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Ein deutsch-amerikanischer Nationalfeiertag

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Textdaten
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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Ein deutsch-amerikanischer Nationalfeiertag
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 629–631
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein deutsch-amerikanischer Nationalfeiertag.

Von Rudolf Cronau.0 Mit Abbildungen.

Seit etwa zwei Decennien versammeln sich alljährlich am 6. Oktober in vielen amerikanischen Städten die Mitglieder der um die Aufrechterhaltung des Deutschtums in der Fremde bemühten Vereine, um durch Veranstaltung von Freudenmahlen und durch festliche Reden den sogenannten „Deutschen Tag“ gemeinsam zu begehen. Die Feier desselben findet von Jahr zu Jahr mehr Boden und es ist begründete Hoffnung dafür vorhanden, daß der „Deutsche Tag“ mit der Zeit zu einem echten, vom gesamten Deutschtum in Amerika begangenen Nationalfesttag werde. Und das mit Recht! Soll er doch die Erinnerung lebendig halten an die mehr als zwei Jahrhunderte hinter uns liegende Zeit, wo deutsche Auswanderer zuerst dazu schritten, in der Neuen Welt eine rein deutsche Ortschaft zu gründen.

Die Geschichte dieser Gründung ist interessant und wichtig genug, um die Aufmerksamkeit aller über den ganzen Erdball verstreuten Landsleute zu fesseln, vornehmlich der Leser der „Gartenlaube“, die ja von jeher den Deutschen in der Fremde ihre Teilnahme in so hohem Grade zugewendet hat.

Ein Auswandererschiff
am Ende des 17. Jahrhunderts.

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts bestand in Norddeutschland die Sekte der Mennoniten, Anhänger des 1492 in Friesland geborenen Menno Simon, der, ursprünglich ein Priester der katholischen Kirche, sich von derselben losgesagt hatte und in reformatorischem Sinne predigte. Er empfahl seinen Anhängern Reinheit, Sittlichkeit und Herzensmilde, ermahnte sie, sich alles unnötigen Aufwandes in Kleidung und Lebensweise, ferner des Gebrauchs der Waffen, des Schwörens von Eiden und der Teilnahme an weltlicher Regierung zu enthalten, um desto inniger den wahren Glauben erfassen zu können. Die Mennoniten waren demnach in der ausgesprochensten Weise gottesfürchtige Menschenkinder, denen es um die Wiederherstellung des schlichten, aber innigen altchristlichen Gemeindelebens zu thun war. Gleiche Bestrebungen zeichneten auch die hauptsächlich über Holland und England verbreiteten Quäker aus, mit denen sie unausgesetzt Beziehungen unterhielten. Beide Sekten waren den härtesten Verfolgungen seitens der Andersgläubigen unterworfen. Die Regierungen gewährten ihnen um so weniger Schutz, als sie in der Weigerung der Sektierer, Kriegsdienste zu verrichten und Kriegssteuern zu bezahlen, verdächtige Neuerungen witterten, die dem auf militärischer Gewalt beruhenden Staatswesen große Gefahr bringen könnten und darum im Keim erstickt werden müßten. Vornehmlich solange die Niederlande noch unter der Herrschaft der Spanier standen, hatten die Quäker und Mennoniten entsetzliche Leiden zu erdulden. Ihrer 6000 wurden verbrannt oder mit dem Schwert hingerichtet. In Süddeutschland und der Schweiz verfielen über 3000 dem gleichen Schicksal. Erst nach 1597 ließen diese furchtbaren Hetzen nach; aber bis ins vorige Jahrhundert hinein wurden Quäker und Mennoniten mit Beschlagnahme ihres Vermögens, mit Gefängnis und körperlicher Züchtigung bedroht.

