Pariser Bilder und Geschichten/Beranger

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Titel: Beranger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 20–23
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Pariser Bilder und Geschichten.

Beranger.

Ist man allzusehr angewidert von dem pariser Leben, von dem Geschrei auf dem Markte, wo Gewissen zu Dutzenden feilgeboten werden, wo Jeder sein ernstes oder komisches Stück spielt, um sich geltend und Geld zu machen, wo Ehrgeiz und Habsucht, Lüge und Unnatur unter verschiedenen Masken um die Wette laufen und drängen, wo jedes Stückchen Vorzug an Leib und Seele geschmückt und aufgeputzt als Aushängeschild benutzt und ausgebeutet wird, wo Jeder nach seiner Art, der eine mit den Händen, der Andere mit den Füßen, Der mit dem Kopfe, der Andere mit dem Herzen, der Eine mit der Feder, der Andere mit dem Pinsel, um das goldene Kalb, den Götzen des Jahrhunderts, tanzt; bedarf man der Erholung, der Beruhigung, der Läuterung, so findet man sie, wenn man das Glück hat, Beranger, den Lieblingsdichter des französischen Volkes, besuchen zu können. Da findet man einen Greis von 74 Jahren mit der Frische des Geistes, mit der Einfalt des Herzens wie ein Kind, der lächelnd zurückblickt auf sein langes inhaltreiches Leben, das spiegelrein und spiegelhell, unberührt von all den schmutzigen Einflüssen geblieben, welche es unausgesetzt belagert. In dieser Wohnung weht es Einem so friedlich, so wohlthuend an. Man glaubt es zu fühlen, daß hier den schlimmen Gästen draußen, all’ den Gelüsten und Begierden, der Einlaß streng versagt wurde. Es fällt Einem das Lied [21] ein, in welchem der Dichter seine geliebte Lisette und die lustigen Freunde beim Wein erwartet und die Glücksgöttin, welche unten an die Thüre pocht, ihres Weges gehen heißt.

Beranger.

Eine alte Frau, Freundin und Vertraute des Sängers, ordnet auf's Beste den schlichten Haushalt, ein Stück seiner Natur muß wohl durch langen Verkehr auf sie übergegangen sein, denn sie ist wie er heiter und milde, von derselben ungekünstelten Gutmüthigkeit. Man wird von den Beiden mit Herzlichkeit empfangen und behandelt. Da ist Alles ächt und nichts Förmlichkeit. Wie im Liede so im Leben hat Beranger die Glücksgöttin von sich geschickt. Gewinn und Auszeichnung, nach denen Tausende vergeblich rennen und ringen, hat er mit der Ueberlegenheit eines Weisen, mit der Entschiedenheit eines großen Mannes von sich gewiesen. Im Jahre 1830, nachdem man zu Paris die ältere Linie der Bourbons vom Throne gestoßen, jubelte man überall in Frankreich und da das französische Volk, sinnlich, wie es ist, immer den Vertreter einer siegreichen Idee braucht und sucht, um sich an ihm seiner überschwenglichen Begeisterung zu entledigen, fiel dieses Mal die Wahl auf den populären Sänger, dessen Lieder nicht abgelassen, gegen die Restauration und ihre Träger durch bittern Hohn zu kämpfen und das gestürzte Kaiserreich zu verherrlichen. In allen Theatern wurde seine Büste gekrönt. Paris machte den Anfang, die Provinzen folgten. Wie begreiflich, waren nun für Beranger die Stufen zu jeder beliebigen Stelle gebaut. Seine Freunde, und unter diesen besonders der Banquier Jacques Lafitte, den die Umwälzung zum Finanzminister emporgetragen, drangen in ihn, irgend ein einträgliches Amt anzunehmen.

Nein, meine Freunde, nein. ich will nichts werden,
Gebt Andern Würden, Titel, Sterne,
Der Herr hat mich für Höfe nicht gemacht!

So sprach er, so that er.

Im Jahre 1818 gab ihm das Volk selbst eine Anstellung.

Ohne daß er sich um die Gunst bewarb, wurde er in die constituirende Kammer gewählt. Ein einziges Mal, nur um seine Wähler nicht zu beleidigen, verfügte er sich in das Palais Bourbons, wo die Volksvertreter tagten, dann gab er seine Entlassung. „Was soll ich dort," sagte er, „Redner giebt's nur zu viel und Lieder singen kann ich besser zu Hause."

