Pariser Bilder und Geschichten/Die pariser Polizei

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Autor: unbekannt
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Titel: Die pariser Polizei
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 110–111
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Pariser Bilder und Geschichten.

Die pariser Polizei.

Eine wunderbare Gewalt, heilsam und gefährlich, nothwendig und mißbraucht; eine Schlange die lauert und ein Löwe der ausfällt, ein Drachen der verschlingt, ein Riese der erdrückt; tausendarmig, tausendäugig wie die Ungeheuer Briaräus und Argus, wie sie die griechische Phantasie erfunden und dargestellt. Das und noch mehr ist die pariser Polizei.

Ihre Einrichtungen haben sich durch Jahrhunderte nach Bedürfniß und Erfahrung ausgebildet und erweitert, ihre Verzweigungen und Abtheilungen sind endlos, wie die Laster, Uebelstände, Auskunftsmittel und Auswege von Paris, das sie fortwährend in Athem erhält, ihr vollauf zu thun giebt. Sie ist furchtbar die pariser Polizei; sie muß überall hin eingreifen; denn der Franzose erträgt nicht nur die Einmischung der Polizei in seine Lebensverhältnisse, sondern er verlangt sie; sein unstätes regelloses Wesen, die Haltlosigkeit seines Charakters, die wilde zügellose Hingebung an den ausschweifenden Drang des Augenblicks, die kein Gebot des Anstandes, kein Gesetz der Würde berücksichtigt, erheischen eine polizeiliche Beaufsichtigung. Ich zweifle, daß man sich in St. Petersburg so ausgedehnte Funktionen der Polizei gefallen ließe, wie in Paris. Auf jedem öffentlichen Balle hier, sieht man Polizeidiener in ihrer Uniform, auf die Anordnung der Reihen, was bei uns dem Tanzmeister überlassen bleibt, kraft ihres[WS 1] Amtes einwirken. Nicht davon zu reden, daß sie mit Strenge über die gebührende Züchtigkeit der Damen und Herren beim Tanze wachen und die Uebertretung dieser Regel mit einer handgreiflichen brutalen Entfernung des sich Vergehenden, ohne Rücksicht auf Geschlecht und Stand bestrafen, was nicht etwa zu den seltenen Vorkommnissen gehört. Die Franzosen sind polizeilich so gut geschult, daß selbst Soldaten in Uniform, wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen, sich diese Behandlung öffentlich gefallen lassen.

Die Gegenstände, welche die pariser Polizei zu überwachen theils verpflichtet ist, theils sich herausnimmt, sind kaum zu zählen. Sie regelt die Bewegung auf den Straßen, sie führt über öffentliche Reinlichkeit und Moralität die Aufsicht. sie prüft die zum Verkauf dargebotenen Nahrungsmittel, um für die Gesundheit der Käufer zu sorgen, welche die pariser Gewinnsucht nicht besonders zu berücksichtigen sich sonst geneigt fühlte. In Theatern und auf öffentlichen Plätzen, überall wo Schaulust oder irgend eine Unterhaltung eine Anzahl von Menschen versammelt, waltet die Polizei. Sie macht sogar die Eintracht im Innern der Familie zum Gegenstand ihrer Ueberwachung und schreitet ein, wo sich die Natur und das Gefühl der Pflicht ohnmächtig erweisen. Sie richtet zwischen Vater und Sohn, zwischen Mann und Frau, sie regelt Alles. Was sie jedoch am meisten beschäftigt und ermüdet, ist die Politik.

Zunächst sorgt sie für die Sicherheit der Person des jeweiligen Staatsoberhauptes. Pietri oder wer sonst den Posten des Polizeipräfekten einnimmt, muß Richtung und Ziel jeder Fahrt, jedes Ganges des Kaisers wissen, um für dessen Wohlergehen, insofern es von äußern abzuwehrenden Unfällen bedroht sein könnte, zu bürgen. Es ist eine Thatsache, daß der seither bei Seite geschobene Polizeiminister Maupas dem jetzigen Kaiser Napoleon, der es sich aus Vergeßlichkeit oder Muthwillen beikommen ließ, bei Gelegenheit einer Spazierfahrt von der vorherbestimmten Richtung abzuweichen, dieserwegen die lebhaftesten Vorstellungen machte, indem er sich auf seine Verantwortlichkeit berief, der durch solche Unvorsicht Werth und Grundlage genommen würden.