Trotzdem erhielten sich in Deutschland mehrere Mennonitengemeinden, und zwar in Hamburg, Altona, Lübeck, Danzig, Emden, Krefeld, Frankfurt a. M. und Griesheim bei Worms. Sie standen nicht nur in geheimem Verkehr miteinander, sondern erfreuten sich bisweilen auch des Besuchs holländischer und englischer Qnäkermissionare. Einer der letzteren war William Penn, der berühmte Begründer des heutigen Staates Pennsylvanien. Er erschien zweimal in Deutschland, 1671 und 1677, predigte vor den Mennonitengemeinden im Rheingebiet und hinterließ bei denselben einen tiefen, nachhaltigen Eindruck. Als Penn sich später entschloß, an Stelle einer von seinem Vater, einem berühmten englischen Admiral, ihm hinterlassenen, 16 000 Pfund Sterling betragenden Forderung an die englische Regierung eine bedeutende, in Nordamerika gelegene Strecke Landes anzunehmen und dieses Besitztum zu einer Zuflucht für alle zu machen, die in Europa ihres Glaubens wegen verfolgt wurden, ließ er auch an die Mennoniten in Frankfurt, Griesheim und Krefeld Sendschreiben ergehen, durch welche sie eingeladen wurden, nach der jenseit des Oceans gelegenen Freistätte zu kommen. Dieser Einladung entsprachen die Mennoniten um so lieber, als Penn ihnen das zur Anlage von Ansiedlungen benötigte Land zu äußerst günstigen Bedingungen anbot. Je 100 Acker verkaufte er für nur 40 Schillinge. Wer nicht kaufen wollte, konnte den Acker für einen Jahreszins von nur 1 Penny pachten. Dies vorteilhafte Angebot, sowie die Aussicht, in Pennsylvanien ungehindert ihren religiösen Anschauungen leben zu können, bestimmte die in Frankfurt wohnenden Mennoniten zur Erwerbung von 25 000 Acker. Die Krefelder sicherten sich das Anrecht auf 18 000 Acker. Um den Kaufpakt abzuschließen, das Land auszusuchen und die nötigen Vorbereitungen für die Ankunft der Auswanderer zu treffen, entsandten die beiden Gemeinden einen jungen Rechtsgelehrten, der nach Absolvierung seiner Studien auf den Universitäten Straßburg, Basel und Jena mancherlei Reisen durch das westliche Europa vollführt und später in Frankfurt sich der dortigen Mennonitengemeinde angeschlossen hatte. Sein Name war Franz Daniel Pastorius. Er landete am 20. August des Jahres 1683 in Philadelphia.

Das Siegel von Germantown.

Jene kurz zuvor von William Penn gegründete „Stadt der Bruderliebe“, die sich heute mit ihrem Häusermeer über viele Quadratmeilen Landes ausbreitet, war damals in ihren allerersten Anfängen begriffen. Ihre ^ . Bewohner hatten einen förmlichen Kampf gegen den schier [630] übermächtigen Urwald zu führen, der sich bis dicht an ihre Hütten drängte und dessen Ende gen Westen hin noch von keinem Weißen erreicht worden war. Pastorius berichtet in seinen Aufzeichnungen, daß auf ihn, der eben London, Paris und Amsterdam besucht hatte, diese inmitten der Wildnis entstehende Stadt einen ganz seltsamen Eindruck machte. Aber er war entschlossen, nicht nur seine Verpflichtungen zu erfüllen, sondern auch der freiwillig übernommenen Aufgabe, den nachkommenden Glaubensbrüdern die Wege zu bahnen, treu zu bleiben. Er folgte darum dem Beispiel der Ansiedler Philadelphias und baute sich ein 10 m langes und 5 m breites Hüttchen, über dessen Eingang er, altem deutschen Brauch folgend, einen von ihm ersonnenen Spruch setzte: „Parva domus sed amica bonis, procul este profani,“ zu Deutsch: „Klein ist mein Haus, doch Gute sieht es gern, wer gottlos ist, der bleibe fern.“

Mit William Penn häufig verkehrend und von diesem hoch geschätzt, erwartete Pastorius in der armseligen Hütte, deren Fensteröffnungen in Ermangelung von Glas nur mit ölgetränktem Papier verklebt waren, die Ankunft seiner Landsleute. Von diesen hatten sich zunächst nur 13, insgesamt 41 Köpfe zählende Familien aus Krefeld aufgemacht. Am 18. Juli 1683 befanden sich dieselben in Rotterdam, von wo sie nach England gingen, um sich in Gravesend am 24. Juli auf der „Concord“ zur Ueberfahrt nach Amerika einzuschiffen. Die letztere nahm 74 Tage in Anspruch, denn erst am 6. Oktober kamen die Reisenden in Philadelphia an, wo sie von Penn und Pastorius herzlich willkommen geheißen wurden.

Bei der Auswahl der Stelle, wo die erste deutsche Ortschaft in der Neuen Welt entstehen sollte, entschied man sich für eine zwei Stunden von Philadelphia entfernte Ebene, die sich unweit des linken Ufers des Schuylkillflusses dahinzog. Hier wurden am 24. Oktober 14 „Lose“ oder „Erbe“ ausgemessen, eins für jede der 13 Familien und eins für Pastorius. Trotzdem die Jahreszeit schon weit vorgeschritten war, begann man sofort Keller auszuwerfen und Hütten zu bauen und kam bis zum Eintritt der kälteren Witterung glücklich unter Dach.

