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Pariser Bilder und Geschichten/Curiose Leute

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Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Curiose Leute
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 868–871
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Bilder und Geschichten.

Curiose Leute.
Von Ludwig Kalisch.

Es giebt in Paris eine ganz eigenthümliche Menschenclasse, in welcher sich die geistvollsten und verrücktesten Köpfe finden und die verschiedensten Nationalitäten vertreten sind. Sie hat ihre eigene Physiognomie, und bietet dem Psychologen das interessanteste Studium dar. Ich meine die Classe der Erfinder. Es werden in Frankreich jährlich über viertausend Erfindungspatente vertheilt, und Jeder, der ein solches Patent besitzt, wiegt sich in den herrlichsten Hoffnungen und baut sich die prachtvollsten Luftschlösser. Ja, nicht Wenige von ihnen glauben bereits ihre Unsterblichkeit verbrieft und sehen schon im Geiste die ihnen von der dankbaren Nachwelt errichteten Statuen in Marmor und Erz prangen. Sie unterscheiden sich von den Poeten darin, daß sie nicht nur von dem ewigen Nachruhm, sondern auch von den irdischen Glücksgütern träumen, daß sie schon diesseits des Grabes ein Paradies vor sich sehen.

Es giebt wirkliche, es giebt eingebildete Erfinder. Zu diesen gehören diejenigen, die entweder längst erfundene Dinge erfinden, oder deren Erfindung unpraktisch oder unausführbar. Doch gerade diese machen sich die meisten Illusionen. Leider werden aber häufig die genialen Erfinder, welche berufen sind, der Industrie neue Bahnen zu brechen, mit den hirnverbrannten Menschen verwechselt, die ihre fixe Idee für eine epochemachende Erfindung halten. Palissy wurde für wahnsinnig gehalten, ebenso de Caux, und Napoleon hat erst, als er, ein Gefangener, das erste Dampfschiff sah, zu seiner Demüthigung gesehen, daß der von ihm für verrückt erklärte Fulton ein schöneres Blatt in der Geschichte haben werde, als er, der größte Niedersäbler seiner Zeit.

Doch sprechen wir nicht von der Vergangenheit und nicht von jenen großen Geistern, die für ihre großartigen Erfindungen mit einem Märtyrerthum belohnt wurden, und sprechen wir zuerst von den bescheidenen Erfindern in der Hauptstadt Frankreichs.

Die zahlreichsten und zugleich anspruchslosesten Erfinder leben in den Pariser Vorstädten, besonders in Ménilmontant und in Belleville. Es sind Arbeiter, die das ganze Jahr hindurch sich den Kopf zerbrechen, um ein neues Kinderspielzeug für die Weihnachtszeit zu Stande zu bringen. Diese Leute wohnen im sechsten Stocke, in der nächstes Nähe der Schornsteine, und ringen mit Hunger und Kummer in der Aussicht auf eine schöne heitre Zukunft. Ist endlich der neue Gegenstand, der als Christbescheerung die Kinderwelt entzücken soll, glücklich vollendet, so fangen erst recht die Leiden an. Zuvörderst müssen nämlich die hundert Franken zur Lösung des Patentes herbeigeschafft werden, und die Herbeischaffung dieser Summe erfordert vielleicht noch mehr Scharfsinn als die Erfindung selbst. Nachdem der Erfinder das Geld durch Entbehrungen aller Art aufgetrieben und das Patent in der Tasche hat, begiebt er sich zu einem der großen Spielwaarenhändler [869] und zeigt demselben das Modell des von ihm erfundenen Gegenstandes. Der Boutiquier betrachtet dieses lange hin und her, schüttelt schweigend den Kopf und hat allerlei Einwendungen zu machen. Versteht er sich endlich dazu, den Verschleiß zu übernehmen, so schöpft er den Rahm ab und der Erfinder ist am Ende froh, wenn er nur eine Kleinigkeit über seine Auslagen verdient.

