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Preußische Beamte aus früherer Zeit

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Titel: Preußische Beamte aus früherer Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 79
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[79] Preußische Beamte aus früherer Zeit. Im Jahre 1793 brachen in Breslau wegen eines verhafteten Schneidergesellen bedenkliche Unruhen aus, welche durch die Schwäche und Ungeschicklichkeit der Behörden eine traurige Wendung nahmen. Es wurde von Seite des Militärs auf die in den engen Straßen dicht gedrängte Menge geschossen und dabei siebenunddreißig Personen getödtet und einundvierzig schwer verwundet, darunter unschuldige Kinder, Frauen und zufällig Vorübergehende. Die Hauptschuld traf in der öffentlichen Meinung den allmächtigen Minister Grafen Hoym, einen Mann voll angeborener Liebenswürdigkeit, aber ebenso charakterlos, ohne sittliche Kraft, von Eitelkeit und Selbstsucht erfüllt. Bei dieser traurigen Angelegenheit richtete einer seiner Untergebenen, der feurige, hochbegabte Kriegsrath Zerboni in Petrikau, an den Minister einen Brief, worin er in einer weder vorher noch nachher gehörten Sprache ihm sein Sündenregister vorhielt. „Es sind,“ heißt es in diesem merkwürdigen Schreiben, „den 6. dieses Monats Auftritte in der Hauptstadt Schlesiens vorgefallen, die in einem wohlregierten Staate nicht möglich sind. Unsere Staatsverfassung ist gut, unsere Gesetze sind weise; wo kann der Fehler anders liegen, als in der Ausübung der letztern? Was hiervon auf die große Schuldrechnung Ew. Excellenz kommt, hat Ihnen Ihr Gewissen in der Nacht vom 6. zum 7. dieses Monats gesagt. Wehe Ihnen, wenn die guten Vorsätze, die Sie da faßten, das Schicksal aller Ihrer bisherigen Entschlüsse haben; Ihre letzten Jahre werden dann unrühmlich und Ihr Andenken verhaßt sein. – Sie wollen das Gute, aber Sie haben nicht die Kraft, es zu vollbringen. – Sie beugen Ihr Knie vor der Convenienz und huldigen der Laune des Moments. Sie schätzen den Stein nur um der Folie willen. – Sie haben das Vorurtheil der Geburt, das man sonst ertrug, zu einer Zeit, wo man so dreist jedem grauen Wahn in die Augen leuchtet, durch die kleinlich strengen Grenzlinien, die Sie in Ihren Cirkeln ziehen, unausstehlich und sich dem gebildeten Bürgerstande unerträglich gemacht. Neben den durch tausend bedenkliche Begünstigungen erkauften Bücklingen Ihrer souperfähigen Herren übersehen Sie die Achtung edler Männer, die im Sturme um Sie treten und Ihnen mit Rath und Entschlossenheit aushelfen könnten, wenn der Insektenschwarm, der nur im Sonnenblick Ihrer glänzenden Epoche zu dauern vermag, verjagt ist. – Mit Wehmuth habe ich es bei meiner kürzlichen Anwesenheit in Schlesien bemerkt, es ist weit gekommen. Männer von Kopf und Herzen hassen Sie nicht mehr; sie verachten Sie. Ihre Gunst ist der Stempel geworden, an dem man einen zweideutigen, charakterlosen Menschen erkennt. Man arbeitet daran, Ihre Periode zu beschleunigen.“

Um den allerdings außerordentlichen Ton dieses Briefes erklärlich zu finden, muß man einen Blick auf die damalige Zeit und die Menschen werfen. Noch wirkte das Beispiel Friedrich des Großen nach, der sich für den ersten Diener seines Staates erklärt hatte, noch gab es Beamte, die aus seiner Schule hervorgegangen waren und mitten in der unter seinem schwachen Nachfolger eingerissenen Sittenlosigkeit und Unmoralität die Gebote der Pflicht und Ehre treu erfüllten. Die Aufklärung des Jahrhunderts und die Donnersprache der französischen Revolution hatten die Geister aus ihrem Schlafe gerüttelt und auch in Deutschland eine mächtige Bewegung hervorgerufen. Dazu kam die Sturm- und Drangperiode der jungen, überschäumenden Literatur, besonders Schiller’s jugendliche Ideale und die Philosophie des großen Kant mit ihrem kategorischen Imperativ von gediegenem Erz. Alle diese Elemente fanden sich in dem Kriegsrath Zerboni vereinigt, der nach dem einstimmigen Zeugnisse selbst seiner Gegner ein vortrefflicher Kopf, heller Geist, warmer Patriot und musterhafter Staatsmann war.