Von vielen Mitgliedern der französischen Akademie aufgefordert, um die Aufnahme in diese Anstalt, dem Ziele jedes künstlerischen und gelehrten Strebens, zu werben, weil den Statuten gemäß die Ernennung nicht anders erfolgen kann, wies er die Zumuthung zurück. „Ich gehöre nicht in die Gemeinschaft dieser Herren," gab er stets zur Antwort.

Mit derselben Uneigennützigkeit verfuhr der Dichter bei Veräußerung seiner Werke, die ihm bei ihrer ungeheuern Verbreitung Reichtümer einbringen mußten, wenn er nach Gebühr seinen Vortheil gesucht hätte; statt dessen überließ er sie dem Herrn Perrotin gegen die unglaublich mäßige lebenslängliche Rente von 800 Frcs. (214 Thaler) jährlich. So daß Beranger nun der freiwilligen Erkenntlichkeit des Verlegers eine reichere Ausbeute seines Talentes verdankte.

„Es sind zwölf Jahre, mein lieber Perrotin," schreibt der Dichter an diesen würdigen Verleger, „daß ich Ihnen all' meine Lieder, welche ich gemacht und noch machen werde, gegen die lebenslängliche Rente von 800 Franken überließ. Da das Wohlwollen des Publikums sich nur fortwährend erhält, haben Sie aus freiem Antrieb und zu wiederholten Malen diese Rente vermehrt, die bei ihrer ursprünglichen Ziffer zu belassen Ihnen meine Unterschrift das Recht gab. Noch mehr, Sie haben nicht aufgehört, mich mit [22] kostspieligen Aufmerksamkeiten zu überhäufen, die ich kindlich nennen kann." Das sind gewiß schöne seltene Herzenszüge, die sich zwischen Dichter und Verleger aussprechen.

Beranger ist ein Volksdichter, wie die moderne Zeit keinen aufzuweisen hat. Er singt für seine ganze Nation, für die Höhen wie für die Tiefen, wie für die Mitte. Man möchte ihn das Herz Frankreichs nennen. Alle Gefühle des Volkes, all das Selbstbewußtsein, die Sinnlichkeit und Frivolität, all seine Entrüstung, all seine Heiterkeit und Selbstvergessen, und all die Großmuth, Zartheit und Ritterlichkeit, der Leichtsinn und die jugendliche Laune, der Witz und die Leidenschaft, der militärische Dünkel und wirkliches Heldenthum, die mittelalterliche Ruhmsucht und die moderne Begeisterung, das singt und lacht, tändelt und zürnt, das grollt, höhnt und prahlt aus seinen Liedern heraus. Darum zieht jeder Laut aus seinem Munde hin durch das ganze Leben und findet sein Echo bei Millionen.

Die politischen Schauspieler, zu deren Rolle es gehört, sich tief ernst und überaus tugendhaft zu geberden, stellen sich von der Unsittlichkeit in den Liedern Beranger’s empört. Sie lügen. Denn in der Zurückgezogenheit, wenn die Maske unnöthig ist und sie sich beim Wein der unterdrückten und jugendlichen Anwandlung überlassen, um einen Moment ungezwungener Fröhlichkeit zu genießen, dann singen sie nach Herzenslust Lieder von Beranger. Sie lachen und weinen natürlich und sind ganz seelenvergnügt.

Unter dem ersten Kaiserreiche wurde Beranger von Arnault, Mitglied des Instituts, dem Hofpoeten Fontanes, der durch die Gunst des Kaisers zu hohen Würden gelangt war, empfohlen und von diesem seinem Secretariat unter dem Titel „Commis Expeditionaire“ beigegeben. Eines Tages hörte Fontanes den jungen Angestellten die Strophen des „Königs von Yvetot" singen. Die Frische, der Humor, die Milde und Gutmüthigkeit des Spottes zogen den hochgestellten Poeten, den Großherrn der Universität, dem all diese Gaben fehlten, unwiderstehlich an. Er erbat sich die Strophen und brachte sie dem Kaiser, der, wie er wußte, in den seltenen Mußestunden, die ihn seine Laufbahn gestattete, heitere Zerstreuungen liebte. Napoleon I. durchlas die Verse und brach in lautes Gelächter aus.

„Kennen Sie die Melodie zu diesem Lied?" fragte er Herrn Fontanes.

