Osterglocken (Lavant)

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Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Osterglocken
Untertitel:
aus: Lichtstrahlen der Poesie
Herausgeber: Max Kegel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
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Quelle: Scan und digital
Kurzbeschreibung:
Lichtstrahlen der Poesie, Seite 251 bis 253
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[251]

Osterglocken.

Als ich eine Jüngling war mit braunen Locken,
Da war bei Tag und Nacht auf Weg und Stegen,
In mir ein hoffnungsfreudiges Frohlocken
Und kühner Wünsche ungestümes Regen.

5
Die Hoffnung schwand und wurde mir zur Sage,

Und wie sie weit und weiter sich entfernte,
Ward stiller es in mir mit jedem Tage,
Bis ich das Wünschen halb und halb verlernte.

[252]

Doch ob die meisten Wünsche auch entschliefen,

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Wie Kinder, die sich mattgeweint vor Hunger,

Lebendig blieb in meiner Seele Tiefen
Ein Wunsch, ein heißer, starker, ewig junger.
Wie Frühlingssturm hat er mich überfallen
Ursprünglich oft, in Träumen stillverstohlen,

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Und beide Fäuste mußt‘ ich stumm dann ballen

Und aus der Brust kam schwer das Athemholen.

Ein einz’ges Mal möcht‘ ich zum Thürmer werden,
Der niederspäht durch eine schmale Scharte,
Und dann mit Macht den Völkern all auf Erden

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Den Ostergruß zudröhnt von hoher Warte,

Der allen Landen im Triumph verkündet,
Man schmiede um zu Sicheln nun die Waffen,
Der Freiheit sei der Friede eng verbündet
Und werde Heil und Segensfülle schaffen.

25
Wie wollt‘ ich ziehen an dem Glockenstrange

Mit rüst‘gem Arm, bis mir die Kraft geschwunden!
Sie müßte läuten, läuten voll und lange,
In dieser Osternacht geweihten Stunden.
Und fühlt‘ ich dann ein tiefes Beben wallen

30
Durch alle Quadern des gewalt’gen Thurmes,

Ich dächte gern, es sei erzeugt vom Hallen
Der Glocke nur und nicht vom Weh’n des Sturmes.

Der Stirne Brand ließ ich vom Winde kühlen,
Der meine Brust in vollen Stößen träfe;

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Ich ließe mir von ihm das Haar zerwühlen,

Daß wirr und frei es flöge um die Schläfe,

[253]

Und ab und zu dann würd‘ ich nieder lauschen
Und weiter läuten, Aug‘ und Herz in Gluten,
Wenn ich vernommen jenes dumpfe Rauschen,

40
Mit dem die Massen auf und nieder fluthen.


In meiner Höhe würd‘ ich ihn empfinden,
Den frohen Herzschlag der erregten Massen,
Die sich, ein Schreckniß für die ewig Blinden,
Ins Freie drängen aus den finst‘ren Gassen;

45
Ihr Freudenruf nach stumm getrag’nen Schmerzen,

Der feige Seelen füllt mit bangem Grausen –
Mir ginge tiefer, voller er zu Herzen,
Als je Choralgewog und Orgelbrausen.

Und träte ernst in dieser selben Stunde

50
Zu mir der Tod – ich würde nicht erschaudern;

Ich folgte ihm, ein Lächeln auf dem Munde,
Zufrieden, stillgefaßt und ohne Zaudern.
Der Tod im bittern, aussichtslosen Kriege
Mit blöden Knechtsinns fressendem Verderben –

55
Wohl mag er schwer sein; doch im vollen Siege –

Wie ist es leicht, wie ist es süß, zu sterben!

Es ist ein Traum und muß ein Traum wohl bleiben,
Wie sie auf Schritt und Tritt uns schmeichelnd locken;
Ich werde mich in Gram und Groll zerreiben

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Und fasse nie den Strang der Osterglocken;

Doch wird mich stets, wenn diese Glocken hallen
Durchs nächt’ge Schweigen, wie ein lautes Dichten,
Derselbe Wunsch mit Allmacht überfallen
Und seufzend nur werd‘ ich auf ihn verzichten.
                                                                                Rudolf Lavant.

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

Ebenfalls abgedruckt in:

  • Stimmen der Freiheit. Blüthenlese der besten Schöpfungen unserer Arbeiter- und Volksdichter. Auflage von 1901, S.779f. Internet Archive