qualme hängen läßt.

Von der eigentlichen Flußfischerei bietet der Neunaugenfang den großen Vortheil, daß er vorzugsweise im Winter vorgenommen werden kann, und zwar ist er am bedeutendsten in der Düna, weniger wichtig in den kleineren Flüssen. Im Sommer fängt man die Neunaugen mitunter auf eine eigenthümliche Weise. Man durchbohrt Wände und Boden eines hölzernen Kastens mit trichterförmigen Löchern, deren innere Mündung gerade nur so groß ist, daß der Fisch bequem hineinschlüpfen kann, legt ein Stück nicht mehr ganz frisches Fleisch in den Kasten, verschließt denselben und versenkt ihn darauf an einer Stelle des Flusses, wo sich Neunaugen aufhalten. Diese schlüpfen alsbald durch die Löcher in den Kasten und saugen sich in großer Menge an das Fleisch an; nach einigen Stunden wird dann der Apparat hervorgeholt und die Fische, welche sich manchmal so fest an das Fleisch angesogen haben, daß man sie mit Gewalt davon entfernen muß, herausgenommen. Auf gleiche Weise kann man auch Krebse fangen.

Der Winterfang der Neunaugen beginnt, sobald das Eis so stark geworden ist, daß es einen Menschen zu tragen vermag, etwa um die Weihnachtszeit. Alsdann begeben sich die Fischer mit Aexten auf den Fluß und befreien durch Aushauen einen Platz von 4–5 Fuß Breite und oft mehr als 100 Schritt Länge vom Eise. Sobald dies geschehen ist, beginnt das Einsenken der Fangkörbe. Diese sind aus langen Weidengerten zusammengeflochten, haben die Gestalt eines Zuckerhutes, sind gegen fünf Fuß lang, haben vorn eine zwei Fuß breite Mündung und laufen nach hinten in eine feste Spitze aus. Sie werden, an lange Stangen befestigt, mit der Oeffnung gegen die Strömung gekehrt, in’s Wasser hinabgelassen und zwar dort, wo dieses nicht sehr tief ist und recht rasch fließt. Sobald ein Korb an seinem Platze ist, wird die dazu gehörige Stange über dem Eise mit einigen Holzstücken befestigt, damit sie nicht von dem Wasser unter das Eis gezogen, vielmehr auch der Korb in wagrechter Lage erhalten werde. Allmählich füllt sich die ganze offene Stelle mit einer langen Reihe neben einander versenkter Körbe, deren Stangen, aus der Ferne gesehen, einen Zaun zu bilden scheinen. In der Nähe von Riga, bei dem Gute Dahlen, werden die meisten Dünaneunaugen gefangen, dort ist die ganze Fläche der daselbst fast 1500 Schritt breiten Düna mit vielen Reihen solcher Neunaugenfänge besetzt, eine gefährliche Einrichtung für diejenigen Reisenden, welche, wie es bei schlechter Landbahn vorkommt, zu Schlitten auf dem Strom nach Riga fahren, wobei in dunkler Nacht die Pferde leicht in die Eislöcher gerathen können. Bei starkem Froste friert die Oeffnung in einer Nacht wieder fest zu, wo dann die Fischer, welche stets des Abends die Körbe versenken, natürlich am andern Morgen sie erst wieder auseisen müssen, um sie emporziehen zu können.

Die Neunaugen, welche sich gern an flachen, strömigen Stellen [434] aufhalten, kommen von oberhalb gegen die Körbe zu, bei welchen das Wasser wegen des ihm entgegenstehenden Hindernisses noch reißender wird. Sie werden alsbald in die Körbe hineingerissen und haben nicht Kraft genug, sich aus dem spitzen Ende, wo die Gewalt am größten ist, wieder hervorzuarbeiten.

In manchen Jahren finden sich diese Thiere in unglaublicher Menge ein, mehr als ein alter Fischer hat uns erzählt, wie zu Zeiten der Fluß durch sie als eine lebendige, wimmelnde Masse erschienen sei, so daß man sie mit den Händen oder mit Schöpfkellen zu Hunderten habe aus dem Wasser holen können.

