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Palmsonntag in Ragusa

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Textdaten
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Autor: Bernhardine Schulze-Smidt
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Titel: Palmsonntag in Ragusa
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 219
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[205]

Palmsonntag in Ragusa.
Nach dem Gemälde von M. Murat.

[219] Palmsonntag in Ragusa. (Zu dem Bilde S. 205.) Wenn tief unten im dalmatinischen Süden die Osterzeit herankommt, steht die Welt dort ringsum in üppiger Blüte. Die Rosen grüßen durchs junge Laub, zartgelb leuchtet es zwischen den silbergrauen Olivenzweigen, die Palmen, die bei Ragusa über den Bergpfad empor zum Kloster San Giacomo nicken, zeigen frische Wedel und die Frühlingsblumen, Veilchen und Narcisse, die bunte Anemone und die wilde Hyacinthe sind längst von den Triften verschwunden. Man muß nur einmal an solchem Tage Ragusa betreten haben, wenn zitternder Goldduft glühend über der himmelblauen Adria lagert und die paradiesische Klosterinsel Lacroma umflimmert, um zu begreifen, wie lachend und südlich dies unbekannte Stückchen Küstenwelt im europäischen Osten ist!

Heut’ ist es Palmsonntag, und die Landleute aus dem nahen Brenothal und dem von Canale ziehen in Schwärmen durch die Hauptstraße, den „Stradone“, mit seinen stillen Patrizierhäusern und den geschlossenen Kaufläden, um in den Kirchen des Platzes ihre grünen Sträuße weihen zu lassen, im Dom und in San Biagio, der Kirche des heiligen Blasius.

Schöne Mädchen und Frauen sind es, namentlich die aus dem Canalethal, denen die schneeigen, tiefgefältelten Strichhauben die feinen regelmäßigen Gesichtszüge umrahmen. Etwas sehr Herbes und Keusches liegt in Blick und Haltung – unmodern möchte man’s heutzutage nennen; sie muten an wie klassische Gestalten in ihren langherabfließenden Röcken und Schürzen, buntgesäumt, in den reichgestickten orientalischen Jäckchen, den weiten Aermeln, den funkelnden Ketten und anderen Schmuckstücken. Prächtig nehmen sie sich vor dem Altare aus, zwischen den gewundenen Marmorsäulen, den Galerien und Stufen, Lichtern und Altarbildern und der ernsten Priesterschaft, eingehüllt in Weihrauchduft und Orgelklang. Nicht nur Palmwedel lassen sie weihen, nein, auch frische Lorbeerzweige und die der knospenden Olive: die Wahrzeichen der Tapferkeit und des Friedens, zugleich mit denen des Heilands, da er zu Jerusalem einzog.

Grün und Frühlingsfrische, brennende Farben und helles Sonnenlicht, wohin sich der Blick wendet! Rosen liegen auf den Grabsteinen der alten Ragusaer Geschlechter und seitab von den palmentragenden Frauen knieen die Männer und beten, große schlanke Kriegergestalten – ihre Tracht ein Gemisch von sattem Rot und dunklem Blau, ihren Turban, den „Saruk“, haben sie von den edelgeformten Köpfen genommen. Er ist den Todfeinden entlehnt, den „gottverfluchten“, grenzebedräuenden Türken. Wohl dem Vater unter den Canalesen, dem in der Karwoche ein Sohn geboren wird, so daß die Palmen und Lorbeerzweige des heiligen Sonntags zu Häupten seiner Wiege prangen dürfen. Solch ein gesegneter Sohn wird zur besonderen Hoffnung seines Vaters; denn vielleicht giebt das geweihte Grün ihm wirklich Kraft und Mut, einst gegen den osmanischen Widersacher siegreich zu kämpfen und den ewigen Frieden im schönen wilden Berglande der Adria aufrichten zu helfen. – „Pax vobiscum!“ – Friede sei mit euch! – singt der Priester zu ihren Gedanken. B. S.-S.