Rätselhafte Blitzerscheinung

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Autor: M. Hagenau
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Titel: Rätselhafte Blitzerscheinung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 395–396
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Rätselhafte Blitzerscheinungen.

Von M. Hagenau.


Es sei uns gestattet, wieder einmal die Aufmerksamkeit des weiten Leserkreises der „Gartenlaube“ auf eine rätselhafte Naturerscheinung zu lenken, deren Erklärung bis jetzt der Wissenschaft noch nicht gelungen ist. Wir thun dies nicht nur, um diesen und jenen zu belehren, sondern vielmehr, um die Laienwelt zur Beobachtung der Natur im Dienste der Wissenschaft anzuregen.

Seit den denkwürdigen Untersuchungen, welche Benjamin Franklin um die Mitte des vorigen Jahrhunderts über die atmosphärische Elektricität anstellte, ist es bekannt, daß der Blitz, den man früher für eine Explosion brennbarer Luft hielt, ein elektrischer Funke von riesiger Größe ist. Man hat später die Breite, Länge und Dauer des Blitzes zu messen gesucht und einige Forscher haben gefunden, daß Blitze mitunter einen Durchmesser von zwei Metern haben können, während die Länge der Blitzbahn in einigen gut beobachteten Fällen sogar auf 47 und 60 km geschätzt wurde! Jüngst hat man auch die mechanische Kraft eines Blitzstrahls, der in ein Wohnhaus einschlug, aus der von ihm bewirkten Schmelzung von Drahtnägeln zu berechnen versucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß jenem Wetterstrahl eine Kraft von nicht weniger als fünfzigtausend Pferdekräften zukam! Wie gewaltig aber auch die Ausdehnung des Blitzes sein kann, überraschender ist noch die Schnelligkeit, mit der sich dieses überwältigende Naturereignis abspielt. Der Blitz vergeht, ehe man ihn sieht, denn er dauert meistens nicht länger als 1/1000 Sekunde.

Diese Eigenschaften der furchtbaren Gewitterentladungen, die jedem geläufig sind, sind jedoch nicht allen Blitzerscheinungen gemeinsam. Es treten mitunter während der Gewitter sonderbare elektrische Erscheinungen auf, die in ihrer zerstörenden Wirkung dem Blitze gleich sind, aber durchaus nicht mit blitzartiger Geschwindigkeit verlaufen; sie spielen sich nicht in Tausendsteln einer Sekunde, sondern in der langen Zeitspanne von vollen Sekunden, ja selbst Minuten ab; sie bewegen sich so langsam, daß man ihre Bahn genau verfolgen kann. Da sie zumeist in Gestalt feuriger Kugeln auftreten, hat man sie globuläre Blitze oder Kugelblitze genannt.

Schon der berühmte englische Naturforscher Robert Boyle, der im siebzehnten Jahrhundert lebte, berichtete von einem solchen Blitze. Am 24. Juli 1681 fiel laut seiner Mitteilung in das Schiff „Albermarle“ plötzlich eine feurige Kugel. Man suchte sie mit Wasser und Stockschlägen zu löschen, aber sie verzehrte sich selbst und ließ einen starken Geruch nach Kanonenpulver zurück. Zur Zeit Boyles, da man Blitze als entzündete Gase deutete, erschien ein derartiger Blitz durchaus nicht unmöglich; später konnten die Gelehrten eine solche Erscheinung mit Hilfe ihrer Kenntnisse von der Elektrizität nicht erklären, der Kugelblitz paßte nicht in die neue Lehre hinein und man wollte ihn verleugnen. Es erzählte ein Laie, daß während eines Gewitters plötzlich eine feurige Kugel in seinem Zimmer erschienen war und langsam zum Kamin hinauswanderte. Da meinten die Physiker, der Laie sei wohl das Opfer einer Sinnestäuschung gewesen, und erklärten einfach, daß es die sogenannten Kugelblitze gar nicht gebe. Aber die feurigen Kugeln kamen immer wieder zur Erscheinung, wurden von mehreren Personen zugleich gesehen, zuverlässige Beobachter bestätigten ihr Vorkommen, und da mußte man doch zugeben, daß sie keine Sinnestäuschung, sondern wirkliche Erscheinungen seien. Das bequeme Leugnen mußte aufhören und die Wissenschaft schritt an den schwierigen Versuch der Erklärung.

Bevor wir auf Ergebnisse dieser Arbeiten eingehen, wollen wir jedoch einige gut beobachtete Fälle dieser Art schildern.

