Pariser Weltausstellungs-Briefe

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Textdaten
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Autor: Michael Klapp
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Titel: Pariser Weltausstellungs-Briefe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, 27, 32, 36
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: zur Weltausstellung Paris 1867
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[382]
Pariser Weltausstellungs-Briefe.
Von Michael Klapp.[1]
1. Zum Eingang.

Vier Jahre werden es gerade in wenigen Tagen sein, daß ein kaiserliches Decret im Moniteur sprach: Es werde eine zweite Weltausstellung in Paris! Die Pariser waren überrascht, sie dachten an nichts weniger als an industrielle Weltfeste, sie dachten an ganz andere Dinge, die dem großen Manne in den Tuilerien nicht wenige Sorgen machten. Versprechungen mußten einmal gemacht sein und so versprach der Kaiser den Parisern für das Jahr 1867 zwar nicht die Freiheit, die sie meinen, aber die Freiheit, mit den weit von allen Meer- und Landwegen anströmenden Fremden machen zu können, was sie financiell nur immer wollten. Das war etwas, was sich immerhin hören ließ. Hinter den Tuilerien-Coulissen aber hatte man nebst der Freude der wirksamen Vertröstung der Pariser Kinder auf kommende fette Tage auch noch ein Extra-Vergnügen – man hatte Oesterreich einen kleinen Possen gespielt. In Wien hatten sie zur Zeit nämlich einen – Gedanken! Die Ausstellungslorbeeren von Paris und London sollten einmal auch für die schöne Donaustadt gepflückt werden. Der Kaiser Franz Joseph interessirte sich dafür, Schmerling und Rechberg [383] interessirten sich dafür, der Gemeinderath der Stadt Wien interessirte sich dafür. Und sie saßen so traulich beisammen und stritten um einen Platz für die vierte Weltausstellung. An’s Geld dachten sie Alle nicht, denn zu welcher Zeit hätte das in Oesterreich gefehlt? Es hat schon zu ganz andern Dingen, die das Fiasco mit in die Wiege gelegt bekommen, in Oesterreich an Geld nicht gefehlt und wird wieder nicht fehlen – dachte man mit Recht und stritt nur um den Platz. „Hie Exercirplatz!“ schrieen die Einen, „hie Prater!“ die Anderen, und als sie sich über den Prater zu einigen angefangen hatten, da lasen sie eines schönen Tages in der ersten Hälfte des Juni die Pariser Depesche, daß es dem „Herrn der Welt“ (Graf Bismarck war damals noch nicht Concurrent Napoleon’s des Dritten) gefallen, die nächste Weltausstellung in Paris bei sich zu Hause abzuhalten. Das arme Oesterreich! Nachdem man ihm die Lombardei genommen, nahm man ihm auch seine projectirte Weltausstellung! In den Tuilerien aber rieb man sich die Hände über das gespielte Prävenire. Man begann dort eben schon damals, an den kleinen Mitteln Gefallen zu finden, da die großen, um weiter an der Spitze der europäischen und mexicanischen Gesellschaft und Civilisation zu marschiren, gerade zu Ende gegangen waren. Von Mr. Rouher, der damals noch nicht Allgewaltiger von heute, sondern Minister der Agricultur war und also in seiner bescheidenen Stellung, die mit der „Krönung des Gebäudes“ noch nichts zu thun hatte, Zeit und Lust genug haben konnte, die neuen Napoleonischen Gedanken zu hegen und pflegen, kam der erste Rapport und alsbald tauchten auch die ersten Köpfe der Commission auf, die mit der Vollführung des kaiserlichen Gedankens belastet wurden. Wir können es den Männern glauben, es war eine Last und eine solche, die auch kaiserliche Huld und Gnade und schöne Aussichten auf Comthurkreuze und dergleichen nicht wesentlich zu erleichtern vermochten.

Schafft Platz und Geld! – hieß die kaiserliche Mahnung. Platz? Es hätte nur eines Winkes an Herrn Haußmann, den Seinepräfecten und Häuserzerstörer von Paris, bedurft, und Platz wäre gewesen, wo immer nur der Kaiser es wünschte; eines Winkes, und ganze Stadtviertel, und wären es selbst die erst von Herrn Haußmann neu errichteten, wären gefallen, um der neuen Weltausstellung Raum zu schaffen. Die Pariser können sich gratuliren, daß der Wink nicht gegeben wurde und daß vor den Augen des erleuchteten Franzosenkaisers zur rechten Zeit die große Einöde des Marsfeldes mit ihren riesigen, unwirthlichen Flächen aufgestiegen. Der Kaiser rettete, wie schon so oft, wieder einmal den Geist seiner Gesellschaft, er berief Räthe zusammen, denen er schließlich den besten Rath geben mußte. Aber Geld zu schaffen, konnte er diesen Räthen nicht erlassen, viel Geld! Die Nivellirung des wüsten Marsfeldes, dessen Gras gut genug war, um von den Rossen der Lanciers gebissen zu werden, auf dessen unebenen Bodenstücken nöthigenfalls Zuaven exerciren konnten, das aber lange kein Terrain zu dem großartigen Kampfspiele der Civilisation, das der Kaiser daselbst aufführen wollte, bot, die Nivellirung und Cultivirung dieses Marsfeldes mußte allein schon große Summen verschlingen. Und dann sollte Alles den Stempel des Kolossalen haben, die früheren, vorausgegangenen Weltausstellungen sollten der kommenden gegenüber zu kleinlichen Spielereien herabsinken, vor dem Plan schon sollten die Völker des Erdballs ehrfurchtsvoll in die Kniee sinken. Dazu gehörten große Summen. Die Weise, wie sie zu beschaffen, machte der Commission große Sorgen. Sie hatte überdies großes Pech. Sie verlor mit der Zeit Herrn Rouher, der das Agricultur-Portefeuille niederlegte, um die Cultur der Deputirtenkammer zu übernehmen, und wirthschaftete dafür Herrn Behic ein und dann verlor sie wieder den Prinzen Napoleon – sie verlor also zwei Mal ihren Kopf und bekam endlich definitiv dafür einen Ersatz in der Person eines Kindes, des „Kindes von Frankreich“. Mit einem solchen Oberhaupte oder besser gesagt Oberhäuptchen konnte man schon eher Dinge versuchen, die sonst nicht gegangen wären. Was konnte von Seiten der öffentlichen Meinung passiren? Höchstens könnte man sagen, Das und Jenes, was die kaiserliche Commission thäte, wäre kindisch! Dafür stand ja auch ein Kind an der Spitze.

Jahre vergingen unter den verschiedensten Hin- und Herberathungen, da endlich kam man zu folgendem Entschlusse: Das Geld für den Ausstellungsbau im Wege der Association zu beschaffen. Zwanzig Millionen Francs brauchte man: der Staat und die Stadt Paris sollten zusammen zwölf Millionen hergeben, die übrigen acht Millionen sollten durch speculative Capitalisten, Freunde eines guten Geschäfts, deren sich in Frankreich immer finden, aufgebracht werden. Und da steckt der wunde Fleck des großartigen Unternehmens, an dem von der einen Seite nicht gering zu rühmen, von der anderen Seite nicht genug zu tadeln ist. Zu einer Gabe von zwölf Millionen haben sich Staat und Hauptstadt bequemt und um acht Millionen willen, die man noch brauchte, hat man den ganzen schönen Nimbus der kaiserlichen Idee mit „kaufmännischer Hand“ zerstört und eine Societät von Weltausstellungs-Maklern geschaffen, der man sich mit Haut und Haar verschrieben und die nun nach ihren gewiß sehr mercantilisch reellen, aber für eine Weltausstellung gänzlich unpassenden Begriffen in den Palästen auf dem Marsfelde wirthschaftet und jede Zollbreite des Bodens in Geld verwandeln will, auf daß nur ja die Weltausstellung von 1867 ein „brillantes Geschäft“ werde. Und das um acht Millionen willen! War Herr Haußmann, der Mann, der so genial die künftigen Generationen von Paris, die heute noch gar nicht sind, schon mit erklecklichen Schulden belastet, wirklich in Verlegenheit, wie auch die acht Millionen noch im Namen der Stadt Paris zu verbüchern wären? Unglaublich für den Mann, der von sich sagen kann: „Paris c’est moi!“ Aber die Idee eines „guten Geschäfts“ stak in vielen Gliedern, und so kam die Convention zwischen dem Staat, der Stadt und der Commission, die im Namen der „Association unter Garantie der Regierung“, sprach, die noch gar nicht bestand, am 19. März 1865 zu Stande. Stadt und Staat versprachen zusammen zwölf Millionen, zahlbar in drei Raten (1865 drei Millionen, 1866 sechs Millionen und 1867 wieder drei Millionen), und für die fehlenden acht Millionen wurde die Subscription im April 1865 eröffnet. Da die Regierung auch noch die Garantie übernahm, so war es kein Wunder, daß schon Ende Juni 1865 eine Summe von zehn Millionen zweihundert siebenzigtausend Francs gezeichnet war. Nun war aber auch von dem Augenblick an das Schicksal der Weltausstellung, ein Schicksal, das sie in eine Reihe mit jeder anderen Actienunternehmung stellt, entschieden. Dahin war das welt- und culturhistorische Moment, die Bilanz war die Hauptsache!