Frisch gebraten oder gekocht, geben sie eine sehr unverdauliche Speise ab, der größte Theil des Fangs wird daher von den Fischern auf besondere Weise zubereitet, ehe sie ihn in den Handel bringen. Nachdem man die Neunaugen über starkem Kohlenfeuer auf großen, vergitterten Eisenrosten scharf gebraten, wobei sie einen abscheulichen, brenzlich-thranigen Geruch verbreiten, verpackt man sie schichtweise in große neue Holzgeschirre, auf jede Schicht einiges Salz streuend. Ist das Geschirre gefüllt, so kommt auf die oberste Schicht Fische ein Bret, welches man mit großen Steinen beschwert. Nun läßt man das Ganze ruhig einige Tage stehen; in dieser Zeit wird durch das Gewicht der Steine aus den Neunaugen ein Theil ihres Fettes und Saftes herausgepreßt, und bildet mit dem Salze eine Sauce, welche ihnen einen vortrefflichen Geschmack mittheilt. Dreißig Stück so zubereiteter Fische bezahlt man bei den Bauern selbst mit 10–12½ Ngr. Es werden ihrer im Ganzen jährlich gewiß einige Millionen gefangen.

Weniger großartig und vortheilbringend, aber viel unterhaltender ist das Fischstechen und das Hechtschießen. Mit dem zuerstgenannten beschäftigen sich die Dünabauern und wohl auch andere Liebhaber von solchen Dingen, besonders in kalten Spätherbstnächten. Obgleich in dieser Zeit schon starke Nachtfröste einzutreten pflegen, verweilen doch die Leute bis ein und oft auch zwei Uhr des Nachts auf dem Wasser.

Nahe der Spitze eines kleinen Ruderbootes wird ein erhöhter Holzrost angebracht, welchen man mit Erde bedeckt, um darauf ein helles Feuer von Holzkohlen und trocknem Reisig zu unterhalten; ganz vorn an der Spitze steht der Fischer, einen Stab haltend, an dessen unterem Ende ein scharfes, mit Widerhaken versehenes Eisen befestigt ist; außer dem Fischer ist noch ein zweiter Mann da, welcher, je nachdem das Wasser tiefer oder flacher ist, bald mit einer Stoßstange, bald mit kurzen Rudern das leichte Fahrzeug geräuschlos fortbewegt. Ringsum glänzen die Lockfeuer über dem Strom, in der Ferne wie rothleuchtende Sterne, näherzu mit flackernder Gluth, die in nebligen Nächten dem Scheine einer Feuersbrunst täuschend ähnlich sieht, bei klarem Wetter dagegen Streifen blutfarbigen Lichtes auf die düstere Fluth legt. Die Nacht ist sehr finster, desto heller durchleuchtet die Flamme bis auf ziemliche Tiefe einen kleinen, der Bootspitze zunächst liegenden Theil des Stromes. Vom Glanze angelockt, gleiten die Fische von allen Seiten in dies helle Revier hinein, immer näher, mit langsamem Flossenspiel, die Köpfe zur seltsamen Helle richtend. Aber über den Rand geneigt, lauert regungslos mit erhobener Waffe der Fischer, bis sich in sicherer Nähe eine lohnende Beute zeigt; blitzschnell fährt dann das Eisen in das aufzischende Wasser und versenkt sich in den Körper des auserlesenen Opfers.

Das Hechtschießen wird im Frühling vorgenommen. Sobald die Zeit des Hochwassers vorüber ist, kommen die großen Hechte gern auf flache, leicht überschwemmte Inselchen, wenn diese an warmen Tagen unter der Mittagssonne ruhen, um unter jungen Wasserpflanzen sich zu sonnen; oft liegen die Fische dann an so seichten Stellen, daß sie mit dem Rücken fast über das Wasser hervorragen.

Stromabwärts, ohne Ruderschlag, nur manchmal leise gesteuert, naht ein Boot, worin ein paar Schützen verborgen sind; es lenkt auf einen dieser Holme zu und fährt dicht an ihm vorüber, während die Jäger nach den Hechten spähen, welche eben so scheu als schnell sind. Haben sie einige große Bursche entdeckt, so gilt es, schnell zu schießen und zwar unter einem gewissen, nicht zu stumpfen Winkel, weil sonst die Schrote vom Wasser abprallen würden. Wird ein Hecht erlegt, so kümmert man sich wenig darum, daß man oft tüchtig waten muß, um des Flossenwildes habhaft zu werden, denn ein glücklicher Schuß ist sehr schwer und die Freude um so größer, wenn er gethan wird.

Was die Landseefischerei anbetrifft, so ist auch diese sehr bedeutend, besonders auf den großen Seen esthnisch Lieflands, dem Wirzjerw und dem Peipus, welcher letztere jedoch nur zum Theil zu Liefland gehört. Sie versorgen das ganze umliegende Land mit frischen, mehr aber noch mit kleineren Salzfischen. Der Nebs, ein schlankgebauter, 6–10 Zoll langer, wahrscheinlich dem Geschlechte der Lachse zuzuzählender Fisch, kommt sehr zahlreich im Peipus vor, von wo ihn die an diesem See in Dörfern wohnenden russischen Fischer nach Dorpat und weiter in’s Land hinein bringen. Er hat ein fettes, festes, grätenloses Fleisch von vorzüglicher Güte und schmeckt fast wie geräucherte Sprotten.

