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Pariser Bilder und Geschichten/Industrielle Ausbeutung der Thierwelt in Paris

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Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten – Industrielle Ausbeutung der Thierwelt in Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 216–218
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Bilder und Geschichten.
Industrielle Ausbeutung der Thierwelt in Paris.
Von Ludwig Kalisch.

Man hat schon so viel über die menschliche Bevölkerung von Paris gesprochen! Ich will es versuchen, von dem Loos der Thiere in der Hauptstadt Frankreichs zu sprechen. Dieses Loos ist für die meisten derselben durchaus kein freundliches. Soll ich mit den Pferden beginnen? Für diese war Paris von jeher eine Hölle und wird gewiß auch künftig eine Hölle bleiben. Es hat sich an ihrem Schicksal nur das geändert, daß jetzt eine gewisse Anzahl von ihnen nach einem mehr oder minder mühseligen Lebenslauf verspeist wird. Sie haben ebenso wenig wie die Menschen durch diese gastronomische Neuerung gewonnen. Seit die Hippophagie ihre eifrigen Anhänger gefunden und sich mehrere Pferdemetzger in der Hauptstadt etablirt haben, schwebt mancher Pariser in steter Angst, den lebensmüden Droschkengaul, der ihn heute nach dem Bastillenplatz schleppt, vielleicht schon morgen im Magen herumschleppen zu müssen. Was treibt der Mensch in Paris nicht Alles, um essen zu können, und was wird in Paris nicht Alles gegessen! Wer übrigens einen Begriff von abgelebten, abgequälten Pferden haben will, der gehe an einem Sonnabend auf den Pariser Pferdemarkt. Es ist nicht selten, dort ein Pferd für zehn Franken verkauft zu sehen, und es ist möglich, daß der Käufer seine Voreiligkeit bereut. Nirgendwo in der Welt wird dem armen Pferde so viel zugemuthet wie in Paris.

Die Esel werden gleichfalls zu Zwecken der Küche verwendet. Aus ihrem Fleisch werden nämlich Würste fabricirt. Besonders lecker soll ihr Gehirn sein, woraus zu ersehen ist, daß in den Eselsköpfen mehr steckt, als sich die Philosophie träumen läßt. Eine bedeutende Rolle spielen in Paris die Eselinnen, deren Milch in gewissen Krankheiten so heilsam wirkt. Jeden Morgen sieht man diese munteren Thiere mit kleinen Glocken am Halse heerdenweise durch die verschiedenen Stadtviertel traben und vor den Häusern halten, wo ihre strotzenden Euter dem Siechen wohlthätigen Trank spenden. Trotzdem, daß die Eselinnen vor den Hausthüren gemolken werden, ist man doch nicht immer sicher, die Milch unverfälscht zu erhalten. Die melkende Person nämlich hat wohl zuweilen eine kleine mit einem Röhrchen versehene Wasserflasche im Aermel versteckt und läßt während des Melkens eine gute Dosis Wasser aus dem Röhrchen in die Milch träufeln.

Nicht blos wegen ihrer kostbaren Milch, sondern auch zum Theil als Zugthiere werden die Ziegen gehalten. In den elysäischen Feldern ziehen sie zu vieren und in glänzendem Geschirr an Kinderkutschen gespannt die frohen Kleinen und werfen bei schönem Wetter den Eigenthümern einen hübschen Gewinn ab, denn der Platz, kostet zehn Sous für eine Fahrt von einigen Minuten. Wie von den Menschen, verlangt man in Paris auch von den Thieren die möglichste Vielseitigkeit. Da ich von den Ziegen spreche, muß ich auch des Ziegenhirten Jacques Simon erwähnen, der seine aus zweiundfünfzig wohlgenährten Individuen bestehende Heerde dicht hinter dem Collège de France im — fünften Stocke weidete. Der Leser lache nicht; was ich behaupte, ist [217] buchstäblich wahr. Jacques Simon war als sechszehnjähriger Knabe nach Paris gekommen, hatte anfangs als Maurergehiilfe sich durchgeschlagen, wurde später Ausläufer bei einem Bankier, las viele Schäferromane, träumte von Menalkas, Tityrus, Damötus, Mopsus, Alphesiböus, Daphne, Chloe, Phyllis und wie sonst die Helden und Heldinnen heißen, die seit Theokrit und Virgil bis auf Geßner und Florian in allen Idyllen auftreten, und führte eines Tages eine Chloris heim, deren Augen sein Herz entzündet hatten. Nach zehn Monaten kam seine Gattin mit Zwillingen in die Wochen. Das war kein doppeltes Glück, sondern ein zweifaches Unglück, da Simon viel Mühe hatte, sich und sein Weib zu ernähren. Ein härterer Schlag sollte ihn ein Jahr später treffen. Die fruchtbare, ich hätte fast gesagt: die furchtbare Frau Simon wurde nämlich von Drillingen entbunden. Die Wöchnerin und die Kleinen waren sehr schwach, und da der Arzt den Genuß von Ziegenmilch anrieth, machten die Frauen aus der Nachbarschaft der armen Familie zwei Ziegen zum Geschenke.