Macht was ihr wollt, aber macht, daß Alles, was ihr macht, Geld, schönes Geld trägt! sagten die Capitalisten zu der kaiserlichen Commission und seit dem 1. April 1867, seitdem die Napoleonische Idee des „Noch nie Dagewesenen“ aller Welt offen steht zur Besichtigung, ist es mit jedem Tage deutlicher zu sehen, wie sehr die kais. Commission die Sache der Zehn-Millionen-Menschen zu der ihrigen gemacht hat. Welche Rechte hat man nicht diesen Zehn-Millionen-Männern eingeräumt! Welche Fülle von Monopolen sind ihrethalben geschaffen worden! Man konnte nicht genug erfinderisch sein nach dieser Richtung hin. Alle möglichen und unmöglichen Rechte wurden von der Commission zu Gunsten des Geschäftes verschachert. Ein hoher Pachtschilling wurde abgefordert und die Pächter von dem und jenem sind nun gezwungen sich an den unschuldigen Besuchern der Weltausstellung zu revanchiren. Die Commission will Geschäfte machen, die Association will Geschäfte machen, die Restaurations-, Café-, Buffet-, Brauereien-Pächter aller Nationen, die sich in der äußersten der Galerien des Weltpalastes zusammengefunden, wollen Geschäfte machen. Und deshalb wehe allen armen Menschenkindern, welche die große Idee des Kaisers voll kleiner und großer Wunder zum Marsfeld gezogen; man hat sich, wo und wie sie sich auch stellen oder setzen mögen, gegen sie verschworen. Ein großes Netz von Verpachtungen ist, ohne daß es der arme unschuldige Marsfeldbesucher weiß, über seinen Kopf zusammengezogen, man wartet nur, daß er hineingeräth. Sie haben Essen und Trinken verpachtet, gut. Sie haben jeden Stuhl, jedes Sitzplätzchen im riesigen Palaste, das den Leser einladen könnte, nach langen Wanderungen Platz zu nehmen, verpachtet, auch gut. Sie haben das Recht der Publication der Kataloge, die in der jetzigen Ausgabe nicht immer Verläßliches bieten, des Verkaufs von Zeitungen verpachtet, gut. Aber sie haben Gewaltmaßregeln ganz anderer Art gegen uns ersonnen; Verrichtungen, die uns Noth thun, lassen sie uns nur gegen Erlag von fünfzehn und fünfundzwanzig Centimes, je nach dem Grade jener Verrichtungen, thun. Man hat seinen Franc Eintrittsgeld erlegt und glaubt nun die Weltausstellung um diesen Preis sehen zu können? Was uns nicht beifällt! Beim „reservirten Garten“, in dem man sich einzig und allein nach den Strapazen des Auges ergehen kann, ohne das und jenes sehen zu müssen, in dem die hübsche Welt sich versammelt und Militärmusik erklingt, rufen sie uns schon Halt zu und fordern uns wieder fünfzig Centimes ab.

Und da haben die Mexicaner sich im Park einen Tempel gebaut (ich weiß nicht, ob die Kaiserlichen oder die Juaristen), der uns, wenn wir neugierig sind, fünfundzwanzig Centimes Eintrittsgeld kostet. Und man muß neugierig sein, denn man kann nicht sagen, auf dem Marsfelde gewesen zu sein, wenn man nicht Alles gesehen hat, einiger lumpigen Centesimi wegen, nicht wahr? Aber auf diese lumpigen Centimes haben es die Ausstellungs-Schacherer eben abgesehen. Darum haben sie uns auch in Chinas Parkpalästen ein Extraentrée aufvotirt. Warum verlangen sie nicht gleich am Eingang von uns zwei oder drei Franken und lassen uns dann ungeschoren, wo wir auch immer hinziehen möchten? Warum simuliren sie uns einen Spottpreis für das Entrée in den Weltpalast vor, um uns nachträglich noch einige andere abzunehmen? Das ist Schwindel zu Deutsch gesagt, und solchen Schwindel haben sie auch vielfach hervorgerufen. Sie haben einem beliebigen Herrn das Recht eingeräumt ein sogenanntes Théatre international für so und so viel Pachtschilling zu bauen; am 1. April hätte es eröffnet werden sollen, heute zählen wir den 29. Mai und noch immer ist die Eröffnung wie zu wiederholten Malen schon als „très prochainement“ (nächstens) angekündigt. Die Mauern sind mit Mühe aufgerichtet, ein Oper-, Orchester- und Balletpersonal seit Monaten engagirt, hat aber bis heute noch keinen Heller Gage erhalten können – es ist kein Geld da und nun wird beim Kaiser gebettelt.

Versagt dieser die Hülfe, so steht ein eclatanter Bankerott bevor, der, mit der Weltausstellung in Verbindung gebracht, sich sehr gut machen wird. Nicht viel reeller steht es um einen anderen internationalen Schwindel, den sogenannten „Cercle international“, der keine Mitglieder finden kann, die sich einreden lassen, es sei amüsant, hundert Franken zu zahlen für nichts und wieder nichts, um leere, gähnende Räume und noch gähnendere Beamte, Kellner und Cigarrenverkäufer zu sehen. Auch der gewisse Untergang dieses Unternehmens wird unter der Rubrik: „Weltausstellungsschwindel“ zu verzeichnen sein. Was fragte die Commission danach, ob auch all diese speculativen Herren und Gesellschaften die Garantie boten, daß sie die Idee der Ausstellung nicht compromittiren würden? Sie ließ sich hohen Pacht bezahlen und damit Basta. Sind die Pachte ausbezahlt, dann ist der kaiserlichen Commission, an deren Spitze Herr de Play (der Weltausstellungs-„Shylok“ verdient genannt zu werden) steht, und den mit ihr eng verbundenen Zehn-Millionen-Männern Zweierlei ganz gleichgültig: 1) ob man weltmännisch nobel mit den Ausstellungsbesuchern umgegangen, und 2) wie viele von den auf die Leimruthe der massenhaften Verpachtungen gerathenen Pächter (wie z. B. die Besitzer der „Vestiaires“ [Garderobe] sich ruinirt haben werden. Werden die Herren doch aller Wahrscheinlichkeit nach einen Gewinn von „einigen Millionen“ herausschlagen. Und das wird dann für sie der Triumph der Weltindustrie sein, für sie, die Industriellsten der Weltindustriellen!



[431]
2. Eine Ausstellungsfahrt.


Das Lied vom Fahren. – Leiden eines Wagensuchers. – Pariser Cochers. – Speculative Milchweiber. – Milch und „Exposition“. – Aus einem Sechssitzigen. – Expositionsmenschen. – Keine Pariser in Paris. – Deutsch geschwängerte Luft. – Meine fünf Nachbarn. – Der höfliche Mann. – Glockengießer und „Trumpetenmacher“. – Der Türke von Grenelles.


Wir fahren auf’s Marsfeld! Wir fahren – ja, das ist leichter gesagt, als gethan. Wagen genug die stolzen, prunkenden alten Boulevards entlang, aber bekommen muß man einen! Wir stehen an der Ecke der Chaussée d’Antin, lauernd nach einem Gefährte, wie und was immer für eines es auch sei. Aber wo wir immer um uns blicken, sehen wir Concurrenten. Am Marsfelde hängt, nach dem Marsfelde drängt doch Alles; ach, wir Armen! würde Gretchen sagen, wenn sie zur Ausstellung gleich vielen ihrer Landsleute nach Paris gekommen wäre. Wie stolz diese Droschken und Remisewagen an uns vorüberfahren! Und wie selig lächeln die in ihnen Untergebrachten! Sie haben das harte Werk vollbracht, wir haben es noch zu vollbringen. Ruhelos rollt es an uns vorüber, hinauf, hinab – ja, giebt es denn gar keine leeren Wagen heute in Paris? Da kommt ein geschlossener Einspänner mit unbeflügeltem Trabe heran, seinem Tempo nach ist er unbesetzt. Wir springen ihm entgegen, zehn Andere thun es mit uns; wir rufen: „Cocher!“, zehn Andere rufen auch noch „Cocher!“ Der Cocher aber lächelt uns Alle so impertinent schadenfroh mit der Miene eines Foppers an und zeigt mit der Peitsche nach dem Innern seines Wagens, wo in die Ecke zurückgelehnt ein alter Herr eben eingenickt ist. O, es kommen auch leere Wagen, aber die wollen uns erst recht nicht aufnehmen; sie lassen sich lieber von reichen Engländern und Russen auf den ganzen Tag miethen, das paßt ihnen viel besser. Ich berufe mich auf die vielfachen Erlässe der Pariser Polizei, die gerade erschienen und von denen der letzte jedem offenen Wagen auf der Straße das Halten gebietet, sobald er von irgendwem begehrt wird. Aber ein Pariser Kutscher sein und sich um Kundmachungen der Polizei kümmern – „is nicht!“ wie der Berliner sagt. So ein Kerl läßt sich, wenn Du seine Nummer hast, auf der Präfectur abstrafen, und den Morgen darauf triffst Du ihn leer und er fährt Dich wieder nicht.

Die Exposition macht Widerspenstige aus ihnen Allen, es giebt in diesem Ausnahmszustand, in dem sich das Paris der Ausstellung jetzt befindet und dessen ganzer Drakonismus sich gegen die Taschen der Fremden richtet, kein Gesetz für den Cocher und kein Recht für Dich. Ja, aber es giebt doch Omnibusse? Freilich giebt es deren und nicht wenige. Da kommt einer dieser Kolosse, mit den starken, kräftigen, unschönen Schimmeln bespannt, daher gerollt. „Porte St. Martin – Exposition“ steht auf seinem breiten Schilde. Das ist gleich der rechte, aber es steht noch etwas Anderes auf einem kleinen Täfelchen, oberhalb des Conducteurplatzes, angeschrieben: „complet“, und dieses eine Wort vernichtet Hunderte von Hoffnungen in jeder Viertelstunde. Da kommt ein anderer Omnibus, aber wieder „complet“, und ein dritter abermals mit dem Täfelchen, „complet“. – Wir geben das Warten auf und gehen der Madeleine zu, dort wie am Palais Royal ist ein Specialdienst für die Exposition eingerichtet. Alle fünf Minuten geht ein Wagen, mit achtundzwanzig Menschen beladen, von hier ab, aber Geduld wird hier wieder mehr von uns verlangt, als wir haben. Wir bekommen eine Nummer, wenn wir sie wünschen, und können, sobald diese Nummer die herrschende wird, den Omnibus besteigen. Aber wann wird diese Nummer die herrschende? Wir haben Nummer 18 und soeben ist erst Nummer 8 in einen Omnibus gestopft worden. Zehn Omnibusse müssen wir an uns vorüberfahren sehen, ehe wir selbst darankommen. Und da sind wir noch nicht die eigentlichen Spätlinge dieser Omnibusschöpfungen. Und so wie hier, so geht es Tag auf Tag an allen Standplätzen der Expositionsomnibusse, geht es auf dem Bahnhofe St. Lazare, geht es am Quai des Pont Royal, von wo alle Viertelstunden ein langweiliges Dampfboot losgelassen wird. Und dabei sind in den letzten Tagen noch eine ziemliche Anzahl provisorischer Expositionsfahrer aufgetaucht: Britschken sehr unbequemer Natur und holperigen Aussehens, Tapezierer- und Möbelwagen, die von den Besitzern rasch mit Sitzen versehen worden sind und mit der großen Aufschrift „Exposition“ und die nun bepackt auf’s Marsfeld kutschiren.