„Den Ort,“ so erzählt Pastorius in seinen Aufzeichnungen, „nannten wir Germantown, welches der Teutschen-Statt bedeutet. Etliche gaben ihm den Beynamen Armentown, sindemahl viel der vorgedachten Beginner sich nicht auff etliche Wochen, zu geschweigen Monate provisioniren kunnten. Und mag weder genug beschrieben noch von denen vermöglichen Nachkömmlingen geglaubt werden, in was Mangel und Armuth, anbey mit welch einer Christlichen Vergnüglichkeit und unermüdetem Fleiß diese Germantownship begunnen sey.“ –

Wie schwer es war, die Urwildnis der Kultur zu gewinnen, bezeugt manche Klage des trefflichen Mannes in seiner Niederschrift. In diesem Kampf mit der gewaltigen Natur bedurfte es, wie er gesteht, „gedachten William Penn’s offtmaliger durchdringender Anmuthigung und würklicher Assistenz, zumal wir, die Urheber dieses Werks, wegen ermangelnder Experienz in solcherlei sachen vieles gethan haben, das wir hernach theils selbst ändern, theils der klügeren Nachfahren Verbesserung anbefehlen müssen.“

Mit der Zeit wurde das Aussehen der Ortschaft aber doch ein wohnliches. Die 20 m breite, von einigen Querstraßen durchschnittene Hauptstraße, welche den Ort in zwei Hälften teilte, wurde auf beiden Seiten mit Pfirsichbäumen bepflanzt. Große Gemüse-, Blumen- und Obstgärten wurden rings um die Behausungen angelegt; auch ein kleines hölzernes Kirchlein erstand. Der jungfräuliche Boden lohnte den auf ihn gewendeten Fleiß in so reicher Weise, daß man bald beginnen konnte, den Ueberfluß nach Philadelphia auf den Markt zu bringen. Auch befaßte man sich mit Getreidebau und Viehzucht und trieb mit den Indianern, mit denen man gute Freundschaft hielt, einen gewinnbringenden Pelzhandel. Obendrein setzten die Männer das in der Heimat erlernte Gewerbe, die Leinweberei fort und stellten allerhand Zeuge her, die ihrer Haltbarkeit wegen allerorten willige Abnehmer fanden.

Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit waren die Tugenden, durch welche die Ansiedler von Germantown sich auszeichneten und die Achtung aller Umwohner erwarben. Obwohl fromm und gottesfürchtig, waren sie aber keineswegs Duckmäuser, die wie so manche andere nach Pennsylvanien gekommene Sektierer ihr Dasein in denkfauler Beschaulichkeit verbrachten. Sie waren als echte Rheinländer vielmehr Freunde froher Regsamkeit Und wußten auch den Wein als Quelle derselben zu schätzen. So währte es nicht gar lange, daß sich um die Fenster und Thüren ihrer Hütten schwertragende Reben rankten, andere sich zu schattigen Lauben verbanden, unter denen die Ansiedler abends nach vollbrachter Arbeit behaglicher Rast pflegten oder Nachbarn und Freunde empfingen, um mit ihnen der fernen Heimat zu gedenken, die ihnen trotz aller erlittenen Kümmernisse doch stets heilig und teuer blieb.

Ueber Arbeit und Frohsinn vergaß man aber auch nicht die Pflege des Geisteslebens. Mittelpunkt desselben war allüberall Pastorius, welcher, ein echter Vater der jungen Kolonie, nicht bloß die Errichtung einer Schule durchsetzte, sondern auch persönlich eine Abendschule leitete, in der er den reichen Born seines Wissens allen erschloß, die auf Vertiefung ihrer Kenntnisse bedacht waren. Haben die Deutschen in Amerika Veranlassung, das Andenken eines Mannes hoch in Ehren zu halten, so ist es das des Franz Daniel Pastorius, der, obwohl er das reichbewegte Leben der europäischen Großstädte hatte kennenlernen, sich doch ohne Murren in die Wildnis vergrub, um seinen Landsleuten ein Helfer und Berater zu sein. Daß ohne diesen seltenen Mann die erste deutsche Niederlassung in Amerika so folgenreich gewesen wäre, darf man bezweifeln. Von der Vielseitigkeit seiner Begabung, von seinem Fleiß und von der Tiefe seines Gemüts zeugt gewiß die Thatsache, daß er in Germantown nicht weniger als 43 Bände mit selbstverfaßten Aufsätzen über Rechtskunde, Naturwissenschaft, Landwirtschaft, Geschichte und Theologie, sowie mit Gedichten, Sinnsprüchen und philosophischen Betrachtungen füllte. Daß die Bewohner des Ortes ihn, als Germantown im Jahre 1691 Stadtrechte erhielt, zum ersten Bürgermeister und zugleich auch zum Friedensrichter erwählten, war der Ausdruck der von allen gegen ihn empfundenen Dankbarkeit.

