Zum Inhalt springen

Pariser Bilder und Geschichten/George Sand

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: George Sand
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 490–492
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[490]
Pariser Bilder und Geschichten.
George Sand.

Sehen Sie, das ist sie! Jene Frau dort, mit den dunklen großen Augen, mit dem bleichen trauernden Gesicht, so schlicht und natürlich, so viel Ernst und Ruhe im ganzen Wesen, das ist sie, die George Sand, die größte Schriftstellerin unserer Zeit, die sogenannte Emancipirte, vor der in Deutschland die zimperlichen Damen ein Kreuz schlagen. Von ihr will ich Ihnen erzählen!

Sie stammt aus königlichem Geblüte. Ihr Ahnherr ist August II. von Polen. Aus seiner Verbindung mit der reizenden Gräfin von Königsmark erwuchs der berühmte Moritz von Sachsen, einer der bedeutendsten Feldherren seiner Zeit, der französische Dienste nahm und im Jahre 1736 zum Lohn für seine Thaten gegen Deutschland den Marschallstab erhielt. Er verliebte sich in eine berühmte Schauspielerin jener Zeit, heirathete sie trotz aller Einwendungen seiner Familie sowohl als seiner Freunde und Beschützer, und diese gebar ihm eine Tochter, Maria Aurora, die sich um 1739 mit dem angesehenen schwedischen Grafen Arvid Bernhard von Horn verehelichte. Nach drei Jahren aber schon Wittwe, zog sie sich zu den Frauen des Abbaye-aux-Bois zurück, wo sie durch ihren ausgezeichneten Geist und ihre Anmuth einen kleinen Hof um sich bildete. Der Generalpächter, Herr Dupin, suchte ihre Gunst und gewann ihr Herz und ihre Hand. Ein Sohn, der aus dieser Ehe entsprossen, Maurice Dupin, der sich im Jahre 1793 als Freiwilliger anwerben ließ und unter dem Kaiserreich bis zum Grade eines Obersten stieg, war der Vater der berühmten Dichterin, die im Jahre 1805 zur Welt kam und ursprünglich Maria Amantina Aurora Dupin geheißen ward. Er starb an einem Sturz vom Pferde.

Sie wurde von ihrer Großmutter auf dem Schlosse Nohant, in einem der reizendsten Thäler von Berri gelegen, erzogen, und als diese starb, ward die kleine Aurora in das Kloster der „Engländerinnen“ in Paris gegeben, damit ihre Erziehung daselbst vollendet werde.

[491] In einem Alter von siebenzehn Jahren, ohne alle Erfahrung, ohne alle Kenntniß der Welt und des Lebens, ward sie mit dem ergrauten Landwirth, dem Baron von Dudevant, vermählt, dem sie 500,000 Franken als Mitgift zubrachte. Die unglückselige Ehe mit dem alten, wenig zarten, dem Landbau und der Viehzucht allein zugewendeten Baron gab der edlen Frau für ihr ganzes Leben Schmerz und Kampf, der vielleicht der Welt die große Dichterin, gewiß aber ihren Werken jenes Gepräge und jene Richtung gegeben, die so viel Mißdeutungen und Anfechtungen, freilich auch Bewunderung und Vergötterung gefunden. Da sie das Leben in der Nähe ihres Gatten nicht ertragen konnte, entfloh sie, ihm ihr Vermögen und ihre beiden Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, zurücklassend, und nichts weiter als eine tiefe, brennende Wunde mit sich nehmend. Sie ging nach Paris, bezog dort eine kleine Dachstube auf dem Quai St. Michel, und da sie keine Mittel hatte, ihr Leben zu fristen, versuchte sie anfangs durch Malen das Nothwendige zu gewinnen, und als dieses nicht gelang, vertauschte sie den Pinsel mit der Feder. Herr Latouche, der Redakteur des „Figaro“, druckte ihre ersten Artikel. Darauf schrieb sie gemeinschaftlich mit Jules Sandeau, ihrem intimsten Freunde in Paris einen Roman: Rose und Blanche oder die Schauspielerin und die Nonne. Auf die Empfehlung des Herrn Latouche zahlte ihnen ein alter Buchhändler 400 Franken für das Manuskript. „Indiana“ war der erste Roman der George Sand; er wurde mit 600 Franken von Herrn Roret honorirt und hatte einen außerordenlichen Erfolg. Um diese Zeit nahm George Sand Männerkleider, nicht im Entferntesten aus Emancipationsgelüsten, wie allgemein verbreitet ist, sondern um mit ihrem Freund Sandeau ungestört umherstreifen und wohlfeiler in’s Theater gehen zu können. Auf Indiana folgten andere Erzählungen, welche in Kurzem Weltberühmtheit erlangten.

