Plan der deutsch-französischen Jahrbücher
Diese Zeitschrift ist eine kritische, aber sie ist keine deutsche
Litteraturzeitung. Wir werden Ausführungen von Franzosen und
Deutschen bringen:
1. Ueber Menschen und Systeme, die von Einfluss und Bedeutung sind, über Fragen des Tags, Verfassung, Gesetzgebung, Staatsökonomie, Sitte und Bildung. Die himmlische Politik des Mittelreiches wird aufgehoben und die wirkliche Wissenschaft von den menschlichen Dingen an die Stelle gesetzt.
2. Eine Revue der Zeitungen und Zeitschriften: Bezeichnung ihres Verhältnisses zu den Problemen unserer Zeit.
3. Eine Revue der alten Buchlitteratur und Belletristik in Deutschland, die nothwendig zu einer Kritik des bisherigen deutschen Geistes in seiner transcendenten, jetzt verfaulenden Daseinsweise ausschlagen muss; ebenso eine Revue derjenigen Bücher beider Nationen, durch welche die neue Epoche, in die wir eintreten begonnen und fortgeführt wird.
Unsere Arbeit ist einige Monate unterbrochen worden, wir setzen sie jetzt auf einer neuen Grundlage fort.
[4] Als im vorigen Jahr die deutschen Regierungen der althergebrachten Freiheit zu philosophiren ein Ende machten, und die Schriften unterdrückten, welche die Welt mit den Gedanken der neuesten Philosophie bekannt machten, erfuhren sie, wo die Sache zur Sprache kam, den Beifall der Volksvertreter und sonst überall die Gleichgültigkeit der grossen Masse des Volks. Diese Erfahrung hat gezeigt; wie weit in Deutschland die Philosophie noch davon entfernt ist, Nationalsache zu sein. Sie muss es werden. Die Gleichgültigkeit der Massen, die Anfeindung der Ununterrichteten unter den Gebildeten muss aufhören, der Widerstand derer, die von Amtswegen dem Gebrauch und der Realisirung der Vernunft entgegen sind, muss gebrochen werden. Ein Volk ist nicht eher frei, als bis es die Philosophie zum Princip seiner Entwicklung macht; und es ist Aufgabe der Pilosophie, das Volk zu dieser Bildung zu erheben.
In Deutschland war die Heuchelei, als sei die Wissenschaft gleichgültig gegen das Leben, und wenn das nicht, als sei doch wenigstens ihr Himmel für die Masse der Menschen unerreichbar, nicht zu besiegen. Unter vernünftigen Verhältnissen wird der Kern der Wissenschaft Eigenthum Aller in der Form der Praxis und des allgemeinen Bewusstseins. Ein praktischer Gedanke, ein weltbewegendes Wort sind aber in Deutschland unmittelbar Attentate auf Alles, was heilig und über den Pöbel erhaben ist. Heilig und vornehm, nicht menschlich und frei, ist die deutsche Wissenschaft so gut als der deutsche Staat, und Verrath an beiden, die Menschheit ohne Rückhalt in ihren Besitz zu setzen. Dieser Verrath muss jetzt begangen werden.
Man könnte sagen, er muss fortgesetzt werden, denn der Anfang ist in der That schon gemacht. Die Ereignisse der letzten Jahre haben die Philosophie zu einer politischen Bedeutung erhoben, die sie in Deutschland bisher noch nie erreicht, und den Glauben an eine Litteraturwelt, in der die seligen Götter des gelehrten und [5] künstlerischen Olymps ein abgeschiedenes Leben führen, nicht wenig erschüttert. Die Menschheit interessirt jetzt nicht mehr das entfernte Wetterleuchten einer Weisheit, die jenseits des gewöhnlichen Horizontes arbeitet, nicht mehr die lautlose Buchhaltung der Litteratur über die zu Grabe gegangenen Geister, sondern wesentlich das wirkliche Wwetter, in das wir unsere Köpfe hinausstrecken, der Aufruhr oder die ruhige Strömung der ganzen gegenwärtigen Athmosphäre, der Kampf strebender und widerstrebender Elemente in ihr, - das Leben dieser reellen in sich arbeitenden Menschenwelt.