Der Boutiquier ist ein geriebener Mann und hütet sich, die neue Erfindung vor Anfang December auszustellen; denn er fürchtet nicht ohne Grund, daß der Gegenstand, besonders wenn er sich durch Originalität auszeichnet, von Anderen nachgeahmt werde. Die Ausstellung beginnt erst vierzehn Tage vor Weihnachten und dauert bis vierzehn Tage nach Neujahr. Innerhalb dieser fünf Wochen muß er sein Geschäft machen. Der Arbeiter aber denkt bald wieder an eine neue Erfindung, da die alte mit einigen geringen Abänderungen von Anderen in den Handel gebracht wird. Außerdem mag und kann er auch nicht wieder die hundert Franken auftreiben, um das alte Patent nach Jahresfrist erneuern zu lassen. Tausend und aber Tausend dieser Arbeiter kämpfen auf diese Weise mit Noth und Elend, während sich die Krämer mit deren sauerm Schweiß bereichern.

Unter diesen Arbeitern giebt es viel Deutsche. Es giebt aber auch viel Deutsche unter den Erfindern, die nach Paris kommen in der festen Ueberzeugung, durch ihre Erfindung die Welt aus den Angeln zu heben. Sie verfallen oft in die furchtbarsten Drangsale, ohne jedoch dadurch ihre Illusionen zu verlieren. Nicht selten werden sie sogar die Opfer ihrer Erfindung. So erinnere ich mich eines Mannes, der vor einer Reihe von Jahren sich bei mir mit einem Empfehlungsbrief einführte. Er hatte eine neue Schießwaffe erfunden, die, wie er behauptete, schneller und entschiedener umbringe als die bisherigen. Der Mann war mir viel sympathischer als seine Erfindung. Er war ein äußerst sanftes Naturell, und ich konnte gar nicht begreifen, was ihn auf den Gedanken gebracht, der Menschheit die Mordgelüste zu erleichtern. Eines Tages stellt er sich bei mir im Sonntagsfrack und weißer Weste strahlenden Angesichts ein und theilt mir mit, daß es ihm gelungen, die Bekanntschaft eines sehr einflußreichen Generals zu machen. Derselbe wünsche die Waffe zu sehen, um diese, wenn sie seinen Erwartungen entspräche, dem Kriegsminister zu empfehlen. Der General wohnte in den Tuilerien, und der Erfinder, der kein Französisch verstand, bat mich, ihn dahin zu begleiten und dort den Dolmetsch zu machen. Ich konnte ihm die Bitte nicht abschlagen und wir machten uns auf den Weg. Schier hätten wir aber das Rendezvous versäumt. Der Erfinder hatte nämlich keine Handschuhe; seine Hände waren aber so riesig, daß, wenn er sie den Verkäuferinnen zeigte, dieselben lächelnd den Kopf schüttelten. Für eine solche Hand war die höchste Nummer noch um viele Nummern zu niedrig. Ich rieth ihm endlich, auf die Glacéhandschuhe zu verzichten und zu weißen hirschledernen seine Zuflucht zu nehmen. Er befolgte meinen Rath und versah sich mit Gendarmenhandschuhen, die indessen trotz ihrer Solidität sich anstrengen mußten, nicht zu platzen. Der Luxus des schwarzen Fracks, der weißen Piquéweste und der weißen Gendarmenhandschuhe war leider umsonst. Der General, der in einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt war, konnte den Erfinder nicht anhören und vertröstete ihn auf einen andern, noch zu bestimmenden Tag. Der arme Mann zog verdrießlich die gewaltigen Handschuhe aus, heiterte sich jedoch bald wieder auf und versicherte mich auf dem Rückwege zu wiederholten Malen, daß man ihn binnen Kurzem zu den Millionären zählen würde. Es gelang ihm endlich, mehrere angesehene Personen zu gewinnen, die sich durch eigene Anschauung von der Wirkung der Schußwaffe überzeugen wollten. Die Zusammenkunft fand wirklich statt; aber sie hatte keine günstige Folge für den Erfinder. Nach dem zweiten Schusse sprang die Waffe in kurze Stücke und ein Splitter hätte beinahe einem der Anwesenden, einem bedeutenden Capitalisten, die Nase weggerissen. Der unglückliche Erfinder wurde natürlich mit den entsetzlichsten Vorwürfen überhäuft. Er verließ bald darauf Paris, um in London sein Glück zu versuchen. Ich habe gehört, daß ihm dort bei einem seiner Versuche die rechte Hand zerschmettert wurde.