Die zahlreichsten Seen besitzt Liefland in seinem südöstlichen Theil, wo auch seine ausgedehnteste Bodenerhebung vorkommt. Das Land hat dort einzelne größere Hochplateaus bis zu 800 Fuß über dem Ostseespiegel und viele Hügelketten, zwischen welchen Thäler liegen, in denen die Seen enthalten sind, welche meist einen lieblichen Anblick gewähren. Ihre Ufer sind mit Laub- und Nadelwald, mit blumenreichen Wiesen, zerstreuten Landgütern und Bauerhöfen, an einzelnen auch mit Ruinen aus der Ritterzeit geschmückt, was den verschiedenen Wasserbecken eine anziehende Einfassung gibt. In einigen liegen bewaldete, flache oder bergige Inseln, andere sind rings von schroffen Wänden umgürtet und werden erst sichtbar, wenn man dicht an das Ufer herantritt. Eine reiche Flora schöner, seltener, aus Deutschland mitunter fast verschwundener Land- und Wasserpflanzen findet sich an und auf den tiefen, stillen Seespiegeln und gewährt dem vom einsamen Naturleben gefesselten Botaniker eine reiche Ausbeute.

Bereiset man diesen anmuthigen Theil unserer Provinz, so hat man beständig Gelegenheit, sich an der wechselnden Scenerie der Landschaften zu erfreuen. Bald führt der Weg durch Laubwälder, bald durch Nadelgehölz bergauf, bergab; dann wieder windet er sich in ein Gewirr baumloser Hügel hinein, über welche die Heide ihren graugrünen Teppich gebreitet hat oder in denen sich Getreidefelder in verschiedenen Schattirungen von Grün hinziehen, mit dunkelbraunen, aufgepflügten Aeckern wechselnd. Seitwärts thun sich tiefe, walderfüllte oder wiesengrüne Schluchten auf, durchfurcht von schnellfließenden Bächen, oder ein See blickt wie ein großes, blaues, feuchtschimmerndes Auge zu uns empor. Zuerst verschleiert noch Baumwuchs den breiten, hellen Wasserplan, aber wie wir weiter an ihm entlang fahren, rollen seine Ufer sich immer ferner auf, erschließen sich stets neue, lauschig waldumrauschte Buchten. Von einer Hügelkuppe erblicken wir drei, vier Seen zugleich, dann senkt sich der Weg wieder in neues Gehölz, oder freies Feld erscheint, Häuser und Hütten, Edelhöfe und Kirchen tauchen auf, bleiben hinter uns zurück, während wir munter weiterrollen und uns der anmuthigen Bilder freuen.

In den vielen klaren, kalten Bächen findet man sehr große Forellen, Schmerlen und Krebse. Echte Perlen führende Muscheln, deren Fang in früherer Zeit Monopol der Krone war, sind jetzt nicht mehr so zahlreich, als sonst, jedoch noch immer in mehreren dieser Berggewässer anzutreffen.

In die größeren Flüsse und Flüßchen wandert zur Laichzeit der Lachs ein, durch die Düna aus der See aufsteigend, und prächtige Aale, oft von fünf bis sechs Pfund Schwere, werden in einigen zu Tausenden mit Aalwehren gefangen.

[441] Die Hauptbewohner der Seen sind Hechte, Barse, Karauschen, Rothaugen, Schleien, Rebse und Brachsen. Der geschätzteste ist der Brachsen; er ist dem Karpfen sehr ähnlich, breit, kurz und platt, graurosa an den Seiten, auf dem Rücken braungrau gefärbt, wird mitunter 25 Pfund schwer und hat ein höchst wohlschmeckendes, zartes, festes Fleisch. Er ist sehr scheu und hält sich in großen Schaaren gesellig lebend auf dem Grunde der Seen verborgen. Wegen der Tiefe der letzteren ist er nicht anders, als mit sehr großen Netzen zu erlangen, da kleinere nicht bis auf den Grund reichen würden.

