Politische Blumensprache

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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Politische Blumensprache
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 631–632
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Politische Blumensprache.

Von Rudolf Kleinpaul.

Blumen als Dolmetscherinnen seiner Gedanken und Empfindüngen, namentlich in Liebesangelegenheiten, zu gebrauchen, ist eine alte Sitte, die sich durch ihre Anmut, ihren Reichtum und ihre Unverfänglichkeit empfiehlt. Sie gilt für eine Specialität des sinnigen Orients, wird aber überall gepflegt und überall verstanden. Wer kennte nicht die Sprache der Rosen, der Veilchensträußchen und des Vergißmeinnichtes? –

Aber die Blumen werden nicht nur benutzt, zarte Liebesgeständnisse auf sinnige Art zu vermitteln. Es giebt auch politische Blumen, die man selbst behält und als Zeichen seiner Gesinnung an sich trägt. Als kürzlich der Präsident Loubet bei den Rennen zu Auteuil von dem Grafen Christiani insultiert ward, hatten die Monarchisten weiße Nelken im Knopfloch stecken, worauf sich die Republikaner, um ihnen nichts schuldig zu bleiben, mit roten Nelken schmückten; die Weißnelken und die Rotnelken wurden Parteinamen, wie einst in England die Weißen und Roten Rosen. Die Kriege der Häuser York und Lancaster im 15. Jahrhundert um den Thron von England nennt man bekanntlich die Rosenkriege, weil sie unter dem Zeichen der Rose ausgefochten wurden, indem die Anhänger des Hauses York eine weiße, die von Lancaster eine rote Rose als Feldzeichen an ihren Hüten, beziehentlich als Kleinod an ihren Helmen führten. Shakespeare hat im ersten Teil von „König Heinrich VI“ den Ausbruch der Feindseligkeiten geschildert. Im Garten des Tempels, des ehemaligen Ordenshauses der Tempelherren in London, setzt Richard Plantagenet, Herzog von York, seine Ansprüche und Rechte auseinander. Da aber seine Anhänger mit der Sprache nicht herauswollen, so fordert er sie auf, ihre Herzensmeinung zu verblümen:

„Es pflücke, wer ein echter Edelmann,
Und auf der Ehre seines Bluts besteht,
Wenn er vermeint, ich bringe Wahrheit vor,
Mit mir von diesem Strauch ’ne weiße Rose!“

Das greift sein Gegner, der Graf von Somerset, auf, er bricht seinerseits eine rote Rose:

„So pflücke, wer kein Feigling ist, noch Schmeichler,
Und die Partei der Wahrheit halten darf,
Mit mir von diesem Dorn ’ne rote Rose!“

Worauf denn die anwesenden Lords und Herren samt und sonders Partei ergreifen und zwischen den beiden Rosen wählen. Das geschah an einem Sommerabend des Jahres 1452, damit begann der dreißigjährige englische Erbfolgekrieg, der Hunderttausende „in Rosen, d. h. im Blute, waten“ ließ, in dem achtzig Prinzen von Geblüt erschlagen wurden und die altnormännische Aristokratie unterging.

Die Nelke hat in Frankreich nach dem Sturze Napoleons I politische Bedeutung gewonnen. Bereits im Jahre 1815, wenige Tage nach der Wiedereinsetzung der Bourbonen, wurde die rote Nelke das Sammelzeichen der Anhänger Napoleons und seiner Dynastie, der Imperialisten; dagegen steckten die Royalisten, namentlich die königlichen Garden und die Pagen, weiße Nelken an. Erst nachher wurde das Veilchen Abzeichen der Bonapartisten, wofür es [632] auch nach dem Sturze des zweiten Kaiserreiches galt. Vor zehn Jahren trugen wieder die Boulangisten dunkelrote Nelken als Erkennungszeichen im Knopfloch, während die Sozialisten und die Radikalen in Frankreich den roten Storchschnabel angenommen haben. Alle diese Blumen, die vielfach wechseln, sind auf dem Boden der ersten französischen Revolution gewachsen; sie stehen in ausgesprochenem Gegensatze zu der weißen Farbe des Königtums.