Ein anderer Landsmann glaubte einen Dünger erfunden zu haben, vermittelst dessen das Getreide und die Knollenfrüchte sich einer außerordentlichen Entwickelung erfreuen sollten. Nachdem er sich in Deutschland vergebens bemüht hatte, sein Geheimniß zu verkaufen, kam er nach Paris und eröffnete hier eine Ausstellung der durch seine Erfindung erzielten Producte. Da sah man neben ellenhohen Korngarben riesige Kartoffeln, gelbe, weiße und rothe Rüben von kolossalem Umfang, und Rettige, die wie geschwänzte Vierundzwanzigpfünder aussahen und mit denen man eine Festung hätte beschießen können. Das Publicum, und ganz besonders das weibliche, betrachtete mit Verwunderung das ungeheuerliche Gemüse und sagte dem Erfinder, einem schönen ehrwürdigen Greise, die süßesten Schmeicheleien. Auch viele Blätter sprachen einige Zeit von dieser Ausstellung. Nach und nach aber verstummte die Presse, und der Erfinder verschwand für immer mit seinen ellenhohen Cerealien und seinen gigantischen Rüben und Rettigen. Was aus ihm geworden, wüßte ich nicht zu sagen, ebenso wenig, warum seine Erfindung nicht mehr Glück gemacht.

Eines Tages stellt sich bei mir ein verschrumpftes, verhutzeltes, kahlköpfiges Männchen ein. Niemals ist mir eine putzigere Gestalt vorgekommen. Alles war klein an ihm, bis auf die Nase, die aus dem faltenreichen Gesichtchen spitz und keck hervorsprang. Der Kleine trug unter dem Arme eine Mappe, die er, sobald er in’s Zimmer getreten war, ohne Weiteres auf meinen Schreibtisch warf. Er begann eine lange und ziemlich verworrene Rede, die gegen die Niederträchtigkeit der Menschheit gerichtet war. Ich benutzte den Augenblick, in welchem er seinen verlorenen Athem suchte, um ihn zu fragen, warum er die Menschheit hasse und was ihn bewege, mich von dieser seiner unedlen Leidenschaft in Kenntniß zu setzen. Er erwiderte nichts, sondern öffnete die Mappe und zeigte mir eine Reihe langer Tabellen, auf denen Ziffern, Buchstaben und Sylben in den verschiedensten Farben zu sehen waren. Ich konnte nicht daraus klug werden und richtete einen fragenden Blick auf den Kleinen.

„Das sind die Grundzüge meiner Erfindung,“ antwortete er.

„Und Ihre Erfindung?“ fragte ich.

„Wenn Sie die Tabellen genau betrachten,“ sagte er, „werden Sie finden, daß ich das große Problem einer Universalsprache auf’s Glücklichste gelöst habe. Was Niemandem vor mir gelungen, habe ich durch dreißigjährige Anstrengung zu Stande gebracht. Hier,“ rief er, auf die Tabellen deutend, „ruht die Zukunft der Menschheit. Aber sie ist meiner Anstrengung nicht werth!“

„Und warum nicht?“ fragte ich.

„Seit fünf Jahren,“ erwiderte er, „habe ich bei allen Buchhändlern, bei allen Buchdruckern angeklopft; aber Keiner will mein Werk verlegen; Keiner will es drucken.“

Ich gab ihm zu verstehen, daß ich weder Drucker, noch Verleger sei und daher sein unsterbliches Werk nicht der Oeffentlichkeit übergeben könne.

Er sprach nun wieder eine Weile laut und heftig, und der langen Rede kurzer Sinn war, daß ich mich an die großen Capitalisten wenden solle, um die zum Druck nöthige Summe aufzutreiben.