Die Mutter starb jedoch bald mit den drei Neugeborenen und ließ Jacques Simon mit den Zwillingen und dem Ziegenpaar zurück. Simon miethete einen Speicher, wo er die Ziegen unterbrachte, deren Milch nun die Damen aus dem Stadtviertel abkauften. Die Zunahme seiner Kundschaft erforderte eine Ausdehnung seines Geschäfts. Sobald er nun eine genügende Summe zurückgelegt hatte, schaffte er sich eine neue Ziege an, bis er nach und nach eine vollständige Heerde auf dem Speicher hatte. Jeden Tag trieb er, als Schäfer gekleidet, seine Lieblinge aus, von denen jede ihren eigenen Namen trug. Seit einiger Zeit ist er und das Haus und die Straße verschwunden. Die Nachbarschaft wird aber nicht sobald den harmlosen Mann und seine Heerde vergessen, die jeden Tag fünf Treppen herabsteigen mußte, um frische Luft zu schöpfen. –

Ebenso ist Hunden und Katzen ein wichtiger Platz im Pariser Thierleben zugetheilt. Die ersteren sind in allen Racen und Spielarten vertreten. Besonders reich ist Paris an Luxushunden, und ich sah vor Kurzem auf dem Schooß einer Dame ein Havaneserhündchen, für das man ihr zweitausend Franken geboten hat. Die unnützen Bestien werden immer am theuersten bezahlt. Wie die Pferde werden auch die Hunde auf einem Markte, der sich auf dem Boulevard de l’Hôpital befindet, zum Verkauf ausgestellt. Dieser Markt wird auch wohl von vornehmen Damen besucht. Eine ganz eigenthümliche Industrie macht den Pariser Hundebesitzern viel Sorge. Nirgendwo nämlich ist die Hundedieberei so systematisch ausgebildet, wie in der Hauptstadt Frankreichs. Die Hundediebe bedienen sich zur Ausführung ihrer sträflichen Absichten eines unfehlbaren Mittels. In einem Zwerchsack, den sie auf dem Boden nachschleichen lassen, haben sie gewisse Substanzen versteckt, deren Geruch jeden Hund unwiderstehlich anzieht. Das Thier folgt dem Verführer, der, an einem einsamen Ort angelangt, es, wenn es zur ordinären Race gehört, sogleich abmurkst, wenn es aber ein Luxushund ist, lebend in den Zwerchsack steckt. Das Fett des getödteten Hundes wandert in die Fabrik, wo es in Thierschwärze verwandelt wird; was den Luxushund betrifft, so späht der Dieb im Stadtviertel herum, wo er den Diebstahl begangen, und sobald er an einer Ecke einen Zettel gewahrt, der in großen Buchstaben eine Belohnung dem redlichen Finder des verlorenen und genau signalisirten Hundes verheißt, übergiebt er das vierfüßige Corpus delicti einem seiner Freunde und Mitstrebenden, der sich beim Eigenthümer als redlicher Finder einstellt, die Belohnung in Empfang nimmt und mit dem Diebe theilt.