Für dies Interesse thätig zu sein, ist die Aufgabe aller fähigen Menschen unserer Tage. Der grosse Gedanke einer weltgewinnenden Litteratur der Aufklärung wird nun erst in seinem ganzen Umfange verwirklicht werden; alle Kunst und aller Geist, aller Ehrgeiz und alle Arbeit, die nicht verloren sein will, wird er in seinen Dienst nehmen, um mit unwiderstehlicher Gewalt die Freiheit der Wissenschaft und des Staates zu einer Herzenssache der gebildeten Völker zu machen.
Wir haben uns dieser Aufgabe gewidmet. Ist die deutsche Bewegung für den Augenblick in eine Bücherwelt zurückgeschleudert, die sich das Ansehn giebt, als ginge sie die Geschichte und die Revolution, in der wir leben, nichts an; so werden wir diese Heuchelei und Indifferenz abstreifen und mit vollem Bewusstsein politische Zwecke verfolgen. Wir werden Alles auf die Freiheit beziehn. Eine indifferente Gelehrsamkeit giebt es für den Philosophen nicht. Philosophie ist Freiheit und will Freiheit erzeugen; und wir verstehn unter Freiheit die wirklich menschliche, d.h. die politische Freiheit, nicht irgend einen metaphysischen blauen Dunst, den man sich auf seinem Studirzimmer vormachen kann, und wäre auch dies Zimmer ein Gefängniss.
Wir werden damit anfangen, eine kritische Zeitschrift zu schreiben, und wir denken, ihr diesen Namen dadurch zu verdienen, dass [6] wir in ihr eine philosophische und publicistische Darstellung der Crisen unserer Zeit geben.
Für Deutschland allerdings werden wir wohl auch noch ferner die Anknüpfung an die Litteratur beibehalten, da hier die Schriftsteller sowohl, als die Regierungen nichts anderes hervorbringen, als reine Litteratur.
Sonst aber ist den Mitarbeitern an der Kritik, die wir beabsichligen, unbedingt die Anknüpfung an jedes Problem der Zeit, auch abgesehen von einer bestimmten litterarischen Erscheinung desselben, freigestellt. Alles, was sich auf die grosse Umwälzung bezieht, die in der alten Welt vor sich geht, in möglichst prägnanter und künstlerisch abgerundeter Form zum allgemeinen Bewusstsein zu bringen, diese Aufgabe, welche die Franzosen schon so oft und mit so schlagendem Erfolge gelöst, gilt nun auch für uns. Der deutsche Contrat social und die deutsche Frage: Was ist Deutschland, und was muss es werden? Die deutsche Politik für’s Volk - alle diese Schriften werden geschrieben werden. Die Lorbeeren der unsterblichen Franzosen müssen uns nicht schlafen lassen.
In der That verhält sich der Charakter solcher Schriften, die aus der Bewegung des öffentlichen Lebens entspringen und wieder den Ursprung einer neuen Epoche enthalten, zu deutschen Gedanken und Schriften wie das Tagesleben zum Traume. Die Kühnheit der Absicht, die Kunst der Ausführung und die Grösse des Erfolgs sind bei uns auf gleiche Weise unmöglich.
Dies führt uns zu Frankreich. Jede Verweltlichung der Wissenschaft, jede Verbindung derselben mit der Polilik ist unmittelbar Verbindung mit Frankreich. Gegen Frankreich sein und gegen Politik, gegen Polilik und gegen Freiheit sein, ist in Europa dasselbe. Frankreich ist das politische Princip, das reine Princip der menschlichen Freiheit in Europa und Frankreich ist es allein. Es hat die Menschenrechte proclamirt und erobert, es hat seine Eroberung verloren und wiedergewonnen, es kämpft in diesem Augenblick um [7] die Realisirung der grossen Principien des Humanismus, welche die Revolution in die Welt gebracht. Hiedurch hat diese Nation eine kosmopolitische Sendung: was sie für sich erkämpft, das ist für alle gewonnen. Der Nationalhass gegen Frankreich ist daher mit dem blinden Widerwillen gegen die politische Freiheit völlig gleichbedeutend. In Deutschland