Räuberadel und Schäferadel
[738] Räuberadel und Schäferadel. Wilhelm Tietz, hochadeliger Schäfer zu K., einem der Güter des Herrn von D., ist der Urtypus eines jener kostbaren Originale, wie man solche in deutschen Gauen heutzutage vielleicht nur allein noch in der Abgeschlossenheit des fröhlichen Alt-Mecklenburg findet. Unter vielen anderen Verdiensten muß ihm auch das vindicirt werden, die deutsche Sprache mit den beiden oben stehenden Begriffen bereichert zu haben. Die Gelegenheit, bei der diese Sprachbereicherung statt hatte, war aber diese.
Anno so und so verstarb zu N. in Mecklenburg Herr X., unbekannte Größe, dunkler Ehrenmann und ehemaliger Schäfer, mit Hinterlassung von vier Söhnen und eines stolzen Vermögens in Liegenschaften und baaren Geldern, erworben durch kluge Benützung der Zeitverhältnisse, durch allerlei Manöverchen und Manipulationen, die von angeborener Schlauheit Zeugniß ablegen, auch den alten Erfahrungssatz wieder bestätigen, daß es unbedingt Leute giebt, die immer draußen sind, wenn’s Glück regnet, mögen solche Leute sonst auch allgemein für dumm gelten. Uebrigens der Dumme hat’s Glück und Dame Fortuna ist eben ein Weib. Was will man sagen?
Herrn X., des einstigen Schäfers, vier Söhne theilten die väterliche Hinterlassenschaft, erwarben Jeder ein stattliches Rittergut und fanden danach, daß es nicht passend sei für reiche Gutsbesitzer mit der ihnen natürlich gewachsenen väterlichen Schäfernase noch ferner herumzulaufen, sie beschlossen deshalb, sich diese ihre Nase durch den Adel vergolden zu lassen. In Wien braucht man immer Geld, dahin wandten sie sich also und erstanden dort für so und soviel Tausend blanke Silberthaler die Berechtigung, ihrem Namen das Wörtlein „von“ vorsetzen zu dürfen nebst einem vom Heroldsamt ihnen aufgerissenen, prächtig gezeichneten Wappen. Solches geschah anno domini 1812. Im Herbst des gleichen Jahres wurde, wie gewöhnlich, der Landtag nach Malchin ausgeschrieben, und einer der vier nunmehrigen Gebrüder von X. faßte den glorwürdigen Gedanken, von dem Recht der adeligen Gutsbesitzer, auf dem Landtage, dem er als einfacher X. bisher fern geblieben war, in rother Landstands-Uniform erscheinen zu dürfen, allsogleich Gebrauch zu machen, und trat denn auch in funkelnagelneuem, prachtvollem rothen Frack mit goldenen Candillenepaulettes, weißen Casimir-Unaussprechlichen, den Degen an der Seite, in Malchin auf. Mit spöttischen Blicken und ironischem Lächeln empfingen adelige und bürgerliche Landstände den neugebackenen Edelmann im Sitzungssaal, die alleinige Zielscheibe des Hohnes Aller ward er an der Tafel der Landtagscommissarius. Acht Tage lang bot der Herr Otto Leopold Theodor Ferdinand von X. in dem Panzer seiner neuen Würde und seiner kostbaren Uniform allen Witzpfeilen Trotz, dann fuhr er traurig und niedergeschlagen heim in der glänzenden, mit Vieren bespannten Staatscarosse mit dem strahlenden Wappen auf dem Schlage. Zu Hause angekommen, läßt er sein Weib und seine Domestiken seine Wirthschafter und Dorfinsassen seine Niederlage in übelster Laune empfinden, und in tiefem Mißmuth reitet er über seine Felder. Kommt er da auch an die Scheide seines Gutes. Drüben auf jenseitiger Gemarkung hütet Wilhelm Tietz auf herbstlichem Dresch seine Schafe. Beide, Herr von X. und der Schäfer, kennen sich sehr gut, hat doch der Alte die vier Jungen seines ehemaligen Standesgenossen, des reich gewordenen Schäfers X., aufwachsen sehen. In dem unabweisbaren Drange jedes Leidenden, einen Vertrauten zu haben, dem er sein Herz ausschütte, erzählt Herr von X. dem Schäfer seine Begegnisse auf dem Landtage, klagt ihm sein ganzes Leid und schließt sein Klagelied mit den Worten: „Und ich bin doch nun so gut ein Edelmann, als D. einer ist und L. und O. und R., worüm ästimirten sie mir nu nich? Und was die bürgerlichen Gutsbesitzer waren und die Burmeisters, die hatten mir auch for’n Narren. Begreifst Du das, Tietz?“
Der alte Schäfer greift in sein rothgeblümtes Halstuch, in dem das Kinn tief steckt, hinein und antwortet nur mit einem gedankenvollen „Hm! Hm!“
„Na, worüm ästemir’n sie mir nich als Edelmann?“ forschte Herr von X.
„Ja, Herr – gnedig Herr, wull ick segg’n“ – replicirt da Wilhelm Tietz, mit schlauem, ein wenig ironischem Blinzeln, nach einigem Nachdenken, „wenn Se’t weten will’n, denn wi’ ik’t Se segg’n.“
„Nun?“
„Je, sehn’s, mien gnedig Herr un all de annern Eddellüd hierrümme, de stamm’n all ut den’n oll’n Röweroadel, un de is so olt as de Welt is. Se Ehr Oadel öwer, dat is man so’n niegen Scheperoadel, nich Fisch nich Fleesch, wecke sall den’n ästemir’n?! De Eddellüd nich und de Börgerlichen nich. Sehn’s, gnedig Herr, dat is denn de Soak.“
Herr von X. ritt schweigend davon. Ob er das ein wenig dunkle Dictum, dunkel wie alle Sentenzen einsamer Denker, verstanden hatte, bleibt ungewiß, auf den Landtag jedoch ist er niemals wieder gegangen. Wohl aber läßt er seinen Sohn bei Tisch obenan sitzen, weil der junge Edelmann schon einen Ahnen hat, also vornehmer ist als der Vater.