Sinniger konnte der erste deutsche Bürgermeister in Amerika seine Thätigkeit gewiß nicht eröffnen, als Pastorius es that, indem er das Titelblatt des Grundbuches von Germantown mit einem warmempfundenen, von treuer Anhänglichkeit an die alte Heimat durchdrungenen „Gruß an die Nachkommenschaft“ zierte. Derselbe, in flüssigem Latein geschrieben, lautet verdeutscht: „Sei gegrüßt, Nachkommenschaft! Nachkommenschaft von Germanopolis! Und erfahre zuvörderst aus dem Inhalt der folgenden Seiten, daß Deine Eltern und Vorfahren Deutschland, das holde Land, das sie geboren und genährt, in freiwilliger Verbannung verlassen haben – o ihr heimischen Herde! – um in diesem waldreichen Pennsylvanien, in der öden Einsamkeit minder sorgenvoll den Rest ihres Lebens in deutscher Weise, das heißt wie Brüder zu verbringen. Erfahre auch ferner, wie mühselig es war, nach Ueberschiffung des Atlantischen Meeres in diesem Striche Nordamerikas den deutschen Stamm zu gründen. Und du, geliebte Reihe der Enkel, wo wir ein Muster des Rechten waren, ahme unser Beispiel nach; wo wir aber von dem so schwierigen Pfad abwichen, was reumütig anerkannt wird, vergieb uns; mögen die Gefahren, die andere liefen, dich vorsichtig machen. Heil dir, Nachkommenschaft! Heil dir, deutsches Brudervolk! Heil dir auf immer!“

Pastorius war es auch, der beim Entwurf des Ortssiegels von Germantown in die Mitte desselben in sinniger Weise ein Kleeblatt zeichnete, dessen drei Blätter den Weinstock, den Flachs und die Weberei darstellen sollten, was durch die Umschrift Vinum, linum et textrinum (Wein, Lein und Webeschrein) Ausdruck fand. Dadurch wurde zugleich die Mission der Deutschen in Amerika, die Förderung des Ackerbaus, des Gewerbes und des heiteren Lebensgenusses, in der glücklichsten Weise angedeutet.

Ohne Zweifel ist auch eine weltgeschichtliche Großthat der Deutschen von Germantown auf den edlen Pastorius zurückzuführen: der erste in der civilisierten Welt erhobene feierliche Protest wider die Sklaverei, die unfreiwillige Knechtschaft! Die „Einfuhr“ von Negersklaven in die englischen Kolonien von Nordamerika wurde seit Anfang des Jahrhunderts betrieben, ohne daß die für allgemeine Menschenrechte eintretenden Quäker und Puritaner diesen Menschenhandel als eine schwere Ungerechtigkeit empfunden hätten. Erst die Deutschen von Germantown [631] kamen zu der Ansicht, daß der Sklavenhandel gegen die Lehren der christlichen Religion verstoße, und setzten am 18. Februar 168ß ein Schriftstück auf, das in geharnischten Worten ihren Anschauungen Ausdruck verlieh. Das denkwürdige, noch jetzt im Original vorhandene Dokument wurde zwar von den maßgebenden Behörden ad acta gelegt, aber die einmal angeregte Frage kam nicht wieder zur Ruhe und hatte mancherlei Gesetzanträge zur Folge, die ein Verbot des Sklavenhandels in Permsylvanien schließlich herbeiführten.

Der edle Pastorius erlebte leider diesen Triumph nicht mehr. Er, von dem sein ihm vorausgegangener Freund William Penn einst gesagt hatte: „Vir sobrius, probus, prudens et pius, spectatae inter inculpataeque famae“ („Ein nüchterner, rechtschaffener, weiser und frommer Mann von allgemein geachtetem und unbescholtenem Namen“), schied schon zu Ende des Jahres 1719 aus dem Leben. Aber er hatte doch noch Germantown durch Zuwanderung aus Deutschland und aus den englischen Kolonien allmählich zu einem betriebsamen Städtchen emporblühen sehen. Kein Zuwachs innerhalb des 18. Jahrhunderts erwies sich aber so wertvoll wie die Einwanderung eines aus Laasphe in Westfalen stammenden Mannes, Christoph Saur, der, wie viele andere durch die von Penn errichtete Freistätte des Glaubens angelockt, im Jahre 1724, also nur wenige Jahre nach Pastorius’ Tode, in Germantown anlangte.