kann man das Mass des Verstandes und der sittlichen Befreiung bei jedem Menschen daran prüfen was er über Frankreich urtheilt. Je trüber der Verstand, je unterwürfiger die Denkungsart eines Deutschen ist, desto ungerechter und unwissender wird sein Urtheil über Frankreich ausfallen. Die Grösse und sittliche Kraft einer Nation, die sich und ganz Europa alle Freiheit erobert hat, welche die Welt jetzt geniesst, wird er unsittlich, die Aufhebung seines eignen Princips, des Philisterthums, wird er gemüthlos nennen, und Sinn für Familienglück wird er den gottlosen Franzosen nun gar nicht zugestehn. Wer in Deutschland die Franzosen versteht und anerkennt, ist schon ein gebildeter, ein freier Mann. Ganz natürlich. Die wirkliche Vereinigung des deutschen und französischen Geistes ist ein Zusammentreffen in dem Principe des Humanismus, und einer solchen Vereinigung geht die Versittlichung des Individuums durch Aufhebung des rohen Nationalhasses und der unwissenden Schmähsucht, nicht minder die Erkenntniss der gegenseitigen wissenschaftlichen, geselligen und politischen Tugenden vorauf. Beides ist eine geistige Befreiung. Und auch darin beschämen uns die Franzosen. Sie haben sich ihr zu einer Zeit, als sie Ursache hatten uns zu hassen, freiwillig ergeben. Sie studiren uns, sie achten uns, ja sie überschäten uns und unsre überweltliche Wissenschaft; und wenn sie die weltliche Wendung der neusten Epoche noch nicht kennen, so wird es sich gar bald zeigen, dass sie erst hier wirklich mit uns zusammenkommen. Wir dürfen, wenn auch in der Freiheit, doch nicht in der Bildung hinter ihnen zurückbleiben; und wenn es eine Zeit gab, wo Lessing Deutschland vom Joch des französischen Geistes befreien musste, [8] so ist ohne Zweifel jetzt das Studium der französischen Geisteswelt, ihrer Eleganz und Bildung für uns eine Befreiung von endlosem Wust und Vorutheil, ein Schutz gegen alle eroberungssüchtigen und tyrannischen Missbräuche des Nationalgefühls, und endlich, wenn man so viel hoffen darf, ein Sporn zur Erkämpfung politischer Freiheit und eines öffentlichen Staatslebens. Die reellste Vereinigung beider Nationen ist die Vermittlung ihrer Bildung; ja, eine solche Vereinigung ist der Sieg der Freiheit.
Wir Deutsche haben viel Zeit verloren mit Aufstöbern, Ausklopfen und Ausbürsten unsers alten Krams in Religion und Politik. Wir haben uns zum Theil die Augen dabei verdorben und sind übersichtige Romantiker geworden. Aber wir haben auch einen Ordnungssinn und einen logischen Scharfblick aus dieser Arbeit gewonnen, der uns in metaphysischen und phantastischen Regionen zum sichern Compass dient, während die Franzosen in ihnen ohne Steuer vor Wind und Wellen treiben. Selbst Lamennais und Proudhon, die im Politischen so unübertrefflich klar und scharf sind, machen hievon keine Ausnahme, der Saint-Simonisten und der Fourieristen gar nicht zu gedenken.
Uns Deutsche hat, so seltsam es den Ununterrichteten auch klingen mag, von der Willkür und Phantastik das Hegelsche System befreit. Indem es die ganze transcendente Welt aller bisherigen Metaphysik als ein Vernunftreich constituirte, liess es uns nur übrig, die Transcendenz der Vernunft aufzuheben, um den Vortheil ihrer logischen Sicherheit und Consequenz zu geniessen. Aus dem Himmel des Hegelschen Systems auf die Erde, die der directen menschlichen Vernunft gehört, gelangt man ausgerüstet mit dem Pilotenverstande, der die Himmelscharte, selbst zu seiner Orientirung auf der Erde, benutzt. Diese Himmelscharte ist uns Deutschen die Logik des Hegelschen Systems, sie, die selbst das ganze System in himmlischer, abgeschiedener Form noch einmal ist.