Die Katze ist das Lieblingsthier der Pariser. Die Pariser Katzen gehören fast sämmtlich der Angorarace an, sind von außerordentlicher Größe und nehmen sich mit ihrem langen seidigen Haar sehr stattlich aus. Sie sind auch viel sanfter als die deutschen Katzen und fehlen in keinem Pariser Hause. Man findet selten eine Concierge-Loge, die nicht eines dieser Thiere beherbergte. Sie werden ungemein verhätschelt, sind aber doch nicht sicher, eines natürlichen Todes zu sterben. Wenn die Nacht mit ihrem Sternenmantel die Erde umhüllt, lauert auf sie der schnödeste Verrath. Gar mancher hoffnungsvoller Kater verläßt die angenehme Zimmerwärme, um ein Schäferstündchen zu feiern, zahlt aber seinen kurzen Liebeswahn mit seinem Leben. Es giebt nämlich in Paris Individiuen, die von der Katzenjagd leben. Jeden Abend gehen sie, von einem zu dieser Jagd wohlabgerichteten Hunde begleitet, durch vereinsamte Straßen, und wo sich eine Katze blicken läßt, wandert sie schnell in’s Jenseits. Ihr Fell wird dem Kürschner verkauft; die anderen sterblichen Ueberreste werden zu irgend einem Speisewirth im Faubourg getragen, der sie seinen Gästen in einer unbeschreiblichen, reich mit Zwiebeln versehenen Sauce als Kaninchen vorsetzt. Sind denn aber die Kunden so leichtgläubig? Giebt es Niemanden unter ihnen, der trotz der unerforschlichen Sauce und der heuchlerischen Zwiebeln unwiderlegbarere Beweise als die Versicherung des Wirthes begehrt, daß ihm ein wirkliches Kaninchen vorgesetzt wird? Freilich giebt es solche Skeptiker, aber auch diese werden hinters Licht geführt und zwar auf folgende Weise. Der Katzenjäger, der mit den Fellen seiner Erschlagenen handelt, treibt auch einen Handel mit Kaninchenfellen. Er bezahlt dieselben den Köchinnen seines Stadttheils etwas theuerer, unter der Bedingung jedoch, daß sie mit den Fellen ihm auch die Kaninchenköpfe zuschicken. Diese Kaninchenköpfe spazieren zugleich mit den Katzenleibern zum Speisewirth. Jede Katze wird dann mit einem Kaninchenkopf servirt, so daß selbst der ungläubigste Consument anbeißt. Gewiß ist es schon vorgekommen, daß ein armer Teufel, der das plötzliche Verschwinden seiner Katze betrauerte, ohne es zu ahnen, mit den Ueberresten der theuren Freundin seinen Hunger stillte. Schmeckt denn aber Katzenfleisch wie Kaninchenfleisch? Naive Frage! Hat noch kein Heuchler durch süße Redensarten Dein Herz betrogen? hat noch kein Redner, kein Schriftsteller durch künstlich zugespitzte Sophismen Deinen Geist berückt? Nichts sieht der Wahrheit ähnlicher, als die Lüge. Wäre das nicht der Fall, so würde diese gewiß nicht jener so oft den Rang streitig machen. Wie das Herz und den Geist, kann man auch den Magen leicht hintergehen, wenn man sich einigermaßen geschickt anstellt. Wie in der Literatur, ist auch in der Küche nichts verrätherischer, als eine scharf gewürzte Sauce.

Die zahlreichsten, wenn auch sicherlich nicht die beliebtesten Thiere in Paris sind die Ratten. Sie stecken in allen Gossenrinnen und es bleibt kaum ein Haus von ihnen verschont. Sobald die Nacht gekommen, huschen sie zu Tausenden aus ihren Schlupfwinkeln und suchen ihre Nahrung auf den Kehrichthaufen und unter den Abfällen vor den Hausthüren. Bei diesen Ausflügen büßt gar manches dieser Thiere das Leben ein, denn die Pariser machen beständig Jagd auf die widerwärtigen Nager. Aber trotz aller Verfolgungen durch Feuer und Wasser, durch Hunde, Gift, Fallen und Knüttel, vermehren sich dieselben so sehr, daß ein ausgerottetes Thier bald durch mehrere ersetzt wird. Nun, die Ratte wird ebenfalls von der Industrie ausgebeutet. Man erlegt sie nicht nur im Großen und verkauft ihre Felle, sondern sie werden auch gefangen und müssen sich zu wüthenden Kämpfen hergeben. Sehr wenige Leute wissen, daß, wie in London, auch in Paris Rattenkämpfe stattfinden. Es giebt nämlich Individuen, welche die eingefangenen Ratten nähren und dann mit einem paar Dutzend derselben und mit einigen abgerichteten Hunden sich zu den Liebhabern begeben, wo die Ratten freigelassen werden und gegen die Hunde den blutigen Strauß zu bestehen haben, der ihnen trotz ihrer heldenmüthigen Vertheidigung immer das Leben kostet. Gewöhnlich wird ein solches Schauspiel in den Ateliers der Thiermaler gegeben, und der Impresario der unglückseligen vierfüßigen Truppe reichlich belohnt. –