Es giebt kein Haus in Paris, wo die Polizei, wenn nicht ihre Hand, gewiß ihr Ohr hat. Hier ist es ein Diener, dort ein Stubenmädchen, bald ein vornehmer Herr, bald eine schöne Frau und sicherlich fast überall der Thürsteher, der im Dienste und im Solde der Polizei steht. Wie unter Louis Philipp der Vertraute und Leibdiener der Herzogin von Berry, der ehrenfeste Deutz, für eine Million Franken von der Polizei des Herrn Thiers gekauft war, so hat die pariser Polizei bei jeder irgendwie einflußreichen Persönlichkeit, bei allen Körperschaften ihre Organe, vermittelst deren sie häufig in das Geheimniß des vertrautesten Verkehrs eindringt, und oft von den verborgensten Familienangelegenheiten Kenntniß erlangt.

Man möchte sagen, daß der Polizeipräfect Alles weiß, was In Paris geschieht, was man in Parts denkt, fühlt und beabsichtigt. Herr Pietri, oder wer immer seine Stelle bekleidet, könnte noch andere Geheimnisse von Paris, als Eugen Sue, schreiben. Wenn sie auch vielleicht nicht so gut dargestellt wären, so wären sie jedenfalls um Vieles wahrer.

Der Polizeipräfect hält derart die Fäden des pariser Lebens in Händen, daß er nicht nur anziehen, sondern auch loslassen, nicht nur Ausbrüche unterdrücken, sondern auch hervorbringen kann. Und diese zweite Maßregel ist in der letzten Zeit nicht selten zum Vortheil der Regierung in Anwendung gebracht worden.

Carlier, ein ehemaliger Polizeipräfect unter Louis Napoleon, äußerte: „Wenn ich im Jahre 1848 unter Louis Philipp das wichtige Amt eines Präfecten bekleidet hätte, so würde ich ganz einfach von meinen Leuten als Arbeiter verkleidet einige Läden mit dem Rufe: Es lebe der Communismus! haben plündern lassen und ich hätte sehen mögen, was die pariser Nationalgarde für ein Gesicht geschnitten hätte. Ich wette eine Krone gegen eine Jakobinermütze, daß der Julithron wäre gerettet gewesen.“ Ich weiß nicht, ob Herr Carlier sich nicht zu viel zugemuthet, denn es kommen allerdings Momente, da all die Fäden, noch so fest gehalten in den Händen, dieser furchtbaren Gewalt zerreißen.

Wie weit die Kenntniß des Präfecten der kleinen und großen Vorgänge in der Hauptstadt reicht, ist kaum zu glauben.

Wenn irgend ein ansehnlicher Mann sich in eine Liebschaft einläßt, die noch ängstlich das Licht scheut und flieht, so weiß es Herr Pietri.

Wenn irgend eine reiche Wittwe die Fehltritte ihrer feurigen Jugend nun, da sie vorüber ist, bereuend, ihre Seele der Frömmigkeit und ihr Vermögen in der Person eines frommen Beichtvaters der Kirche anheimstellt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn irgend eine reiche Erbin Herz und Eigenthum zum Aerger eines huldigenden Vetters und seiner hoffnungsvollen Aeltern einem Abenteurer von zweifelhafter Abkunft und Stellung schenkt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn ein verschwenderischer, ungerathener Sohn an den günstigen Verhältnissen seiner arbeitsamen, sparsamen Aeltern rüttelt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn ein Arbeiter seine Frau prügelt und diese bereit ist, sich für die Mißhandlungen zu rächen, so weiß es Herr Pietri etc. etc.

Mit der Kenntniß so vieler Schwächen und Schäden der Gesellschaft, wie sollte die Polizei nicht Alles über sie vermögen, sie nicht lenken und im Zaum halten können!

Aus all diesen Angaben, die nicht an der geringsten Uebertreibung leiden, erklärt sich die unendliche Bedeutung der Stellung eines Präfecten, der Alles für die Regierung, aber auch vorkommenden Falls Alles gegen sie zu thun vermag.