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man unmittelbar zur [9] menschlichen Freiheit und zu den Forderungen des reinen Humanismus gelangt, oder ob man die ganze himmliche Wirthschaft, in welcher die alte Menschheit noch befangen ist, den ganzen romantischen Wust in Religion und Politik, vorher systematisch, d. h. philosophisch durchgemacht und an jedem Punkte überwunden hat. Die Freiheitsforderung derer, die aus der Hegelschen Philosophie hervorgehn, ist daher nicht ein blosser Wille, sondern ein motivirter Wille, nicht ein liberaler guter Wille, sondern eine nothwendige Consequenz, nicht ein Produkt des Zufalls, sondern ein Ergebniss der Geschichte des deutschen Geistes, eine Form seines Bewusstseins über seine ganze bisherige Arbeit, der nun nichts mehr entgegenzusetzen ist. Denn was diesem Zeitgeiste entgegengesetzt werden könnte, die Vergangenheit oder seine bisherige Arbeit und ihre Herrlichkeit; eben diese durchschaut zu haben, ist sein Verdienst. Früher konnte ein solches Unternehmen gelingen; denn damals war in Deutschland die Freiheitsforderung so wüst und ungebildet, dass sie selbst gar nichts anders enthielt, als eben jene unbedingte Verehrung der Vergangenheit. Zunächst aber, als man diesen Gedanken ausführen wollte, war die Vergangenheit die alle Beamtendespotie, dann, als diese sich wieder durchgesetzt hatte, konnte man, so schien es, noch einen Schritt weiter zurückthun und die Romantike oder das christlich-germanische Restaurationsprincip zur Reformirung des Beamtenstaates anwenden. Dies ist aber schon ein verunglückter Versuch zu nennen. Seitdem sich zwei deutsche Könige vergeblich mit dieser Reform zum Mittelalter zurückzuarbeiten versucht haben, ist die Ohnmacht der Romantik in der Politik schlagend bewiesen. Gewonnen ist aber wenigstens so viel damit, dass die Scheidung des Geistes der Restauration und der Revolution unwiderruflich vollzogen wurde. Die Privilegien des alten himmlischen Reiches und die menschliche Freiheit unserer Epoche sind auf den Tod verfeindet. Und die Revolution hat alle moralische und intellektuelle Gewalt auf ihrer Seite. Bei jedem wahren [10] Wort, das im Namen der Freiheit gesprochen wird, erhebt der morsche Raritätenkasten der Vorzeit, und seine Bewohner und Vertheidiger fühlen, dass es der Drommeten von Jericho nicht bedarf, um ihn niederzuschmettern. Diese Angst hat uns in Deutschland das Wort verboten. Das Verbot ist der Ausdruck der Todfeindschaft, aber auch der Todesfurcht und eben darum die Bürgschaft unserer Zukunft. Eine solche Niederlage ist schon der Sieg.
Freilich wenn die Franzosen dies hören, werden sie sagen: „In einem dreissigjährigen Kampfe nicht weiter gekommen zu sein, als bis zu diesem Punkt, dass in seiner Todesangst der alte Despotismus sich zur gänzlichen Vernichtung aller freien Regung des Öffentlichen Geistes aufgerafft und die Freiheit nichts als diese stille Hoffnung auf ein zukünftiges Geschlecht übrig behalten hat, das heisst in der That viel Zeit und alles Terrain verlieren.“ - Ja, wir geben es zu, der Wechsel auf die Zukunft ist, so gut und nicht besser als die Zukunft selbst, eine Realität, die für uns wenigstens immer sehr zweifelhaft bleibt. Wir konnten diese Thatsache nicht bündiger eingestehn, als damit, dass wir daran verzweifeln mussten, bevor wir den gastlichen Boden Frankreichs betraten, auch nur die freie Sprache und die Veröffentlichung unserer Gedanken wieder in unsere Gewalt zu bekommen. Und dennoch ist die Mühe in dem Gebiet der reinen Principien nicht umsonst aufgewendet, die Arbeit in der überweltlichen Region, der wir Deutsche so grosse Kräfte gewidmet, nicht verloren. Diese Mühe und Arbeit führt, durch die wiederholte Erkenntniss und Erklärung des alten, zu der radikalsten Eroberung des neuen Princips; ihre Früchte den Franzosen zugänglich machen, heisst die grosse Umwälzung, die sie durch die Philosophie des 18ten Jahrhunderts und durch ihre Revolution gemacht, für immer sicher stellen. Wir sichern sie, wenn es uns gelingt sie mit der neuesten deutschen Philosophie bekannt zu machen, gegen alle Verführung jener wildaufgewachsenen Genialität und zügellosen Phantasie, der grade die Franzosen mit einer edlen [11] Unbesonnenheit sich zu überlassen pflegen, wie dies des geistvollen Chateaubriands und