„Ja wohl, Sire," antwortete der Poet und recitirte singend das Gedicht. Man denke sich das Erstaunen der Höflinge, als sie den Kaiser bei seinen Arbeiten den Rundreim des „Königs von Yvetot" vor sich hinsummen hörten. Der „Senator" wurde drauf in den Tuilerien förmlich heimisch. Man lachte, ohne im Mindesten Anstoß an dieser milden Satyre zu nehmen und Beranger gewann den Vortheil, sich ungestört seinen poetischen Arbeiten hingeben zu können.

Für die Armen, für die untern Volksklassen, für die Arbeiter, für die Grisette sind Beranger’s Lieder ein Bedürfniß geworden. Das arme Mädchen läßt sich von diesen Gesängen zum Lachen bewegen, Noth und Entbehrung vergessen lehren. Sie singt Beranger’s Lieder, um ihr kleines Dachstübchen mit heitern Bildern und ihren Kopf mit schönen, bunten Träumen zu erfüllen. Diese Verse trösten, erheitern und versöhnen mit dem Schicksal. Kann es verwundern, daß er ihr Abgott, dieser Poet, der sie erfreut, trotz aller Entbehrung? Für Beranger hat das Volk immer Kränze. Keine Dirne ist so verworfen, um nicht ein Winkelchen ihres Herzens rein zu erhalten, wo sie die Liebe zu dem Volksdichter aufbewahrt. Wo sich Beranger öffentlich zeigt, ist er den lebhaftesten Huldigungen ausgesetzt.

Ich war Zeuge einer rührenden und zugleich erhebenden Scene, die sich in der „Clauserie de Lilas," wo des Sommers Studenten und „Studentinnen," wie man hier sagt, sich dem Vergnügen des Tanzes hingeben und wo sich die Fröhlichkeit der Jugend in ungezwungener, anmuthiger Weise kund giebt. Zu dieser heißen Sommerunterhaltung kam Beranger. Der Greis, wahrscheinlich um sich an dem tollen Treiben, an dem Schauspiel ungekünstelter, ungesuchter Freude zu ergötzen. Kaum war er in den hellerleuchteten Garten getreten, war er auch schon erkannt. Beranger ist da! Beranger ist da! lief es durch die Reihen der Tanzenden die sich sogleich auflösten und den Dichter jubelnd und händeklatschend umringten mit dem Rufe. Es lebe Beranger! Es lebe Beranger! Die Mädchen küßten ihm Hände und Wangen und sagten ihm im lieblichen Wettstreit die zärtlichsten Worte.

Mit der Raschheit der französischen Nation wurde von den Studenten eine Feierlichkeit improvisirt. Aus den Blumensträußen, die da feilgeboten werden, flocht man Kränze; ein Reimkundiger verfertigte ein Gelegenheitsgedicht. Drei der schönsten Mädchen wurden ausgewählt, die dem Dichter Kränze brachten und eine Andere las ihm das frisch verfaßte Lied. Der Dichter dankte, auf’s Tiefste gerührt.

Alle Anwesenden waren ergriffen und begeistert. An’s Tanzen wurde nicht eher gedacht, als bis der Dichter sich entfernt hatte. - Der Moment war wunderschön und ich glaube, daß dieser unmittelbare Ausdruck einer innigen Verehrung auch dem Dichter wohlgethan haben muß, der sonst allen Ovationen so ängstlich aus dem Wege geht.

Beranger ist aber nicht nur Frankreichs erster Dichter, er ist auch Frankreichs größter Bürger; er ist ein Washington, hingebend an das Vaterland, muthig und anspruchslos; er schlug auch seine Schlachten, wenn auch mit einer andern Waffe, als dem Schwerte.

Obgleich ein Franzose, hat er sein ganzes Leben hindurch seine politische Ueberzeugung bewahrt, die allen Stürmen, allem Wechsel der Verhältnisse getrotzt.

