Photographie auf dem Meeresgrund
[772] Photographie auf dem Meeresgrund. (Zu dem Bilde Seite 757.) Im überraschender Fülle und Mannigfaltigkeit haben wissenschaftlicher Sammeleifer und Forschungstrieb in den letzte Jahrzehnten neue, der Wissenschaft bisher unbekannte Thiere aus dem Schoße des Meeres heraufgeholt, und wer die umfänglichen, reich illustrierten zoologischen Reisewerke der letzten Zeit durchsieht, den mag wohl der Wunsch beschleichen, diese sonderbar gestalteten, oft in den leuchtendsten Farben prunkenden Geschöpfe des Meeres auch einmal im Leben zu belauschen, sie in ihrer Heimath aufzusuchen. Freilich – die gewaltigen Abstürze des Meeres, die „purpurne Finsterniß“ bleibt dem körperlichen Auge des Menschen stets verschlossen, nur mittelbar erlangen wir Kunde von den Tiefen, in denen in schlammigem Grund mit schwankem Stiel als lebende Zeugen längst vergangener Erdperioden die Haarsterne wurzeln, während bizarr gestaltete Fische das Wasser durcheilen, mit eigenem Licht das ewige Dunkel erhellend. Die Fülle des Lebens aber, die das Meer in geringerer Tiefe entwickelt, ist dem Menschen zu sehen erlaubt; die hierzu übliche Toilette ist nicht gerade bequem oder elegant, aber der sichere Taucheranzug, dessen sich der Reisende bedient, gestattet ihm, gefahrlos und in Ruhe die Wunder der Tiefe zu betrachten. Um das Haupt des unterseeischen Wanderers spielen neugierig die Fische und während vielleicht der bleisohlenbeschwerte Fuß über die zerfallenen Mauern eines Prunkhauses der römischen Kaiserzeit dahinschreitet, das einst an der Küste gestanden ist, nun aber mit der Senkung des Landes in die Fluthen untergetaucht ist, greift seine Hand nach einem Tintenfisch, der sich wie derjenige auf unserem Bilde das zerfallene Gemäuer als Raubritterburg ausersehen hat, oder pflückt vom benachbarten Felsen die Blumen des Meeres, zierliche Korallenzweige.
Ganz von selbst tritt da der Wunsch auf, die mannigfachen Eindrücke dauernd zu fassen und das eigenartige Bild wenigstens in seinen Hauptzügen festzuhalten. Ein junger französischer Gelehrter, Dr. Bouton, hat den Gedanken zur That gemacht, die Photographie in den Dienst auch dieses Zweiges unterseeischer Forschung zu stellen; der Aufenthalt an der französischen zoologischen Station Banyuls-sur-Mer, am Mittelmeer nahe der spanischen Grenze, bot ihm Gelegenheit, eine Reihe unterseeischer photographischer Aufnahmen zu machen. Die Hilfsmittel, welche der Gelehrte benutzte, waren sehr einfach. Nächst dem photographischen Apparat ist das weitere Haupterforderniß eine mit Sauerstoff gefüllte Tonne, mit welcher eine Glasglocke verbunden ist, in der eine Spiritusflamme brennt; eine einfache Vorrichtung gestattet, nach Belieben an der Flamme Magnesiumpulver zu zerstäuben, bei dessen blitzartigem Aufleuchten die Momentphotographien gewonnen werden. Löcher in der Tonne gewähren dem Seewasser Zutritt zur Druckregulierung bei der allmählichen Abnahme des Sauerstoffs.
Mit Hilfe dieses Apparates hat Dr. Bouton eine Reihe Aufnahmen an der Küste von Banyuls gemacht und damit für einen neuen Zweig der wissenschaftlichen Forschung wie des Liebhabersports Anregung gegeben. Vielleicht bekommen wir einmal ein Album in die Hand, das uns eine Reihe unterseeischer photographischer Bilder vorführt, ähnlich wie wir jetzt eine Zusammenstellung von Reisebildern aus der Schweiz, aus Norwegen und aus anderen Zielpunkten des Reiseverkehrs durchblättern. Und mit dem, was uns die Oberfläche des Landes bietet, dürfen sich an Mannigfaltigkeit und malerischer Gestaltung die unterseeischen Landschaften, die „Meerschaften“, wie ein schon hier und da gebrauchter, aber noch sehr ungewohnt klingender Ausdruck lautet, kecklich messen. Wohl mag es auch hier manche langweilige Partie geben; wo das Ufer sich sanft abflacht und auf Seemeilen hinaus der Boden sich ganz allmählich senkt, da bietet er keinen fesselnden Anblick; wo aber die Ufer steil in das Meer abfallen, wo vielleicht auch ein Fluß in seiner Mündung dazu beiträgt, das Ufer zu zernagen, wo die stete Brandung am trotzig entgegenstehenden Fels Höhlung auf Höhlung ausnagt, da wechselt die Scenerie mit jedem Schritt, da giebt das Bild einer Meerschaft dem einer wildromantischen Landschaft nichts nach und allüberall kommen die mannigfachen Gestalten der Thierwelt als belebendes Element hinzu; stattliche, becherförmige Schwämme und Korallen haben sich auf den Vorsprüngen der Felsen angesiedelt, Seesterne, Seeigel und Krabben klettern mit verblüffender Gewandtheit in den Spalten der Gesteine herum und Fische und Scharen bunter Quallen erfüllen, wie der Künstler dies uns auf dem Bilde zeigt, das Wasser.
Immer mehr verallgemeinert sich auch die Anwendung des elektrischen
Lichtes bei unterseeischen Forschungen, schon ist dasselbe in größeren Tiefen
zum Fang von Meeresbewohnern zur Anwendung gelangt, und so mag
der Gedanke nicht allzu kühn sein, daß es menschlicher Erfindungsgabe
noch gelingt, mit Hilfe des elektrischen Lichtes und des photographischen
Apparates auch von scheinbar verschlossenen Tiefen der Meere ein
wahrheitsgetreues Abbild zu erhalte. L.