Lamennais’s christliche Schwärmereien und die romantischen Gelüste eines grossen Theils der jetzigen französischen Jugend hinlänglich beweisen. Haben wir Deutsche uns an der Freiheit versündigt, als wir die grösste That der Weltgeschichte, die Revolution, im Dienste des Despotismus bekämpften, so wird es eine Sühne sein, wenn jetzt die deutsche Philosophie den französischen Geist vor den Lockungen, die ihm drohen, bewahren kann - Lockungen, denen die guten Deutschen seit den Freiheitskriegen so schmählich erlegen sind. Der Naive, der die Irrwege der religiösen und poetischen Phantastik nicht kennen gelernt, der sie in jener metaphysischen Himmelscharte nicht genau verzeichnet und für immer characterisirt weiss, ist nie sicher. Auf die metaphysische Naivetät der Menschen haben von jeher die Priester, welche die Stirn hatten, der Welt Mysterien zu offenbaren, die sie selbst weder wussten noch glaubten, ihr System gebaut. Auf dieser Naivetät ruhte das ganze System der mittelalterlichen Heiligthümer, denen der Mensch und seine Freiheit zum Opfer gebracht wurde. Die Deutschen haben den Ruhm, dieser düpirten und entmenschten Zeit vorzugsweise anzugehören. Den Sturz von den lichten Höhen der griechischen Menschheit in die düstre Tiefe der christlich-germanischen Gemüthsrohheit, wem anders als der metaphysischen Einfalt unserer Vorfahren hat die Welt ihn zu verdanken? Und diese tausendjährige Einfalt sollte die Revolution überleben und selbst durch den Zusammensturz des ganzen alten Reichsplunders nicht gewitzigt werden! - Als die Deutschen im Anfange dieses Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit wieder erobert hatten, wandten sie sich diesem Plunder wieder zu, und was sie von dem alten Unwesen in der Wirklichkeit nicht erreichen konnten, dessen erinnerten sie sich wenigstens mit unglaublicher Sehnsucht und Gemüthlichkeit. Eine gute Weile haben sie sich ihrer kaiserlich-päbstlichen Herrlichkeit erinnert, dann aber [12] mitten in dieser Erinnerung ist ihnen das Verständniss derselben aufgegangen, und die neuste Philosophie bietet die Erscheinung dar, dass nun auch die Deutschen von freien Stücken mit den Illusionen ihrer Vergangenheit brechen und im Namen der unverjährlichen Menschenrechte dem „christlich germanischen“ Mittelalter den Krieg erklären. Dies ist eine Genugthuung für Frankreich, es ist ferner, wie gesagt, eine Arbeit, die ihm positiv zu Gute kommen muss, und es ist endlich die Vereinigung des deutschen und französischen Volks in demselben humanen Princip, eine unwiderstehliche Allianz der Freiheit beider Völker, deren gemeinsames Schicksal von nun an unumstössliche Thatsache ihres politischen Bewusstseins ist.
Die Rückkehr des deutschen Bewusstseins zu dem Grundgedanken der französischen Revolution trägt uns von der andern Seite eine Realität entgegen, die wir mit unglaublicher Uebersichtigkeit bis jetzt vernachlässigt haben. Frankreich ist das Land , welches seit der Revolution an der Realisirung der Philosophie arbeitet, Frankreich ist ein durch und durch philosophisches Land. Wenn man ihm vorwerfen kann, dass es über die Praxis manchmal die Principien aus dem Auge verloren habe, so muss man gestehn, dass es mit bewundernswürdigem Muth und Geist immer wieder zu ihnen zurückgekehrt ist, und sein ganzes Leben mit ihnen geschwängert hat, wie kein andres Voik dies bis jelzt vermochte. Der Boden dieses Landes ist daher geweiht; eine klassische, eine männliche, eine ganz ungeheuchelt wahre Litteratur, hinreissend durch Form und Inhalt, hat sich auf ihm erzeugt, Wir Deutsche haben wenig oder nichts dergleichen. Ja, wir fühlen noch nicht einmal das Bedürfniss, die geistige Speise, die man uns täglich auftischt, nur unverfälscht und ehrlich bereitet zu geniessen. Unsere Litteratur und unser politisches Leben ist durch und durch verderbt und wenn ja ein Schriftsteller und Politiker naiv genug ist, dem System der verkehrten Welt, in der Alle für Einen und Viele für Wenige geschaffen sind, ehrlich anzuhängen, so ist dies eine [13] Wahrhaftigkeit und eine Aechtheit des Ausdrucks, die nichts werth, eine Einfalt, die so gefährlich ist, wie irgend eine. - Wie können wir uns retten aus diesem grössten Elend, das über eine Nation kommen kann, aus der sittlichen Verwahrlosung ihrer ganzen Oeffentlichkeit?