Ist ja die Speculationswuth sogar in die Pariser Milchweiber gefahren! Da sah ich unlängst eine von diesen auf ihrem kleinen Wägelchen Morgens durch die Champs Elysées[WS 1] kutschiren. Sie hatte ihre Milch verkauft und da, wo diese gestanden, standen nun vier kleine Rohrstühle ohne Lehne in dem Wägelchen, alle besetzt, und draußen hing ein Täfelchen mit der stolzen Aufschrift „Exposition“. Mit Milchtöpfen kam die Frau vor einigen Stunden hier durchgefahren, jetzt fährt sie mit Expositionsreisenden, die froh waren, einen Milchwagen besteigen zu können, wieder zurück! Das wird man doch „die Milch speculativer Denkungsart“ nennen dürfen, bei der dieses Milchweib aus Passy aufgewachsen! Aber die Massen von Fremden, die sich nun in Paris herumtreiben, können es der Speculationslust der Pariser nur danken, wenn sie auf’s Marsfeld gelangen.

Da kommt gerade, während wir der Nummer 18 entgegenseufzen, so ein kleiner, sechssitziger Omnibus Freiwilliger sehr unternehmend an uns heran. Er ist leer und winkt allen, die Vertrauen zu ihm haben. Unsere Nummer 18 in Stich lassen und in das Wägelchen springen, ist das Werk eines Augenblicks. Fünf Herren haben das Gleiche gethan; wir sind auch „complet“, man nimmt uns unser Frankenstück ab und fort geht es über den Madeleine-Platz nach dem Platze „de la Concorde“ und weiter, weiter den langen, langen Weg über die elysäischen Felder der Jenabrücke zu. Nun sehen wir uns einmal unsre Reisegesellschaft näher an. Es ist nun einmal meine schwache Seite, daß mir Menschen über Dinge gehen und daß mir sogar Expositionsmenschen noch über die Exposition gehen. So oft ich in Paris einen Omnibus jetzt besteige, überkommt mich ein gewisser Drang nach anthropologischen Studien. Ein jeder Pariser Omnibus ist heute an und für sich eine recht ansehnliche Exposition, eine Exposition von Menschen, die man, ganz so wie sie es auf dem Marsfelde gethan, in Gruppen und Classen theilen könnte. So wie ich in einer solchen Exposition sitze, beginne ich meine Studien. Ich habe nämlich den gegründeten Verdacht – und ich lasse mir ihn auch nicht ausreden, so sehr man sich auch Mühe giebt – daß es in Paris derzeit keine Pariser giebt. Wo ich immer stehe, gehe, sitze, kommen mir offene und verkappte Deutsche, Engländer, Amerikaner, Oesterreicher etc. unter die Augen und Ohren. Die Luft der Boulevards ist mit berlinerischen, schwäbischen, sächsischen, wienerischen Accenten geschwängert. Du sitzest an einem der Tischchen vor dem Café riche und rauchst deine Cigarre. Neben dir sitzen zwei Herren an einem zweiten Tischchen und der eine von ihnen hat den „Figaro“, der andere die „Gazette des Etrangers“ in Händen. Du denkst nichts Schlimmes und bist aufgelegt, die beiden Herren für Kernfranzosen zu halten, denn sie trinken Absynth trotz einem Franzosen und schauen bei den vorüberwandelnden Damen zwar nicht auf Herz und Nieren, aber auf den Fuß, auch wie ein Franzos. Nun willst du auch den „Figaro“ und sagst zu einem der Herren verbindlich lächelnd: „Monsieur après vous!“ Es dauert nicht lange und er reicht dir mit der Phrase „voilà, Monsieur“ den „Figaro“. Also richtig, es sind Franzosen! Man hat sich einmal nicht getäuscht, es giebt doch noch Pariser in Paris. Da stehen die beiden Herren auf und was hörst du? der Eine von ihnen sagt: „Weißt was, fahren wir heute nach ‚Versaillch‘!“ und der Andere ruft darauf: „Garçong!“ – „Versaillch“ und “Garçong“ – du fällst plötzlich aus dem siebenten französischen Himmel zurück in den vierten preußischen. Geh nur ein paar Schritte weiter und eine Sündfluth süddeutschen Dialekts schlägt sich über dir zusammen. „Wolle mer in den Louvre gehe, müsse mer uns spute. Es ischt sonscht zu spät“ hörst du rechts von dir; links schmunzelt ein wohllebiger anderer deutscher Mund in anderer Art und sagt: „Auf’n Dreher sein Bier loß ich net schimpfen, des is Eisen!“ Und noch ein anderer und noch weniger rein deutscher Mund sagt gar neben dir: „Und nix. Pereles!“ Und dabei soll man nicht allen Glauben verlieren, daß es noch Pariser in Paris giebt? Ich habe ihn verloren und ich kann nun, so oft ich unter Expositionsmenschen bin, den Verdacht nicht lassen, es seien Alles, nur keine Franzosen unter ihnen.

[432] Ich bin hier immer gefaßt, mit den seltsamsten Menschen zu verkehren, man geht eben jetzt mit Hinterwäldlern, Antipoden, Indianerhäuptlingen und anderen wildfremden Menschen hier um; man steht mit Siamesen auf, ißt mit Menschenfressern an der Table d’hote im Hotel und legt sich mit einem der Vettern des Taikun schlafen. So bringt man hier international den Tag durch. Aber nur mit jenem Gefühl des Gefaßtseins, das ich hier überall, wo ich hingehe, mitnehme, erspart man sich in dieser Zeit seltensten Menschenumgangs jedwede Seelenbeklemmung. Ich bin gefaßt selbst darauf, daß mich nächstens im Omnibus ein Häuptling irgend einer oceanischen Insel auf einer Fahrt in den Expositionspalast fragt, wann ich morgen zu Hause sei und ob er sich die Freiheit nehmen dürfe, mich verspeisen zu dürfen. In dieser Fassung besteige ich auch den Wagen, der mich nebst fünf anderen Herren auf’s Marsfeld bringen soll. Ein Blick genügt und ich ersehe, daß ich die ersehnte Häuptlingsbekanntschaft für heute noch nicht machen kann. Einer von den fünf Herren ißt, wie ich sehe, lieber Chocolade von Menier als Menschen, wofür ich ihm sehr dankbar bin, die andern vier essen gegenwärtig gar nicht. Der Chocoladenesser ist der richtige Expositionsreisende, wie er im Buche steht oder einst stehen wird. Er hat alle Taschen voll von Annoncen, die ihm Leute auf der Straße zugesteckt und die er bereitwilligst alle in Empfang genommen, darunter: Speisezettel, billige Restaurants, Anpreisungen von „Cabinets inodores“, von Schneidern, die halb umsonst arbeiten etc. Der Mann steckt Alles oder doch wenigstens Vieles ein – das muß ein Deutscher sein, denk’ ich mir, und gedacht und angesprochen war Eines. Ich irrte mich nicht. Er kommt aus einem kleinen rheinischen Städtchen mit dem Acht-Thaler-Kölner-Zug, hat Frau und drei Töchter, denen er Alles zu erzählen versprochen, ist von Paris entzückt, von der Ausstellung noch mehr und möchte nur noch den Napoleon sehen. Das erfuhr ich in circa fünf Minuten, in der sechsten betrachtete er mich schon als seinen Freund und bot sich mir an, die Krupp’sche Kanone, die er immer nur gern „unsere Kanone“ titulirte, näher zu erklären.

Als fühle er, seine Höflichkeit, die er mich so sehr fühlen ließ, motiviren zu müssen, sagte er mir: „Gott, man muß sich hier zusammennehmen, denn was sind die Franzosen für höfliche Leut’!“ Es gelang mir nach längerem höflichen Bemühen, den Landsmann zum Rückzug auf sich selbst zu bewegen. Ich will ja noch zu meinen anderen Reisegenossen schauen. Zwei davon sind in einem recht nachdrücklichen Gespräche in einer Sprache, die mir sehr fremd. Ich weiß nur, daß der Dialog etwas wie Reitergefecht an sich hatte. Da hört man Schwerter klirren, Hufe stampfen, Waffen rasseln, es ist etwas urwüchsig Lärmendes in dieser Sprache der beiden Männer, was sprechen sie nur für eine? Ich zerbreche mir den Kopf, ich frage den deutschen höflichen Mann, er zuckt die Achseln und spricht die höfliche Vermuthung aus, es würden Tataren sein. Diese Vermuthung bricht einen Augenblick lang das Gerassel der Sprache der fremdartigen Herren und einer von ihnen sagt zu unserem nicht geringen Erstaunen zu meinem Nebenmann im Omnibus: „Belieben zu entschuldigen, wir sind Ungarn und nicht Tataren; belieben Deutscher zu sein?“ Und das sagte er in jener Gesangsfärbung, die das Deutsche im Munde eines Ungarn so komisch macht. Richtig, Baratom-Nachbar war ein Magyare. Warum habe ich ihm nicht auf die hohen Stiefeln gesehen und auf den altverfassungsmäßig aufgewichsten „Schnauzbart“, da hätte ich es gleich merken können.

