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Oxford (Meyer’s Universum)

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X. Coblenz und Ehrenbreitstein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XI. Oxford
XII. Die Dreifaltigkeitsbrücke in Florenz
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OXFORD

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XI. Oxford.




Wenige Städte des städtereichen Britanniens gewähren eine schönere Ansicht, als das uralte, weltberühmte, in einer schönen und fruchtbaren Gegend an dem reizenden Themse-Ufer gelegene Oxford. Die alterthümliche Pracht seiner Gebäude, seine Collegien, Kirchen, Hallen und Palläste, die sich, von welcher Seite man es auch betrachten möge, mit der glücklichsten Wirkung gruppiren, findet in der Welt nicht ihres Gleichen, wenigstens ist kein Ort auf der Erde, wo so viele wohlerhaltene und so großartige Bau-Denkmäler aus der Blüthenzeit des Sächsischen und Gothischen Geschmacks, von 500 bis 1000 jährigem Alter, beisammen angetroffen werden. Es gibt Straßen in dieser Stadt, wo man sich ganz in das zwölfte oder dreizehnte Jahrhundert zurück versetzt glaubt, weil man durchaus nichts als Gebäude aus dieser Zeit, ohne irgend eine moderne Unterbrechung, um sich her versammelt sieht. Die [26] meisten dieser Prachtgebäude der Vorzeit für Unterricht und Gottesverehrung sind mit einem Aufwand errichtet, der alle Bestrebungen der Gegenwart, es jener in ihren Bauwerken nachzuthun, geradezu höhnt. –

In diesem alten Musensitze Albions, der 24 verschiedene Kollegien (COLLEGES) zählt, in denen 6000 Studenten von 800 Professoren in allen Fächern des Wissens Belehrung erhalten, – Lehranstalten, von denen jede einzelne ihre besondere Kirche hat, ihre Bibliothek, Handschriftensammlung, Gemäldegallerie, Museen aller Art, anatomisches Theater etc. und oft mehr, weit mehr Schätze der Kunst und Literatur und Anstalten für deren Förderung aufweisen kann, als eine ganze deutsche Universität, wollen wir jetzt das Merkwürdigste betrachten.