Weiß ist in Frankreich die Farbe der alten Monarchie, der Bourbonen und der Orleans; ein „Weißer“ soviel wie ein Legitimist oder ein Orleanist, das heißt ein Königlicher. Das kommt daher, daß die französischen Könige durch acht Jahrhunderte (seit König Ludwig VII) die Lilie in ihrem Wappen und das weiße Lilienbanner führten, eine mit goldenen Lilien übersäte weiße Fahne. Das änderte sich mit der Revolution; mit ihr kam die sogenannte Trikolore, die rotblauweiße Fahne und Kokarde, als Sinnbild der drei Stände und des neuen Staatsgedankens auf. Natürlich, daß die königliche Partei diese drei Farben niemals anerkannte: nach der Wiedereinsetzung der Bourbonen im Jahre 1815 mußte sich die Trikolore wieder vor dem Weiß verstecken. Ludwig Philipp nahm zwar 1830 die dreifarbige Fahne anstatt der weißen an; aber als die legitimistische Partei nach der Februarrevolution und nach dem Sturze des zweiten Kaiserreiches 1870 den Grafen von Chambord als Heinrich V auf den Thron erheben wollte, scheiterte der Versuch an der Weigerung des Grafen, die Trikolore anstatt des weißen Lilienbanners als nationales Abzeichen anzunehmen.

Jedesmal kämpften nun die Farben im stillen weiter, wenn sie beim großen Spiele unterlegen waren, und zwar suchte man nach Blumen, die minder auffällig und verdächtig waren als Fahnen und Kokarden, und die man anstecken konnte, ohne gleich eingesteckt zu werden. Die Republikaner schmückten sich mit blühenden Trikoloren: deren gab es viele. An ein halbes Dutzend Blumen werden von den Gärtnern als Tricolor (dreifarbig) bezeichnet; zum Beispiel der Amarant, das Stiefmütterchen, das deshalb auch das Dreifaltigkeitsblümchen heißt, eine Art Storchschnabel oder Pelargonium und mehrere Varietäten der Nelke. Die dreifarbige Nelke und das dreifarbige Veilchen mußten Opposition gegen das alte Königshaus, die ältere und die jüngere Linie desselben machen; das dreifarbige Veilchen, Viola Tricolor, ist unser bekanntes Stiefmütterchen. Dieses wurde speciell die Wappenblume derjenigen Revolutionäre, die den Imperialismus begünstigten, der Napoleoniden. Jetzt tragen die Bonapartisten meist einfache blaue Veilchen, die Lieblingsblume Napoleons III; die Veilchen sind wie die Bienen, die einst der erste Napoleon zu Emblemen seines Kaisertums erhob, weil sich im Grabe des alten Königs Childerich zu Tournai goldene Bienen gefunden hatten, Abzeichen der Partei. Auch die Republikaner behielten am Ende von den drei Farben nur eine, die Volksfarbe, das Rot, bei. Und neben diesen Ausgeburten der Revolution erhielt sich fort und fort die weiße Blume des Königstums, die weiße Nelke.

