Pulcinell in England

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Titel: Pulcinell in England
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aus: Das Ausland, Nr. 116 S. 461-462
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Pulcinell in England.




Eines der unterhaltendsten Werke, das kürzlich in England erschienen ist: Punch and Judy, with Illustrations drawn and engraved by G. Cruikshank London 1828 hat einen in neuerer Zeit, leider! allzusehr vernachläßigten Helden zum Gegenstande, der indessen – ungeachtet des Schulmeisterdünkels, der ihn in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von unserer Bühne verbannte – wenigen unserer Leser so unbekannt seyn wird, daß die Erinnerung an denselben nicht ihre Gesichtszüge zum Lachen oder Lächeln verziehen sollte. Wen anders könnten wir meinen, als unsern alten Freund und lustigen Rath, Hans Wurst, in Holland pedantisch de Toneelgek, in England Jack Pudding oder Punch und in Italien Pulcinello genannt? Wahrscheinlich ist das letztere sein ursprünglicher Familienname; wenn wir auch nicht gerade darauf schwören wollen, daß er – wie gewöhnlich angenommen wird – das Licht der Welt zuerst im 15ten Jahrhunderte zu Acerra, einer alten Stadt bei Neapel, erblickt habe. Seine frühere Geschichte unterliegt – gleich der des ewigen Juden, mit der sie sich in mehreren Beziehungen vergleichen läßt – manchen Zweifeln; und Männer von ausgezeichnetem Scharfsinn haben die Frage aufgeworfen, ob Pulcinello nicht ein Zweig von einer viel älteren Familie sey, als die Italiener behaupten. Die Entdeckung der Broncestatue eines Mimen, von den Römern Maccus genannt, im Jahre 1723, brachte einige Antiquare auf die Vermuthung, daß dieser Maccus in der That unser Pulcinell sey, unter einem andern Namen, aber mit denselben Attributen und namentlich der großen Nase und dem Buckel. Aber ob die erwähnte Figur auch wirklich jenen Maccus vorstellt, scheint noch sehr zweifelhaft; und dieß vorausgesetzt, so ist die Frage, ob Pulcinell und Maccus außer der großen Nase und dem Buckel das geringste gemein hatten. Dagegen finden wir in den ältesten theatralischen Versuchen des Mittelalters, den Moralitäten, in allen Ländern Europas eine allegorische Person – das Laster – mit der Rolle beauftragt, den ernsthafteren Theil der Darstellung durch lächerliche Geberden, Scherze und Thorheiten zu erheitern. Dieß war ohne Zweifel das Original des Clown oder Narren im alten englischen Drama und wir halten es wenigstens für keine unwahrscheinliche Conjectur, daß es auch das Original von Harlequin und seinem nahen Verwandten, Pulcinello, war. Das Hauptzubehör des Lasters war ein vergoldetes hölzernes Schwert, und dieß war auch das Attribut des alten Clown, so wie seiner ganzen Sippschaft in und außer England. – Als einen zweiten Beleg für unsere Annahme können wir einen stehenden Witz des Pulcinell anführen – wenn er seinen Kopf aus dem Vorhang hervorsteckt und den Patriarchen in der Arche anredet, während die Fluthen niederströmen: „Abscheuliches Wetter, Meister Noah!“ Dieser gegenwärtig ganz sinnlose, obgleich beständig wiederholte Einfall beweist, daß zu einer frühern Periode die Abentheuer unseres Helden mit Geschichten aus der Bibel in Verbindung gestanden haben müssen; und dieß führt uns gleichfalls auf die Moralitäten zurück.

Die Abenteuer Pulcinells sind überall zu verschiedenen Zeiten verschieden dargestellt und durch Neuerungen und Einschiebsel aller Art dem Geschmack und den Ereignissen des Tages angepaßt worden. So sah man auf einem der Marionettentheater in London, die dort, wie in Italien, auf den Straßen aufgerichtet werden, nach der Schlacht bei Abukir, Nelson, wie er Pulcinell zu überreden suchte, als braver Bursch, an Bord seines Schiffes zu kommen und ihm gegen die Franzosen fechten zu helfen: „Komm, Pulcinell, mein Bursch,“ sagte der Seeheld, „ich will dich zu einem Capitän oder Commodore machen, wenn es dir gefällt.“ Aber es gefällt mir nicht, antwortete der Held des Puppenspiels, ich werde ersaufen. „Fürchte das nicht,“ entgegnete Nelson, „du weißt wohl, wer dazu geboren ist zu hängen, der ersäuft nicht.“ – Während einer der Parlamentswahlen für Westminster empfing Sir Francis Burdett gleiche Ehre; er wurde dargestellt, wie er Judy [1] und ihr Kind küßte und Mr. Pulcinell um seine Stimme bat.

Die beste Darstellung der tragischen Komödie oder der komischen Tragödie von „Pulcinell’s Leben, Meinungen und Thaten,“ die wir je gesehen oder gelesen haben, ist indessen die, von der wir hier aus dem Munde eines alten Italieners, Piccini, der Großbritannien ein halbes Jahrhundert lang mit seinem Puppenspiel durchwandert hat, Bericht erhalten.

Nachdem Pulcinell’s Auftreten, Gequäck und Bücklinge sein Auditorium wie gewöhnlich in guten Humor gesetzt haben, spricht er seinen Prolog:

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Meine Herrn und Damen, grüß Gott! Wie thut’s euch geh’n?
Seyd ihr alle gesund, so sollt ihr mich nicht krank seh’n.
Steht still und schaut eine Weile meinem lustigen Spiel zu,
Wenn ihr nur lacht, red’ ich euch zum Zahlen nicht viel zu.

(Geht ab.)