Und wer war es noch obendrein, wie ich später hörte? Der Glockenmacher aus Pest, eine komische Figur des Marsfeldes. Der Mann hatte einmal der ganzen kaiserlich österreichischen Abtheilungscommission nicht geringen Schreck verursacht. Er hatte zwei Tage gefehlt und seine großen Glocken auf dem Marsfelde standen ungeläutet. Wo mochte der Glockengießer von Pest hingerathen sein? Man fing bereits an, sonderbare Vermuthungen zu hegen, da war er am dritten Tage wieder da und erzählte, wo er durch zwei Tage gewesen. Er war am 7. Mai vom Ausstellungsgebäude Abends von dem Wege in seine Wohnung, welcher ungefähr zwei Stunden vom Marsfelde entfernt war, ein wenig abgewichen und war kreuz und quer in und um Paris irre gezogen, des Französischen gar nicht, des Deutschen nur schlecht mächtig und blos im Besitze der ungarischen Sprache, die man in und um Paris herum leider nirgend spricht. So geschah es, daß er am 8. Mai Abends in seiner Wohnung ankam, um sie am 9. Morgens wieder zu verlassen und wieder auf’s Marsfeld zu wandern. Da kam er wieder auf die falsche Fährte des verflossenen Tages, irrte wieder umher und gelangte erst spät Abends auf’s Marsfeld, wo er das Ausstellungshaus bereits geschlossen fand. Nun nahm er sich endlich doch einen Wagen und fuhr wieder nach Hause, mit dem festen Vorsatze, nicht mehr auf’s Marsfeld per pedes apostolorum gelangen zu wollen. Der Mann war zwei Tage auf dem Wege von Paris auf’s Marsfeld – kann man sich der Exposition zu Liebe mehr exponiren? Und er erzählte das selbst in schlechtem Deutsch, aber mit gutem Humor, der Glockengießer von Pest! Er schien mich übrigens mit größerem Vertrauen zu beehren, als er sonst auszugeben gewöhnt war, und legte mir, als ich ihm auf Verlangen meinen Namen nannte, seine großen schweren Glocken an’s Herz. Mein Name! Was er mir für Freuden heute bereitet! – Kaum nannte ich ihn, da biegt sich der vierte Omnibusgenosse aus der Wagenecke hervor, reicht mir die Hand und – fängt auch an, Deutsch zu sprechen! „Freut mich, Herr, kennen zu lernen Landsmann meiniges! Bin ich ehrlicher Deutscher, Trumpetenmacher aus Königgrätz und bitt’ ich Ihnen sehr, Trumpeten meinige wie Trumpeten Ihrige zu betrachten.“

Und der Mann sprach das Deutsche ganz so verschnürt, wie er den deutschen Rock verschnürt trug. Hat nicht auch der Posaunenfabrikant von Jericho ausgestellt und ist er nicht auch im Omnibus und fängt mit mir plötzlich an Deutsch zu reden? Es sollte mich nicht wundern. Es giebt ja gar keine Franzosen in Paris! Da, mein fünfter Omnibusgenosse ist wenigstens ein Türke. Das ist doch etwas Fremdes. Ich bitte ihn um Feuer von seiner Cigarette für die meinige, er giebt es mir freundlichst und ich knüpfe ein Gespräch mit ihm an. Er spricht vortrefflich Französisch, ein eleganter Bursche, wie man sie unter den Türken sonst gar nicht findet, trägt den Fez mit Grazie, kurz, er hat nichts vom „kranken Mann“. Ich freue mich über die orientalische Bekanntschaft, wir steigen an der Porte Jena des Ausstellungspalastes ab, wir gehen gemeinschaftlich hinein, ich meinen Frank erlegend, er seine Photographie vorzeigend. Ich frage ihn, in welcher Gruppe er ausgestellt hat. „In der sechsten,“ sagte er, „aber ich bin ausgestellt, ich habe nicht ausgestellt. Ich bin Garçon im türkischen Café.“ Ein türkischer Garçon! Wie interessant! „Sie sind,“ frage ich ihn zum Abschied, „aus Stambul selbst?“ – „O nein,“ sagt er lachend, „ich bin aus Grenelles“ (bei Paris). Und fort ist er. Ein Türke aus einer Pariser Vorstadt! Abscheulich. Und der Kerl macht gar kein Hehl aus seiner Pariser Abstammung. Da haben Sie es. Endlich, nach langem Suchen, findet man einen Pariser und der ist, wie sich herausstellt, während der Exposition als – Türke engagirt. Und jetzt sage mir noch Jemand, es gäbe Pariser in Paris!


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3. Im „Grand Vestibule“. – Germanisirungskraft der Ausstellung. – Der Japanese als Dame. – Unter dem Halbmond.


Ich will Sie nun nicht länger draußen stehen lassen vor dem Allerheiligsten der Weltindustrie. Mit einer Schaar anderer Herren, Frauen und „Mädchen aus der Fremde“, die zu Wagen, per Eisenbahn, Dampfer oder auch zu Fuß an eines der Hauptthore des Ausstellungspalastes, die Porte Jena, auch „Porte d’honneur“ genannt, gekommen, drängen wir durch die „Tourniquettes“, diese massiven, modernen Controleure der Entréegelder, in die lange, herrliche Avenue. Wie sie sich da stolz hinabzieht, überdeckt von einer Flucht grüner, mit goldenen Sternchen besäter Baldachine, die von mächtig aufstrebenden, die Banner aller Nationen der Welt hoch erhebenden Fahnenstangen getragen werden, ist diese Avenue in der That ein Weg für Kaiser und Könige. Würdig wird das Auge vorbereitet für die Fülle von Größe, Schönheit, Pracht, die seiner im Bannkreise des ganzen Marsfeldes harrt, aber auch das Ohr, auf daß es den Breughel (ich will nicht sagen „Höllenbreughel“) ertrage, der ihm von allen Ecken und Enden entgegenkommen wird. Und wahrlich, ganz im Geiste eines Weltausstellungslärms beginnen schon die kleinen Industriellen, die sich vor dem Thore der großen Industrie herumtummeln, ihre Attaque auf uns. Es giebt nichts, was sie nicht für uns vorräthig hätten, diese armen, industriellen Fliegenschwärme der Exposition, eben so arm und lästig wie diese, sehr, sehr arm! Sie vertreten uns den Weg mit ihren Uhren, Ketten, Fächern, Lorgnons, Stereoskopen, Plänen, Alles – „de l’exposition.“ Es giebt keinen Artikel, den sie nicht mit der Ausstellung in Verbindung brächten, ihre Fächer sind „Ausstellungsfächer“, ihre nichtsnutzigen Uhren und Uhrketten sind „Ausstellungsuhren“ und „Ausstellungsuhrketten“, ihre Nadelbüchschen sind „Ausstellungsnadelbüchschen“ und sogar ihre Zündhölzchen rufen sie dir aus als „les allumettes de l’exposition“, obschon es dieselben großen Schwefelpfähle sind, die man in Paris schon zu ausstellungslosen Zeiten für Zündhölzchen ausgab. Und man bilde sich ja nicht ein, unser stummes, dankendes Kopfnicken nütze etwas, der Bursche hat es bald heraus, was man für ein Landsmann ist, und er läuft uns nach und beginnt seine Attaque in deutscher Sprache.

Einige deutsche Worte, die genügen, den Standpunkt klar zu machen, hat ja jetzt in Paris fast jeder der kleinen und großen Pariser Beutelspeculanten in Vorrath. Man wird staunen, wie viel nach der Weltausstellung in Paris von deutscher Sprache zurückgeblieben sein wird! Die Ausstellung germanisirt, sage ich, wenn sie noch ein Jahr dauert, ganz Paris. Wenn der Franzose Geld verdienen kann, thut er ja Alles, warum nicht auch ein wenig Deutsch lernen? Seit dem Bier ist das Germanisirungswerk längst begonnen worden. Wir haben es dahin gebracht, daß der Pariser, trotz dem Wörterbuch der französischen Akademie, den deutschen „Schoppen“ in seinen Sprachschatz als,„choppe“ aufgenommen, er hat vom „Bock“ längst Gebrauch gemacht und dank dem Wiener Dreher ist jetzt auch das Wort „Maß“ adoptirt und man kann jetzt die Pariser schon „une Mas“ Bier trinken sehen, auch deux undtrois Mas, je nachdem sie eben deutschen Durst haben.

Den Lärm, den diese kleinen Beutelspeculanten begonnen, setzen auf unserem Wege Zeitungs-, Becher-, Katalog- und Guiden-Verkäufer wacker fort. Männer in Leinwandkitteln, farbige Kappen auf dem Haupte, welche die Aufschrift tragen: „fauteuils roulants“, fahren uns ihre Rollstühle vor die Nase, mit der Einladung, darinnen Platz zu nehmen. Dergleichen fahrende Schüler und Schülerinnen der Weltausstellung giebt es nicht wenige; es sind freilich meist beleibte, übersolid gebaute Gäste des Marsfeldes, deren Geduld und Athem zu kurz sind, um gleich uns stehenden und gehenden Fußes ausharren zu können in dem Welten- und Menschengewühle. Und es ist keine Kleinigkeit, dieses Ausharren! Bedenke man doch, Hundert- und auch noch mehr Tausende von Menschen sind mit uns zugleich auf dem Marsfelde, und sind auch Palais und Park groß genug, um uns diese Zahl nicht zu sehr verspüren zu lassen, es ist und bleibt doch ein ruheloses Durcheinander von Köpfen und Beinen, in dem man Stand halten muß. In der äußersten der sieben Galerien, die den Ausstellungspalast bekanntlich bilden, in der Galerie der Restaurants, Cafés, Wein- und Schnapshändler, der Tabakkrämer, Glaciers, Patissieres, Lese- und Schreibesalons etc. etc., in diesem interessanten Ensemble von dem, was die ganze Welt ißt und trinkt, was die ganze Welt genießt, ist das Treiben, Schieben und Geschobenwerden zu jeder Tageszeit geradezu schwindelerregend.

Da ich erst das nächste Mal einen gründlichen Gang mit den Lesern durch diese Galerien der Essens- und Trinkenswürdigkeiten der ganzen Welt zu thun gedenke, so lassen wir uns für heute sanft der großen, schönen Halle zuschieben, die man den großen Vestibule des Palastes zu nennen pflegt. Das ist gleichsam die riesige Antichambre der Weltausstellung, der Wartesalon, könnte man noch besser sagen, denn der Vestibule hat etwas von dem Wartesaal eines riesigen Eisenbahnhofes. Rechts und links von da beginnen die Kreisläufe der Weltindustrie. Hier läuft zu allererst die Galerie der Maschinen in weiter, mächtiger, bogenförmiger Ausdehnung, den besten und größten Raum für all’ die schnurrenden, sausenden, brausenden, rasselnden, stoßenden, schlagenden, kleinen und großen Herren und Gebieter moderner Arbeit, diese absoluten Verdränger der menschlichen Hand, in Anspruch nehmend. Welch’ ein formloses Geheul der tausend geheimen Kräfte, die in den Elementen sitzen, welches vielstimmige Getöse, von Kolossen ausgehend, die Engel und Teufel, Menschenbeglücker und -Vernichter zugleich sein können! Und es ist gerade Mittag, wo sie alle zugleich arbeiten, diese Enakskinder der Industrie, wo all’ ihre Riesenleiber zugleich auf- und niederstreben, selbst bis zum Höhepunkt erhitzt und zugleich ein Bild erhitzter Menschenthätigkeit, ein Bild ruheloser Cultur, prometheusartigen Strebens und Jagens. Wenn diese Galeriewände Ohren haben, dann wehe ihnen, denn sie sind verdammt, anzuhören, wie hier in Tausenden feuriger Zungen und Tausenden von Arten der Zeitgeist vom Morgen bis zum Abend sein eigenes Lob predigt.