Vor Foucher, seinem Polizeipräfecten, zitterte der Kaiser Napoleon, seines Namens der Erste, und als er von Elba zurückkehrte, wagte er es nicht, den Einflußreichen, vielfach Eingeweihten, abzusetzen, ob ihm gleich dessen Abtrünnigkeit und Liebäugeln mit den Bourbons und ihrem Anhang kein Geheimniß blieb. Der Kaiser behielt sich die Bestrafung des doppelsinigen Präfecten [111] für die Zeit vor, da er von einer siegreichen Schlacht nach Paris zurückkehren würde. Dieser Moment trat nicht ein, und Foucher führte sein Werk im Interesse der legitimen Königsfamilie zu Ende. Foucher war für Napoleon I. ein zweites Waterloo. Seine Verrätherei wurde, wie dies gewöhnlich der Fall, von denjenigen bestraft, zu deren Gunsten er verrathen. Die Bourbons gelangten auf den Thron von Frankreich und Foucher starb in der Verbannung.

Die pariser Polizei hat auch, wunderbar zu sagen, ihre Märtyrer! Es sind dies die geheimen Diener niedern Soldes, welche unter dem Namen „Mouchards“ bekannt sind, sich so zu sagen mit all ihrer Zeit und all ihren Kräften verdungen haben, sich zu Allem dem Gefährlichsten und Mühseligsten gebrauchen lassen, jede Verkleidung annehmen, jede Rolle spielen müssen. Das sind diejenigen, durch die Herr Carlier die Läden hätte erbrechen lassen, ob sie gleich gewiß als Opfer dieses Unternehmens gefallen wären. In dem Hofe der Präfektur werden oft von diesen Leuten tragikomische Scenen abgespielt, von denen ich eine treu und wahrhaft schildern will. Sie spielte zu jener Zeit, da Louis Napoleon sich zum Kaiser hatte ernennen lassen und seinen Einzug in Paris hielt.

Der Polizei fiel die Ausgabe zu, nicht nur die Beleuchtung der Häuser des Abends, Triumphbogen und andere Huldigungszeichen, sondern auch lebhaften Zuruf der Massen zu bewirken. Bei erstern Anordnungen hatte mann mit solchen Individuen zu thun, die kaum anders als der Aufforderung zu willfahren vermochten; was Anderes war es mit den Massen, die keine Gewalt zum Schreien zwingen konnte. Die Polizei griff zu dem hergebrachten Mittel, sie schickte zahllose Mouchards in den verschiedensten Verkleidungen mit der gemessenen Weisung aus, daß sie durch ihr Beispiel wirkten und den lauten Zuruf der Menge gewissermaßen erzeugten. Dieser Kunstgriff ward aus dem Theater auf die Straßen verpflanzt. Man könnte diese Herren sehr gut „politische Claqeurs[WS 2]“ nennen.

Der Erfolg dieses Manövers entsprach nicht den Erwartungen des neuen Hofes und die Bestürzung der Würdenträger fiel zunächst vorwurfsvoll auf den Chef der Polizei, von dem aus der Ausdruck der Unzufriedenheit auf der eingerichteten Stufenleiter bis zu dem dienstthuenden Kommissar hinabstieg, der unmittelbar über die ausgesandten Mouchards gesetzt war.

Verdrießlich und mürrisch wartete der Vorgesetzte in dem weiten Hofe auf die zurückkehrenden Untergebenen, um gegen sie den erhaltenen Tadel los zu lassen. Diese kamen nun, nachdem der Durchzug des Kaisers beendet war, theils einzeln, theils in kleinen Gruppen, theils als Arbeiter in Blousen, theils als Bürger, theils sogar als vornehme Herren mit Orden der Ehrenlegion gekleidet, ermüdet und abgeschlagen, um Rechenschaft von ihrem Wirken abzulegen und zu ihrer natürlichen Gestalt zurückzukehren. Nun ergab sich folgendes Gespräch zwischen dem Commissär und den Mouchards.