Pierre Jean de Beranger ist am 17. August des Jahres 1780 zu Paris geboren. Obgleich seine Familie von Adel, hat sein Großvater das sehr bürgerliche Gewerbe eines Schneiders getrieben. Unter der Aufsicht dieses guten Mannes, der nichts weniger als streng war, blieb der kleine Jean bis in einem Alter von 9 Jahren, zu keinem Berufe ernstlich angehalten, sondern mit Kameraden seines Alters ein freies, unthätiges Leben in den pariser Straßen führend. Auf diese Weise geschah es, daß der kleine Beranger, wie viele andere Straßenjungen, mit dabei war, als das pariser Volk am 14. Juli 1789 die verhaßte Bastille stürmte. Er sah es mit an, wie von kräftigen Armen geschwungene Aexte die Pforten von Erz zertrümmerten. Das Schauspiel ist ihm, wie er sagt, stets gegenwärtig, und in der That hat er die Erinnerung ein halb Jahrhundert später nach seiner Art in singbaren Versen ausgesprochen. Das hat Beranger mit unserm Goethe gemein, daß er Altes, was ihn irgendwie angenehm oder unangenehm anregt, daß er jede wichtige Frage, die sich ihm aufdrängt oder ihm aufgedrungen wird, im Liede behandelt, so daß die gesammelten Gedichte die Geschichte seines Kopfes und Herzens enthalten.

Seine patriotische Begeisterung erhielt die erste Grundlage zu jener Zeit, da er, ein Kind, die Dinge kaum zu unterscheiden vermögend, den Fall einer Zwingburg vor Augen sah, deren Namen jeden Franzosen mit Schauder erfüllte.

Die Straßen von Paris wurden immer unruhiger und stürmischer und boten keinen geeigneten Aufenthalt für den Knaben mehr. So ungern sich der gute Schneider von dem kleinen Liebling trennte, er wich dem Gebot der Umstände und schickte den Knaben nach Péronne in der Picardie zu einer Tante, die einem Gasthofe vorstand, und welche streng und fromm war.

Beranger blieb kaum drei Jahre dort, dann trat er in das „patriotische Institut," welches von einem Mitglied der gesetzgebenden Versammlung, Ballue de Bellanglise zu Péronne gegründet wurde, und später zu einem Buchdrucker in die Lehre, der ihn wegen seiner außerordentlichen Geistesgaben, verbunden mit einer lebhaften Wißbegierde, sehr lieb gewann. Er gab ihm mit Auswahl zu lesen und war ihm bei gründlicher Erlernung der Sprache behülflich. Als Beranger eine Ausgabe des André Chenier gesetzt hatte, versuchte er sich zum ersten Male im Vers. Einige Strophen kamen dem Meister Buchdrucker zu Gesichte, und dieser weihte den poetischen Setzer in die Regeln der französischen Prosodie ein.

Hiermit war die Laufbahn Beranger’s entschieden. Zurückgekehrt nach Paris, wo er seinen Vater in glücklichen Vermögensverhältnissen fand, sagte er diesem. „Ich will ein Dichter sein." Vielerlei Versuche wurden gemacht, vielerlei größere Arbeiten theils in dramatischer, theils anderer Form wurden unternommen, allein diese Erstlingswerke mochten den strengen Forderungen, die der junge Dichter an sich selbst stellte, nicht entsprechen und wurden von ihm selbst dem Feuer Preis gegeben. Außer den Namen einiger ist keine Spur von den Jugendarbeiten des herrlichen Volksdichters geblieben. Ein außerordentlicher Verlust, wenn kein poetischer, so doch ein kunsthistorischer. Welch ein Interesse hätte es geboten, diese eigenthümliche Dichternatur durch alle Phasen ihrer Entwickelung zu verfolgen. So aber bleibt nichts übrig, als sich an dem Fertigen, Vollendeten zu erfreuen und den [23] äußern, theils defensiven, theils offensiven Kämpfen des Dichters Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Wohlstand des Vaters Beranger war nur ein vorübergehender gewesen. Der verwegene Mann hatte sich in den neunziger Jahren in royalistische Umtriebe eingelassen, die ihm Gewinn abwarfen. Doch war ihm diese Erwerbsquelle bald abgeschnitten, da die herrschende Gewalt von den geheimen Manövres Kenntniß erhielt; so daß er sich glücklich schätzen mußte, mit heiler Haut davon gekommen zu sein.

Die ganze Familie und mit ihr natürlich unser Dichter war mit einem Male dem drückendsten Mangel bloßgestellt.

Ohne Namen, ohne Anerkennung und dazu selber in Ungewißheit über seine Befähigung und vermöge seiner Bescheidenheit ohne Vertrauen zu derselben, faßte der junge Mann den verzweifelten Entschluß, nach Aegypten abzureisen, wohin die Eroberung des General Bonaparte viel Auswanderungen aus Frankreich zu jener Zeit veranlaßte. Er hoffte daselbst als Civilbeamter ein Unterkommen zu finden. Zum Glück berieth er sein Vorhaben mit Herr Parseval-Grandmaison, einem in diese Verhältnisse wohleingeweihten Mann, der ihn im Vaterlande zurückhielt.