George Sand kam in Mode, die Pariser, von der Neuheit der Erscheinung und von dem Glanze dieses künstlerischen Talentes angezogen, suchten die Dichterin huldigend auf und drängten sich um sie. Aber je größer die Erfolge von der einen, desto heftiger, desto unerbittlicher die Angriffe, die Verfolgungen von der andern Seite. Weil sie die geistigen and materiellen Conflicte in der Ehe, weil sie die Mißbräuche schilderte, welche mit dieser heiligen Einrichtung getrieben werden, weil sie die Entwürdigung derselben durch Beimischung gemeiner Elemente, die ihr ferne bleiben sollten, schilderte, und auf Läuterung derselben drang, warfen ihr die Tartüffes aller Länder, welche sich den Anschein sittlicher Entrüstung geben wollten, vor, daß sie auf Abschaffung der Ehe, auf Zerstörung der Familie hinarbeiten wolle. Sie hat am Besten durch die That diese fanatischen, unhaltbaren Anklagen widerlegt. Durch einen gewonnenen Prozeß gegen den Baron von Dudevant in den Besitz ihres Vermögens und ihrer Kinder gelangt, hat sie stets mit diesen und für diese gelebt. Sie hat ihre Tochter an einen achtbaren Mann verheirathet, der sie fort und fort alle möglichen Opfer bringt, und von der sie Undank als Bezahlung empfängt. Sie ist bemüht, ihren Sohn auf eine würdige Weise zu verehelichen, und welches Ziel sie bei diesem Streben vor Augen hat, mag ein Zug andeuten, der das ganze Wesen der Dichterin so wie die Feindseligkeiten gegen sie charakterisirt.

Sie hat eine Cousine, die Frau eines armen Schneiders, Namens Brault. Madame Adele Brault hat eine Tochter, in welcher die Dichterin eine anziehende Persönlichkeit liebgewann. Sie nahm das Mädchen zu sich auf ihr Schloß Nohant, um sie geistig und physisch zu pflegen. Gewiß ein menschenfreundliches Werk, das bessern Dank verdient hätte, als es gefunden.

Sie schrieb, nachdem sich das Mädchen einige Zeit bei ihr aufgehaltnn, diesen authentischen Brief an Madame Brault.