Commissär (mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen). „Ihr habt Eure Sachen schlecht gemacht. Man ist sehr unzufrieden mit Euch.“

Ein Alter (im schwarzen Frack und mit dem Orden der Ehrenlegion, mit heiserer Stimme). „Herr Commissär, hören Sie mich sprechen und urtheilen Sie, ob ich meine Pflicht gethan. Ich habe mich buchstäblich heiser geschrieen. Ist es meine Schuld, daß mich die verfluchten Kerls von Zuschauern allein schreien ließen und daß kein Ton aus ihnen herauszubekommen war, wie ich es auch anstellte? Die Leute guckten mich spöttisch an und lächelten, indem sie meinen Orden betrachteten. Hätte ich mich nicht vor Schlägen gefürchtet, die mir gewiß nicht entgangen wären, ich hätte den Schlingeln die ärgsten Grobheiten gesagt. Ein junger Mann, der neben mir stand, frug mich sogar in einen scheinbar ehrlichen ernsthaften Tone, welchen Verdienste ich die Auszeichnung an meiner Brust verdankte, worauf die Umstehenden mit einem schallenden Gelächter antworteten. Ich diene dem Staate schon dreißig Jahre; ich habe schon manche schlechten Tage erlebt. Aber so wie heute ist mir’s noch niemals ergangen.“

Commissär. „Sie haben es gerade schlecht getroffen.“

„Ja. schlecht getroffen!“ rief ein baumstarker Kerl mit breiten Schultern in einer Blouse, indem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Glauben Sie, Herr Commissär, daß ich minder gut meinen Dienst verstehe, als der alte Barel, dem ich gewiß nicht nahe treten will? Ich habe für Zehne geschrieen, und hatte meinen Platz so gewählt, daß ich unter lauter Arbeiter zu stehen kam. was half’s, kein Einziger folgte meinem Beispiel. Vor mir stand ein Gassenjunge, und da ich gar nicht wußte, was anzufangen, forderte ich den Balg barsch auf zu schreien; doch, was geschieht? Der Junge sieht mich an und lacht. Sie schreien ja selbst genug, giebt er mir frech zur Antwort. – Was wollen Sie thun? Ich konnte ihn nicht bei den Ohren nehmen, sonst wäre es mir schlecht ergangen. Wenn Sie das unsere Sache schlecht machen heißen, so ist es besser ich lege mein Amt nieder.“

Commissär. „Wir wissen recht gut, Breloche, daß wir auf Sie zählen können.“ Noch andere wollten sprechen, allein der Commissär winkte ihnen zu schweigen; notirte etwas auf ein Blatt Papier und entfernte sich.

Bisweilen geschieht es, daß sich so ein Mouchard mit einem ansehnlichen Gefangenen einsperren lassen und die Strafe der Haft theilen muß, um sich auf diese Weise in das Vertrauen des Genossen einzuschleichen und über dessen Gesinnung der Regierung Bericht abstatten zu können.

In ihrer wirklich nützlichen, der Gesellschaft heilsamen Anwendung, leistet die pariser Polizei Außerordentliches. Und nur ein pariser Dieb oder Betrüger kann es unternehmen die pariser Polizei hintergehen, ihren ausgespannten Netzen entgehen zu wollen. Die Beamten sind unermüdlich, sie arbeiten, forschen, durchstöbern alle Herbergen des Elends und Verbrechens mit Aufopferung und setzen sich unerschrocken oft den größten Gefahren aus. Ohne ihre außerordentliche Thätigkeit würden tausend von Verbrechen mehr begangen werden. Es ist wunderbar, mit welchem Scharfblick ein Commissar oder selbst der untergeordnete Polizist den Spitzbuben unter jeder Maske erkennt.

Der Kaiser hat nach dem Beispiel der unmittelbar vorhergehenden Könige, seine Privatpolizei. Dieses wichtige Ant ist einem vornehmen Manne von einschmeichelndem Aeußern anvertraut, der nur persönlich unter vier Augen mit dem Staatsoberhaupte verkehrt und dem die Aufgabe gestellt ist, die höchsten Behörden und Würdenträger, Minister, Staatsräthe und Diplomaten und den Polizeipräfekten selbst zu überwachen. Er lebt auf dem größten Fuß, verschwendet unendlich viel Geld und hat in allen Kreisen, ohne Unterschied der politischen Farbe, Zutritt. – Scheinbar ohne jeden andern Einfluß, als den, den Reichthum verleiht, ist er die wichtigste Person nach dem Kaiser.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: seines
  2. Vorlage: Claquers