Um Aussicht auf einen ergibigen Fang zu haben, muß man sich eines Netzes von 1200 bis 2000 Fuß Länge bedienen, das viel Aehnlichkeit mit den großen Netzen der Meerfischer hat. Abgesehen von den Kosten, welche das Anschaffen eines solchen Apparates mit sich bringen würde, gehörte auch viel Uebung dazu, ihn zu handhaben; die Gutsbesitzer lassen daher die größere Fischerei selten von ihren eigenen Leuten ausüben, da es sich der Mühe kaum verlohnte, so viel Auslagen und Zeitverlust an einen zweifelhaften Erfolg zu ungeübter Fischer zu verwenden, welche mit Handnetzen ohnedies genug Fische für den gewöhnlichen Hausbedarf herbeischaffen. Für die große Fischerei traf man Verabredung mit Gesellschaften russischer Fischer, welche auf den ungeheueren russischen Seen Jahr aus Jahr ein ihr Gewerbe betreiben. Eine solche Gesellschaft zieht jetzt von Gut zu Gut, von See zu See, um für einen gewissen Antheil am Ertrage mit ihren eigenen Netzen zu arbeiten, und zwar stets im Winter, weil sie alsdann mehr [442] Muße hat und zu Schlitten sowohl ihre Geräthschaften leichter mit sich führen, als auch die etwa erworbenen Fische fortschaffen kann.

Ich verbrachte vor einigen Jahren einen Winter bei einem Freunde, dem Pächter eines großen Gutes in jenem Theile der Provinz, zu dem ein größerer See gehörte, welcher unweit des Hofes liegt. Schon seit mehreren Wochen erwarteten wir die russischen Fischer, endlich überbrachte uns eines Abends der Verwalter die Nachricht, daß sie angekommen seien. Ich hatte nicht Gelegenheit, sie sogleich zu sehen, doch vernahm ich, daß ihre Gesellschaft aus neun Männern und drei Frauen bestände. Nach altem Herkommen erhalten diese Leute auf jedem Gute, wo sie arbeiten, für die Dauer ihres Aufenthaltes Fourrage für ihre Pferde, sowie Wohnung, Verköstigung und Branntwein für sich selbst; dies wurde ihnen auch hier verwilligt und am anderen Morgen gingen sie an’s Werk.

Wir waren sämmtlich in einer gewissen Aufregung; einestheils machte dies die Unentschiedenheit darüber, wie der Fang ausfallen würde, welcher oft einen Werth von mehr als 1000 Rubel Silber haben kann; anderntheils ging es uns, wie der ganzen Umgegend, wir freuten uns auf das interessante und fremdartige Schauspiel. Der Erfolg konnte nur dann gut sein, wenn viele Brachsen gefangen wurden, weil diese sehr geschätzt und theuer bezahlt werden, die anderen Fische blieben vergleichsweise fast werthlos; es fragte sich also, ob wir Brachsen erhalten würden oder nicht. Umkreiste das Netz in der Tiefe eine Schaar dieser Fische, so konnten wir sie vielleicht in Menge haben; geschah dies nicht, so käme kaum einer herauf; letzteres war auf diesem See schon seit Jahren bei jeder Fischerei der Fall gewesen.

Andern Morgens fuhr ich zum See hinab, dessen jenseitiges Ufer von einem Walde aus Laubhölzern und Rothtannen begrenzt ist, die sich am steilen Abhange stufenweise emporthürmen. Der bereifte Wald gab den Hintergrund zu einem fremdartigen Gemälde ab. Je naher ich kam, desto deutlicher trat es hervor.

Ich muß hier vorausschicken, daß die erwähnten Russen, durch langjährige Erfahrung belehrt, sehr genau die ergibigsten Stellen der von ihnen besuchten Seen kennen, daß sie daher nur an solchen Stellen ihre Züge veranstalten und jeden See in eine bestimmte Anzahl von Zugbezirken eintheilen. An einem Tage werden nur drei Züge gethan; da jeder Zug mit den Vorbereitungen drei Stunden wegnimmt, so fällt bei den kurzen Wintertagen der Anfang des ersten und das Ende des letzten Zuges ohnehin in die Dunkelheit.

Dicht vor dem waldigen Ufer prasselte auf dem See ein Feuer, zu welchem von einem Gestell aus Stangen ein großer, berußter Kessel an einer eisernen Stange herniederhing, von blauem Rauch umwirbelt, der in lustig tanzenden Wölkchen in die Morgenluft aufstieg. Die Frauen saßen am Feuer, Zwiebeln schälend und Fische abschuppend, drei große, kräftige Gestalten mit plumpen, rothen Gesichtern; sie trugen rothe oder gelbe Kopftücher, bis an die Hüften reichende Schafspelze, mit der grauen Lederseite nach außen, und darunter kurze bunte Röcke, während sie bis zu den Knieen mit derben Mannsstiefeln bekleidet waren. Sie sangen bei der Arbeit eines jener Volkslieder mit klagender, tremulirender Melodie, welche sich in den höchsten Tönen bewegt.

