Pariser literarische Falschmünzerei

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Titel: Pariser literarische Falschmünzerei
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 422–423
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[422] Pariser literarische Falschmünzerei. Mit Recht rühmt man der deutschen Uebersetzungsliteratur nach, daß sie die Geistesproducte fremder Literaturen mit der nöthigen Ehrfurcht vor der Unantastbarkeit des geistigen Inhalts, sowie mit seltener Treue der Nachdichtung sich aneignet. Unserm Nachbarvolk jenseits des Rheines kann man diese beiden Haupttugenden eines Uebersetzers leider nicht beimessen. Als ich jüngst Marlitt’s „Blaubart“ in französischem Costüme zu Gesicht bekam und darin blätterte, wirkte manches Einzelne erheiternd; allein als ich weiter und weiter las, ward mir ernster und ernster zu Muthe, und als ich das Buch am Schlusse aus der Hand warf, geschah es mit einem Unmuthe, als hätte mir Jemand eine Beleidigung in das Gesicht geschleudert. Das sollte Marlitt’s „Blaubart“ sein, diese liebliche Erzählung, mit den urthüringischen Gestalten? Unmöglich! Das sind zwar deutsche Gestalten, aber es sind Caricaturen von deutschen Gestalten, und das alles zu Liebe verletzter fränkischer Eitelkeit, die [423] im Uebermaße ihrer geifernden Wuth allen Anstand und jegliche Würde hintansetzt. Wie konnte das geschehen? Haben Marlitt und ihr Verleger etwa die deutsche Dichtung, an Händen und Füßen gebunden, einer französischen Uebersetzungshyäne preisgegeben? Gewiß nicht, sondern in gutem Glauben ist auch für „Blaubart“ das Uebersetzungsrecht einer Pariser Firma überlassen worden, wie es bislang für alle Werke Marlitt’s in fast alle lebende Sprachen vergeben worden ist. Möchten doch immerhin die Franzosen ihren Gefühlen freien Lauf und sich von ihren literarischen Freibeutern derartige Zerrbilder vorführen lassen – allein es giebt zahlreiche Deutsche jenseits des Rheines, denen Marlitt’s Werke vielleicht nur in diesem Gewande in die Hände fallen, und da meinen wir, es sei eine Pflicht, die Dichterin vor einer Abscheulichkeit in Schutz zu nehmen, mit welcher die Uebersetzerin, Madame Emmeline Raymond, die dreiste Stirn hat, einer deutschen Frau zu nahe zu treten.

Man gestatte mir, einige Excursionen mitzutheilen, welche die Französin auf eigne Faust unternimmt, und von denen selbstverständlich im Originale kein einziges Wort steht, noch stehen kann. Auf Seite 49 bis 50 legt sie Tante Bärbchen Folgendes in den Mund:

„Der junge Mann da drüben hatte sich ohne Zweifel eingebildet, daß, weil er den schleswig-holsteinischen Krieg mitgemacht hat, die erzwungene oder sogenannte freiwillige Annexion hinfort das oberste Gesetz sei, welches die Beziehungen ebenso vieler Souveräne wie Privaten regeln müßte. Irgend etwas, z. B. eine Provinz, paßt, und man annectirt sie eben, das ist so einfach wie etwa: ‚Wünsche guten Morgen!‘ Auch begreife ich durchaus nicht, wie man in demselben Lande, wo das Annexionssystem gehandhabt wird, die Spitzbuben zu richten und zu verurtheilen wagen kann, und daß diese im Falle ihrer Verurtheilung nicht nach dem Beispiele ihres Souveräns und selbst des Volkes, welches ihm auf diesem Wege in seinem Werke geholfen und ihn ermuthigt hat, an den Rechtsspruch appelliren. Was würden sie zu antworten haben – die Souveräne und die tugendhaften Völker – wenn der Spitzbube ausriefe: ‚Ich habe allerdings die Uhr dieses Reisenden annectirt; allein es ist nur geschehen, um ihn von einem schlimmen Gebrauche derselben abzuhalten. Ebenso wahr ist es, das ich sein Portemonnaie annectirt habe; allein wer mich verurtheilt, darf nicht vergessen, daß ich ein tugendhafter Mann bin, ein guter Familienvater; er darf nicht vergessen, daß ich dieses Geld zum Wohle meiner Familie anzuwenden gedenke, und daß ich also seinen Eigentümer nur verhindert habe, einen schlimmen Gebrauch davon zu machen.‘“

An einer andern Stelle läßt sie die Tante sagen: „Das sind so Leute ohne Rechtschaffenheit, die da nicht wissen, was die Ehre erheischt, wenn sie einen lange vorbereiteten Krieg anzetteln, von welchem sie einen größern oder kleinern Gewinn erwarten. Sie thun, als ob sie provocirt wären, und nehmen Gott zum Zeugen, daß sie nicht anders konnten. Dummköpfe und Ihresgleichen mögen sie wohl täuschen, nicht aber Gott, der sie früher oder später züchtigen wird, so wenig wie Diejenigen, welche, wie ich – ich wage es zu sagen –, ein wenig Verstand und Ehrlichkeit haben.“