Aber nicht nur in Frankreich gedeiht die politische Blumensprache. Vor zehn Jahren wurde die achthundertjährige Feier der Herrschaft des Hauses Wettin in Sachsen mit großem Glanz begangen. Bei dieser Gelegenheit trug sich alles mit blühenden Rautenstengeln, obgleich die Raute im sächsischen Wappen nur auf einem Mißverständnisse beruht: der Schrägrechtsbalken desselben ist gerautet. Nun, die gelblichen Rautenstengel in den Händen der königstreuen Sachsen entsprachen ungefähr den weißen Nelken in den Knopflöchern der französischen Legitimisten, nur daß sie weniger herausfordernd und mehr der Ausdruck einer allgemeinen Anhänglichkeit als ein Feldzeichen waren. Aehnlich könnte man im Fürstentum Schaumburg-Lippe ein Nesselblatt, in der Türkei, deren Wappenblume der weiße Mohn ist, eine Mohnblume und in Japan wie O-Kiku-San einen Chrysanthemumstengel tragen. Als nach Cromwells Tode die Stuarts auf den britischen Thron zurückkehrten, schmückten sich die Royalisten zur Erinnerung daran, daß König Karl II nach der Schlacht bei Worcester (1651) auf eine Eiche geklettert war, mit Eichenlaub. Am 29. Mai 1660, an seinem Geburtstage, zog Karl in London ein; da hielt männiglich das Oak (Eichenblatt) wie eine Trophäe in die Höhe. Bei uns ist der Eichenbruch, den der heimkehrende mit Beute beladene Weidmann, der Schütze und der Soldat aufsteckt, wenn die Schlacht gewonnen ist, ein allgemeines patriotisches Glücks- und Freudenzeichen, ohne politischen Beigeschmack, wie es die Stechpalme im Elsaß ist, die Rottanne im Harz, die Edeltanne im Schwarzwald, der Lauch in Wales, das Kleeblatt in Irland und die Distel in Schottland.

In London wurde 1880 plötzlich die Primel für die Lieblingsblume des Premierministers Beaconsfield erklärt: sie versinnlichte fortan den Konservativismus, erzeugte den „Primelbund“ und verjüngte gleichsam die Partei. Eine passendere Blume konnte der alte Staatsmann gar nicht wählen: sie kündigt den Frühling an, sieht leuchtend hellgelb aus und ist – eine Hauptsache bei politischen Blumen! – billig. Am 19. April 1881 starb Lord Beaconsfield; seitdem ergießt sich an diesem Tage über London eine Flut von Himmelschlüsselchen. In dichten Scharen strömt die primelngeschmückte Menge nach Parliament Square, zur Bildsäule des großen Toten, die unter den gelben Blumen ganz verschwindet.

Sinniger und noch volkstümlicher war die blaue Blume, mit der man um dieselbe Zeit in Deutschland seine Anhänglichkeit an den alten Heldenkaiser zu erkennen gab und die man ihm brachte, als er seine siegreichen Truppen heimführte. Wilhelm I hatte die blaue, aus Sicilien stammende und mit dem Getreide verbreitete Kornblume zur Lieblingsblume erkoren. Sie war ihm heilig, denn sie war die Blume seiner Mutter, der Königin Luise, ein Sinnbild des Ausharrens und der Treue. Es war im Sommer 1808 gewesen: die Königin kehrte mit ihren Söhnen von Memel nach Königsberg zurück. Da brach auf freiem Felde ein Rad am Wagen. Es mußte gewartet werden: die Kinder suchten Kornblumen, die Mutter flocht Kränze daraus. Ein Kränzlein setzte sie dem elfjährigen Prinzen Wilhelm auf. Ihre Thränen waren darauf gefallen. Unter den herzgewinnenden Eigenschaften, die unsern unvergeßlichen ersten Kaiser auszeichneten, war eine der rührendsten die Liebe zu seiner Mutter. Als er auszog, die französischen Ansprüche zurückzuweisen, ging er noch einmal ins Mausoleum zu Charlottenburg, holte sich den Segen seiner Eltern und flehte am Grabe der Mutter um Stärkung zu dem gefahrvollen Werke. Auf Frankreichs Gefilden umschwebte den Oberfeldherrn der Geist der edlen Königin, die einst das Goethesche Wort „Wer nie sein Brot mit Thränen aß“ in ihr Tagebuch geschrieben hatte. Und ein Hauch von diesem Geiste umschwebt jeden sein Vaterland liebenden Deutschen, wenn er eine Kornblume pflückt, wo es auch sei.