Wir müssen uns die freie und wahre Oeffentlichkeit suchen, wo sie zu finden ist; und da die deutsche Nation zu stumpf ist, um für Pressfreiheit die Stimme, welche durchdringt, den allgemeinen energischen Ruf zu erheben; nun, so müssen wir im Auslande schreiben und drucken wie die Franzosen vor ihrer Revolution dies auch gemusst.
Es handelt sich für uns Deutsche darum, ein Beispiel wahrer Pressfreiheit vor Augen zu haben, eine Anschauung zu gewinnen von der Freiheit, die sich selbst beherrscht und Gesetze auferlegt, von einer Freiheit, die vor nichts zurückbebt, als davor, sich selber und den ewigen Gesetzen der Vernunft ungetreu zu werden, von einer Freiheit, die, selbstgewiss und unerbittert, dem Knirschen des gefesselten Sklaven entsagt, die Welt nicht verwüsten und ihr nicht ins Gesicht schlagen, sondern sie gewinnen, sie hinreissen, sie über sich selbst erheben will, von einer Freiheit, die in der Schönheit ihr Gesetz und in der Wahrheit ihr Mass und Ziel findet. Ja, ihr Herrn, um diese Freiheit. Ihr habt uns lange umhergezerrt und unter die Füsse getreten, ihr habt unsre Arbeiten unbarmherzig verdorben und vertilgt, ihr habt unsern Zorn über eure Rohheit und Unwissenheit zur Wuth entflammt, und dann, wenn ihr auch den Ausdruck gerechter Leidenschaft wieder verfälscht hattet, dann zeigtet ihr zuletzt noch mit Fingern auf uns und charakterisirtet uns nach unsern Schriften, wie sie eure Beamten in den Druck gegeben und eure freie Presse sie verstanden hatte. Das ist kein Kampf, das ist eine Verhöhnung des Gefesselten, ein Spiel mit des Menschen Recht und Ehre. Genug dieses Spiels für uns und für euch. [14] Fürchtet ihr uns, so thut es; aber ihr habt nichts für uns zu fürchten, für die ihr bisher so väterlich sorgtet. Wollt ihr kämpfen, jetzt ist Luft und Sonne gleich; aber wenn wir jetzt erscheinen, wie wir sind, nicht wie die Censur uns frisirte oder die List gegen sie uns vermummte, so habt ihr nicht zu fütchten, dass wir uns nun in einem minder vortheilhaften Lichte zeigen.
Wir finden die Pressfreiheit vor; wir treten plötzlich in sie ein, wir, denen selbst unter Censur zu schreiben nicht mehr vergönnt sein sollte. Es ist ein Sprung, der ungeheuerste, den es geben kann, von der entwürdigsten Stellung zu der ehrenvollsten, von der gänzlichen Unterdrückung zur vollkommenen Freiheit. Aber dieser Sprung ist natürlich. Die alten Verhältnisse wollten uns nicht mehr ertragen, weil wir ihnen entwachsne waren; und wir werden es beweisen, dass wir im Mutterleibe der deutschen Finsterniss stark genug geworden sind, um mit einem Male das Licht der Welt zu erblicken und die Luft der freien Atmosphäre ein- und auszuathmen.
Unsere Pressfreiheit wird uns, wir hoffen es, unsterbliche Werke aus der Werkstatt der neuen Generation zuführen. Sie ist wirkliche Freiheit, sobald sie auftritt als die Frucht ernster und hingebender Studien der Philosophie und der Form; sie wird aber auch euch, der alten Generation der Unterworfenen, eine Pressfreiheit, zum mindesten gegen uns, bringen. Hütet euch, dass diese nicht ein wüstes Nebelbild der wahren, ein rohes altdeutsches Gespenst ohne Sitte, Verstand und Schönheit werde. Nehmt all eure Kräfte zusammen; und wenn ihr als Gegner der Freiheit nicht frei sein könnt, so sucht wenigstens die Ehre wohlgezogener und gutgeschulter Diener zu erwerben. Wenn ihr ohne Gemeinheit polemisiren und ohne Rohheit unsre Gegner sein, wenn ihr euch deutsch ohne Brutalität, patriolisch ohne Verworfenheit, loyal ohne Verrath an den ewigen Rechten der Menschheit zeigen könnt; so wird auch euch dies neue Verhältniss befrein; wo nicht, so ist es nicht unsere Schuld, dass ihr die Gelegenheit versäumet, die wir euch bieten.