Auf einer spätern Seite folgen erneute Schamlosigkeiten, wie wir sie von der feuerschnaubenden Wuth und der giftigen Galle der damaligen verlogenen fränkischen Tagespresse unseren siegreich heimkehrenden Kriegern gegenüber hinreichend gewohnt sind, über durchspähete Schubkästen und Silberspinde, über geraubte Sammetroben und andere Albernheiten mehr. Dann kommt ein Passus, in welchem die Französin den letzten Trumpf ihrer wüthenden Entrüstung ausspielt: „Aber tödten und riskiren sich tödten zu lassen, um die Cassen eines abscheulichen Wucherers zu füllen, der da Geld schlägt aus dem Leben von Seinesgleichen und Gott dafür dankt, daß er ihm gestattet, viel Geld aus Tod, Plünderung und Brand zu ziehen – das ist keine tröstliche Erinnerung für Die, welche einiges Gewissen in sich tragen.“

Arme Marlitt! Die klare, durchsichtige deutsche Novelle von so viel fränkischem Schmutze und Geifer getrübt sehen zu müssen! Was weiß die ästhetisch nicht gebildete Uebersetzerin von Einheit der Idee und Form? Ihr kommt es augenscheinlich nur darauf an, den Gaumen ihrer Landsleute zu kitzeln und auf so manches schmerzlich Empfundene an derberer Stelle in ihrer Weise ein Heilpflaster zu legen.

Wie weit übrigens der Galgenhumor von der Uebersetzerin getrieben wird, mag folgende Stelle beweisen. Der junge, Tante Bärbchen verwandte Kaufmann, welcher im Originale von einer Reise von Paris zurückkehrt, hat diese Reise natürlich nicht nach Paris, sondern nach Berlin gemacht, und nun dichtet die Uebersetzerin in brutaler Selbstständigkeit weiter: „Er präsentirte sich in der Laube mit dem militärischen Anstande, den er bei seinem Studium des preußischen Adels gewonnen hatte, bei welchem, wie man annehmen kann, Uebermuth und Steifheit die Oberhand haben. Er trug eine Brille, obwohl sein Auge gut war, und leimte seine Arme bis zu den Ellenbogen an den Körper; von da bewegten sich seine Vorderarme nach Art dressirter Hunde beim ‚Schönmachen‘ und zeigten Hände, die sich schier wunderten, so gut behandschuht zu sein. Es gab nichts Komischeres als die Zierereien und Verrenkungen, welchen sich der arme Mensch hingab, einzig um zu beweisen, wie sehr er sich den traurigen Originalen anbequemte, deren Lächerlichkeiten er so treu copirte.“ Wenige Seiten später, da wo Blaubart Lili’s Hand ergreift und an seine Lippen führt, erweitert sie die Stelle in boshafter Weise folgendermaßen: „Er ergriff ihre Hand, nahm ganz genau die in Berlin übliche Stellung an, das heißt er schlug die Absätze an einander, dann führte er diese Hand an seine Lippen und küßte sie.“

Gott mag wissen, welcher griesgrämliche alte Haudegen der französischen Dame zu ihren verschrobenen Zeichnungen gesessen haben mag. Unsere jüngeren Cavaliere können es unmöglich gewesen sein, und wenn dennoch – nun, so liegt es nahe, daß Schönheit und Jugend eben nicht die ganze deutsche ritterliche Liebenswürdigkeit unserer jüngeren Krieger provocirt haben. Nur so läßt sich dieser widerwärtige Angriff einer Dame psychologisch erklären.

Es bleibt nur noch eine Stelle anzuführen übrig, in welcher allem bisher Geleisteten gleichsam das französische Siegel aufgedrückt wird. Blaubart sagt im Originale zu Lili: „Ja ja, ich hatte heute Morgen einen unbezahlbaren Anblick; er riß mich dergestalt hin, daß ich die Entfernung und jedes Hinderniß übersah und meinte, mit einem Faustschlage das widerliche Insect fortschleudern zu können, das meine Blume berührte“ etc. Die Französin beschreibt dieses Insect als ein Berliner, häßliches, groteskes und unreines, und „meine Blume“ übersetzt sie: „eine schöne und reine Blume“, womit sie ohne Zweifel ihre „grande nation“ meint.

Damit könnte ich den Bericht über diese literarischen Vergewaltigungen schließen; allein es liegt mir zugleich eine Nummer der in demselben Verlage erscheinenden Wochenschrift „La Mode illustrée“ vor, in welcher die Uebersetzung des Romanes „Die zweite Frau“ von E. Marlitt beginnt und von derselben Uebersetzerin mit einer Einleitung versehen worden ist, die alle Begriffe von Unerlaubtem übersteigt und den mißhandelten „Blaubart“ noch als Schooßkind erscheinen läßt. Man steht geradezu starr vor so viel Hohn, mit welchem die bisher noch nicht zur Rechenschaft gezogene und deshalb in ihrem Gefühle der Sicherheit bis zum Ausbund keck gewordene literarische Piratin allem Anstand in das Gesicht schlägt. Nicht eigentlich als Uebersetzung kündigt sie „Die zweite Frau“ ihrem Publicum an, sondern als Nachbildung (imité), weil, wie sie ganz naiv sagt, eine wörtliche Uebersetzung dem Geschmacke, oder wenn man will, den Vorurtheilen jenseits des Rheines nicht behagt hätte. Nun ist aber der Roman zunächst durchaus nicht für Franzosen geschrieben, so wenig wie für jene von der ultramontanen Partei am Gängelbande geführte Minorität echauffirter Römlinge in Deutschland, und die Pariser Verlagshandlung hat mit dem käuflich erworbenen Uebersetzungsrecht nicht zugleich das Recht erlangt, das deutsche Werk in unverantwortlicher Weise durch Madame Emmeline Raymond verstümmeln zu lassen. Ich werde mir erlauben, nach Vollendung der französischen Uebersetzung an dieser Stelle darauf zurückzukommen.