„Mein Herr,“ sagte ich, „den großen Capitalisten ist Ihre Erfindung höchst gleichgültig, da dieselben längst eine Universalsprache besitzen. Ein Goldstück ist ein wohlklingendes Wort, das man in allen Ländern versteht; ein Hundertfranken-Billet ist dem Deutschen wie dem Spanier, dem Russen wie dem Türken gleich verständlich; eine Banknote von tausend Franken ist eine prachtvolle Phrase, mit der man in aller Herren Ländern seine Wünsche leicht ausdrücken und befriedigen kann, und tausend solcher Tausend-Franken-Banknoten bilden ein kostbares Wörterbuch, durch welches dem Besitzer alle philologischen Studien höchst überflüssig werden.“

„Sie spotten meiner!“ rief der Kleine mit einen stechenden Blick.

„Durchaus nicht! Aber ich bin überzeugt, daß Sie von dieser Seite nichts zu hoffen haben.“

Der Erfinder klappte zornig seine Mappe zu, schob dieselbe heftig unter den Arm, und als er an der Thür war, rief er: „Ich habe mich auch in Ihnen getäuscht. Sie sind nicht besser als die Anderen. Aber wenn sich auch Neid und Mißgunst gegen mich verschwören, ich werde doch endlich durchdringen.“

Mit diesen Worten eilte er davon.

Das Sonderbarste an diesem Erfinder einer Universalsprache war, daß er in seiner Muttersprache die abscheulichsten grammatikalischen Schnitzer machte.

Ein anderer Landsmann, der seit Jahren in Paris keuchend dem Glücke nachjagte, ohne es zu erhaschen, besucht mich eines [870] Tages mit der Versicherung, daß er endlich auf dem Wege sei, steinreich zu werden. Er hatte von dem Manne gehört, der durch die Erfindung der bekannten, mit Wasserstoff gefüllten Kinderballons in wenigen Monaten ein bedeutendes Vermögen gewonnen; der schnell erworbene Reichthum desselben ließ meinen Landsmann nicht mehr ruhig schlafen, und er behauptete, endlich ein Kinderspielzeug erfunden zu haben, das sich eines noch viel glänzenderen Erfolges erfreuen werde. Dasselbe bestehe aus einer Blase mit einer eigenthümlichen Vorrichtung, die, selbst von den schwächsten Kinderfingern berührt, eine angenehme Musik hören lasse.

„An dieser Erfindung sind Millionen zu verdienen,“ versicherte er wie alle Erfinder. „Es handelt sich nur darum, dieselbe zu empfehlen und die Capitalien für den Betrieb herbeizuschaffen.“

Ich mußte ihm das Versprechen geben, ihn am folgenden Tage zu besuchen und mir die Vorrichtung zu besehen. Der Mann wohnte in einer entfernten Straße im Faubourg St. Antoine. Als ich die Thür seines Zimmers öffnete, prallte ich halb ohnmächtig zurück. Er hatte nämlich in diesem Zimmer unzählige Hunde-, Katzen-, Kälber- und Schweineblasen aufgehängt, die eine wahrhaft pestilentialische Ausdünstung verbreiteten.

„Treten Sie nur näher,“ bat er mich.

„Zeigen Sie mir die Vorrichtung!“ rief ich ärgerlich. „Zeigen Sie mir die Musik!“

Er holte nun, während ich mich auf dem dunkeln Hausflur hielt, seinen musikalischen Apparat herbei und ließ ihn vor meinen Ohren laut werden. Der Apparat schnarrte ein paar Secunden wie eine reißende Kette in einem Uhrgehäuse.

„Aber warum haben Sie denn so dringend meinen Besuch verlangt?“ fragte ich unwillig.

„Damit Sie meine Arbeiten in Augenschein nehmen und mir für meine Erfindung einen wohlklingenden griechischen Namen suchen.“

Wüthend stürzte ich von dannen und wünschte den Erfinder zu allen Teufeln. Aber noch heute bereue ich meinen Zorn. Der Unglückliche starb nämlich einige Monate darauf in Folge namenloser Entbehrungen und der ekelhaften erstickenden Dünste der bereits erwähnten diversen Blasen.