Wohl nicht an Gelehrsamkeit, sicher aber an Vielseitigkeit war er dem Begründer von Germantown über, sagt doch eine handschriftliche Notiz über ihn: „Er ist ein sehr ingenieuser Mann, ein Separatist, der auf die 30 Handwerke ohne Lehrmeister erlernet. Denn als ein Schneider ist er dahin nach Amerika gereiset und nun ein Buchdrucker, Apotheker, Chirurgus, Botanicus, groß und klein Uhrmacher, Schreiner, Buchbinder, Concipient der Zeitungen, der sich alle seine Buchdruckerwerkzeuge selbst verfertigt; ziehet auch Bley und Drat, ist ein Papiermüller u. s. w.“

In keiner seiner vielen Beschäftigungen erzielte Christoph Saur so große und nachhaltige Erfolge wie in der Druckerei. Er war der Erste, welcher in Amerika deutsche Bücher mit deutschen Lettern druckte; er gab im Jahre 1739 den ersten „Hoch-Deutsch Amerikanischen Calender“ heraus und ließ am 20. August desselben Jahres auch die erste in Amerika gedruckte deutsche Zeitung erscheinen. Dieselbe führte den Titel: „Der Hoch-Deutsch Pensylvanische Geschicht-Schreiber oder Sammlung wichtiger Nachrichten aus dem Natur- und Kirchen-Reich“. Sie kam anfänglich monatlich, später aber als „Germantowner Zeitung“ wöchentlich heraus.

Wenige Jahre später, 1742, kündigte Saur sogar ein für jene Zeit und die dortigen Verhältnisse sicher großes Unternehmen an: eine deutsche Bibel in Luthers Übersetzung. Dieselbe erblickte in einem äußerst bescheidenen, mit dem Saurschen Wohnhause verbundenen Hintergebäude (vgl. das Mittelbild der Hauptillustration S. 633) das Licht der Welt. Der Druck dieser 1272 Quartseiten starken Bibel wurde bis zum Sommer 1743 fertiggestellt. Sie ist die erste auf der westlichen Erdhälfte gedruckte Ausgabe der Heiligen Schrift, der erst vierzig Jahre später eine von amerikanischen Druckern besorgte englische Ausgabe folgte.

Daß in Germantown auch die erste Papierfabrik in Amerika errichtet wurde, möge noch nebenbei bemerkt sein.

So knüpfen sich an den Namen Germantown mancherlei Vorgänge, die nicht bloß für die Geschichte des Deutschtums in Amerika, sondern überhaupt für die Kulturgeschichte der Neuen Welt von hervorragender Bedeutung sind. Kein Historiker, der es unternehmen wollte, die kulturelle Entwicklung Amerikas, insbesondere der großen transatlantischen Republik, zu schildern, dürfte verabsäumen, Germantowns und der Pionierarbeit seiner Gründer zu gedenken.

Und deshalb haben die Millionen von Deutschen, welche heute in Amerika wohnen, nicht nur das Recht, mit Stolz auf jene Stätte zu blicken, wo deutsche Kultur in der Neuen Welt zuerst Wurzeln schlug, sondern sie haben auch die heilige Pflicht, das Andenken jener deutschen Pilgerväter hochzuhalten, die deutschem Wesen, deutschem Fleiß und deutscher Gemütlichkeit die Wege zu neuen großen Erfolgen bahnten. Je mehr deutsche Vereine in Amerika die Feier des „Deutschen Tages“ in ihr offizielles Programm aufnehmen, je lebendiger sie die Erinnerung an Pastorius, Saur und die vielen anderen Stammesgenossen halten, die sich um das Deutschtum in Amerika und um die Förderung der neuweltlichen Kultur verdient machten, desto mehr ehren sie sich selbst, desto größer ist auch die Aussicht, daß der „Deutsche Tag“ zu einem Mittel werde, welches alle jetzt nur durch die losen Bande der Sprache und gemeinsamen Abstammung zusammengehaltenen Deutschamerikaner zu einem geschlosseneren Ganzen verbinde.