Als schwärmerischer Eiferer für Tugend und Recht hatte er mit dem aus Oesterreich geflüchteten Kapuziner Georg Fessler und einigen gleichgesinnten Freunden eine Art Freimaurerorden ganz im Geiste jener Zeit unter dem Namen „Euergeten“ oder Gutesthuer gestiftet, mit dem Wahlspruch: „Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut“ und der Absicht, die Vorrechte des Adels abzuschaffen, die Güter der hohen katholischen Geistlichkeit zu öffentlichen Zwecken zu verwenden, die Lage der ländlichen Bevölkerung zu verbessern und besonders für den Unterricht und die Erziehung des Volkes zu sorgen. Unglücklicher Weise geriethen die Papiere dieser an sich ganz unschädlichen Verbindung in die Hände des Grafen Hoym, der davon den geeigneten Gebrauch gegen seinen Gegner machte. Zerboni wurde ohne Urthel und Recht für unbestimmte Zeit auf die durch den Baron von Trenck berüchtigte Sternschanze in der Festung Magdeburg gebracht, wo er in einem dunkeln, feuchten Kellergemach ohne Bücher, Schreibmaterial und frische Luft längere Zeit schmachtete. In seiner Vertheidigungsschrift legte der unerschrockene Mann das offene Bekenntniß ab, daß er eine unumschränkte Monarchie nicht als das letzte Ziel der Cultur ansehn, indem er ein Verhältniß, wo auf der einen Seite lauter Zwangspflichten ohne Rechte, auf der andern lauter Rechte ohne Pflichten stehe, für widernatürlich gehalten habe. Selbst die republikanischen Ansichten seiner Freunde, die er nicht theilte, glaubte er nicht strafbar in einem Staate, wo einst der erste Mann des Jahrhunderts vom Throne herab bekannt, daß eine Monarchie die beste, nach Umständen auch die schlechteste aller Staatsverfassungen sein könnte; in einem Lande, wo ein Philosoph wie Kant unter öffentlicher Censur gelehrt, daß nicht eher die Hoffnung vorhanden sei, die Nationen in ein durch das Sittengesetz gebilligtes Verhältniß zu einander treten zu sehen, als bis sie sammt und sonders eine republikanische Regierungsform annehmen werden.

Endlich wurde Zerboni vor seine ordentlichen Richter gestellt und mit Anrechnung der bereits erlittenen Strafe zu einer milden Festungshaft verurtheilt. Das Kammergericht bestätigte diesen Spruch, indem es hinzufügte: „daß Zerboni um so strafbarer sei, da er als Justitiarius die Gesetze und Landesverfassung hätte kennen und einsehen müssen, wohin der Kampf gegen die Vorrechte der privilegirten Stände und gegen die vermeintlichen Privilegien der höheren Staatsbeamten führen werde.“

Nach seiner Freilassung veröffentlichte Zerboni eine Schrift „über das Bildungsgeschäft in Südpreußen“, worin die Regierung aufmerksam gemacht wurde, daß nur die Begründung eines freien Bauernstandes und die Begünstigung deutscher Einwanderer Polen in eine Vormauer gegen Rußland umzuwandeln im Stande sei. Der Minister Struensee erkannte die Richtigkeit dieser Ansicht und streckte Zerboni trotz seiner demokratischen Gesinnung das nöthige Geld vor, um seine Colonisationspläne zu verwirklichen.

Ein Freund und Gesinnungsgenosse Zerboni’s war damals der nicht minder ausgezeichnete Zollrath Hans von Held, der berühmte Verfasser des zu seiner Zeit so großen Aufsehen erregenden „schwarzen Buches“, das die ebenfalls unter dem Grafen Hoym geschehenen Unterschiede beim Verkauf und der Verschenkung der in dem polnischen Theile der Monarchie liegenden Güter schonungslos aufdeckte. Die Seele dieser Betrügereien, welche sich auf Millionen beliefen, war einer der Untergebenen und Creaturen des allmächtigen Ministers, der ehemalige Förster Triebenfeld, der mit der Zeit zum Forstrath befördert und sogar geadelt worden war. Der ehrliche Held, noch dazu durch das unverdiente Schicksal seines Freundes Zerboni gereizt, sammelte die betreffenden Thatsachen und veröffentlichte dieselben unter dem Titel: „Die wahren Jakobiner im preußischen Staate, oder actenmäßige Darstellung der bösen Ränke und betrügerischen Dienstführungen zweier preußischer Staatsminister.“ Statt des Druckorts hatte der Verleger „Nirgends und Ueberall“ angegeben, mit der Jahreszahl 1801. Dem schwarzen Einbande verdankte das Buch den Namen, unter dem es allgemein bekannt geworden ist.