Indessen giebt es doch Manche, die einen glücklichen Einfall praktisch auszuführen wissen und zu Vermögen kommen, wie folgendes Beispiel beweist.

Vor einer Reihe von Jahren machte ich in einem Pariser Kaffeehause die Bekanntschaft eines Deutschen, eines Rheinländers, wenn ich mich recht erinnere. Er war ein großgewachsener, stattlicher, sorgfältig gekleideter Mann mit heiteren, einnehmenden Zügen. Unsere Unterhaltung drehte sich fast ausschließlich um die in Paris lebenden Deutschen und das traurige Schicksal, dem so Viele derselben unterliegen.

„Davon weiß ich auch was zu erzählen,“ begann er. „Ich hatte es hier durch unsägliche Anstrengungen zu etwas gebracht, verlor aber durch widerwärtige Umstände nach und nach Alles, was ich besessen. Ich kämpfte die härtesten Kämpfe, ich ertrug die unbeschreiblichsten Drangsale, um wieder empor zu kommen. Vergebens! Alles verschwor sich gegen meine Bemühungen, und ich gerieth endlich in solch bittere Noth, daß ich derselben durch Selbstmord ein Ende machen wollte. In dieser entsetzlichen Stimmung ging ich durch die Galerieen des Palais-Royal, wo ich als geübter Kenner die verschiedenen ausgestellten Luxusgegenstände betrachtete. Vor einem Bijouterieladen fesselten mich besonders die geschmackvollen Goldarbeiten und unter diesen einige Armbänder. Da blitzt mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Bis jetzt, sagte ich mir, macht man Bracelets, die entweder zu weit oder zu eng sind, die entweder zu sehr oder zu wenig schließen, so daß der Käufer, der einer Dame eine Ueberraschung mit einem solchen Schmuck machen will, nicht weiß, ob derselbe auch passen wird. Ich sann einige Tage nach und erfand die elastischen Armbänder, die sich den Gelenken leicht anschmiegen, bald allgemeine Aufnahme fanden und mich zum wohlhäbigen Manne machten.“

„Die Erfindung ist ziemlich einfach,“ bemerkte ich.

„Und dieser Einfachheit verdanke ich den Erfolg,“ sagte Jener. „Nichts ist thörichter als jene Erfinder, die sich mit einer fixen Idee herumtragen und in den Besitz von Millionen zu kommen hoffen. Diese Leute sind wahrlich kaum vernünftiger als ein Mensch, der sich fest vornähme, das große Loos zu gewinnen. Aber sie lassen sich durch keine Vernunftgründe von ihrer fixen Idee abbringen. Sie werden vielmehr von derselben immer stärker beherrscht und nicht Wenige von ihnen enden in der Irrenanstalt ihr jämmerliches Dasein.“

Wie oft dachte ich an die Worte des wackern Mannes! Jeder Erfinder glaubt an seine Erfindung wie an ein Evangelium und hegt die unerschütterlichste Ueberzeugung, daß sich Derjenige gegen ihn verschwört, der ihn auf die Schwächen und Mängel derselben aufmerksam macht. Und bei dieser Gelegenheit sei auch eines Erfinders gedacht, der an Tüchtigkeit alle seine Collegen übertrifft, die ich kennen gelernt. Ich werde den ersten Besuch, mit dem er mich beehrte, niemals vergessen. Es war an einem Decembertage, der sich nicht viel von einer Decembernacht unterschied, so dicht lag der Nebel auf der Erde. Ich war in meine Arbeit vertieft, als ich plötzlich durch einen heftigen Ruck an der Schelle aufgeschreckt werde. Ich öffne die Thür und sehe einen Mann vor mir, der auf der Schulter eine in Zitzkattun gewickelte Last trägt und in der rechten Hand das abgerissene Band meines Schellenzuges hält.

„Sie entschuldigen,“ sagte er, indem er mir das Schellenband überreichte, „ich habe etwas zu stark angezogen. Der Schaden läßt sich indessen leicht ausbessern.“

Ich glaubte, er hätte sich in der Thür geirrt; er nannte jedoch meinen Namen, und um mir nicht den Schnupfen zu holen, ließ ich ihn eintreten.