Sprechen wir jetzt von den Vögeln und beginnen wir mit dem Kanarienvogel, der ein Liebling der Pariser und besonders der Pariserin ist. Das Hagestolzenthum jeder Classe, namentlich der arbeitenden, sucht in diesem gefiederten Sänger einen angenehmen heiteren Gesellschafter. Wer in Paris ohne Familie lebt, fühlt sich hier mehr vereinsamt als – London etwa ausgenommen – irgendwo. Die Ouvrière, die im Dachkämmerchen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht arbeitet oder früh ausgeht und Abends in ihre enge, dunkle Zelle zurückkehrt, spart sich’s oft am Brod ab, um einen Kanarienvogel hegen zu können. Es giebt nicht nur Vogelhändler in allen Theilen der Weltstadt, sondern es befindet sich hier auch ein Vogelmarkt, der an Sonn- und Feiertagen sehr lebhaft besucht wird. Da werden nicht nur europäische, sondern auch tropische Vögel verkauft und getauscht. Die ärmere Classe begnügt sich mit Kanarienvögeln, Rothkehlchen, Hänflingen und was sonst um einen billigen Preis trillert und zwitschert. Man hat in Paris sogar mehrere Vogelerziehungsanstalten, wo vorzüglich Kanarienvögel trefflichen Gesangunterricht erhalten und es bei einigem Talent in kurzer Zeit weiter bringen, als die Zöglinge des Conservatoriums. Der Unterricht dauert etwa zwei Monate und kostet zehn Sous wöchentlich. [218] Diese Anstalten befinden sich in den Arbeitervierteln, wo die Vorliebe für Singvogel besonders stark ist.

Freilich nicht Jeder kann auf diese Vorliebe so viel Zeit und Kosten verwenden wie der vor einigen Jahren in Paris verstorbene Kämmerling Seiner Allergetreuesten Majestät des Königs von Portugal, Gama Machado, dessen Testament einen der merkwürdigsten Processe veranlaßte. Herr Machado hatte das Studium der Vögel zu seinem Lebenszwecke gemacht. Er beobachtete ihren Instinct, ihre Vervollkommnungsfähigkeit, ihre Eigenarten und unterhielt in seiner Wohnung auf dem Quai Voltaire unzählige Vögel aus allen Himmelsstrichen. Er schrieb einige ausgezeichnete Artikel über die zarten Geschöpfe und stand in beständigem Briefwechsel mit den berühmtesten Ornithologen, die von ihm mancherlei lernten und ihn deshalb sehr hoch schätzten. Man kann sich leicht denken, daß der Unterhalt dieser Thiere bedeutende Ausgaben verursachte, da jedes derselben einer besondern Pflege, einer eigenthümlichen Nahrung, einer ihm zusagenden Temperatur bedurfte. Sie verlangten auch einen großen Aufwand von Zeit und Mühe, und Herr Machado hätte gewiß seiner Lieblingsneigung entsagen müssen, wenn er nicht in seiner Haushälterin Elisabeth Perrot eine Gehülfin gefunden hätte, welche über vierzig Jahre unausgesetzt die zwitschernden, pfeifenden, plaudernden, kreischenden Zöglinge treulichst pflegte und dabei ihre Gesundheit opferte. An einem Junimorgen 1861 starb der Kammerherr. In seinem mit nicht weniger als dreiundsechszig Codicillen versehenen Testamente hinterließ er der genannten Haushälterin eine Jahresrente von dreißigtausend Franken mit der Verpflichtung, den hinterlassenen Vögeln die gewohnte Sorgfalt angedeihen zu lassen. Das Begräbniß des Kammerherrn war höchst sonderbar. Er hatte in seinem Testamente den Wunsch ausgesprochen, Punkt drei Uhr bestattet zu werden. Als sich nun um drei Uhr der Leichenzug in Bewegung setzte, hinter welchem, beiläufig gesagt, ein Lieblingsstaar des Verblichenen im Käfig nachgetragen wurde, kam eine dichte Schaar in tiefe Trauer gehüllter Leidtragender aus dem benachbarten Tuileriengarten herbeigeschwärmt. Es waren dies die Raben, denen Herr Machado gewöhnt war, täglich Punkt drei Uhr mehrere Schüsseln gehackten Fleisches vor seinem Fenster serviren zu lassen, und damit dieselben Zeugen seiner Bestattung seien, hatte er diese auf die genannte Stunde festgesetzt. Das Testament wurde nun von des Kammerherrn Verwandten angegriffen, welche die Pension von dreißigtausend Franken für die Pflege unvernünftiger Thiere übermäßig fanden. Das Tribunal entschied jedoch für die Aufrechthaltung des Testamentes. –