Zwanzig Jahre alt, leichten Blutes spottete er seiner Armuth und sang lustig wie ein unbekümmerter Mensch seine Liebes- und Trinklieder und andere heitere Gesänge, die seitdem Frankreich auswendig gelernt, lustig in den Tag hinein. Er war glücklich und wohlgemuth in seiner Dachstube, wo sich viele gleichgesinnte Kameraden zu Spiel und Vergnügen bei Lied und Becher einfanden. Es wäre Alles ganz gut gegangen, wenn der Hunger nicht taube Ohren hätte und sich wegsingen oder weglachen ließe. Zufällig aber ist er stumpf und unerschütterlich wie das Geschick. Er stieg empor in die Dachstube des Dichters, machte die Lieder verstummen und zerstreute die fröhliche Schaar. Es half nichts. Beranger mußte sich gegen dieses drohende Gespenst ernstlich zur Wehre setzen. Er raffte seine Verse, wohlgeordnet und sauber abgeschrieben, zusammen, und sandte sie in einem versiegelten Packet an Lucian Bonaparte, dem kunstliebenden Bruder des ersten Konsuls, begleitet von einer Epistel, in welcher sich der Stolz des Mannes und des Poeten aussprach. Lucian berief den Verfasser der erhaltenen Verse zu sich in sein Hotel, munterte ihn zu fernern Arbeiten auf, frug nach dessen Verhältnissen und versprach, ohne darum angegangen worden zu sein, für die materielle Nothdurft des Dichters Sorge zu tragen. Eine Verpflichtung, welcher der würdige Mann auch dann noch nachkam, als er mit seinem mächtigen Bruder, der sich die Kaiserkrone auf’s Haupt setzte, zerfallen, sich selbst nach Rom verbannte.

Da sah denn der glückliche Beranger den Erbfeind aller Künstler ohnmächtig zu seinen Füßen hingestreckt. Nie erlosch in seinem Herzen die wärmste Erkenntlichkeit für seinen Gönner und Beschützer, doch ward es ihm erst nach dreißig Jahren, nachdem die jüngere Linie der Bourbons auf den Thron gelangt war, gestattet, seinen Dank laut und öffentlich auszusprechen. Die Censur unter dem Kaiserreich untersagte ausdrücklich die Verherrlichung des verbannten Prinzen, und während der Restauration durfte kein Bonaparte gerühmt werden.

Die großen politischen Bewegungen der Zeit regten ihn mächtig an, und auch diese wurden ihm Stoff zu Liedern, den er aber in einer Weise, wie Niemand vor ihm und Niemand nach ihm behandelte, dem er ein ganz besonderes Leben einzuhauchen verstand. Er machte den Spruch:

„Ein politisch Lied, ein häßlich Lied"

zu Schanden. Seine oppositionelle Wirksamkeit während der ganzen Dauer der Restauration ist eine so durchgreifende, wie sich ihrer kein Journalist und kein Redner, nicht Armand Carrel, nicht Manuel und nicht Colard rühmen können. Seine Gedichte: „Alte Kleider," „Gerichtliche Untersuchung durch die Hunde von Stand,“ „Die Censur," zeugen von der größten Unerschrockenheit, und letzteres hätte für den Dichter schlimme Folgen nach sich gezogen, wenn die Regierung nicht durch die Rückkunft Napoleon’s von der Insel Elba anderweitig beschäftigt worden wäre. Die wieder niedergesetzte kaiserliche Regierung trug ihm, um ihn zu befördern, eine Stelle bei der Censur an. „Wie!" rief er, „Sie wollen mich in den Stand einer „literarischen Kellerratte" erheben? Sehr verbunden." Er blib, was er war, mit einem mäßigen Einkommen unabhängig.

Als man im Jahre 1814 den Adjutanten des Kaisers Alexander ein Bankett gab, zu welchem unser Dichter geladen wurde, um die Unterhaltung durch seine Lieder zu beleben, sang er zum Erstaunen aller Anwesenden den Ruhm Frankreichs und gegen die Fremden. Im Jahre 1815 veröffentlichte er die erste Sammlung seiner Gedichte unter dem Titel. „Moralische und andere Lieder."