Er hob nun die Last von den Schultern, stellte dieselbe höchst vorsichtig auf einen Stuhl, zog die zitzkattunene Umhüllung hinweg, und was sah ich? – Das Modell einer Windmühle!

„Das ist ja eine Windmühle!“ rief ich äußerst verwundert und verdrießlich zugleich.

„Sie haben sich nicht getäuscht,“ erwiderte er lebhaft. „Da sind Millionen zu verdienen.“

Und nun entwickelte er ein seltenes oratorisches Talent und suchte mir zu beweisen, daß seine Erfindung die wunderbarste aller Erfindungen sei, daß die nach seinem System erbauten Windmühlen in einer gegebenen Zeit wenigstens sechsmal so viel mahlen würden, als die nach dem bisherigen System erbauten; und damit ich an seiner Behauptung nicht zweifelte, zog er mit einem Schlüssel die Mühle auf, und die Flügel setzten sich allsogleich in Bewegung. Mir ward es ganz schwindelig im Kopfe. Umsonst machte ich ihm zu wiederholten Malen die Bemerkung, daß ich weder Ingenieur, noch Müller sei, daß ich also nichts vom Mühlenbau verstehe und mir folglich über seine Erfindung kein Urtheil erlauben dürfe. Er setzte meiner wiederholten Bemerkung immer die Behauptung entgegen, sein System sei so einfach, daß ein Kind es begreifen könne, und ließ dabei die Flügel immer stärker sausen.

Erst nach einer langen qualvollen Stunde zog er seiner Windmühle den zitzkattunenen Mantel wieder an und ließ mich in dumpfer Betäubung zurück.

Jetzt brach der deutsch-französische Krieg aus, der mich zehn Monate von Paris entfernt hielt. Als ich Anfangs Juni, unmittelbar nach der Besiegung der Commune, wieder nach der Hauptstadt Frankreichs zurückkehrte, sah ich, über den Bastillenplatz fahrend, den Windmühlenmann nach der Rue St. Antoine einbiegen. Ach, schon am folgenden Tage erhielt ich seinen Besuch! Er hatte mich ankommen sehen und sich vorgenommen, mich mit seiner Gegenwart zu erfreuen. Ich hörte nun von ihm, daß er während der Belagerung sowohl, als auch unter der Herrschaft der Commune unangefochten in Paris zugebracht. Wie man sich leicht denken kann, frug ich ihn sogleich, wie es ihm während dieser furchtbaren Zeit ergangen; allein er beantwortete meine Fragen nicht, sondern sprach nur von seiner Erfindung, und seine Ueberzeugung, bald in den Millionärstand zu treten, war unerschütterlicher als jemals. Die Ereignisse, die ganz Europa mit Angst und Grauen erfüllt, deren Augenzeuge er gewesen und unter denen er, wie ich an seinem abgemagerten Körper sah, nicht wenig gelitten, beschäftigten weder seinen Geist, noch seine Einbildungskraft.

Ich könnte ein Buch füllen, wollte ich alle die Lächerlichkeiten und Thorheiten aufzählen, mit denen mich die in Paris sich herumtreibenden Erfinder heimsuchten. Ehe ich indessen diese [871] Skizze schließe, muß ich noch eines andern Deutschen, eines gutmüthigen Oesterreichers, erwähnen, der, sonst ein vernünftiger, liebenswürdiger Mann, von der Erfindungsmanie besessen ist. Seit ich ihn kenne, hat er wenigstens zwei Dutzend verschiedener Erfindungen gemacht, von denen ihm jede durchschnittlich eine halbe Million einbringen sollte. So oft er mich besucht, zeigt er mir an, daß er mit einer vortrefflichen Erfindung niedergekommen, welche, wenn sie ausgewachsen, die Welt in Erstaunen setzen würde. So will er eine Feuerspritze erfunden haben, der, wie er versichert, auch die gewaltigste Feuersbrunst nicht widerstehen könne. Er sprach mir auch schon von einer vervollkommneten Rechenmaschine, von einem vervollkommneten Kochapparat und einer vervollkommneten Schnellpresse, und eines Morgens brachte er mir freudestrahlenden Angesichts die Nachricht, daß ihm nach vielem Nachdenken eine Erfindung gelungen sei, die von den unberechenbarsten günstigen Folgen für Handel und Gewerbe sein würde.