[15] Wie aber auch die Form der deutschen Pressfreiheit, die uns gegenübertritt, ausfallen mag, ihr Inhalt ist bekannt und ihre Absicht hat alle Welt verstimmt. Ja, wenn der ganze Helikon herniederstiege und die Grazien allen Schriftsteller von der guten deutschen Presse ihren Gürtel borgten; es würde ihnen nicht gelingen die allgemeine Verstimmung über das System, dem sie dienen, zu beschwichtigen. Die Entwürdigung des deutschen Namens ist eine allgemein gefühlte Thatsache, um so schmerzlicher da sie unmittelbar auf die Hoffnungen von 1840 und 41 folgt und buchstäblich eine ganze Nation eben so schnell aus ihrem Himmel herabgestürzt, als sie sich in ihn erhoben hatte. Es ist nöthig, dass die gefühlte Entwürdigung auch zu Worte kommt und dass sie deutlich und leserlich für zukünftige Geschlechter in das grosse Buch der Geschichte eingetragen wird. Aber damit ist es nicht genug; es bedarf einer Enthüllung des alten Systems, die von Innen herauskommt und mit der Wiederherstellung der menschlichen Freiheit nicht nur ebenfalls ein neues politisches System begründet, sondern damit eben so sehr Epoche macht, wie die planmässige Unterjochung der Menschheit, die den grössten Theil der bisherigen Geschichte einnimmt.
Die Zeit, der Kritik einen solchen, d. h. den direkten und wesentlichen Inhalten zu geben, ist gekommen. Alle Anzeichen, sowohl die Beeiferung der Welt um die Erkenntniss ihrer Lage und die Lust der Aufklärer an ihrer Arbeit, als auch die Bemühungen derer, die beides zu fürchten haben, beweisen die Nähe einer reellen Krisis. Hier erinnern wir uns des Zurufs eines Freundes: Seht, sagte er, alle Fenster des alten Deutschland bis unter’s Dach und selbst die Dachfenster der Philosophen sind zugestopft, damit die Sonne der Revolution vorüber und ohne die Herzen der Menschen erquickt und ihren Sinn befreit zu haben, wieder untergehn könne. Wohlan, heben wir das Dach von dem finstern Gebäude und lassen wir das Sonnenlicht in alle Winkel scheinen. [16] Dies beabsichtigen wir durch unsere Kritik und dies, meine Herrn, ist eine neue Epoche.
Es geht hiemit nicht eine persönliche Vermittlung durch vereinzelte Indivuen mit der neuen Welt der Revolution vor sich, nein, es ist jetzt ein Princip aus Deutschland nach Frankreich und aus Frankreich nach Deutschland gekommen; die Fraternisirung der Principien aber ist die Einkehr einer ganzen Nation bei der andern. Die Individuen sind nur berufen, den allgemeinen Willen zu vollziehn. Je mehr die deutsche Philosophie politisch geworden ist, um so stärker zeigten sich die Sympathieen des Volks. Diese, die sie zu Hause zurücklässt, wird sie bei ihrer Rückkehr doppelt wiederfinden. Das Interesse des deutschen und französischen Geistes aneinander ist in einer augenscheinlichen Spannung, diese Spannung aber eine entschieden freundliche.
Ausser der direkten Kritik, die wir bisher beschrieben, kündigten wir oben noch ferner eine fortlaufende Aufsicht über die deutschen Zeitungen, so eine Art umgekehrter Censur an. Sie ist im Grunde ganz dieselbe Sache, wie jene unmittelbare Beleuchtung der alten Politik, nur unverfänglicher, man schlägt die Säcke und - trifft den Geist der sie trägt. Zugleich stellen wir so das Gewissen, welches ihnen abhanden gekommen ist, dar. Während aber die alten Erinnyen als hypostasirtes Gewissen tragisch einherschreiten, denken wir, die modernen, wenigstens gegen die deutschen Zeitungen, meist komisch wirken zu können.
Die Buchkritiken endlich hoffen wir, wie die Bücher der Sibylle, um so höher im Werth zu halten, je weniger ihrer werden (im umgekehrten Verhältniss von Gersdorfs Repertorium und den schwäbishen Jahrbüchern) unter der Bedingung, dass es uns gelingt, auch hier den Punkt zu treffen, von dem aus man die alte Welt aus ihren Angeln hebt.