In der Genfer physikalischen Gesellschaft berichtete Dr. A. Wartmann über einen Kugelblitz, den er während eines sehr heftigen Gewitters am 20. Dezember 1888 beobachtet hatte. An jenem Tage fuhr Wartmann um 6½ Uhr abends im Gewitter von Versoix nach Genthod. Am Wege von Malagny erklärte der Kutscher, er wisse nicht, wo er sei. Der Mann wurde von den überaus häufigen Blitzen geblendet. Dr. Wartmann stieg auf den Bock und nahm die Zügel. Er befand sich gerade an der Einfahrt zu einer Besitzung, als er eine sehr helle und andauernde Lohe wahrnahm. In der Meinung, es sei ein Brand, wendete er sich um und sah beiläufig 300 m entfernt eine Feuerkugel von etwa 40 cm Durchmesser, die in der von ihm eingeschlagenen Fahrtrichtung vielleicht 20 m über dem Boden mit der Geschwindigkeit eines Raubvogels zog und keine Lichtspur hinter sich ließ; in dem Augenblick, wo die Kugel den Wagen zu Wartmanns Rechten um 24 m überholt hatte, platzte sie mit schrecklichem Knall. „Es schien mir,“ lautet der Schluß des Berichtes, „als seien feurige Linien davon ausgegangen; wir fühlten eine heftige Erschütterung und blieben einige Sekunden geblendet. Sobald ich wieder etwas unterscheiden konnte, sah ich, daß die Pferde sich unter rechtem Winkel gegen den Wagen gedreht hatten, mit der Brust in der Hecke, mit herabhängenden Ohren und allen Zeichen heftigen Schreckens dastanden.“ Zu gleicher Zeit wurde an einem 1½ km entfernten Orte ein Pächter unterwegs von einem violetten Lichtschein eingehüllt. Er hörte einen heftigen Knall und wurde 3 m weit vom Wege auf einen feuchten Rasen geworfen; er kam ohne weiteren Schaden mit dem Schrecken davon.

Am 1. Juli 1891 traf ein Kugelblitz das Häuschen eines Zimmermanns in einem Dorfe bei Schlieben. Der Mann schlief mit einem Kinde in einem Bette, an der gegenüberliegenden Wand seine Frau mit einem andern Kinde in einem zweiten Bette, davor stand die Wiege mit dem jüngsten. Bei Ausbruch des Gewitters hatte sich der Mann angekleidet und mit dem bei ihm schlafenden Kinde auf den Bettrand gesetzt, während seine Frau liegen blieb. Plötzlich kam mit mächtigem Gepolter eine runde Feuerkugel vom Ofen auf sein Bett gesprungen, daß dasselbe gleich zusammenbrach. Dann rollte sie so langsam nach der Wiege und dem Bette seiner Frau hin, daß der Zimmermann in Angst um die Seinen fast ebenso schnell an die Wiege gesprungen war. Hierauf verschwand die Kugel mit fürchterlichem Krachen durch die Wand oder Dielung, ohne zu zünden. Wunderbarerweise wurde keine der fünf Personen verletzt oder auch nur betäubt. Alle klagten über Taubheit und Kopfschmerzen wegen des „dicken Schwefeldunstes“, der in dem Zimmer sich verbreitet hatte, waren aber sehr schnell wieder völlig wohl. Man fand am Schornstein und Ofen Beschädigungen, die von dem Blitz herrührten.

Schlimmer hat ein Kugelblitz im Schulhause zu Bouin im Departement Loire gewütet, der in dem Augenblick erfolgte, als die Schüler eben ihr Nachmittagsgebet hersagten. Der Blitzschlag machte sich zuerst dadurch bemerklich, daß Kalk, Holz und Steine unter die Kinder fielen, die ein lautes Geschrei erhoben. Darauf rollte ein kleiner Feuerball unter die Bänke an dem Lehrer vorüber, der unter der Lampe saß, und drei Schüler wurden getötet. Der Feuerball nahm seinen Weg ins Freie durch eine Fensterscheibe, in welche er ein rundes Loch bohrte, ohne sie sonst zu beschädigen, während alle übrigen Scheiben zertrümmert wurden.

Am 2. Januar 1890 zeigte sich ein Kugelblitz in einer elektrotechnischen Anlage zu Pontevedra in Spanien. Um 9 Uhr 15 Minuten abends sah man bei klarem Himmel einen Feuerball von der Größe einer Orange auf die Leitungsdrähte fallen. Man konnte nicht feststellen, wie er fiel und woher er kam; die Drähte entlang wanderte er ziemlich langsam zur Centrale, hob den Stromunterbrecher und schlug in die Dynamomaschine, welche im Gang war. [396] Vor den Augen des Mechanikers und der erschrockenen Arbeiter sprang der Ball zweimal von der Dynamomaschine auf die Leitung und wieder zurück; dann fiel er und platzte, teilte sich in viele Funken ohne einen Unfall zu bewirken. Während des Schlages flackerten die elektrischen Lampen, an dem Stromunterbrecher wurden die dicken Kupferplatten an einigen Stellen geschmolzen und geschweißt.