„Schon wieder eine Erfindung?“ rief ich.

„Ja, die Erfindung der Luftannoncen!“ rief er vergnügt und suchte mir zu erklären, daß er es durch allerlei optische Pfiffe und Kniffe fertig bringe, nach eingetretener Abenddämmerung alle beliebigen Anzeigen in der Luft wiederzuspiegeln. „Das Publicum,“ fuhr er fort, „wird dieselben den ganzen Abend bis Mitternacht in der Luft sehen und sie fest dem Gedächtniß einprägen.“

„Ihre Erfindung ist vortrefflich,“ sagte ich; „sie hat indessen doch einen Haken. Denken Sie sich das Publicum auf den Boulevards spazierend und die Anzeigen zwischen Himmel und Erde betrachtend, würde die Menge nicht aneinander rennen, die Füße sich gegenseitig zertreten und die Nasen sich einschlagen?“

„Die Sache ist sehr ernst und Sie spaßen,“ sagte er.

„Durchaus nicht!“ versicherte ich. „Erwägen Sie auch, daß, während das Publicum Ihre Luftreclamen liest, das unzählige Diebsgesindel, das sich in den Straßen herumtreibt, die Gelegenheit benutzen wird, die langen Finger auf Entdeckungsreisen in fremde Taschen zu schicken und dort ungestört erkleckliche Beute zu machen.“

„Aber man wird auch unter den Annoncen die Warnung vor Taschendieben in der Luft lesen,“ entgegnete er mit triumphirender Miene.

Diesen sonst so gutmüthigen und sanften Mann sah ich vor Kurzem in glühendem Zorn. „Alle Hauseigenthümer sind Spitzbuben!“ rief er, als er mir auf der Straße begegnete.

„Das behaupten fast alle Leute, die nicht Hauseigenthümer sind,“ bemerkte ich.

„Hören Sie, was mir widerfährt,“ eiferte er, indem er mir in’s Palais-Royal folgte. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon mitgetheilt, daß ich die Lenkbarkeit der Luftballons erfunden habe. Um mich nun auf’s Unwiderlegbarste zu überzeugen, daß meine Ballons selbst gegen den heftigsten Wind fahren können, habe ich in die Wand, die mein Schlafzimmer von meinem Wohnzimmer trennt, ein Loch prakticirt, in dasselbe einen Blasbalg gethan und einen Burschen gemiethet, der diesen in Bewegung setzt. Ich habe auch die Freude zu sehen, daß mein Ballon, Dank meinem System, gegen den Wind fährt, der dem Blasbalg entströmt. Heute Morgen nun erhalte ich den Besuch des Hauseigenthümers, der mir sagt, meine Nachbarn beschweren sich, daß ich den ganzen Tag im Zimmer herum trampele; und als er den Ballon am Plafond und die Oeffnung in der Wand sieht, behauptet er, ich vertreibe ihm seine Miethsleute und durchlöchere sein Haus. Er hat mir sodann die Wohnung aufgekündigt und verlangt noch obendrein eine Entschädigung. Welch ein Schuft!“

Nur mit der größten Mühe gelang es mir, mich von ihm loszureißen.

Woher kommt es aber, daß just ich von den Erfindern geplagt werde? – Ganz einfach daher, weil sie wissen, daß ich die Ehre habe, an weitverbreiteten Zeitschriften, besonders an der Gartenlaube mitzuarbeiten, und die Hoffnung hegen, durch meine schwache Feder, die mich selbst nicht unsterblich macht, die Unsterblichkeit zu erlangen. Dies gehört ebenfalls zu den Täuschungen der. Erfinder, und sie ist gewiß nicht eine der geringsten.