Sein erstes Lied, nach der Weise Malbrough s’en va-t-en guerre, hat natürlich einen Dialog, mit seinem Weib Judith zur Folge; aber der unverschämte Hund Toby unterbricht ihre Zärtlichkeit durch sein bestialisches Wau – wau. Der Undank, mit welchem er Pulcinell’s zuvorkommende Höflichkeit belohnt, und der Umstand, daß dieser ihn bei dem empfindlichsten Theil eines Mannes von Ehre – bei der Nase – ergreift, führt den tragischen Fall herbei, mit welchem das Stück anfängt, nämlich den Tod nicht bloß Toby’s, sondern auch seines Herrn, Scaramutz, dessen Kopf – wenn auch nicht der beste, doch ein harter Verlust für ihn – durch den ergrimmten Pulcinell abgeschlagen wird.

Eine häusliche Scene zwischen dem Sieger und seinem Weib dient den Zuschauern zur Erholung von dem Schrecken über diese Katastrophe.

Judy tritt ein: „Gut, hier bin ich! Was willst du jetzt, da ich da bin? – Pulcinell: (Bei Seite) Was für ein allerliebstes Geschöpf! Ist sie nicht eine wahre Schönheit? – Judy: Was du willst? frage ich. – Pulcinell: Einen Kuß, einen schönen Kuß! (Küßt sie, während sie ihm einen Schlag ins Gesicht giebt). – Judy: Nimm das, du Schelm! Wie gefallen dir meine Küsse? Willst du noch einen? Pulcinell: Nein; einen auf einmal, einen auf einmal, mein süßes allerliebstes Weib! (Bei Seite): Was sie immer spaßhaft ist! – Wo ist das Kind? Bring mir das Kind, Judy, meine Liebe! (Judy ab.) Pulcinell (allein): Das ist euch ein Weib! Was für ein kostbares, liebenswürdiges Geschöpf! Sie geht, unser Kind zu holen.“

Leider ist nichts vollkommen auf dieser Welt und Familienscenen und Kinder sind oft die Ursache zu Streitigkeiten zwischen Papas und Mammas. So ist dieß auch hier der Fall und der klägliche Tod von Judy und ihrem Kleinen ist die Folge davon. Meister Pulcinell zeigt sich bei dieser Gelegenheit, gleich andern Männern dieser Welt, äußerst hartherzig: (indem er wahrnimmt, daß sie sich nicht mehr bewegt): Hier, steh auf, Judy, meine Liebe; ich will dir nichts mehr thun. Keine Kindereien mehr! Das ist bloß dein Spaß. Hast du Kopfweh bekommen? Wie? Du schläfst bloß. Wach’ auf, sage ich! Gut also, nieder mit dir! (Schlägt ihren Leichnam, den er aufgerichtet hat, wieder zu Boden). He, he, he! (Lachend) Wer ein Weib verliert und drei Kreuzer, verliert einen Groschen. [2] (Singt.)

„Wer würde sich mit Weibern plagen,
wär er so leicht wie ich befreit? –
Einen guten Strick um ihren Kragen,
Hilft kein guter Stock, wie heut!“

Die Inhumanität dieses Betragens wird bald erklärt durch die Erscheinung der hübschen Polly, die den ruchlosen Pulcinell jetzt für seinen Verlust entschädigt.

Im zweiten Act finden wir Meister Pulcinell auf einer Reise. Er hat einen Unfall und läßt einen Arzt rufen; doch bald kommt er in Streit mit ihm und da er ein Mann ist, der keinen Spaß versteht – wie wir gesehen haben – erschlägt er ihn ohne Weiteres. Dasselbe Schicksal hat der Aufwärter im Gasthause, der Pulcinell seine Klingel zu schellen verwehrt, und ein alter blinder Bettler, der Almosen von ihm begehrt. Aber jetzt wird die Verwicklung immer dicker. Ein Constable, (Gerichtsdiener) erscheint, um Pulcinell als Mörder zu verhaften; er wird in die Flucht geschlagen. Darauf kommt ein Offizier, mit Federbusch und Schärpe. Offizier: Hör’ auf mit deinem Lärm, mein schöner Bursch! – Pulcinell: Ich will nicht. – Offizier: Ich bin ein Offizier. – Pulcinell: Gut. Hab ich gesagt, ihr wäret keiner? – Offizier: Du mußt mit mir gehen; du hast dein Weib und Kind erschlagen. – Pulcinell: Es waren meine eignen, denke ich, und ich kann mit meinem Eigentum thun, was mir gefällt. – Offizier: Das wollen wir sehen; ich bin gekommen, um dich aufzuheben. – Pulcinell: Und ich komme, um dich niederzulegen. (Schlägt ihn zu Boden und singt und tanzt, wie vorher.) Mitten in diesem thörichten Uebermuth, kommt die Wache mit dem Kerkerschließer; sie fallen über ihn her, überwältigen ihn und werfen ihn ins Gefängniß. Aber uns darüber zu verbreiten, wie er aus demselben befreit wird, den Henker hängt und den Teufel – der ihn holen will – todt schlägt, verbietet uns der tief rührende, melancholische und erhabene Character der Begebenheiten und das Pathos der Schilderung; – die Kraft des Genies reißt den Geist der Zuschauer in einem so schnellen Wirbel mit sich fort, die Phantasie ist so aufgeregt und das Gefühl so übermannt, daß es unmöglich wird, diesem Thema die verdiente Gerechtigkeit zu erzeigen. Wir müssen daher den Vorhang fallen lassen.
  1. Judith. So heißt das Weib des Pulcinell im Puppenspiel; nicht Joan, wie Fielding im Tom Jones (XII. C. 5) und nach ihm Walter Scott in irgend einem seiner Romane meint.
  2. Englisches Sprichwort: He that loses his wife and sixpence, loses a tester.