In der Nähe standen drei niedrige, nach hinten zu in breite Flügel auslaufende Schlitten, wie man sie im Winter überall auf den russischen Heerstraßen sehen kann; diese hier hatten zum Transport der Geräthschaften gedient. Auf dem einen lag ein zottiger, gelbbrauner Hund mit bereiftem Fell, der aufmerksam mit gespitzten Ohren zu meinem eben stillhaltenden Fuhrwerk herüberschaute. – Etwas weiter ab befand sich eine starke Winde mit horizontaler Welle, an welcher die Endstücke von zwei Tauen befestigt waren, letztere lagen selbst zu beiden Seilen in regelmäßige Windungen aufgerollt auf dem Eise; etwa fünf Schritte vor der Winde war ein wohl zehn Fuß in’s Geviert haltendes Loch in das Eis gehauen, wo soeben das mächtige Netz hineingelassen wurde. Auf jeder Seite standen drei Fischer, je zwei von ihnen ließen das in kurzen Zwischenräumen am Rande mit fußgroßen Steinen versehene Netz in’s Wasser herab, zwei andere hielten beständig ein kleines Stück desselben gerade gespannt in den Händen, die beiden letzten achteten darauf, daß die in großer Ordnung übereinander geschichteten Netzflügel nicht im Entfalten verwirrt wurden, und reichten den in der Mitte Stehenden nur so viel davon hin, als die Vordersten in’s Wasser ließen; Alles ging taktmäßig, rasch und vorsichtig. Endlich war das Garnwerk vom Eise verschwunden, nur noch die an starken Hölzern befestigten Enden beider Flügel schwammen auf dem Wasser, und diese Querhölzer waren mit den Anfangsstücken der erwähnten Taue umwunden. Jetzt brachten die Fischer zwei lange Stangen herbei, welche vorn gabelförmig getheilt waren, und schoben jene Querhölzer in die Gabeln hinein. In einem Kreise von mehr als 1000 Fuß Umfang befanden sich, von dem großen Loche nach beiden Seiten divergirend, einige zwanzig kleinere, etwa zwei Fuß im Durchmesser haltende Oeffnungen in der Eisdecke, je fünfzig Fuß von einander entfernt; ihre Bestimmung sollte mir sogleich klar werden. Es gingen nämlich zwei Fischer nach den zunächst sich gegenüberliegenden kleinen Löchern und erwarteten dort das Erscheinen der Netzenden, welche ihnen vom Hauptloche aus mit langen Stangen unter dem Eise zugeschoben wurden; natürlich mußten die Flügel dieselbe Richtung einhalten. Sobald die Gabelspitzen in den Eislöchern erschienen, wurden sie von den wartenden Fischern erfaßt und auf dieselbe Art zu der nächsten Station hingeschoben, wo schon andere Leute aufmerkten. Unterdeß leiteten die Frauen an der großen Oeffnung das regelmäßige Abwickeln der Taue, das ganze Verfahren ging seinen sicheren Gang, von Strecke zu Strecke drangen die Flügel vor und beschrieben allmählich den vorgezeichneten Kreis, bis zuletzt die Parteien an den beiden der Winde gegenüberliegenden Oeffnungen angelangt waren. Damit war die Hauptarbeit gethan, Tau und Netz lagen auf dem Grunde des etwa sechzig Fuß tiefen See’s, die Leute eilten zur Winde und der Zug begann. Er mußte den ganzen Seeabschnitt umgrenzen und Alles mitnehmen, was sich in seinem Bereiche fand. Schon knarrte die Winde und langsam umwickelten beide Taue den Wellbalken.