Im Vestibule selbst sprechen Frankreich und England ihre ersten industriellen Machtworte aus, hier haben sich nur maßgebende große Firmen [510] französischen und englischen Namens niedergelassen. Was wir hier sehen, sind gleichsam die schönen, malerisch angeordneten und prächtig gezeichneten, reich verzierten Initialen des großen Prachtwerks, das vor uns, einem Bilderbuch der Erde gleich, zu beiden Seiten ausgebreitet liegt. Auf französischer Seite bilden die ersten Modisten des zweiten Kaiserreiches, Deplaigne, die Louvregesellschaft, die Compagnie Lyonnaise, einige Luxusmöbelfabrikanten und die Verlagsbuchhändler Hachette und Marne diese glänzenden Initialen. Was sie geben, ist nur ein Extract gleichsam jener Industrie, die sie vertreten, aber welch’ ein Extract! Fragt nur die jüngeren und älteren Damen, die da vor den Schaukästen der ersten Modisten sich ansammeln und mit einer Zähigkeit vor ihnen verharren, als gäbe es nichts auf der lieben, weiten Welt Sehenswerthes mehr als Seide, Sammet und Goldbrokate, und ihr werdet eine Sprache vernehmen, aus der eitel heißes Sehnen nach diesen Dingen spricht, die da so unschuldig unter Glas stehen und doch vielleicht das verderblichste Zeug, d. h. frauenverderblichste Zeug, der Erde sind. Seht nun, wie ihre Augen an diesen reichen, schönen Stoffen hängen, wie sie alle die körperlosen Taillen der buntfarbigen Seiden- und Sammetroben mit ihrem eigenen Fleisch und Blut in Gedanken ausfüllen, und Farbe für Farbe mit dem eigenen Geschmack, dem eigenen Teint, der eigenen Haarfarbe vergleichen! Wie süß solche Toilettenträume sein mögen, das wissen die geehrten Leserinnen gewiß besser als ich. Nur wenige von den Ausstellungsbesucherinnen raffen sich rasch genug aus diesen üppigen Phantasien auf und stecken als Erinnerung eine von den Massen Adreßkarten der Firmen, die zu freiem Gebrauch herumhängen, ein. Wohl ihnen, wenn sie Geld genug haben, ihren Traum zu verwirklichen! Aber eines muß ich zur Entschuldigung der Frauen aller Welt, die da vor den Schaukästen der Lyoner Compagnie und der anderen Fabrikanten staunend stehen bleiben, denn doch sagen: es geschieht viel, um sie zu reizen, viel zu viel. Giebt ja Deplaigne sogar jeder Dame auch noch einen „Code de la Mode“ mit nach Hause! Und wahrlich, theuere Roben entbehren zu lernen, stellt dieser „Code Deplaigne“ gewiß nicht als §. 1 seines Gesetzbüchleins auf. Und nun, denke man sich, kommen diese Frauen aus der Weltausstellung wieder in ihr liebes französisches, englisches, deutsches, russisches oder auch türkisches Nest zurück und wollen dann den honorablen Mann zur Heilighaltung dieses „Code de la Mode“ anhalten! Sind das nicht Feuerbrände für toilettenempfindsame Gemüther, welche da in alle Welt hineingeschleudert werden?

Wie weit weniger corrumpirend wirken dagegen die schöngebundenen Bücher von Hachette und Marne, die nebenan paradiren, auf die Ausstellungsmasse! So oft ich mir auch das Vergnügen gönne, diese französischen Verlagswerke zu mustern, ich bleibe ungestört, nicht eine Seele gesellt sich zu mir hin, um mit Theil zu haben an diesen andersartigen Werken französischen Geschmackes. Mich erfaßte darum ein Staunen sonder Gleichen, als ich vor diesen eleganten Bücherauslagen des Vestibules vor einigen Tagen ein immer anwachsendes Menschengedränge sah. Ich traute meinen Augen nicht und doch standen wirklich Männer, Frauen, Mädchen, und elegante waren unter ihnen, um Hachette’s Bücher geschaart, aber sie standen da, nicht um die Bücher zu sehen, die französische Classiker und Romantiker geschrieben, sondern um den – Taikun, den jungen Bruder des japanesischen Herrschers, zu begucken. Der stand da und gaffte die prächtigen Einbände alle nach einander an, öffnete die großen und kleinen Bücher, befühlte den Druck, die Buchstaben, und frug, wenn ihm ein oder der andere Buchstabe gar so possirlich vorkam, seinen Interpreten und Dolmetsch nach seinem Namen, etwas, was ihn dann immer in große Heiterkeit versetzte, bei welcher Gelegenheit der rabenschwarze Zopf hinten auf dem Rücken ganz ergötzlich hin und her baumelte.

Uebrigens hat der junge „himmlische“ Prinz auch sein Pech hier und ist ihm schon manch Ergötzliches passirt. Was stieß ihm nur jüngst auf einem Ambassadeurballe zu? Ich kann’s Ihnen erzählen, denn es ist bis heute noch unerzählt. Der Prinz kam in gebotener Gala auf den Ball, aber in japanesischer Gala. Er hatte eine Art von reichgesticktem Schleppkleid, wie es bei uns Damen tragen, auf dem japanesischen Leibe; das schwarze Haar trug er, wie er es immer trägt, mädchenartig über den Hinterkopf hinabgeschlichtet und in dem schönen langen Zopf auslaufend. In der Hand hielt er ein wahres Bijoustück von einem kostbaren Fächer, reizende Filigranarbeit in Gold und Silber, den er auch manchmal, wenn er sich besonders langweilte (was ihm unter uns Barbaren nicht schwer wird), zum Munde führte, um ihn dann mit hochfeiner Zunge zu bearbeiten oder was sonst einem kaiserlich japanesischen Prinzen Freude macht. Eine von den geladenen Ausstellungscelebritäten mochte durch Aussehen und Betragen des Prinzen Min-Bon-Tayun in der That zu dem Glauben verleitet worden sein, der hohe exotische Gast sei eine junge, schwarze Dame; Kurzsichtigkeit kam hinzu, kurz, unsere Ausstellungscelebrität – sie ist, unter Anderem gesagt, deutscher Herkunft – ging auf die vermeintliche Dame zu und forderte sie zum Tanze auf. Der Prinz verstand kein Wort von der französischen Phrase, welche die Celebrität in Anwendung brachte; der Dolmetsch war gerade nicht zugegen, was sollte er also thun? Er lächelte verbindlichst, so viel hat er in der Kaiserstadt an der Seine schon gelernt, um sich aus der Verlegenheit zu reißen. Unsere Celebrität aber nahm unglücklicherweise das Lächeln für eine Tanzzusage und faßte die vermeintliche Dame unterm Arm bei der schönen Taille. Wer schildert aber sein Entsetzen, als die, wie er glaubt, schon gewonnene Tänzerin – der Prinz – bei diesem Vorhaben fürchterlich und in unverständlichen Lauten zu schreien anfängt! Hausherr-Gesandter und Hausfrau-Gesandtin laufen herbei, eine Masse andere Gäste mit und da klärt sich’s auf – der Prinz sollte als Dame von einem deutschen Industriellen zum Tanz geführt werden. Er wußte nicht, was man mit ihm vorhatte, und glaubte wahrscheinlich, man wolle ihm an seinen himmlischen Leib rücken. Das Gelächter, das sich bei Auflösung des japanesischen Räthsels im Ballsaale erhob, war nicht weniger himmlisch, als das Reich, dem der Prinz angehört. Als der Prinz Min-Bon-Tayun die Bedeutung des Angriffs später erfuhr, schien es ihm zu gefallen und von der Zeit an datirt auch seine Liebe zum Tanze, dem er sich nun im Bal Mabille als Zuschauer mit Vergnügen hingiebt. Aber die Gesellschaft des * Gesandten ist durch das Angstsignal des japanesischen Thronfolgers um den seltenen Genuß gekommen, einen Kronprinzen des himmlischen Reiches am Arme eines deutschen Industriellen walzen zu sehen – und es hätte dies das Schauspiel der Schauspiele der Weltausstellung sein können! Wie schade! –

Der Halbmond wehte in den letzten Tagen von allen Boulevardfenstern der schönen Lutetia. Er hatte das russische Kreuz verdrängt und sich allüberall aufgepflanzt, wo ein gutes Plätzchen war, um von den Hunderttausenden Fremder, die jetzt das Pariser Pflaster treten, gesehen zu werden. Paris ist orientalisch geworden, mochte man fast sagen. Was galt ein ehrlicher Vorname aus dem Kalender? Nichts. Um ein wenig beachtet zu werden, mußte man „Abdullah“, „Ali“ oder „Mustapha“ heißen. Das waren auch die Tage des Glanzes für das Stück Orient, das sie da in den Park der Weltausstellung auf dem Marsfelde hingezaubert haben. Die Moschee und der Kiosk vom rechten Bosporus-Ufer und die türkischen Bäder waren auf einmal Helden der Weltausstellungs-Tage geworden und mit ihnen rangen da die Orientalen „zweiten Grades“ (ich borge mir diese Eintheilung von Preußen), der Tempel von den Ufern des Nil, das ägyptische Wohnhaus und der herrliche Bardo von Tunis, um die Palme der Bewunderung.