„Theuere Adele! Unser liebes Kind befindet sich außerordentlich wohl, und vergnügt sich wie ein Kind, das Ferien hat. Ich bin ihr dabei auf’s Beste behülflich. Wir jagen umher wie die Zigeuner. Ich bewirthe sie mit guter Luft, mit gesunder Kost und gutem Weine, kurz, ich glaube, daß sie sich’s gar nicht besser wünschen kann, als ihr der gegenwärtige Augenblick bietet, und ich möchte ihr diesen immer verlängern. Wie fange ich dieses an. Ich bin sehr in Verlegenheit. Wenn Moritz [1] nur etwas älter wäre, könnte ich hoffen, sie zu verheirathen, und dieses ist mein sehnlicher Wunsch. Sie hat Alles für sich: Schönheit, Güte, Jugend, Offenheit, Adel und Einfachheit des Gemüths. Ich weiß wohl, daß sie Moritz entzückend findet, und daß er sie zärtlich liebt. Allein er fühlt es wohl, daß diese Liebe für’s ganze Leben dauern oder unterdrückt werden müsse; und wenn er sich zu ihr hingezogen fühlt, geschieht es wie zu einer Schwester, so lange er sich nicht von einer ältern Leidenschaft in seinem jungen Herzen geheilt fühlt. Er sprach mit mir, er sagte mir, daß er nur für Ein Weib Liebe fühle, die ich kenne und die ihm nie gehören kann. Seine Liebe ist unglücklich, voll Entsagung und dazu alljährlich durch lange Trennung geschwächt. Ich halte sie keineswegs für unverwüstlich. Handelte es sich blos um flüchtige Liebe zu Augustinen, so bin ich gewiß, daß diese erfolgen würde. Ich habe ihm jedoch erklärt, was ich von ihm erwarte. Daß er sie nämlich heirathe, wenn er sie ernstlich liebt, daß er sich aber hüte, sie nur zur Hälfte zu lieben. Als ich diese Unterhaltung mit ihm hatte, war er eben aus Paris gekommen, und hatte das Herz noch voll von dem Bilde, das er kürzlich gesehen. Wie ich es erwartet, konnte ich mit seiner ehrenhaften Gesinnung zufrieden sein; allein er wies ängstlich den Gedanken an eine eheliche Verbindung zurück. Seit jener Zeit war er nicht mehr so traurig und gequält, als er jedes Jahr gewesen, wenn er sich von Frau * * * trennte. Er ist im Gegentheil von unbegränzter Lustigkeit und lacht mit Augustinen und seiner Schwester von Morgen bis Abend. Ich bemerke wohl, daß die alte Leidenschaft nicht allzu heftig ist, und daß er sie wird vergessen können.

„Das reicht jedoch nicht hin, meine Theuere, es ist der Entschluß erforderlich, in das ernste Leben zu treten, sich entschieden auszusprechen, um seinen Vater zu einer Einwilligung zu bewegen, die nicht ohne Schwierigkeit erzielt werden wird. Denn der Vater hängt am Gelde und würde eine Heirath aus Neigung tadeln. Es sind endlich Geschmack am Ehestande und der Vorsatz unbedingter Treue erforderlich, die man bei einem Manne von zweiundzwanzig Jahren kaum findet, es wäre denn im Falle übermäßiger Leidenschaft. Das sind wohl hinreichende Hindernisse, welche besiegt werden müssen. Doch sehe ich in alle Dem nichts Unüberwindliches, nichts Verzweifeltes. Moritz hat im Grunde einen geordneten friedlichen Charakter, er hat nicht im Mindesten Hang zu Prunk und Ausschweifung. Er hat nie eine Thorheit begangen und wird es wohl auch nicht; es wäre denn, daß er gänzlich umschlägt. Er liebt über Alles, die Familie und das Familienleben. Er hat für seine friedliche Häuslichkeit, eben so wie für seine Mutter eine ruhige, aber dauernde Anhänglichkeit. Wie ein wahres Weib liebt er Kinder. Er ist von glücklichem, gleichmäßigem, besonnenem und zugleich heiterm Naturell, welches ihn gewiß nicht zu stürmischen Liebschaften nach Außen treiben wird. Er ist nirgends glücklicher als zu Hause bei der Arbeit, bei zurückgezogener, regelmäßiger Beschäftigung. Dieses glückliche Temperament läßt vorhersagen, daß er in Augustinen Alles, was er an Sanftmuth, Heiterkeit und Einfachheit wünschen kann, finden muß. Ich sehe klar, ich beobachte und erkenne, daß sie das Weib ist, welches ihm in jeder Hinsicht entspricht, weil sie mäßig und bescheiden erzogen, für stilles Glück nicht abgestumpft ist, und keine Laune haben wird.
G. Sand.“ 

Dieses vertrauliche Schreiben an eine Verwandte, dem man es wegen der Nachlässigkeit des Styls sowohl, als wegen des bürgerlichen alltäglichen Tones auf den ersten Blick ansieht, daß bei dessen Abfassung nicht an die Oeffentlichkeit gedacht wurde, beweist besser als jeder Anwalt, als jede Zeugenschaft, mit welcher frommen Scheu und Ehrfurcht George Sand die Ehe, die Familie betrachtet. Der Schneider Brault bildete dennoch aus diesen schönen ehrwürdigen Gedanken der Dichterin eine Anklage gegen sie. Der gute Kleiderkünstler begriff all die Bedenklichkeiten der verschrienen Frau nicht nur, er deutete die ungewöhnliche Anschauungsweise zum Schlimmen.

„Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen!“ sagt unser Schiller. Nie hat sich diese traurige Wahrheit mehr bestätigt, als an der französischen Dichterin.

George Sand hat sich vor Jahren aus der pariser Verwirrung, von der ihre kräftige Natur unbeschädigt geblieben, auf ihr Schloß Nohant in eine Art von Einsamkeit zurückgezogen, wo sie der Familie, der Kunst, den Freunden, den Hülfsbedürftigen auf Meilen in der Runde lebt. Von ihrer Gastfreundschaft kann man sich kaum einen Begriff machen. Jeder der nach Nohant kommt, ist an ihren Tisch geladen. Ihre Wohlthätigkeit ist ohne Grenzen. Die Unglücklichen von Berri wissen davon zu erzählen. Sie [492] pflegt der Kranken, sie verbindet Wunden mit eigener Hand und läßt sich von dem Ekel nicht abhalten, der viele Andere zurückstoßen würde.

Sie hat 43,000 Franken Renten und gewinnt beträchtliche Summen mit der Feder. Ihre Memoiren, deren Veröffentlichung in der Presse bevorsteht, wurden ihr für 130,000 Franken abgekauft, dennoch las ich in einem Brief an eine Freundin: „Ich möchte gerne nach Paris kommen, wo ich Mancherlei zu ordnen hätte, allein ich habe keinen Sous.“ Und sie lebt sehr einfach, ohne allen Prunk, fast bürgerlich.

Wenn sie ausgeht und nach ihrer Gewohnheit umherstreift, erheitern sich die Gesichter der Leute, die ihr begegnen, fast Jeder hat ihr etwazu verdanken. „Die Blinden kennen ihren Schritt.“ Greise and Kinder lächeln ihr entgegen.

Sie liebt enge trauliche Kreise und ist, wenn sie nach Paris kommt, nicht zu bewegen, glänzende Gesellschaften zu besuchen. Ein Grund hiervon ist auch der, daß sie sich nicht entschließen will, einige Stunden das Rauchen zu entbehren, das ihr noch vom Quai St. Michel her ein Bedürfniß geworden. Sie trägt immer in einer Tasche Tabak bei sich, aus dem sie sich selbst Cigarretten fertigt. Sie raucht den ganzen Tag mit wenig Unterbrechung. Sie ist nun 49 Jahr alt und hat in der letzten Zeit an Beleibtheit zugenommen. Sie ist aber noch immer eine anziehende stattliche Erscheinung. Auf ihrem edeln Angesichte ist es zu lesen, daß viele Stürme über dieses Weib dahingebraust, daß sie aber nicht vermocht, diese männliche Seele zu erschüttern. Sie ist evangelisch gut und fromm geblieben, trotz der Bitterkeiten, die ihr Leben und Schicksal reichlich kredenzt. Ihre Züge verrathen Festigkeit des Willens und Kraft. In ihrem dunkeln Auge lodern Begeisterung und Leidenschaft und spiegelt sich zugleich die Milde ab. Sie spricht wenig und meist nur von ernsten, wichtigen Dingen. Das Plaudern der Franzosen, bis zur Kunst ausgebildet, ist nicht ihre Sache. Doch hört sie wohlwollend dergleichen Gesprächen zu und freut sich an den Uebungen des Witzes; sie lächelt duldsam über jeden Bonmot. Wenn aber höhere menschliche Interessen, Kunst, Wissenschaft und Politik zur Sprache kommen, dann spricht sie mit und da geschieht es bisweilen, daß ihre Lippen von Beredtsamkeit überströmen. Aus ihrem Auge leuchtet dann der Fanatismus der Wahrheit. In ihrem Benehmen ist sie schlicht und wirklich bescheiden, von ungekünstelter Natürlichkeit zum Unterschied von den meisten pariser Berühmtheiten, die nichts ohne Absicht thun oder unterlassen, von jedem Wort, von jeder Bewegung wie Schauspieler im Voraus den Effekt berechnen. Ihre Kleidung ist geschmackvoll, meist dunkel, von anmuthiger Nachlässigkeit. Daran erkennt man sogleich die Frau von guter Gesellschaft und Bildung, der die Form viel, aber nicht Alles gilt.