Die reiche und vornehme Classe kauft besonders Papageien. Dieselben werden, wenn sie gute Redner sind, sehr theuer bezahlt. Daß die Papageien ein sehr hohes Alter erreichen, ist bekannt. So erzählt Alexander von Humboldt, daß er in Südamerika einen sehr geschwätzigen Papagei gesehen, dessen Sprache kein Mensch mehr verstand, weil diese von einem Stamm gesprochen worden, der bereits von der Erde verschwunden war. Ich habe auf dem Pariser Vogelmarkt Papageien gesehen, an deren Geplauder man vergleichende Philologie studiren konnte. Ich bin sogar einem begegnet, der deutsch sprach. Er schien indessen keine sonderlich feine Erziehung genossen zu haben, denn er begrüßte Jeden, der sich seinem Käfig näherte, mit dem wenig schmeichelhaften Ruf: „Dummkopf! Esel!“ Als ich diese Heimathsklänge vernahm, bekam ich Heimweh. Die Papageien stoßen auch Namen von Männern und Frauen aus, die vielleicht schon vor mehreren Menschenaltern das Zeitliche gesegnet. Einige, die vieler Herren Länder gesehen, sprechen wohl mehrere Sprachen durcheinander. Solche Worte und Namen sind nicht immer eine Empfehlung. Als ich einst in Havre die Quais durchwanderte, sah ich vor einer Matrosenkneipe einen prachtvollen Papagei, der unter allerlei putzigen Bewegungen und Geberden beständig „0 Ciel!“ und „Mon Dieu!“ rief. Ein Matrose, der die Kneipe verließ, nahete sich dem Thiere und richtete an dasselbe mehrere Worte, die stark nach Schiffstheer rochen. Da trat die Wirthin heraus und wies den Matrosen mit der Bemerkung zurecht, daß der Papagei für ein Frauenkloster in Paris bestimmt sei; sie habe ihn deshalb nur fromme Worte ausstoßen gelehrt, man würde aber das Thier nicht kaufen, wenn es unanständige Ausdrücke hören ließe, und sie würde dadurch einen bedeutenden Verlust erleiden.

Ein sehr glückliches Leben führen die Vögel im Tuileriengarten. Die kleinen Rentiers, die jeden Tag so viel Stunden todtschlagen müssen, füttern dort die Spatzen und die Tauben. Letztere sind so gefräßig, daß oft Dutzende von ihnen durch Ueberfütterung am Schlagfluß sterben. Sonderbarer Tod in einer Stadt, wo Tausende der begabtesten Menschen unablässig schaffen und sorgen müssen, daß sie nicht durch das Gegentheil dem Tod in die Arme fallen!