Das große Gebäude, welches, mit dem massiven, hohen Thurm an seinem Ende, in der Mitte unseres Bildes, die Häusermassen überragt, ist Christchurch College, an Umfang das größte unter den Universitätsgebäuden. Es wurde von Christoph Wren, dem berühmtesten Architekten Englands, dem Erbauer der Londoner Paulskirche, im 17. Jahrhundert größtentheils neu aufgeführt. Nur ein Theil ist noch der uralte Bau, – und dieser das merkwürdigste Ueberbleibsel altsächsischer Bauart aus dem achten Jahrhundert. In diesem, in einer Kapelle, ist der berühmte Schrein der heiligen Frisdawida, ein überaus prächtiges sächsisches Grabmal, jetzt über 1200 Jahr alt, befindlich. Die Bibliothek enthält 100,000 Bände. – Das kirchenähnliche Gebäude rechts ist Wolsey’s Hall, im grandiosesten Styl, unter Cardinal Wolsey’s Ministerium errichtet. Reich ist in diesem Collegium besonders das Museum. Hinter ihm erhebt sich der Thurm der im 13. Jahrhundert erbauten Cathedrale. Der kleinere rechts ist der von Merton College, gleichfalls ein Denkmal aus dem dreizehnten Jahrhundert. Der erste Thurm links von Christchurch College gehört der Marienkirche an; er ist im reichsten gothischen Styl erbaut und ganz überladen mit Ornamenten. Der nächste ist der Glockenthurm von Sankt Aldatus; dicht daran, der majestätische Dom dort, das Radcliffsche Bibliothekgebäude, die bewundernswürdige Schöpfung eines patriotischen Bürgers, dessen Namen sie trägt. Des Gebäudes Innere ist eine einfach, aber grandios verzierte Rotunda von 350 Fuß Umfang und 65 Fuß Höhe, abgetheilt in drei Etagen, mit einer nobelen Kuppel und zwei Reihen offener Gallerien über einander. Aus diesen laufen rund umher strahlenförmige Gänge nach den hohen Außenfenstern, und in diesen Gemächern sind die literarischen Schätze in Schränken aufgestellt. Die Bibliothek, vom Gründer, dem berühmten Arzte Radcliff, gesammelt und der Universität geschenkt, enthält über 100,000 Bände, alles blos medizinische Werke. – Der Thurm zur äußersten Linken ist der von ALL-SOULS (Aller-Seelen)-College; es ist mit dem der Königin (QUEENS)das schönste Gebäude der alten Musenstadt. Die eigentliche Universitätsbibliothek, die größte und kostbarste der Erde, enthält gegenwärtig über 650,000 Bände und mehr als 40,000 Handschriften. Sie ist in einem von Heinrich VIII. gegründeten äußerst zweckmäßig eingerichteten prachtvollen Gebäude in bewundernswürdiger Ordnung aufgestellt. Das Lokal sieht keinem andern dieser Art ähnlich und versetzt auch im Innern vollständig in eine längst [27] verschwundene Zeit. Der kreuzgeformte Saal, die seltsam gestalteten, mit Schnitzwerk bedeckten himmelhohen Schränke, die ungeheuern Fenster, sechzig Fuß hoch und fast ein Drittel so breit, alle von buntfarbigem, mit den kostbarsten Malereien bedeckten Glase, die prächtige Decke in 1000 goldberahmte azurblaue Felder getheilt, in jedem derselben das Conterfei einer aufgeschlagenen Bibel, auf der 4 silberne Kronen liegen, – selbst die in den Gallerien umherwandelnden oder an den Tafeln sitzenden Universitätslehrer und Bibliothekare im Kostüme Luthers; Alles wirkt bezaubernd auf den Schauenden und entrückt ihn unwillkürlich der Gegenwart. In der Mitte der hohen Schränke läuft eine Gallerie umher, um mit geringerer Mühe und Gefahr zu den höher stehenden Büchern gelangen zu können. Quer durch den Saal zieht sich eine lange Gasse geschlossener, mit allen Bequemlichkeiten versehener Kabinets hin. Jeder, der es mag, kann sich mit den gewählten Büchern in ein solches zurückziehen, und hier ganz ungestört allein arbeiten; eine gewiß nachahmungswerthe Einrichtung.

Diese Bibliothek, in der Welt die am reichsten dotirte, erhält alljährlich durch Ankauf von Literaturschätzen in allen Ländern und durch patriotische Vermächtnisse großen Zuwachs. Neue Gebäude, welche jetzt aufgeführt werden, sollen bewahren, was das alte, trotz seiner ungeheuern Größe, nicht mehr fassen kann. Neben der Bibliothek befindet sich ein Museum für Antiken und eine Gemäldegallerie. Höchst merkwürdig ist noch die weltbekannte Universitäts-Buchdruckerei (CLARENDON-PRESS), die größte, vollständigste und besteingerichtete auf der Erde. Sie ist in einem, im reinsten griechischen Geschmack aufgeführten, tempelartigen Gebäude und beschäftigt nahe an 500 Personen. Hier wird in mehr als 300 Sprachen gedruckt, für die Bibelgesellschaften allein sind gewöhnlich 40 Pressen im Gange. Die in dieser Anstalt gedruckten Werke aller Art füllen eine Bibliothek von circa 26000 Bänden, welche in einem eigenen großen Saale aufgestellt sind. – Sehr sehenswerth sind auch: der botanische Garten, das große naturhistorische Museum, die Sternwarte und eine Menge andere auf Wissenschaft und Kunst Bezug habende Anstalten, deren Einzelanführung aber weder Raum, noch Zweck dieses Werks gestatten.