Betreten wir zuerst die „grüne Moschee“, Yachmil Dzami, von Brussa. Majestätisch liegt ihre schöne Kuppel vor uns da und die Sonne spielt in der vergoldeten Spitze des schlanken, hohen Minaretes. Fragt sie nur, die grüne Moschee, und sie erzählt euch von herrlichen Tagen des Islams aus der Zeit, da noch Brussa die Residenz der Osmanen und der Sitz jenes ersten Mohammed gewesen, der sie bauen ließ. Damals freilich ließ sie sich nicht träumen, die Moschee von Brussa, daß man ihrem Bilde gemäß eine ähnliche in der berühmtesten Stadt der Christenheit folgender Jahrhunderte bauen werde und daß schlechtgläubige Menschenkinder in Massen zu ihr wallfahren werden. Und da kommen sie nun Alle mit uns und strömen durch das einfache Thor in das göttliche Haus Allahs und seines Propheten hinein. Mystische Lichter dringen durch die kleinen, buntfarbigen, von vergoldeten Gitterstäben umgebenen Fenster der Moschee, Farbenspiele geheimnißvoller Art und geheimnißvollen Tones weben unser Auge in fromme Träume ein, ein „Allah ist groß“ gleitet durch unsere Seele und ehrfurchtsvoll schreiten wir über den dicken, reichen Fußteppich hin. Wir sind im schönsten der Räume einer Moschee. Unser Blick fällt gleichzeitig auf den „Mehrab“ und den „Mimber“. Von dem einen aus wird der Blick der Rechtgläubigen nach jenem Mekka dirigirt, wohin sie bei jedesmaligem Gebet sich zu wenden haben, von dem andern aus, vom „Mimber“ nämlich, ertönt das goldene Wort des Korans in die Reihen der Betenden. Auf beiden Seiten des „Mehrab“ stehen dann die Namen der höchsten Wesen, die der orientalische Cultus kennt, die Namen Allahs und Mohammeds, einfach angeschrieben. Rechts vom Mimber geht es hinauf zum Minaret, das der Muezzin alltäglich fünf Mal besteigt, um von oben aus die Frommen zum Gebete zu laden. Um die Ausstellung zu vervollständigen, hätte man freilich noch für die Moschee von Brussa und ihr Minaret zugleich einen Muezzin engagiren sollen. Zeichen fremdartiger Natur, Farbe, Licht, Alles muthet uns hier geheimnißvoll an, der Mysticimus hat hier seine eigentliche Stätte und das „fragt mich nicht, warum ich glaube“ spricht hier aus der ganzen Umgebung recht deutlich zu uns. Der türkische Gott hat es sich bequem eingerichtet; er gestattet den Gläubigen nicht die geringste Nachfrage nach der Wesenheit der Dinge. Er bettet ihnen so üppig auf Erden, daß ihnen ein Nachdenken über sein „Sein und Nichtsein“ gar nicht beifällt. Das Sinnbestrickende alles orientalischen Lebens hat auch der orientalische Glaube. In den Räumen einer Moschee klärt sich das Auge nicht auf zu einer idealen Stimmung, es wird von Farben und Lichtern betäubt. Der Cultus des Mohammed ist fast auch nur eine Art von Opium; es ist ein künstlicher Schlaf, den der Islam seit Jahrtausenden schläft, und wer weiß, ob und wann er daraus erwachen wird.

Beim Ausgange aus der Moschee fallen uns die rechts und links an ihre Façade angebauten, zierlichen, von kleinen Säulen getragenen Pavillons auf. Hinter dem künstlich durchbrochenen von Goldflitter strotzenden Gitter des einen Pavillons ist der Platz für die Fontaine (Lébil), hinter dem andern der für die Uhren der Moschee von Brussa, welche die fünf Gebetszeiten des Tages angeben. Einige Schritte weiter, der Moschee zu Rechten, liegt der Kiosk. Er ward nach dem Muster eines Kiosks errichtet, den der Vorgänger des jetzigen Türkenbeherrschers am rechten Ufer des Bosporus angelegt, und verschafft uns eigentlich nicht die rechten Begriffe von der Pracht orientalischer Decoration. Der Salon, den wir da zu Gesicht bekommen, macht bei all’ seinen Malereien auf Goldgrund, seinen um die Wände laufenden Sophas, seinen goldfarbigen Fenstergittern doch keinen pompösen Eindruck. Natürlich hielt unsere Ansicht von dem Kiosk den Sultan Abdul-Aziz-Khan nicht ab, in ihm seine Weltausstellungssiesta zu halten, so oft ihm da draußen auf dem Marsfelde nach den Wanderungen auf dem Gebiete der Culturen jedes Mal im Kopfe ward „so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopf herum“. Und wie glücklich war er gerade in diesen Stunden seines Pariser Aufenthaltes! Man muß die Leute reden hören, die Zeugen seiner Qual gewesen, welche ihm Pariser Sitte überhaupt und Pariser Hofsitte insbesondere verschafften. Mit Wollust warf er sich auf die niedrigen Divane des Kioskes nieder und vergaß erst da all’ der Unbequemlichkeiten, die ihm die schönen und noblen Möbeln des Palais Elysée bereiteten.

Freilich, wenn man den Schilderungen der Pariser Hofblätter glauben wollte, so hat die Cultur der eleganten abendländischen Welt in all’ ihrer raffinirtesten Verfeinerung, wie sie in den Tuilerienkreisen auftritt, den tiefsten Eindruck auf den Sultan gemacht und er wird nichts Besseres zu thun haben, als den Hof am Bosporus, sobald er nach Hause kommt, gleich auf den Fuß des Hofes des dritten Napoleoniden zu setzen. Diese Stimmen geben den Sultan auch noch für verschiedenes Andere aus, was er nicht ist, für geistreich, intelligent, gebildet; sie lügen, wie competentere Stimmen behaupten, seinem Bilde mit großer Virtuosität an, was sie nur immer wollen. Sie lassen denselben in der französischen [511] Sprache und Literatur so zu Hause sein, als ginge er mit Victor Hugo schlafen und stünde mit Feydeau wieder auf, während man in der That am Hofe der Tuilerien seine liebe Noth mit dem Beherrscher des Türkenreiches hatte, da er das Türkische bei Napoleon dem Dritten und seiner Umgebung weit mehr voraussetzte, als er es vorfand. Die Wahrheit gesagt, soll dem Sultan die ganze hoffähige Civilisation ein wahrer Gräuel gewesen sein, noch weit mehr, als die nicht hoffähige; er erschrak auch vor der Art und Weise, wie man mit dem Sultan der Tuilerien, seinem cher confrère, umging, z. B. bei der Preisvertheilung im Industriepalaste des Marsfeldes, wie man sich der Majestät nähern durfte, ohne sich vorerst auf den Boden niedergeworfen zu haben; er empfand überhaupt sehr tief all’ den Mangel an morgenländischem Respect vor der geheiligten Person des Beherrschers. Ich frage nun, wozu idealisirt man uns diesen Sultan? Man muß ihn bei der so hoch interessanten Feier der Preisvertheilung gesehen haben, wie er stumpf vor sich hinstarrte, ohne ein Anzeichen von Theilnahme an dem Allen, was ihm so fremd war, zu verrathen; man muß ihn neben der so lebendigen, anregenden, graciösen Kaiserin Eugenie einhergehen gesehen haben, gar nicht wie einen Mann von fünfunddreißig Jahren, sondern wie eine künstlich von außenher in Bewegung gesetzte Körpermasse, um ein ganz anderes Bild von ihm zu erhalten, als es hier der öffentlichen Meinung aufzuschwatzen gesucht wird.

So eigentlich wohl hat sich der „erste Türke“ hier jedenfalls nur befunden, wenn er fern vom Elysée darüber nachdenken konnte, wie schön es ist ein Türke zu sein. Und das konnte er bequem in dem Kiosk. Noch bequemer im „Bardo von Tunis“, dem prächtigen Bauwerke, das der Orient im Ausstellungsparke geschaffen. Das Palais des Bei von Tunis ruft all’ die märchenhafte Herrlichkeit orientalischer Prachtbauten, mit denen Reisende unsere Phantasie erfüllt, in uns lebendig wach. Nennt es selbst ein architektonisches Märchen und das Wort ist keine Phrase! Geblendet hält das Auge vor diesem Wunder arabischer Kunst lange, lange still. Vor der Schönheit dieses Werks vergeht Alles, was die Völker des Erdballs sonst gebaut und geschaffen haben. Am Fuße der majestätischen Marmortreppe, die zu den Prachträumen hinaufführen, sitzen zwei Beduinen hoch zu Roß, die gezogenen Damascener Klingen in der Hand, und halten Wacht, gerade so, als wäre der Bei selbst anwesend im Bardo. Prächtige, poetische Gestalten, aus deren gebräunten Gesichtern die heiße Poesie der Wüste uns anspricht! Und welch schönes wildes, arabisches Vollblut sie reiten! Malerischer konnten die Nachbildner deiner Herrlichkeit den Eingang zu dir nicht gestalten. Wir steigen nun die Marmortreppen hinan. Im Vestibule empfängt uns volle, sinnliche Heiterkeit in allen Formen; Alles, die spitzenartig gewobenen Arabesken der Wände, die Mosaiken des Bodens, die buntbemalten Gitter, die schlanken Säulen, Alles lächelt uns an. Der Genius alter maurischer Kunst geht durch diese Räume. Da springen Fontainen in hohen Silberfäden, da winken Palmen zu sich heran und reichgesäumte Strohmatten laden zum Ausruhen ein im Schatten orientalischer Denkungsart.