So eben fuhr mein Freund mit seiner Frau und zwei liebenswürdigen Töchtern den Abhang zum See hinab; eine Menge anderer Leute fanden sich nach und nach ein, Gutsschreiber, Handwerker, Pächter aus der Nachbarschaft, auch der russische Pope und mehrere Handelsjuden, sowie Bauern, Weiber und Kinder fehlten nicht. Alle Augenblicke kündete das Schellengeklingel die Ankunft neuer Zuschauer an. Bald machte sich auch der Speculationsgeist, in Gestalt des Wirthes vom nahen Kirchenkruge, bemerkbar; er erschien mit einem hochbepackten Schlitten, schlug einen Schenktisch, besetzt mit diversen Getränken und allerlei Speisen, auf dem Eise auf und fand bei dem kalten Wetter auch genug begierige Abnehmer. Ein buntes Treiben entfaltete sich auf dem See, die vielen kleinen Schlitten, an welchen die Pferde in der Kälte ungeduldig stampften und mit den Schellen klingelten, standen etwas abseits gegen den Wald hin; um den Schenktisch tummelte sich ein Haufe kauender und trinkender Menschen unter lautem Geschwätz und Gelächter, komisch plumpen Ansehens in ihren großen Schafs-, Wolfs- oder Schuppenpelzen mit verschiedenfarbigen Ueberzügen und rothen oder blauen Wollshawls umgürtet, hohen Pelzstiefeln und Pelzmützen. Die Handelsjuden wanden sich geschäftig durch den Knäuel, diesem oder jenem von ihren Waaren anbietend; der Bauernhaufe stand beisammen, in beliebter lässiger Weise redend und qualmend, und stach durch seine grauen langen Wollenkittel von den Andern ab; es mochten wohl im Ganzen über hundert Menschen da sein.

Nach einer halben Stunde waren die Taue aufgewunden und die Querhölzer der Netzflügel erschienen über dem Wasser. Sofort verließen die Russen ihre Winde, um das Netz zu erfassen und kunstgerecht heraufzuziehen. Jetzt zog auf jeder Seite ein Mann etwa drei Fuß Netz aus dem Wasser senkrecht und straff hervor, der Hintermann empfing dies Stück und übergab es dem Letzten, welcher Alles wieder in regelmäßige Lagen aufschichtete. Schon befanden sich auf jeder Seite an vierhundert Fuß Netz auf dem Eise, hin und wieder zappelte in einer der weiten Maschen ein Rothauge oder ein Weißfischchen, die ersten unglücklichen und unbeachteten Opfer, aber es mochte doch wohl noch das letzte Viertel des Netzes unten in der Tiefe sein, als die Fischer ihre drei unbeschäftigten Cameraden und die Frauen zu Hülfe riefen und nun die ganze Gesellschaft gewaltig zu ziehen begann.

Alle Welt drängte sich jetzt näher heran, das Netz schien gewaltig schwer, die Fischer stellten sich zu sechs, mit dem Rücken gegen den Wald gekehrt, an einen Flügel desselben, der Aelteste stieß einen rauhen Schrei aus, ähnlich dem Rufe der Matrosen beim Emporwinden einer Last, die Andern wiederholten ihn im Chor, bei jedem Rufe kam das Netz stoßweise vielleicht um einen Fuß lang herauf, schoß aber wieder fast eben so weit in’s Wasser zurück. Es mußte eine mühselige Arbeit sein, denn allmählich wurden die Leute sehr erhitzt, Einer nach dem Andern schleuderte seine Fellmütze durch Schütteln mit dem Kopfe zu Boden, die Frauen rissen ihre [443] Kopftücher ab, von den blaurothen Gesichtern rann der Schweiß, obgleich wir zehn Grad Kälte hatten. Um fester anzufassen, ließ jetzt dieser, dann jener einen Augenblick das Netz los und tauchte seine Hände, die bis über die Ellenbogen in schwarzledernen Stülphandschuhen staken, in’s Wasser. Vorwärts ging’s; stramm angestemmt, in äußerster Kraftanstrengung nach hinten zurückgelehnt, wuchtete diese Reihe stämmiger Gestalten die Last empor, dann ließen die 24 braunen Fäuste plötzlich los, um im Nu ein Stück tiefer anzupacken. Die Männer waren hohe, derbe Gesellen mit starkknochigen, tiefgebräunten Gesichtern, langbärtig, langhaarig, einige flachsblond, andere schwarz, der Meister schon eisgrau; die Frauen erwähnten wir schon. Aehnlich, wie diese, waren auch die Männer bekleidet, nur mit breiten schwarzen Pumphosen, die in die Fellstiefeln hineinreichten, und Fellmützen, die Pelze jedoch waren ganz gleich. Wild und trotzig sahen sie Alle aus und mochten es wohl auch sein, das hörte man an den rauhen Flüchen, die sie einander zuriefen, wenn einer momentan nachließ, das brachte das Gewerbe voll Beschwerden mit sich, welches sie jeder Witterung und vieler Gefahr aussetzte.