In dem Schlosse Nohant herrscht ein schönes, heiteres, thätiges Leben, man findet da viel Vergnügen und viel geistige Anregung. Zahlreiche Gäste gehen ein und aus, Fremde und Einheimische. Man trifft öfters unbemittelte Bauern neben eleganten Parisern an dem Tische der Dichterin sitzen. Eine seltsame Mischung, der es nicht an Eigenthümlichkeit fehlt. Der Ton ist ungezwungen, doch fein und im höchsten Grade geziemend. George Sand wirkt bildend und erhebend auf ihre Umgebung und man möchte auf sie die herrlichen Verse Goethe’s anwenden:

„Weit hinter ihr im wesenlosen Scheine
Liegt, was uns alle bändigt: das Gemeine.“

Ein größerer Saal des Schlosses ist in ein Theater umgewandelt, wo die Stücke der Dichterin, bevor sie vor dem Lampenlicht zu Paris erscheinen, von den Hausfreunden aufgeführt werden, und in welchen die Dichterin selbst häufig mitspielt. Bei diesen Vorstellungen, wenn sie öffentlich, was meist am Sonntag der Fall ist, bilden die Landleute, freilich auch die Honoratioren der Umgegend, die Zuschauer. Auf diese Weise ist für Unterhaltung und Belehrung gesorgt. Die Dichterin hat Gelegenheit die Bühnenpraxis zu studiren, mit der sie sich trotz ihrer außerordentlichen Begabung noch immer nicht ganz zurecht finden kann. „François de Champis“ und „Claudie“ sind bis jetzt unter den vielen ihre einzig gelungenen Theaterstücke.

George Sand ist von anhaltender Thätigkeit; sie arbeitet ununterbrochen und gönnt sich nur wenig Erholung. Sie schläft höchstens 5 bis 6 Stunden. Um 11 Uhr morgens versammelt der Ton einer Glocke alle Bewohner des Schlosses zum Frühstück. Die Schloßfrau erscheint meist erst, wenn das Mahl zur Hälfte eingenommen ist. Während ihrer Abwesenheit macht ihr Sohn den Gästen die Honneurs. Sie reicht Jedem, wenn sie in den Speisesaal kommt, die Hand und küßt mit mütterlicher Zärtlichkeit ihren Sohn. Die Tafel bietet Ueberfluß, die Küche ist vorzüglich. Nach dem Frühstück lustwandelt Madame Sand gewöhnlich am Arme Einer ihrer Gäste im Park umher, eine besondere Vorliebe hegt sie für ein kleines Gehölz, das auf eine weitausgedehnte Wiese führt. Bei dieser Gelegenheit pflegt sie über Botanik, ihrer Lieblingswissenschaft, abzuhandeln. Durch die besondere Weise, wie sie die Pflanzenwelt auffaßt und darstellt, gewährt sie den Zuhörern stets Vergnügen. Nachdem sie sich eine halbe Stunde diese Erholung gegönnt, kehrt sie zu ihrer Arbeit zurück und überläßt es jedem sich nach Belieben zu beschäftigen. Die wohlversehene Bibliothek steht Jedem zur Verfügung. Um 6 Uhr Abends wird das Mittagsmahl eingenommen. Alles erscheint, wie die Hausfrau selbst sorgfältiger gekleidet, ohne daß man deshalb minder ungezwungen und frei sich bewegte. Es giebt keine andere Begrenzung der Freiheit für Jeden, als die Schicklichkeit. Weiß man doch wie schonend, duldsam und nachsichtig, wie hoch über nichtige Förmlichkeiten erhaben die Gebieterin des Schlosses, wie verhaßt ihr jede Tyrannei im Kleinen wie im Großen sei. Nach dem Mittagessen wird wieder ein Spaziergang in das Gehölz gemacht, man erzählt, man singt, man stellt allerlei anmuthige Leibesübungen an. Ist das Wetter ungünstig, so versammelt sich die Gesellschaft zu munterem Verkehr im Salon. Und Frau Sand, die ehemalige Freundin und Schülerin Lißt’s und Chopin’s improvisirt entweder auf dem Clavier oder spielt Stücke von Mozart, ihrem Lieblingscompositeur. Bisweilen legt sie die neuesten Produkte ihrer Feder vor, was stets mit Dank und Freude hingenommen wird. Man kann sich kaum einen Begriff von den zarten Berührungen der Leute unter einander im Schlosse Nohant machen. Jedes Wort, jeder Zug dieses Kreises zeigt von Bildung und Takt. Richtiges Gefühl und feiner Anstand herrschte immer vor. Man merkt es, daß hier ein großer edler Geist seinen Einfluß übt. So waltet George Sand in ihrem Hause.