Und weiter breiten sich zur Rechten und zur Linken des Vestibules Salons hin, im üppigen Schmuck morgenländischer Decoration. Die Plafonds zeigen tief verschlungene Zeichenschrift, orientalische Mystik, in farbige Tücher gekleidet erscheinen die Wände, durch farbiges Glas dringt das Licht des Tages in die hohen, weiten Säle. Wie herrlich diese beiden Kuppelsäle sind! Welchen Reichthum, welche Farbenpracht verrathen diese Decken mit vergoldeten Feldern, diese Malereien der Kuppeln, durch die das Sonnenlicht wie in langen Zauberschleiern herabfällt, diese längs der Wände sich hinziehenden Divane, mit seidenen, sammetnen oder goldgestickten Kissen, diese üppigen Portièren, Stern und Halbmond tragend in ihren bunten Feldern! Und da der reizende Alkoven mit seinem Goldgitter, mit seinen Schattenplätzchen. Und links wieder ein Salon, im Schmucke seiner eigenthümlichen Malereien uns fast glauben machend, er sei tief in indische Shawls gehüllt, Bogenfenster aus grünem Glase mit blauen Sternchen geziert, kleine, zierliche Säulchen, immer paarweise auftretend und wieder weiche Divans mit schwellenden Kissen. Wir haben uns kaum auf einem derselben niedergelassen, um uns tiefer in dieses Farbenmärchen zu versenken, da bringt uns ein brauner, hübscher Kerl im Turban den schönen, langrohrigen Tschibuk und auf der Feuerschale die glimmende Kohle. Und dann stellt er eins der kleinen, buntbemalten Stühlchen des Salons vor uns hin und setzt den dickgearteten Kaffee in einem niedrigen, schmalen Becher darauf. Wir schlürfen den Mokka und blasen dicke Rauchwolken vor uns hin, in denen sich die Hieroglyphen der Decke vor unsern Augen zu wiederholen scheinen. Zu den offenen Fenstern herein dringt die tunesische Musik aus dem Gärtchen des Palastes zu uns herauf. Vier braune Männer, auf einer Art von Tribüne mit gekreuzten Beinen lümmelnd, bearbeiten ihre negerartigen arabischen Instrumente und singen dazu Weisen, die den Kenner an alte hebräische Melodien gemahnen. Es ist eine Art wilder, ungegohrener, formloser Meyerbeer und Felicien David, so könnte man fast von dem sagen, was sie da singen. Bald bricht die Klage ungestüm durch diese Melodien durch, bald giebt es wieder eine wilde Heiterkeit, ein jauchzendes Aufschreien in Tönen. Halb glaubt man die Musik der Wüste, halb die der Synagoge zu vernehmen. Aber zu Tschibuk, Mokka und den üppigen Divans passen sie, diese orientalischen Weisen, sie gehören mit in das berauschende Wesen dieses Palastes des Bei von Tunis, sie sind für das Ohr, was Farben und Lichter in den Sälen für das Auge sind. Fast wäre uns jetzt ein Schläfchen „gefällig“. Wir bekommen Lust auf das Schlafcabinet des Bei von Tunis, es zieht uns mächtig hin zu dem vergoldeten Himmelbett mit den violettseidenen schweren Vorhängen und den weißen, langen, seidenen Kissen. Aber wir wollen doch die Gastfreundschaft der Orientalen nicht gar zu stark auf die Probe stellen. Die Treppen des Palastes hinabsteigend, singen wir im Freiligrath’schen Stile vor uns hin: „Wenn ich der Bei von Tunis wär!“ Und dann besteigen wir, des Neides voll, anstatt des goldenen Bettes den Omnibus, der uns zur Madeleine-Kirche fährt. In einer Moschee begannen wir das Tageswerk, bei der Madeleine beendigen wir es – das sind die Weltausstellungs-Contraste!



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4.
Porte Rapp. – Der Weg des Kaisers und des Volkes. – Die Speculation mit den Souverainen. – Der demokratische Durst. – Unter Diamanten und Perlen. – Wenn Perlen reden könnten!


Wir treten heute durch die Porte Rapp in die Welt des Marsfeldes ein. Sie ist die beliebteste der vielen Weltausstellungsthüren. Warum sie es ist? Ich habe es noch nicht herausgebracht. Man bekömmt, bei ihr angelangt, nicht das großartige Bild, das die Porte Jena gewährt, Leben und Treiben sind auch vor dem „Thore der Militärschule“ weit bedeutender, und doch ist sie die belebteste. Alles fährt vor der Porte Rapp vor, Alles geht zur Porte Rapp hinein, der Kutscher, der dich fährt, setzt dich, so du nicht eigens einen andern Halteplatz angiebst, selbstverständlich an der Porte Rapp ab. Die Porte Rapp ist unsterblich geworden, das berühmteste, populärste Thor der Welt. Ich glaube fast, die Pariser haben wie auf stille Verabredung die Porte Rapp so in Schwung gebracht und blos, weil der Kaiser immer zur Porte Jena seinen Einzug hält. Die Opposition – und sie zählt wahrlich auf den Straßen von Paris mehr Seelen als im Corps Legislatif! – geht eben nicht den Weg des Kaisers, auch nicht einmal den zur Ausstellung.

Im Kleinen wiederholt sich auch hier vor diesem Thore das geschäftig industrielle Bild, das wir vor dem Thore von Jena gesehen haben. Da sind auch die fliegenden Photographien-Verschleiße wieder, aber das Verkaufsrepertoire ist ein anderes geworden. Andere Zeiten, andere Photographien! Sie bieten dir heute nicht mehr „le grand Sultan“ zum Kaufe an, der ist schon veraltet, heute rufen sie wieder „le pauvre Empereur Maximilien“ und empfehlen dir mit dieser mitleidsvollen Feilbietung für einen Sou ein stilles Angedenken an den Todten von Queretaro. Wie rasch so ein Souverain in den Händen eines solchen Photographienhändlers ablebt, man glaubt es gar nicht. Wer von diesen frägt hier heute nach dem Kaiser aller Reußen und seinen zwei Söhnen? Sie sind ja schon wochenlang weg und ziehen nicht mehr. Der Anwesende hat Recht! sagen diese Physiognomienverkäufer. Laßt heute den Herzog von Nassau hier sein, und diese Leute verdrängen den König von Preußen und stellen in ihren Ausrufen den herzoglich nassauischen Thron wieder her.

Die Speculation auf die Souveraine der Welt ist in dem Paris der Ausstellung eine große. Die unbeliebtesten Kaiser und Könige sind auf einmal beliebt, wenn sie zur Ausstellung nach Paris kommen und viel, viel Geld ausgeben. Aber das müssen sie, sonst ist’s schlecht mit ihrem Ansehen bestellt. Wodurch, meinen Sie, hat sich der „große Sultan“ seinerzeit hier in der Meinung der Pariser so herabgesetzt? Etwa durch seine christenverfolgenden Kriegszüge auf Candia? Bewahre! Er hat wenig Geld ausgegeben und das war sein Verbrechen! Ein Sultan müsse Millionen hier verzehren, sagten die Pariser, sonst ist er kein Sultan. Wozu hat er einen[WS 2] Harem mit so viel Weibern, wenn er nicht jedem von ihnen zehn oder zwanzig Kleider und Geschenke in Unzahl nach Constantinopel mitbringt? Der Mann hat sich für immer ruinirt, er hat kaum hunderttausend Francs in Paris ausgegeben! Das wird sich, sowie die orientalische Frage ernster wieder auftritt, gewiß rächen. Und darum, thut nur Geld in Euren Beutel, meine Herren Majestäten und kaiserliche und königliche Hoheiten, die Ihr noch, incognito oder nicht, nach Paris kommen wollt, thut Geld in Euren Beutel, und die Pariser werden nicht das Mindeste gegen Euere Regierung haben, sei sie sonst wie immer beschaffen. Mohrenköniginnen können hier blühend weiß gewaschen werden, wenn sie nur ihr Geld unter die Pariser werfen.

Aber welche Ehre man ihnen auch allen anthut, den kleinen und großen Potentaten der Welt! Und wie ausgesucht artig man gegen sie ist, wie allseitig discret und zart! Man fährt den Kaiser von Rußland nicht über den Boulevard Sebastopol und den König von Preußen nicht über die Jenabrücke und den Kaiser von Oesterreich nicht über den Boulevard Magenta, auf daß sie keine historischen Schmerzen überkommen. Eben hier im Gehen und Plaudern begegnet uns, während wir die französische Außengalerie hinabwandeln, eine neue Aufmerksamkeit für die Souveraine. Ueber einem buntdrapirten, hübsch herausgeputzten Pavillon lesen wir den stolzen Namen: „Nectar des Souverains“. Es ist dies das neueste Getränk der Weltausstellung, eine Nachahmung des köstlichen Crême-Eis-Soda, mit dem einer der amerikanischen Restaurants hier unter den Gourmands Furore gemacht. [575] Mädchen, in den Farben der verschiedenen Souveraine gekleidet, schenken den Nektar ein; da eine schwarz-weiße Jungfrau, dort eine schwarz-gelbe, dort wieder eine grün-roth-weiße und dann wieder eine blau-weiß-rothe etc. Aber der Nektar will nicht durchgreifen, der Durst der Menschheit scheint auch demokratisch geworden und er wendet sich lieber dem amerikanischen Original auf dem Marsfelde zu.

Die Menschen des Marsfeldes lassen sich recht eigentlich nach den Dingen, denen sie in der Ausstellung nachlaufen, unterscheiden und charakterisiren. Die Einen können nicht erwarten im Palais zu den Tuchen zu gelangen und sind heißhungrig die Fortschritte zu sehen, welche die Hosenstoffe in der großen Welt machen. Andere wieder zieht es zu der vergleichenden Forschung von Flanell und Leinenwaaren, wieder Andere liegen Tag aus, Tag ein in der Wolle der Ausstellung; was dem Einen das Eisen der Ausstellung, ist dem Andern das Holz und dem Dritten und Vierten und Fünften das Papier, das Leder, die Baumwolle und die Seide. Schwärmer in allen Stoffen der Weltproduction laufen hier umher und die Liebhaberei für das Eine und Andere wird auch hier gepflegt. Respect vor dem ganzen Gebiet menschlicher Arbeit, das sich im Bilde hier mächtig ausbreitet, wird wohl wenigen von denen fehlen, die da umherwandeln, aber die liebe Einseitigkeit, die sie mitgebracht, bringen doch Viele von ihnen wieder mit nach Hause.