Paris ist auch die Hochschule für Thiere aller Art. Es werden hier die verschiedensten Säugethiere, die verschiedensten Vögel zu Kunststücken abgerichtet. Die Hunde und unter ihnen die Pudel werden besonders zu Künstlern ausgebildet, aber auch Hasen und Kaninchen produciren auf öffentlichen Plätzen in den Arbeitervierteln ihre Talente. Von den gefiederten Thieren sind es die Finkenarten, die Kanarienvögel, die Stieglitze, die Dompfaffen, die ihre Geschicklichkeit bewundern lassen. Früher waren es alte Soldaten, die sich mit der Abrichtung von Thieren beschäftigten; jetzt wird diese brodlose Kunst in Paris viel weniger ausgeübt, da ein großer Theil der alten Straßen niedergerissen und in den neuen vornehmen Straßen die Bevölkerung nicht naiv genug ist, um sich an solchen Vorstellungen zu ergötzen.

Ich darf in dieser Skizze die Thiere im Pariser Pflanzengarten nicht vergessen. Obgleich diese keine andere Bestimmung haben, als im Dienste der Wissenschaft gefüttert zu werden, so ist ihr Loos doch keinesweges ein beneidenswerthes. Sie erhalten nicht nur ihre Nahrung auf Kosten ihrer Freiheit, sie sind noch obendrein so eng zusammengepfercht, daß sie bald hinsiechen. Die Stärke eines Löwen oder Tigers widersteht nicht lange der Gefangenschaft und keines der reißenden Thiere erreicht im Jardin des Plantes ein hohes Alter. Ihre Nahrung ist eben auch nicht sonderlich. Sie werden, nebenbei gesagt, zum Theil mit confiscirtem Fleisch genährt. Was nämlich auf den Pariser Fleischmärkten von der Pariser Polizei als untauglich befunden wird, schickt man sogleich nach dem Pflanzengarten. Die grasfressenden Thiere, besonders die Hirsch- und Gazellenarten, verkümmern bei dem ihnen so kärglich zugemessenen Raum noch schneller. Die Gazellen zumal, diese anmuthigsten aller Vierfüßler, erlahmen nach kurzer Zeit und schleppen sich mit verbogenen Beinen mühsam einher.

Auch der Affen muß ich hier erwähnen, für die einst Thiers im Pflanzengarten eigens einen aus Gußeisen bestehenden Rundbau errichten ließ, der unter dem Namen „Palais de singes“ (Affenpalast) sehr populär ist und vor welchem sich täglich Jung und Alt versammelt, um sich an Purzelbäumen der Vierhänder zu ergötzen, denen der Mensch so ähnlich sieht. Nach der Behauptung einiger Naturforscher stammt die Menschheit von den Affen ab. Adam und Eva sind Chimpanses gewesen, die im Paradiese lustig auf den Zweigen herumsprangen. Die heutigen Affen sind in der Cultur zurückgeblieben, während die Menschen rüstig fortgeschritten. So behaupten die Gelehrten; die Affen behaupten vielleicht das Gegentheil.

Neben dem Pflanzengarten ist auch der Acclimatisationsgarten zu nennen, der vor einigen Jahren von einer Privatgesellschaft in Boulogner Gehölz angelegt worden ist und von dem Pariser Publicum sowie von den Fremden sehr stark besucht wird. Dort befindet sich auch ein hübsches Aquarium, das indessen hinter dem vor Kurzem geschaffenen auf dem Boulevard Montmartre weit zurücksteht. Der Pariser, der kaum über das Weichbild der Stadt hinauskommt, kann nun in einem Glaskasten ein Stück Ocean und dessen vielbewegtes Thierleben anstaunen. Die Bewohner der Meerestiefen haben es sich gewiß nicht träumen lassen, daß sie einst in einer Pensionsanstalt auf den Boulevards vor einem sehr gemischten Publicum sich ihren Tafelfreuden hingeben würden. In diesem Aquarium werden besonders die Polypen, die seit Victor Hugo’s „Travailleurs de la mer“ die allgemeine Neugierde erregen, mit ganz besonderm Interesse betrachtet. Dieses ungeheuerliche Thier hat einen starken Appetit und scheut kein Mittel, um ihn zu befriedigen. Die Pariser sahen sogar jüngst zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß eines dieser Thiere seinen Genossen ohne alle Gemüthsbewegung verschluckte. Die Existenz der Meerbewohner erinnert die Pariser an ihre eigene Existenz. Paris ist ebenfalls ein Ocean, wo Jeder nur an sich denkt und der Selbsterhaltungstrieb oft unter den Allernächsten die zu verschlingenden Opfer sucht.