Wie ein Blitz schlug das Büchlein in die gesammte Nation, doch zog es ihm eine Zurechtweisung und eine Warnung von oben zu. Der zweite Band, welcher eine wo möglich noch größere Wirkung hervorbrachte, erschien im Jahre 1821. Das in demselben enthaltene Lied: Der Gott der guten Leute Le Dieu des bonnes gens wurde zum ersten Male von der Barrière „Mont Parnasse", in der Kneipe der „Mutter Saguet" gesungen, wo Thiers, Armand Carrel und Chenavard eine Gesellschaft versammelten, welche sich die „Gesellschaft du Moulin-vert" nannte. Beranger wurde zum Präsidenten gewählt, und der Zudrang war so außerordentlich, daß man an 100 Tische für die Gäste im Freien aufstellen mußte. Das Lied hatte schlimme Folgen für den Sänger und für die Gesellschaft. Martainville denuncirte den Dichter in seinem Blatte. „Die weiße Fahne,“ daß er das Volk zu gefährlichen Verbindungen hinreiße. Er wurde vor die Assisen gestellt, zur Geldbuße und zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Die Gesellschaft, ob sie gleich keinen politischen Zweck verfolgte, wurde von Polizei wegen aufgelöst. Der Dichter kam aus St. Pelagie, wie er hineingekommen; er fuhr fort zu singen, wie er vorher gesungen. Im Jahre 1825 erschien der dritte Band seiner Lieder, in welchem unglimpflich mit den Jesuiten verfahren wird. Der Sänger mußte diese Vermessenheit mit neun Monat Gefängniß und 1000 Franken Strafe bezahlen. Tausend Franken! Eine unerschwingliche Summe für den Künstler, der ausschließlich von seinem Talente lebte, und dieses auszubeuten zu edel war. Die Nation bezahlte das Geld für ihren Dichter. Der Banquier Jaques Lafitte eröffnete in seinem Bureau eine National-Subscription, und in einem Tage war die Summe beisammen. Es gab dazumal keine Berühmtheit in Paris, von der der verhaftete Sänger nicht einen Besuch erhalten hätte. Selbst seine politische Feinde hielten es für angemessen, diese zarte Pflicht zu erfüllen.

Um diesen allzu kurzen Abriß des reichen arbeitsamen und antastbaren Lebens zu vollenden, sei eine große That des Dichters erzählt, wie sich kein Held, weder des Alterthums noch der Neuzeit einer schönern rühmen kann.

Es war in den heißen Julitagen des Jahres 1830. Paris trat auf die Straße, und alle Zeichen kündigten einen Sturm an. Im Hotel Lafitte bei dem politischen Banquier saßen die hervorragendsten Oppositions-Glieder des aufgelösten Parlaments: Guizot, Thiers, Casimir Perrier, Dupin, Odilon Barrot und der Hausherr selbst, Jaques Lafitte und wie sie sonst hießen. Die Helden der Tribune waren beisammen, um zu berathen, was in der kritischen Lage, in welche das Land durch das Ministerium Polignac versetzt wurde, zu thun sei. Die Herren verstiegen sich bis zu einer Protestation, da trat Beranger in den Saal, schilderte die Stimmung des pariser Volkes und erklärte es für unerläßlich, daß die Parlamentsmitglieder von der Linken eine Proclamation an das Volk erlassen, in welcher sie es zur Vertheidigung der Gesetze auffordern; - da erblaßten sie, die Helden der Tribune und sprachen von Gefahren, von nothwendiger Vorsicht, von Ungewißheit, ob auf Paris zu zählen sei u. s. w.

Beranger, ohne sich auf Widerlegungen einzulassen, setzte die seither berühmt gewordene Proclamation auf und las sie den beunruhigten Abgeordneten vor, hinzufügend: „Ich unterschreibe Ihre Namen, meine Herren. Wird die Bewegung besiegt und Ihr vor ein Gericht gestellt, so schiebt Ihr alle Schuld auf mich. Ihr seid straflos, da Ihr den Aufruf nicht unterfertigt habt. Siegt die Bewegung, so wird Euch wohl Niemand zur Rede stellen." Er schrieb unter die entworfene Proclamatien die Namen der anwesenden Volksvertreter, trug das Document in die Druckerei, dessen Inhalt kurz darauf an den Mauern von Paris zu lesen war. Diese Handlung ist nur sehr wenig bekannt geworden, denn die Herren Abgeordneten waren wenig beflissen, sie offenkundig, und der große Bürger Beranger war nie bemüht gewesen von sich reden zu machen. -