Weitaus die größte Gemeinde von Bewunderern hat auf dem Marsfelde aber die Maschine; um sie, in allen Arten und Unterarten, drängt sich zu jeder Tageszeit eine buntgemischte Menge von Wißbegierigen, Neugierigen, Kennern und bloßen Gaffern. Wo nur ein Rad oder Rädchen los ist, sind Leute in Hülle und Fülle rings herum; der eisen- und stahlbändigende Koloß, wie der kleine, nette, rasche Handschuhnäher und der Nadelöhrlöcherer haben ihre Zuschauer. Es ist, als ob sich alle Bewunderung in der Ausstellung vor den Werken der Erfindung zum Höchsten gipfelte. Sehen Sie nur diese Menschenmasse! Vor den Werken eines Lays, eines Kaulbach, eines Gerome steht zu keiner Zeit des Tages ein Fünftel von ihr versammelt. Und was geschieht hier Merkwürdiges? welch’ ein Triumph menschlicher Arbeit offenbart sich hier dem versammelten Volke verschiedener Zunge, verschiedener Länder, verschiedener Zonen? Filzhüte werden fabricirt! Man sieht die einzelnen Filzfasern im Urzustande in eine Maschine zusammenwerfen und dieselben auf der andern Seite der Maschine zu einem großen Stück geeint herauskommen. Eine zweite Maschine verrichtet dann das Formelle an dem Hute, die letzte Hand wird von Menschen angelegt und nach fünf Minuten ist aus den Filzfasern ein veritabler, runder Hut geworden. Nebenan feiert wieder Gevatter Maschinenschuster seine Triumphe, er macht in derselben Zeit ein Paar Schuhe, in der ein anderer Schuster ohne Maschine noch nicht einmal das Maß genommen hat. Ich glaube, der Mann weiß sogar von vorn herein, wo dich das Meisterwerk seiner Maschine in nicht ferner Zeit drücken wird. Zwei Schritte weiter staunt die überraschte Menge, wie eine kleine Maschine in zwei Minuten hundert Stück Visitenkarten wiedergiebt, die man eben erst bestellt hat. Weiterhin wird Chocolade vor unsern Augen fabricirt und emballirt, Seife gemacht, werden Bonbons geschaffen, Placate gedruckt, Bilder gravirt und noch einiges Andere. Und Alles nur Schnelligkeit, keine Hexerei! Die Franzosen haben eine ganze Reihe dieser werkthätigen Maschinen neben einander aufgestellt und lassen sie zum Ergötzen der Menge alle auf einmal, in buntem Nebeneinander arbeiten ad majorem nationis gloriam. Sie haben da eine gemeinsame Nationalwerkstätte für sich geschaffen und zeigen, wie sie auf diesem engen Raume jeglichen Menschen in kurzer Zeit mit den wichtigsten Culturbehelfen des Daseins auszustatten vermögen, mit Kleidern, Hüten, Stiefeln, Seife, Bonbons und Visitenkarten. Machen diese einzelnen Dinge zusammen den modernen gewöhnlichen Menschen, so kann man von dieser französischen Maschinenabtheilung behaupten, daß in ihr in wenigen Minuten mit der Maschine – Menschen gemacht werden. Diese Maschinenthätigkeit imponirt der Menge in ungewöhnlichem Grade und mit ihr ist für andere Thätigkeiten schwer zu concurriren. Warum malt auch Kaulbach nicht hier vor den Augen der Menge seine „Reformation“? Sein Bild würde dann vielleicht noch mehr Andrang erleben. Wir leben eben im Zeitalter der raffinirtesten Arbeit, und das „Wie“ der Arbeit interessirt so viele Leute mehr als das „Was“. Die Menschen geben sich eben auf Weltausstellungen nicht besser, als sie sonst sind. Sie laufen sonst in hellen Massen dem Gold nach und thun es auch auf dem Marsfelde.

Wir brauchen nur den französischen Bijouterie-Salon zu betreten – wir gehen einfach durch die Rue de Paris und sind schon dort – um uns davon zu überzeugen. Hier an diesem Salon hat die französische Werkstätte der Maschinengalerie einen[WS 3] bedeutenden Concurrenten, sobald es sich um den Massenanschlag des Besuches handelt. Wie sie, Männer, Frauen, Kinder, die mit rothem Sammet ausgeschlagenen geschmackvollen Schmuckkästen belagern! Man muß Queue bilden, um zu den ausgesuchten Herrlichkeiten der französischen Juweliere zu gelangen. Der Salon müßte die Größe der Rue de la Paix, bekanntlich die große Juwelenstraße von Paris, haben, um uns Ruhe des Anschauens gewähren zu können. Ich weiß nicht, was hier mehr funkelt: die vielen begehrenden Frauenaugen oder die ausgestellten Juwelen. Es ist jedenfalls ein interessantes Wettleuchten, das wir vor uns haben. Hunderte von Augen hängen zu gleicher Zeit an dem Schmuck der Kaiserin Eugenie, den der Juwelier der Krone, Mr. Bapst, ausstellt. Das Diadem und Collier strotzen von großen Perlen und doch nehmen beide noch lange nicht den ersten Rang im Schmuckkasten der hohen Frau ein. Wie viele von den Damen, die mit uns hier stehen, wären nicht schon mit diesem Schmuck höchlichst zufrieden! Vor dieser Bundeslade der Bapstischen Juwelen herrscht jene wahrhafte Weihe des Beschauens, die sonst nicht oft im Ausstellungspalast angetroffen wird. Das ist wahre Andacht, man schweigt in Ehrfurcht und verschlingt blos die theueren Sachen mit den Augen. Wenn ja einmal im Kreise der Umstehenden ein Mund sich aufthut, so ist es gewiß der einer Dame, die – auch Juwelen zu Hause hat, deren sie sich hier mit Vergnügen erinnert, dem Angedenken der Theuren schwungvolle Worte leihend und ihre sechs bis sieben Karate laut vor den Ohren der Umstehenden besingend.

Allen Respect, meine Gnädige! Aber muß es schon Juwelen geben, so halte ich mich doch gleich an den Kasten des Herrn Bapst. Er repräsentirt blos das Capital von dreißig Millionen! Und er birgt neben den verschiedenen Stirnreifen, Hals- und Brustschmucksachen, alle voll blitzender Diamanten oder großen und kleinen Perlen, Perlentropfen oder Smaragden, Rubinen, Sapphiren, von zehntausend Francs bis eine Million Francs im Werthe aufsteigend, auch noch ein historisches Juwel: den Diamant Sancy. Bekanntlich hatte die letzte Weltausstellung zu London ihren berühmten Diamanten, den Kohinor. Die jetzige Pariser wäre bald ohne ein solches Meisterstück geblieben, wenn nicht der Besitzer des „Sancy“ zur Ausstellung desselben bewogen worden wäre. Der Mann heißt Oulmann, hat also wahrscheinlich einmal Ullmann geheißen, was freilich, neben den Sancy gehalten, sehr nebensächlich wird. Liegen sich die Diamanten-Gelehrten ja auch wegen des Namens dieses Sancy in den Haaren. Die Einen sagen, er heiße „Sans-si“, und man wollte damit sagen, daß er nicht seines Gleichen habe. Die Anderen wieder sagen, der Diamant habe seinen Namen von einem der vielen Besitzer, die er schon gehabt, von einem Herrn De Sancy, der ihn an Heinrich den Vierten von Frankreich verkauft haben soll. Eines steht fest: der Sancy ist ein historischer Diamant und Karl der Kühne hat ihn in der Schlacht von Nancy getragen. Das ist aber etwas lange her, und der Sancy, wenn er sprechen könnte, so hell und schön, wie er im Bewußtsein seiner dreiundfünfzig und einem halben Karat leuchtet, wüßte Verschiedenes von Leuten, die ihn seither besaßen, zu erzählen. Er war auf einer ewigen Wanderung begriffen und man könnte ihn als den Ahasver unter den berühmten Diamanten der Welt bezeichnen. Seine Besitzer waren meist unglücklich und er ging schon oft den Weg aus den Palais der Großen der Erde in die Boutiquen der Juweliere. Er kam von Frankreich nach England, von England nach Belgien, von hier 1830 nach Petersburg an das Haus der Demidoffs. Aus diesen russischen Händen kam er wieder nach England mittels Kauf und von da nach Indien. Bombay war die letzte Station seiner langen und großen Wanderungen; von dort haben sie ihn zur Ausstellung nach Paris, seiner alten Heimath, geschickt und hier harrt er eines Käufers.

Prinz Demidoff hat seiner Zeit fünfmalhunderttausend Francs für den Stein in Brüssel gegeben, heute ist der Sancy vielleicht billiger zu haben und ist doch nicht an den Mann zu bringen. Man hat bereits allen Höfen Europas Verkaufsofferte gemacht, sie mögen ihn nicht. Ich kann es ihnen nicht verargen, ich legte mir eine halbe Million auch lieber in die englische Bank und ließe den Sancy Sancy sein. Vielleicht beißt aber einer der Souveraine, die noch zur Ausstellung kommen und vor dem Kasten des Herrn Bapst stehen bleiben, doch noch an und der Sancy kommt wieder in königliche Hände. Am Ende nimmt sich ein großbritannischer Edelmann des Edelsteines wieder an. In den Schmuckkästchen reicher, englischer Ladies hat ja schon so mancher historische Stein Ruhe gefunden.

So soll die Perle, die einst Cäsar der Sempronia, der Mutter des Brutus, geschenkt, dieselbe, die später Karl der Erste an dem Tage noch trug, da er im Tower das Schaffot bestieg, und die einen Werth von drei Millionen Francs repräsentirt, heute im Familienschmuck eines der ersten englischen Häuser eine sichere Unterkunft gefunden haben. Was die vornehmen Frauen Englands noch sonst für Schmuck in ihren Kästen haben mögen, man bekommt davon einen Begriff, wenn man die Diademe, Colliers, Ohrgehänge, Brochen etc. sieht, welche der Frau des Grafen von Dudley gehören und die, auf englischer Seite von dem Londoner Juwelier Hunt ausgestellt, das Erstaunen und die Bewunderung der beschauenden Damen aller Nationen in nicht geringerem Grade erregen, als die Kostbarkeiten des Bapst’schen Kastens auf französischer Seite. Mit Recht hat man den Grafen von Dudley zum Juror über Juwelen hier gemacht, er ist der erste und verständigste Juwelenliebhaber Englands. Seine Frau weiß davon, wie wir da sehen. Und wer, meinen Sie, war diese Lady Dudley, die sich heute Hals, Kopf und Brust mit solchen Steinen schmücken kann? Ein armes Arbeitermädchen von London! Wenn nur Juwelen reden könnten! – ich komme immer wieder darauf zurück. Nicht weit da von dem Schmuck der Dudley hat der Londoner Juwelier Brodgen zwei perlenbesäete Attilas des ungarischen Fürsten Paul Esterhazy ausgestellt, die bei der kürzlich in London vorgenommenen Versteigerung des Esterhazy’schen Familienschmucks um fünfzigtausend Francs in sein Eigenthum übergegangen sind. Was meinen Sie, wenn diese Perlen reden könnten, was würden sie uns von der Vergänglichkeit altaristokratischer Herrlichkeit Alles zu erzählen haben?




  1. Dieser Artikel bildet die Einleitung zu einer Reihe von Briefen über die und gelegentlich der Pariser Weltausstellung, die wir von jetzt an etwa alle vierzehn Tage regelmäßig veröffentlichen werden. Der Name des geistreichen Feuilletonisten verbürgt unseren Lesern interessante Bilder aus dem augenblicklich in Paris versammelten großartigen Völker- und Friedenscongresse.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Champs Elysés
  2. Vorlage: einem
  3. Vorlage: eine