Höchst bemerkenswert ist das Erscheinen zahlreicher Kugelblitze während eines Wirbelsturmes, der am 18. August 1890 im Departement Ille et Vilaine in Frankreich niederging. Ein Bauer aus Vizy wurde auf dem Felde von dem Orkan überrascht und sah eine Feuerkugel, die mit rasender Schnelligkeit herabstieg. Vom Schreck ergriffen, warf er sich sofort zur Erde. Die leuchtende Kugel schlug auf den Boden, zersprang mit einem Krach und bedeckte den Mann mit Staub. Einwohner von Vers l’Eau und von Samiset haben kopfgroße, lebhaft rote Kugeln gesehen, die sich langsam auf einige Scheunen zu bewegten, das Heu in Brand steckten und dann verschwanden. In Saint-Claude drang eine große Anzahl von Feuerkugeln durch Schornsteine oder Ofenthüren in die Wohnungen ein. Dieselben bewegten sich hier langsam hin und her und gelangten durch Fenster, Thüren oder Mauern ins Freie, mehr oder weniger große Verwüstungen hinterlassend. Die Luft in den Wohnungen erschien gleichfalls mit Schwefel- oder Pulvergeruch durchsetzt.

Besonders günstig für die Beobachtung der Kugelblitze ist das Hochgebirge. Alluard, der Direktor des Observatoriums am Puy de Dôme, teilte mit, daß man dort nicht selten zur Zeit eines Gewitters Mengen kleiner Feuerkugeln auf den Rücken des Berges auffallen sehen, kann. Im Hochgebirge wurde auch am 28. Juni 1885 auf dem Säntis vom Pfarrer Studer eine der merkwürdigsten Blitzerscheinungen beobachtet. Vorausschicken müssen wir, daß auf dem 2504 m hohen Säntis im Jahre 1882 eine meteorologische Hochstation errichtet wurde, die mit dem Thale durch eine Telephonleitung verbunden war. Die Nacht hatte bereits begonnen, als Studer und seine Begleiter noch auf der Wanderung inmitten eines heftigen Gewitters begriffen waren. Auf einmal erblickten sie hoch auf einem Bergkamme, der sich links von der Säntisspitze gegen den Altmanngipfel hinzieht, aufflackernde Flämmchen, vermischt mit kleinen gelblichen Kugeln. Letztere liefen scheinbar an einem Draht, oder Seil dahin, näherten sich gegenseitig, explodierten und fielen nieder. Auf demselben Bergkamme schwebte eine einzelne feurige Kugel von der scheinbaren Größe einer Bombe, oder eines kleinen Mondes in flachem parabolischen Bogen hin und her, etwa mit der Geschwindigkeit eines geworfenen Balles, nur daß die Bewegung stets gleichmäßig war. Die Erscheinung dauerte einige Minuten. Da erfolgte auf einmal ein furchtbarer Krach, der den ganzen Berg in seinen Grundfesten zu erschüttern schien, und ein Feuerwerk „von noch nie gesehener Großartigkeit“ überraschte die Zuschauer; die ganze Telephonleitung des Säntis, soweit sie dem Auge erreichbar war, stand im hellsten Lichte. Dabei leuchtete nicht allein der Leitungsdraht, sondern es flatterten von ihm feurige Flammen zur Erde nieder, die so aussahen, als ob man auf den glühenden Draht feurige Wäschestücke aufgehangen hätte. Plötzlich aber fiel die gesamte „Blitzwäsche“ zu Boden, der Draht war geschmolzen und die Zuschauer starrten geblendet in die vollste Finsternis.

Ueber das Wesen dieser eigenartigen elektrischen Entladung ist man bis heute noch nicht im klaren. Es ist allerdings einigen Forschern wie Planté und F. v, Lepel gelungen, mit Hilfe besonders starker elektrischer Maschinen im Laboratorium kleine Feuerkügelchen zu erzeugen, die sich nach Art der Kugelblitze einige Zeit hin und her bewegten und dann verschwanden. Auf Grund dieser Wahrnehmungen stellte man die Behauptung auf, daß die Kugelblitze aus erhitzten Gasen der Luft und des Wassers bestehen sollen. Diese Erklärung ist jedoch keineswegs genügend, sie giebt uns durchaus nicht völligen Aufschluß über die sämtlichen bei Kugelblitzen beobachteten Erscheinungen. Darum müssen die Untersuchungen fortgesetzt werden. Wünschenswert ist es vor allem, daß ein zahlreicheres Material über die Kugelblitze gesammelt werde. Wer darum vom Zufall begünstigt einen Kugelblitz gesehen hat, sollte seine Wahrnehmungen aufzeichnen und einer unserer meteorologischen Zeitschriften, wie z. B. der Monatsschrift „Das Wetter“, die vom Prof. Dr. R. Aßmann in Berlin W., Schinkelplatz 6, herausgegeben wird, einreichen. Die Redaktion der „Gartenlaube“ ist gleichfalls bereit, derartige Mitteilungen entgegenzunehmen und für deren zweckmäßige Veröffentlichung Sorge zu tragen.