George Sand hält unendlich viel auf ihre Freunde und hängt unlösbar fest an ihnen. Sie giebt Keinen auf. Man weiß, daß die Dichterin auch Opfer zu bringen vermag, wenn es die Freundschaft erheischt.

Als Herr Miot, vom Berge, Einer in der gesetzgebenden Versammlung, im Jahre 1851 nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember auf der Liste der zu Deportirenden erschien, gerieth George Sand außer sich vor Schmerz, denn Herr Miot zählte zu ihren Freunden. Sie wollte, sie mußte ihn retten. Sie war ehemals, da er unglücklich und hoffnungslos zu Boulogne verhaftet gewesen, mit Louis Napoleon, dem jetzigen Kaiser der Franzosen, befreundet. Theils durch sein traurig Schicksal, theils durch die von ihm öffentlich bekannten Grundsätze gewonnen, hatte sie ihn öfters in seinem traurigen Aufenthalt besucht, um ihn zu trösten. Zwischen dem glücklichen Präsidenten und der Dichterin hatte sich eine Kluft geöffnet, welche durch die Ereignisse des Dezember bis zur Unendlichkeit erweitert wurde. Aber George Sand trug kein Bedenken diese Kluft zu überspringen, da es sich um Leben und Tod für ihren Freund handelte. Sie schrieb von Nohant an den damaligen Präsidenten, Louis Napoleon, und bat um eine Audienz. Allein der Präsidentenstuhl, der bereits die Formen eines Thrones anzunehmen begann, war von einer siegreichen und doch ängstlichen Partei, wie von einer Mauer umstellt, durch die der Brief der entfernten Dichterin nicht zu dringen vermochte. Sie erhielt keine Antwort und eilte nach Paris, um ihrem Schreiben und sich selbst einen Weg zu dem Herrn über das Schicksal Frankreichs und ihres Freundes zu bahnen. Durch ihre Verbindungen gelang es ihr. Louis Napoleon empfing die ehemalige Freundin mit aller Rücksicht und Zuvorkommenheit, die ihrem Geschlechte und ihrem Talente gebühren. Und kaum hatte sie die Bitte ausgesprochen, als er in ihrer Gegenwart den Gnadenakt für den Gerichteten ausfertigte, ihr vorlas und an das Ministerium des Innern zur schleunigen Ausführung sandte.

Auch diesem Schritt der Güte und Menschenfreundlichkeit sollte es an Anfechtungen, diesmal nicht von den Feinden, sondern von den Freunden der Dichterin, nicht fehlen. Man machte ihr zum Vorwurf, daß sie einen Menschen höher achte, als ihr Prinzip. Als man ihr diese Anklage mittheilte, gab sie zur Antwort: Mir ist der Mensch oberstes Prinzip.


  1. So ist der Name ihres Sohnes.