Immer kürzer und langsamer ziehen sie an, ihre Erschöpfung zeigt sich in der wankenden Bewegung der Beine, im Zittern der Arme. Die ermüdete Brust hebt sich schnell und schwer, der Athem keucht, die Augen quellen hervor, die langen Haare kleben zu Striemen zusammen. Zornig flucht der riesenhafte Meister, ihm funkelt’s wild unter den buschigen Brauen, mit doppelter Macht faßt er in die widerstrebenden Maschen. Jetzt gilt es ja, denn der Kessel[1] kommt herauf; augenblicklich verlassen mehrere ihre Plätze und gehen zur anderen Seite des Loches hinüber, denn da der Kessel rund ist, so muß er von allen Seiten zugleich angefaßt werden. Die Spannung ist nicht gering, das Wasser geräth in unruhig wallende Bewegung, hier und da tauchen Flossen und Schwänze von größeren Fischen auf, jetzt endlich ein breiter brauner Rücken, und dort wieder einer, eine ganze Menge!

„Brachsen, Brachsen, Hurrah!“ rufen die aufgeregten Zuschauer, Ueber das Gesicht meines Freundes geht ein zufriedenes Lächeln, denn ein reicher Zug steht zu erwarten.

Ein solcher wurde denn auch gethan; je mehr der Kessel herauf kam, desto deutlicher zeigte sich das. Noch lag die Hauptmasse in der Tiefe, noch konnten sich die betrogenen Wasserbewohner in ihrem gewohnten Elemente bewegen, aber in immer engeren Grenzen. Große Hechte erschienen auf der Oberfläche, wie Schlangen schossen sie mit ihren schlanken Leibern in gewandten Windungen umher, um sogleich wieder vermeintlichen Schutz in der Fluth zu suchen; phlegmatisch dahinschwimmend regten sich die trägen Brachsen, gewaltige Barse mit rothen Flossen tauchten dazwischen auf und eine Masse kleiner, silberschuppiger Fische sprang in jedem Augenblicke in die sonnenhelle Luft, so daß ein beständiger Tropfenschauer durch ihr Aufschnellen und Niederfallen unterhalten wurde. Doch auch diese karge Freiheit sollte den Ueberlisteten entzogen werden. Die Fischer riefen jetzt mehrere Bauern zu Hülfe, unter großem Geschrei wurde der Sack von allen Seiten emporgezogen, und nach einigen Minuten lag ein zappelnder, springender, schimmernder Haufe von Fischen jeder Größe auf dem Eise. Das war ein Zug! Wie sich ergab, waren über zweihundert fünf- bis zwölfpfündige Brachsen, an fünfzig große Hechte und einige Scheffel anderer Fische gefangen worden.

Nach altem Brauch hatte der Fischerälteste das Recht, von jedem Zug zuerst drei Schaufeln voll für sich abzunehmen. So griff er denn auch jetzt mit seiner breiten und tiefen, einer großen Schöpfkelle gleichenden Schaufel in die wimmelnde Thiermasse hinein, und wußte sehr gewandt sich einige der größten Brachsen scheinbar absichtslos herauszuholen. Außerdem erhielt er ein Drittheil vom Ertrage der Fischerei.

Ein arges Gedränge entstand. Jeder wollte die schönen Fische beschauen und bewundern; dies benutzten die kleinen Bauerjungen zur Entfaltung einer besondern Industrie. Jeden Augenblick, wo die Fische weniger bewacht wurden, schoß ein solcher Bube pfeilgeschwind auf diese los, und prakticirte sich ein paar der kleineren in das linnene Quersäckchen, das er an einem Band über die Schulter hangen hatte. Die kleinen Spitzbuben waren dabei sehr gewandt und entschlüpften fast immer, weil die Umstehenden sie gewähren ließen, war ja doch an den paar Fischchen nichts gelegen; fiel aber einer den Fischern in die Hände, so thaten diese ihm auch nicht viel, sie warfen ihm nur die Pelzmütze in’s Wasser, wo er sie zum großen Jubel des Volkes wieder herausholen mußte.