Held zeigte dem ihm befreundeten Minister Struensee das Manuscript vor der Herausgabe seiner Schrift und fragte seinen Vorgesetzten um Rath. Struensee behielt die Schrift einige Tage bei sich, und als er sie zurückgab, erklärte er die Thatsachen für richtig, allein bei weitem noch nicht vollständig, indem er hinzufügte, er kenne den tieferen Zusammenhang, ein Geheimniß, das der Verfasser nicht habe wissen können. Ungeheuer war die Wirkung des Buches, das gegenwärtig zu den größten bibliographischen Seltenheiten gehört und nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden sein dürfte. Graf Hoym und der Kanzler v. Goldbeck, gegen welche diese furchtbare Anklage geschleudert war, erlagen fast unter dem Gewicht der öffentlichen Meinung. Gegen Held wurde eine strenge Untersuchung eingeleitet; zu seiner Vertheidigung fügte er den früheren Angaben unter dem Namen „schwarzes Register“ eine umständliche Aufzählung der in Südpreußen von 1795-1798 verschenkten Güter hinzu, ihres vorgespiegelten und ihres wahren Werthes, der Empfänger und etwaiger späterer Besitzer. Diese Liste enthält zweihundertundvierzig Güter, die zu vierthalb Millionen Thaler geschätzt, aber zwanzig Millionen werth und an etwa zweiundünfzig Personen verschenkt waren.

So hatte z. B. der berüchtigte Triebenfeld dafür, daß er die Schenkungen anordnete und ausführen half, selbst acht Güter geschenkt bekommen, welche im Werth von 51,000 Thalern angegeben, bald nachher auf 700,000 abgeschätzt und am 9. März 1801 für 750,000 verkauft wurden. Trotzdem daß Held die Wahrheit der von ihm angegebenen Thatsachen bewies und in jedem Punkte den beiden Ministern gegenüber sein Recht behauptete, wurde er von der Criminaldeputation des Kammergerichts mit Amtentsetzung und achtzehnmonatlicher Festungshaft bestraft und dieses Urtheil in zweiter Instanz mit der Mehrheit einer Stimme bestätigt. Zwar erstattete der Justizminister v. Arnim dem Könige Bericht und sprach darin sehr günstig für Held, aber der König ließ der Gerechtigkeit, die hier das größte Unrecht war, ihren ungehemmten Lauf. Schwer mußte der Freund der Wahrheit für sein edles Streben büßen und, da er keine Anstellung in Preußen fand, mit Noth und Sorgen kämpfen. Dennoch liebte er sein Vaterland treu und fest, treuer als seine mächtigen Gegner. Im Unglück und tiefsten Falle Preußens bewährte Held seinen Patriotismus, indem er mit Wort und Schrift unter den größten Gefahren für sein eigenes Leben und seine Freiheit gegen die Franzosenherrschaft und den Despotismus Napoleon’s rücksichtslos in Wort und Schrift ankämpfte, indem er mit wunderbarem Scharfblick das nahe Ende des allmächtigen Usurpators voraussagte. Erst nach dem Freiheitskriege erhielt Held von dem Minister Hardenberg eine neue Anstellung beim Salzwesen, während sein Freund Zerboni zum Oberpräsidenten der Provinz Posen ernannt und somit der ehemalige Demagoge für dieselben Ideen belohnt wurde, für die er einst so schwere Strafen und Verfolgungen erlitten. Beide erlebten den Sieg der guten Sache, für die sie gekämpft und die schwersten Opfer gebracht. Beide sind darum noch heute bemerkenswerth als leuchtende Beispiele des preußischen Beamtenstandes, der einst berühmt war wegen seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, wegen seiner Vaterlandsliebe und Ueberzeugungstreue und dies hoffentlich noch recht lange bleiben wird.