Die Fische wurden nun abgetheilt, der größere Gutsantheil in Säcke verpackt und zum Hofe geschickt, und dem alten Russen sein Drittheil übergeben, womit er auch sogleich einen Handel etablirte. Käufer waren in Fülle vorhanden, alle Welt begehrte ein leckeres Fischgericht. Am lüsternsten darnach zeigten sich die Schacherjuden. Ein Fisch ist für diese armen, mäßigen Menschen ein Königsessen. Mit welchem Eifer handelten sie um einen Hecht, ein paar Barse, ein Schüsselchen Weißfische! Wenn Russen und Juden mit einander handeln, gibt es gewiß einen Wettkampf von Schlauheit und Zungenfertigkeit; so auch hier: eine ganze Weile zankten sich sich, bis endlich Freund Itzig freudestrahlend sein Fischchen in den schmutzigen Leinbeutel steckte und abzog, träumend von den gastronomischen Genüssen, welche ihm bald die eigene küchengewandte Hand bereiten würde. Es währte nicht lange, so hatte der Russe seinen ganzen Vorrath verkauft, und beorderte seine Leute zu den Vorbereitungen eines zweiten Zuges. Diesen warteten wir jedoch nicht ab, denn trotz der Pelze und Pelzstiefeln machte der kalte Wintertag sein Recht geltend, wir waren durchfroren, besonders die Damen; auch nahete schon der Mittag, so ging’s denn wieder in die Schlitten, und heimwärts klingelten unsere Glöckchen. Die meisten Leute eilten zum Kruge, um den zweiten Zug abzuwarten.

Oben auf dem Ufer angekommen, blickte ich noch einmal zum See zurück; den abschüssigen Pfad erklimmte eine lange Reihe von Schlitten, deren Glocken die ganze Luft mit Geläute erfüllten, ein Klang, der gar lustig anzuhören ist und belebend auf die Seele wirkt. Unten brannte noch immer das Feuer, hob sich der weißgraue Rauch zierlich vom bereiftem Forste ab, drängten Bauern durcheinander, während weiter hinaus die Fischer neue Löcher in’s Eis hieben. Ein prächtiger Wintertag! Diese kalte, reine Luft stimmt den Nordländer so heiter, macht ihn so frisch, wie nach einem Bad in einem klaren Gebirgsbach, stählt den Körper, erquickt den Geist. Darum lieben wir auch den alten grimmen Recken mit den Eiszapfen im Bart, dem Schneemantel und Krystallpanzer, schauen ihm keck in’s Gesicht und suchen ihn auf im weißen Feld, im beschneiten Waldrevier.

Als es Nacht wurde und der Vollmond Tageshelle über die Landschaft ergoß, forderte mich mein Freund auf, nochmals zum See zu fahren, um den letzten Zug anzusehen.

Ueber die weite, beschneite Eisfläche flogen wir wieder dahin. Nach Osten hinaus zog sie sich unabsehbar in die Weite, dort verschwamm die leuchtende mit dem Horizont; drüben ragte geisterhaft weiß der träumerische Waldeshang in den sternbesäeten Himmel auf, es war eine unendliche Ruhe in diesem Bilde. Aber lauter und lauter kamen die Rufe der arbeitenden Fischer und die Stimmen schwatzender, lachender Zuschauer zu uns herüber, je mehr wir uns näherten. Nun waren wir angelangt, Bauern nahmen unsere Pferde in Empfang, man machte uns Platz, wir konnten Alles übersehen. Eine Menge dicker, brennender Kienspähne, von den Umstehenden hoch emporgehalten, erleuchteten die Scene; ihr dunkelrothes, flackerndes Licht contrastirte seltsam mit dem milden Mondesglanz, auf dem bewegten Wasser zitterten zu gleicher Zeit silberne und purpurne Reflexe. Wir waren gerade zu rechter Zeit gekommen, denn schon tauchten einzelne Fische auf, und bald zeigte sich die ganze Masse der Gefangenen. Diese gewährten einen prächtigen Anblick. Ein Blitzen und Schimmern spiegelnder Fischkörper erfüllte das Netz; wie die Tausende durcheinander wühlten, brach es immer wieder an zahllosen Stellen hervor; es war, als ob ein mächtiger Schatz aus der Tiefe gehoben sei, aber jedes einzelne Silberstück Leben und Bewegung erhalten hätte und noch im letzten Moment dem glücklichen Schatzgräber tückisch entfliehen wollte.

Auch das Mal war der Zug ungemein ergibig, doch verblieb dem Aufseher die Theilung; wir begaben uns bald nach Hause. Noch zwei Tage währte die Fischerei und brachte einen ungewöhnlich reichen Ertrag; dann zogen die Russen weiter zum nächsten Gute, welches einen See besaß.

Zum Schlusse will ich noch erwähnen, daß man ein paar Mal mit glücklichem Erfolge kurz vor dem Zuge ganz glühende Steine in die Eislöcher versenkt hat; dieses Mittel scheucht die Brachsen an die Oberfläche und läßt sie leichter in’s Netz gerathen.





  1. Der Kessel ist ein weiter Sack, welcher vom mittelsten, breitesten Stück des Netzes abgeht und sich nach hinten verengt. In diesen müssen beim allmählichen Emporziehen des Netzes zuletzt alle gefangenen Fische hineingerathen.